Läßt sich der Kapitalismus regulieren?

Daß es Wirtschaftskrisen gibt, ist heute unübersehbar. Daß Krisen periodisch, wenn auch in unregelmäßigen Abständen auftreten, wird kaum noch ernsthaft bestritten. Streit gibt es jedoch darüber, warum diese Krisen entstehen, ob es im Kapitalismus zwangsläufig zu Krisen kommt und ob diese sich mit der Zeit verschärfen, wie Marx dies vorausgesagt hat.
Bürgerliche Wirtschaftstheoretiker haben im Laufe der Zeit fast ebenso viele Theorien über die Ursachen von Krisen aufgestellt wie es Wirtschaftskrisen gegeben hat. Sie führen unter anderem zu hohe Löhne, die steigende Staatsquote, zu hohe Sozialausgaben, die Ölpreisschocks und Streiks als Gründe für Rezessionen an.
Doch alle diese Theorien können nicht erklären, weshalb die Weltwirtschaft zu Beginn der neunziger Jahre in eine Krise geraten ist, von der sich manche Länder, wie z. B. Japan und, in geringerem Maße, Deutschland und Frankreich, bis heute nicht erholt haben. Denn die achtziger Jahre waren durch Niederlagen der Arbeiterbewegung, den Rückgang des Anteils der Löhne am Bruttosozialprodukt und Kürzungen bei Sozialleistungen gekennzeichnet.

Neuen Auftrieb hat eine Theorie erhalten, die die Krisen mit langfristigeren Prozessen inVerbindung bringt: die sogenannte Regulationstheorie. Sie entstand am Ende der siebziger
Jahre in Frankreich und breitete sich dann in den englisch- und deutschsprachigen Raum aus1.
Grundlegend für diese Theorie ist die Annahme, daß die ökonomischen und politischen Strukturen
einer Gesellschaft gleichberechtigt nebeneinander existieren und sich entwickeln können.
Gerade deswegen können diese jedoch in Widerspruch zueinander geraten und dadurch eine
Krise auslösen. Umgekehrt erhält nach Joachim Hirsch "jede historische
Gesellschaftsformation […] ihre vorübergehende Stabilität dadurch, daß sich eine miteinander
vereinbare. Akku-mulatioms- und Regulationsweise herausbildet
"2

"Akkumulationsregime" und "Regulationsweise"

Unter "Akkumulationsregirne" verstehen die Regulationstheoretiker eine
bestimmte "Struktur des Kapitals" (Aglietta), d. h. seine Zusammensetzung und Verteilung auf
die verschiedenen Wirtschaftssektoren sowie die Menge und Qualifikation der verfügbaren
Arbeitskraft. Die "Regulationsweise" bezeichnet dagegen "die Gesamtheit institutioneller
Formen, Netze, expliziter oder impliziter Normen
"3, also die Position,
Macht und innere Struktur von
Organisationen wie z. H. Parteien, Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Medien, Kirchen sowie
des Staatsapparats selbst bis hin zur Familie wie auch die vorherrschenden Ordnungs- und
Entwicklungsvorstellungen, etwa über die Rolle des "Rechtsstaates", der Familie oder den
Stellenwert wirtschaftlichen Wohlstands (z. B.: "Konsumgesellschaft") und der Definition
von persönlichem Erfolg (z. B.: "Aufsteigermentalität").

Die Tatsache, daß diese Theorie Krisen nicht (oder nicht nur) aus den zu hohen Ansprüchen
der Beschäftigten und Arbeitslosen erklärt, sondern aus der Entwicklung der politischen
und wirtschaftlichen Strukturen heraus, macht sie für viele Linke at-traktiv. Daher ist
es wichtig, die Schwachpunkte des Regulationsansatzes und der re-gulationsorientierten
Krisentheorie herauszustellen. Da es aufgrund der Vielzahl von theoretischen Strömungen,
die auf der Grundlage des Regulationsansatzes entstanden ist, nicht möglich ist, "die
Regulationstheorie" als Ganzes im Rahmen dieses Artikels zu behandeln, werde ich mich im
Folgenden vor allem mit den Thesen von Joachim Hirsch, einem linken Vertreter der Regulationstheorie,
auseinandersetzen. Viele der angesprochenen Positionen und Argumente finden sich aber auch
bei anderen Vertretern der Regulationstheorie.
Krisen sind für die Regulationstheorie immer Krisen des Übergangs von einem Akkumulations- und
Regulationszusam-menhang in den darauf folgenden. Sie sind nicht Folge einer in sich widersprüchlichen
Produktionsweise (in der Sprache der Regulationstheorie: des Akkumulationsregimes), sondern
Krisen der Vermittlung zwischen Akkumulationsregime und Regulationsweise. So erklärt. Joachim
Hirsch die Entstehung von Krisen folgendermaßen:
"Das heißt, die bestehende Form der
Institutionalisierung von Klassenbeziehungen und sozialen Kräfteverhältnissen ist nicht
unbeschränkt flexibel und auch nicht einfach graduell veränderbar. Dies muß früher oder
später dazu führen, daß die Profitabilität des Kapitals im Rahmen der bestehenden
Akkumulations- und Regulationsweise abnimmt, das kapitalistische Wachstum im Stocken gerät
und damit eine Krise der ganzen gesellschaftlichen Formation entsteht.
"4

Ferner schreibt er:
"In der Tat wäre ungeachtet der umwälzenden Dynamik des Akkumulationsprozesses eine relativ störungsfreie
Entwicklung den Kapitalismus denkbar, wenn sie von entsprechenden kontinuierlichen Veränderungen der
institutioneilen Konfigurationen und Klassenverhältnisse […] begleitet wäre. Dies würde die flexible
Durchsetzung sowohl neuer Technologien als auch veränderter materieller Lebensverhältnisse ermöglichen und
auf diese Weise die Stabilität der Profitrate ungeachtet der von Marx diagnostizierten Veränderung in der
Wertzusammensetzung des Kapitals – dem Verhältnis von vergegenständlichter und lebendiger Arbeit – gewährleisten."5


Die Konsequenz einer solchen Analyse ist, daß Krisen überwunden werden könnten, wenn die verschiedenen
Teile der Gesellschaft ihre Einzelinteressen dem "Gemeinwohl" unterordnen und zu einer Umstrukturierung
ihrer Beziehungen und Machtverhältnisse gelangen könnten. Im Unterschied zu vielen bürgerlichen Theorien
werden die Arbeiterklasse und ihre Organisationen nicht als das Hindernis für die in der Krise notwendige
Umstrukturierung gesehen, sondern ’nur‘ als ein mögliches Hindernis, neben allen anderen gesellschaftlichen
Strukturen. Mit dem Argument, der tendenzielle Fall der Profitrate ließe sich dauerhaft durch politische
Veränderungen aufhalten, bestreitet Hirsch aber gleichzeitig, daß sich die Krisen im Kapitalismus tendenziell
verschärfen. Vor einer genaueren Betrachtung der Entwicklung der Profitrate und ihrer Ursachen ist aber zu klären,
in welchem Verhältnis Politik und Ökonomie zueinander stehen.

Basis und Überbau

Mit seinem Modell grenzt sich Hirsch gegen seiner Meinung nach "ökonomistische" Ansichten ab,
die eine Abhängigkeit des gesellschaftlichen Überbaus und der wirtschaftlichen Basis behaupten.
Er schreibt: "Die Ökonomie ist der Politik weder theoretisch noch historisch vorausgesetzt."6 Marx dagegen sagt:

"In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige,
von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein. Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten
Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhallnisse
bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer
Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen, […] Es ist nicht das
Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftli-ches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt
."7

Dies darf man nicht so verstehen, als daß der Überbau sich direkt aus der Basis ableiten ließe. Engels schreibt:

"Es ist nicht, daß die ökonomische Lage Ursache, allein aktiv ist und alles andere nur passive Wirkung. Sondern es ist
Wechselwirkung auf Grundlage der in letzter Instanz stets sich durchsetzenden ökonomischen Notwendigkeit.
"8 (Herv. v.
Engels)"Je weiter das Gebiet, das wir grade untersuchen, sich vom Ökonomischen entfern! und sich dem reinen abstrakt
Ideologischen nähert, desto mehr werden wir finden, daß es in seiner Entwicklung Zufälligkeiten aufweist, desto mehr
im Zickzack verläuft seine Kurve. Zeichnen sie aber die Durchschnittx-achse dieser Kurve, so werden Sie finden, daß,
je länger die betrachtete Periode und je großer das betrachtete Gebiet ist, daß diese Achse der Achse der ökonomischen
Entwicklung um so mehr annähernd parallel verläuft.
""9

Die ökonomischen Bedingungen bestimmen nicht unmittelbar die politischen Entscheidungen und Entwicklungen,
aber sie setzen ihnen Grenzen ("letzte Instanz") und sind ihnen daher durchaus "vorausgesetzt". Auf der
Grundlage dieser Überlegung kann man die Begriffe "Akkumulationsregime" und "Regulationsweise" einer kritischen
Bewertung unterziehen. Der Begriff "Akkumulationsregime" bezieht sich zwar auf die Akkumulation des Kapitals als
Ziel der kapitalistischen Produktion. Er läßt aber die Bedingungen und strukturellen Zwänge dieser Produktionsweise
außer acht. Für ein Verständnis der Abhängigkeit der politischen von der wirtschaftlichen Sphäre sind diese Bedingungen
aber grundlegend. Das Wort "Regime" läßt darüber hinaus vermuten, daß es die Möglichkeit der bewußten Steuerung
der Akkumulation geben könne.

Der Marx’sche Begriff der "kapitalistischen Produktionsweise", der auf das Kapital als
gesellschaftliches Verhältnis Bezug nimmt, bleibt daher dem Begriff des "Akkumulalionsregimes" überlegen.
Der Begriff "Regulationsweise" dagegen kann zu der Auffassung verleiten, die kapitalistische Produktionsweise
ließe sich stets – mit einer geeigneten Regulationsweise – von der politischen Sphäre aus kontrollieren.
Auch wenn die Marxsche Metapher des politischen oder kulturellen "Überbaus" oft fälschlich als Indiz für ein
von Marx angeblich gesehenes einfaches Abhängigkeitsverhältnis, das politische Prozesse zu einer unmittelbaren
Folge wirtschaftlicher Vorgänge macht, interpretiert wird, behält sie ihre Bedeutung und Erklärungskraft.
Denn auf ein und dasselbe wirtschaftliche Fundament lassen sich unterschiedliche Formen des politischen

Überbaus errichten – aber eben nur im Rahmen der durch das Fundament gesetzten Grenzen.
Auch Antonio Gramsci, auf den sich viele Regulationstheoretiker berufen, verweist zur Erklärung des
Verhältnisses von Basis und Überbau auf Marx:
"Die […] Prätention, jede Fluktuation der Politik und der Ideologie als einen unmittelbaren Ausdruck der
Basisstruktur darzustellen, muß […] praktisch durch den Hinweis auf die politischen und historischen
Arbeiten von Marx bekämpft werden.
"10

Profitrate

Diagramm Nr. 1: Großbritannien 11

Diagramm 1

Diagramm Nr. 2: USA 14
Diagramm 2

Diagramm Nr. 3: Japan 15
Diagramm 3

Während linke Regulationstheoretiker den Fall der Profitrate als Wirkung von Krisen ansehen, sah
Marx den Fall der Profitrate, also einen rein ökonomischen Prozeß, vor allem als Ursache für die
sich verschärfenden Krisen. Zwar fällt das Verhältnis von Gewinnen zum eingesetzten Kapital, wenn
in der Krise die Unternehmer ihre Waren nicht absetzen können. Die Ursache dieses Falls ist aber,
daß die Unternehmer den Mehrwert, die Grundlage des Profits, auf dem Markt nicht oder nur teilweise
realisieren können.
Dieser jeweils vorübergehende Prozeß ist jedoch zu unterscheiden vom langfristigen Fall der Profitrate,
der durch die Akkumulation des Kapitals entsteht. Tendenziell nannte Marx diesen Fall deswegen, weil der
allgemeinen Tendenz, daß das Kapital schneller akkumuliert wird als die Profitmasse wächst, verschiedene
Faktoren entgegenwirken können, wie etwa schneller technischer Fortschritt (mit der Folge, daß in den
Produktionsmitteln weniger gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit vergegenständlicht ist, ihr
Wert also abnimmt), stärkere Ausbeutung der Arbeiter (also eine höhere Mehrwertrate und
größere Profitmasse) oder Zerstörung des Kapitals durch Kriegseinwirkungen und insbesondere

übermäßiger Verschleiß während einer Phase der Kriegswirtschaft. Der Imperialismus ist eine
weitere Möglichkeit, den Fall der Profitrate durch die Unterwerfung neuer Arbeitskräfte unter
die Herrschaft des eigenen Kapitals und durch Zerstörung ausländischer Kapitalien zu bremsen.
Als unbeabsichtigte Nebenfolge führt die hohe Auslastung der Produktionsanlagen und der
dadurch bedingte starke Verschleiß von Kapital sowie die Verringerung der Investitionen durch
die Rüstungsproduktion zu einem Anstieg der Profitrate. Der tendenzielle Fall der Profitrate
bedeutet daher auch eine Tendenz zu Imperialismus und Krieg.
Der Verlauf der Profitrate in Großbritannien wird an Diagramm Nr.1 deutlich. Es zeigt das
Bruttoinlandsprodukt, das der Summe der Preise der im jeweiligen Land produzierten Waren
entspricht (BIP), den Kapitalbestand sowie deren Verhältnis für die Jahre 1820, 1870,
1913, 1929, 1938, 1950, 1973 und 1992.

Das Diagramm zeigt eine fortwährende Steigerung des Kapitalbestands wie des BIP. Beide
Größen steigen jedoch unterschiedlich schnell an, und im allgemeinen bleibt die Steigerung
des Bruttoinlandsprodukts hinter der des Kapitalbestands zurück. Dies ist auch an der
dick gezeichneten Kurve "BIP/Kapitalbestand" zu erkennen, die eine fallende Tendenz,
aufweist. Das Bruttoinlandsprodukts setzt sich, abgesehen vom Einkommen der Mittelschichten
(z.B. Bauern und Freiberufler), aus Löhnen und Sozialleistungen (die in der sog.
Bruttolohnsumme erfaßt sind), den Investitionen (die zum Teil für den Ersatz verbrauchter
Produktionsmittel verwendet werden) und dem Konsum der Kapitalisten zusammen. Die beiden
letzten Posten werden aus der Profitmasse finanziert. Über das Verhältnis dieser
Profitmasse zum BIP gibt es nur wenige Daten. Die Daten für die Zeit nach dem Zweiten
Weltkrieg deuten jedoch auf eine relative Konstanz dieses Verhältnisses hin:

Anteil der Profite am BIP (unter Berücksichtigung eines fiktiven Lohnes für die Kapitalisten):12

    1950 1970 1990
    USA    32,9%    31,0%    33,4%   
    GB 37,3% 34,9% 33,1%
    BRD 33,7% 36,4% 39,1%

Der Fall des Verhältnisses des BIP zum Kapitalbestand in der Zeit nach 1950 bedeutet
daher gleichzeitig, daß das Verhältnis der Profitmasse zum Kapitalbestand,
also die Profitrate13, in diesem Zeitraum gefallen ist. Der Verlauf des Verhältnisses,
des BIP zum Kapital vor 1950 stellt damit zumindest ein Indiz für den Verlauf der Profitrate dar.
Die Daten weisen darauf hin, daß die Profitrate von 1820 bis 1870, von 1913 bis 1938 und
von 1950 bis 1992 gefallen ist. In der Hochzeit des britischen Kolonialismus zum Ende
des 19. Jahrhunderts konnte Großbritannien die Profitrate in etwa aufrechterhalten.
Der Erste Weltkrieg schwächte zwar Großbritannien, führte aber auch zur Ausdehnung seines
Kolonialbesitzes auf Kosten der unterlegenen Staaten. Dies erklärt die Konstanz der Profitrate
während des Ersten Weltkriegs und den nur geringen Fall der Profitrate in der Zwischenkriegszeit.
Im Zweiten Weltkrieg, der Großbritanniens Wirtschaft stark belastete und durch die
Kriegsproduktion zu hohem Verschleiß des Kapitals führte, kam die Akkumulation
praktisch zum Stillstand, während sich die Arbeitsproduktivität weiter erhöhte. Das
kehrte den Fall der Profitrate kurzfristig um. In den sechziger Jahren setzte der durch
Imperialismus, Krieg und den Rüstungskapitalismus verzögerte Fall der Profitrate wieder ein.

Im Gesamtzeitraum läßt sich eindeutig ein Fall des Verhältnisses des BIP zum Kapital
feststellen, daß auf einen Fall der Profitrate verweist. Die Daten für die USA und für
Japan zeigen einen ähnlichen Verlauf (Diagramme Nr.2 und Nr.3). Die Konstanz der Profitrate
der USA in der Zeit nach 1890 erklärt sich daraus, daß Großbritannien und Frankreich ihre
Hegemonie als weltweit herrschende imperialistische Mächte
an die USA nach und nach abgeben mußten. Bedeutend ist dieser Faktor vor allem in der Zeit
von 1950 bis heute, in der die USA ihre – allerdings 1950 bereits sehr niedrige – Profitrate
halten konnten, während die Profitrate nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Japan,
Deutschland und Frankreich fiel16. Im Hinblick auf Japan ist zu beachten, daß sich der
Kapitalismus in der betrachteten Epoche (1890 bis 1992) erst entwickelte, wodurch die Zahlen
in noch größerem Maße als in bezug auf Großbritannien und die USA nur der Tendenz nach zu
beurteilen sind.17

Wenn davon auszugehen ist, daß das Verhältnis des BIP zum Kapitalbestand tendenziell abnimmt,
dann läßt sich die Behauptung von Joachim Hirsch, "einem Sinken des Kapitalprofits könnte,
etwa durch fortwährende Reallohnsenkungen […] begegnet werden
"18, nicht aufrechterhalten. Betrüge
beispielsweise der Anteil der Profite am BIP 50% und stiege dann der Kapitalbestand im
Vergleich zum BIP auf das Dreifache, so würde die Profitrate selbst bei einer Erhöhung
des Anteils der Profite am BIP auf 100% auf 2/3 des ursprünglichen Wertes fallen.
Nach Marx ist der Fall der Profitrate zunächst Folge der Akkumulation des Kapitals.
Veränderungen in der Mehrwertrate können der Fall der Profitrate zwar vorübergehend
aufhalten, aber langfristig nicht verhindern. Bei gleicher Mehrwertrate fällt mit dem
Verhältnis des Gesamtwerts der Produkte zum Wert des Kapitalbestands auch die Profitrate.
Eine Erhöhung der Mehrwertrate kann einem Fall dieses Verhältnisses nur begrenzt entgegenwirken,
da der Mehrwert als Teil des Gesamtwerts der Produktion nicht größer sein kann als dieser selbst.

Zudem bewirkt eine Fallen der Mehrwertrate, etwa durch den Kampf der Arbeiter, zwar ein Fallen
des Profits und damit der Profitrate, Gleichzeitig jedoch kann gerade wegen der niedrigeren
Profitmasse weniger akkumuliert werden. Mittelfristig bremst diese geringere Akkumulation den Hall
der Profitrate. Langfristig nähert sich die Profitrate dadurch dem – im Zeitverlauf fallenden –
Niveau an, das sie ohne Verringerung der Mehrwertrate erreicht hatte. Der langfristige Fall der
Profitrate wird dadurch also nicht aufgehalten, sondern nur in seinem Verlauf geändert.

Umgekehrt bewirkt eine Erhöhung der Mehrwertrate, ob sie nun durch Lohnkürzungen oder höhere
Arbeitsproduktivität erreicht wird, zwar ein kurzfristiges Ansteigen von Profitmasse und
Profitrate. Im folgenden wird durch die höhere Profitmasse jedoch die Akkumulation beschleunigt,
so daß der Anstieg der Profitrate durch den darauf folgenden, um so stärkeren Fall zunichte gemacht
wird. Damit erweist sich die Hoffnung, ständiger technischer Fortschritt könnte den Fall der
Profitrate dauerhaft aufhalten, als Illusion.

Wenn aber weder eine erhöhte Arbeitsproduktivität noch eine Umverteilung des Mehrwerts den
Fall der Profitrate dauerhaft aufhalten können, dann ist auch die Hoffnung vieler
Regulationstheoretiker, daß sich die Krise durch eine neue "Regulalionsweise", also etwa durch
eine veränderte institutionelle Struktur der Gesellschaft oder eine veränderte Kultur, beheben
lassen könne, vergeblich. Denn diese Änderungen des gesellschaftlichen Überbaus können sich auf
die Wirtschaft nur über eine Änderung der Arbeitsproduktivität oder eine Änderung der Mehrwertrate
auswirken.

Die Weltwirtschaftskrise

Diagramm 1

Daß nicht den Veränderungen in der Produktionstechnik, sondern der Rüstungsproduktion und der
Kapitalvernichtung im Zweiten Wellkrieg die entscheidende Rolle bei der vorübergehenden
Stabilisierung des Kapitalismus zukommt 20, belegt auch die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933.
Die Entwicklung des Bruttosozialprodukts in den USA zeigt die Tiefe der Krise {Siehe Diagramm Nr.4).
Von 1929 bis 1933 sank das Bruttosozialprodukt um etwa 30%. Sie zeigt darüber hinaus, daß die Krise
durch die keynesianische Politik des New Deal nur vorübergehend überwunden werden
konnte. So fiel im Herbst 1937 die industrielle Produktion innerhalb weniger Monate um 30% 21. Erst
die Kriegswirtschaft, die zur Vorbereitung des Eintritts der USA in den Zweiten Wettkrieg eingeführt
wurde und eine Ausweitung der Rüstungsproduktion sowie eine starke staatliche Kontrolle und Planung
der Wirtschaft zur Folge hatte, konnte die neue Krise überwinden. Die starke Steigerung des
Bruttosozialprodukts (das die Abschreibungen mit umfaßt) ist allerdings nur aufgrund einer hohen
Abnutzung des Kapitals möglich gewesen.

Viele Regulationstheoretiker gehen davon aus, daß die Weltwirtschaftskrise mit der Entwicklung des
"Fordismus", d. h. einer Regulationsweise auf der Basis von Serienproduktion und Massenkonsum sowie
gut ausgebildeten Arbeitskräften, nichts zu tun habe, da sich dieser erst nach dem Zweiten Weltkrieg
voll entwickelt habe.
Das trifft aber nicht zu. Die Massenproduktion als Herstellungstechnik war im Ersten Weltkrieg in der
Rüstungsproduktion bereits weit verbreitet, Nach dem ersten Weltkrieg setzte sie sich in den USA in
praktisch allen bedeutenden Wirtschaftszweigen durch. Gleichzeitig fand eine enorme Ausweitung der
Produktion statt:
"In der amerikanischen Verbrauchsgü-terindustrie war die Verwendung des Fließbands,
transportabler elektronischer Werkzeuge und automatischer Bohrmaschinen und Pressen 1929 eine
Selbstverständlichkeit. 1929 erzeugte die Industrie 70% mehr Fertigwaren als 1919 […] Bis 1929
hatte sich die Zahl der Personenwagen fast vervierfacht, und auf fünf Personen kam ein Wagen.
"22

Ebenso war die Expansion der Bildung bereits in vollem Gange. Der Ausbildungskoeffizient23 in den
USA stieg von 3,92 im Jahr 1870 auf 7,86 im Jahr 1913, 9,11 im Jahr 1929 und 11,27 im Jahr 1950.
Auch in Europa wurde die Bildung bereits stark ausgeweitet; Der Ausbildungskoeffizient für Deutschland
beträgt 8,37 im Jahr 1913 und 10,4 im Jahr 1950. für Frankreich 6,99 im Jahr 1913 und 9.58 im Jahr 1950.
Zwar blieb die Industrieproduktion in Europa hinter der der USA zurück, und auch die Massenproduktion
verallgemeinerte sich später als in den USA. Dennoch war sie 1929 auch in Europa die in den
entscheidenden Produktionszweigen angewandte Technik. Entscheidend für die Krise war jedoch die
Entwicklung in den USA, von denen aus sich die Krise, beschleunigt durch den Börsenkrach
am 25. Oktober 1929, auf Europa und die übrige Welt ausdehnte.
Eine andere regulationstheoretische Erklärung für die Wirtschaftskrise lautet, daß sich 1929
zwar das Akkumulationsregime des Fordismus bereits entwickelt habe, daß aber die damit vereinbare
Regulationsweise, also etwa die "Konsumgesellschaft", noch nicht voll ausgeprägt war. Das ist zwar
insofern richtig, als sich Ungleichmäßigkeiten in der Entwicklung der "fordistischen
Gesellschaftsformation" ergeben haben. Diese waren jedoch gegenüber den Prozessen, die zur
Weltwirtschaftskrise geführt haben, eher langfristiger Natur. Wenn die Behauptung stimmt,
daß die Überproduktionskrise 1929 dadurch zustande gekommen sei, daß sich die Produktionstechnik
und damit die Produktionsmöglichkeiten schneller als die "Konsumgesellschaft" entwickelt habe, dann
hätte sich die Überproduktion langsam steigern und schließlich zu Absatzschwierigkeiten führen müssen.
Das war aber nicht der Fall. Die Entwicklung der US-Automobilproduktion vor 1929 zeigt das deutlich.
Die großen Automobilunternehmen stellten sich bereits Mitte der zwanziger Jahre darauf ein, daß

der Konsum von Fahrzeugen
stagnieren würde. Grund hierfür war die Sättigung des amerikanischen Marktes, so daß neue
Autos zunehmend alle Wagen ersetzen mußten. So stieg die Produktion von 1923 bis 1926
lediglich von 3,76 auf 3,98 Millionen PKW. In den folgenden Jahren
entwickelte sich die Produktion der drei größten US-Automobilunternehmen folgendermaßen:

    Produktion der drei größten US-Automobilfirmen in 1.000 Stück:24

    1. Hj.
    1926
       
    1. Hj.
    1927
       
    1. Hj.
    1928
    General Motors    693 886 1074
    Ford 709 381  220
    Chrysler-Dodge 285 212  234

Der deutliche Produktionsrückgang bei Ford war bedingt durch die Umstellung der
Produktionsanlagen vom Modell T auf das neue Modell A. Er führte dazu, daß die
Fahrzeugproduktion von 3,98 Mill. Stück 1926 auf 3,09 Mill. im darauf folgenden
Jahr sank. Dieser Rückgang verursachte bei den großen Firmen jedoch weder finanzielle
Probleme, noch ist er auf eine vorangegangene Überproduktion zurückzuführen.
Die Vorräte der großen Firmen entwickelten sich vielmehr entsprechend der Absatzzahlen.25

Aber der Rückgang der Produktion bei Ford gab den anderen Unternehmen, insbesondere General Motors,
die Möglichkeit, die Produktion auszuweiten. Ford beabsichtigte natürlich, später den verlorenen
Markt mit dem neuen Modell wieder zu erobern: "Die Unterbrechung der Produktion wegen der Umstellung
auf das Modell A hat einen starken Absatzverlust bewirkt, den Ford jedoch […] in absehbarer Zeit
wenigstens annähernd wieder
wettmachen dürfte. Die nächsten Konkurrenten des A-Modells sind Chevrolet […], ferner
Whippet und Durant: der Kampf dürfte sich jedoch im wesentlichen nur zwischen Ford und
der G.M.C. [General Motors Company] abspielen.
"26

Es war dieser Kampf, der auf dem Gebiet der Automobilindustrie I929 zu einer
riesigen Überproduktion führte, die ein entscheidender Faktor in der Entstehung der
Wirtschaftskrise war. Die Ursache für die Krise waren nicht Widersprüche zwischen Akkumulationsregime
und Regulati-onsweise, sondern die Konkurrenz als wesentliches Kennzeichen der kapitalistischen
Produktionsweise. Die Auswirkungen dieser Konkurrenz wurden allerdings durch die Massenproduktion
noch verstärkt, wie die Folgen der Umstellung Fords auf das neue Modell beweisen.

Von der militärischen zur wirtschaftlichen Konkurrenz

Die folgenden Jahrzehnte waren von einer langen und nach dem Zweiten Weltkrieg im wesentlichen
von Krisen ungestörten Aufschwungphase des Kapitalismus gekennzeichnet. Doch mit der Zunahme der
wirtschaftlichen Stärke der westeuropäischen Staaten sowie Japans gewann die wirtschaftliche
Konkurrenz zwischen den "westlichen" Staaten an Bedeutung. Das wirtschaftliche Wachstum der
Ostblockstaaten wurde durch die hohen Militärausgaben, die zur Aufrechterhaltung des militärischen
Gleichgewichts zwischen dem Warschauer und dem Washingtoner Pakt27 nötig waren, gebremst.28 In den
siebziger Jahren wurde aber nicht nur die militärische Belastung zum Hindernis für die wirtschaftliche
Entwicklung, Die mangelnde Weiterentwicklung der übrigen Wirtschaft ließ auch die militärische
Produktion vor allem in qualitativer Hinsicht hinter die der USA zurückfallen.

Für die USA, die stets den größten Teil der militärischen Lasten der NATO sowie Japans trug, wurde
die globale wirtschaftliche Konkurrenz im Vergleich zur militärischen Konkurrenz gegenüber der
Sowjetunion zunehmend wichtiger. US-Finanzminister Connally drückte dies am 28.Mai 1971 in
München folgendermaßen aus: "Die Wirtschaft der Vereinigten Staaten beherrscht nicht mehr die
freie Welt. Daß die Vereinigten Staaten einen so hohen Anteil der gemeinsamen Lasten trägt, läßt
sich nicht mehr mit den Verpflichtungen der Freundschaft, den Bedürfnissen oder der Kapazität der
Beteiligten rechtfertigen.
"29

Die USA, die nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich die "westlichen Staaten" stützte –
zunächst mit Hilfe des Marshall-Plans, später vor allem durch einen durch die Vereinbarungen von
Bretton Woods, die feste Wechselkurse vorsahen, gestützten Dollarkurs30, begrenzten in den siebziger
Jahren beide Formen der Unterstützung.

Der ehemalige US-Außenminister Kissinger beschreibt die Vorgehensweise der USA folgendermaßen:

"Am folgenden Tag, dem 15. August [1911], hielt der Präsident eine Ansprache im Fernsehen zur
Erläuterung seiner neuen Wirtschaftspolitik, […] Die Auslandshilfe sollte um 10 Prozent gekürzt
werden, Reimporte sollten mit einer zusätzlichen Steuer von 10% belegt werden und die
Konvertierbarkeit des Dollars in Gold oder andere Werte sollte aufgehoben werden. […] viele
sahen darin eine wirtschaftliche Kriegserklärung an die anderen demokratischen Industriestaaten […],
Die demokratischen Industriestaaten, vor allem Japan, waren schockiert über die Plötzlichkeit der
Erklärung […].
"31

Über die Folgen des Systems auf die Währungen sagt Kissinger:

"Mit dem neuen System gab es noch dramatischere Krisen als bei den festen Wechselkursen.
Spekulanten entdeckten neue Möglichkeilen. Die Wechselkurse paßten sich durchaus nicht der

übrigen Wirtschaftslage an."32

Solange der US-Imperialismus, auch auf Kosten Großbritanniens und Frankreichs, in immer neue Räume
expandieren konnte – zuletzt tat er dies durch die Nahostkriege zum Ende der sechziger und zu Beginn
der siebziger Jahre – gleichzeitig aber durch den Imperialismus der Sowjetunion bedroht war,
verzichtete die USA auf ein stärkeres Wirtschaftswachstum und stützte ihre Verbündeten. In den
siebziger Jahren wurde der "Spielraum" des US-Imperialismus jedoch immer kleiner. Die USA verstärkten
die wirtschaftliche Konkurrenz gegenüber ihren Verbündeten. Sie taten dies, obwohl sie sich der Folgen
für die Stabilität des Weltwirtschaftssystems bewußt waren. Die Krisen von 1974 und 1980/82 wurden
durch die Ölpreisschocks nur verstärkt.

Die These von Joachim Hirsch, daß "jede historische Formation des Kapitalismus […] ihre
eigene Krise
"33 habe, ist nicht
grundsätzlich falsch. Die seit den siebziger Jahren andauernde krisenhafte Entwicklung des
Kapitalismus ist aber nur insofern eine historisch neue Krise, als die bekannten Zutaten früherer
Krisen – wirtschaftliche und militärische Konkurrenz, Instabilität und Überproduktion – in einer
neuen Zusammensetzung auftraten. Wenn Joachim Hirsch anmerkt, daß "in der Krise des
Fordismus damit begonnen [wurde], ein neues, »postfordistisches« Akkumulationsmodell
durchzusetzen
"34, dann sieht er richtig, daß der Versuch, die Produktionstechnik umzustellen,
nicht Ursache, sondern Folge der Krise in dem Sinne war, daß durch diese Umstellungen versucht wurde,
der Krise entgegenzuwirken. Dies bedeutet aber, daß die Krise nicht, wie eine der Grundannahmen der
Theorie des Postfordismus lautet, aus der Umstellung der Produktionstechnik und sich daraus
ergebenden Widersprochen zwischen Akkumulationsregime und Regulationsweise entstanden ist. Die
Umstellungen sind vielmehr Versuche der einzelnen Staaten, die nationale Profitrate durch eine
Erhöhung der Mehrwertrate zu steigern.

Kommt der Postfordismus?

Die seit den siebziger Jahren zu beobachtende Verschiebung der Konkurrenz von der militärischen
auf die wirtschaftliche Ebene hatte weitere Folgen. Die einzelnen Staaten nahmen immer weniger
Rücksicht auf die Stabilität und die langfristige Entwicklung des Systems. Ihnen war der Spatz
in der Hand gewissermaßen naher als die Taube auf dem Dach.

Die Folge ist, daß ein immer größer werdender Teil des Mehrwerts zur Akkumulation von Kapital
verwendet wird. Die Änderungen im Produktionsprozeß, zu denen Joachim Hirsch die "Einführung
neuer Produkte, neuer Produktions- und Kommunikationstechnologien, eine grundlegende Veränderung
der Formen von Betriebs- und Arbeitsorganisation und die damit verbundene »Flexibilisierung« der
Arbeitsverhältnisse
"35 zahlt, halte ich aber im Gegensatz zu den Regulationstheoretikern für
weniger bedeutsam. Joachim Bischoff, der sich ebenfalls oft auf regulalionstheoretische Ansätze
stützt, bemerkt zu diesen Änderungen:
"In dem Modernisierungsprozeß handelt es sich nicht
um die Alternative Massenproduktion versus handwerkliche Einzelfertigung. Nach wie vor handelt
es sich um Großserienfertigung […]. Flexible Standardisierung ist das dominierende Prinzip.
"36

Diese Änderungen in der Produktionstechnik sind zudem nicht Ursache der Krise, sondern eine
Reaktion auf die Krise. Bei den meisten dieser Änderungen steht auch nicht die Steigerung der
technischen Effi-zienz des Produktionsprozesses im Vordergrund, sondern die Erhöhung der Ausbeutung.
Auch die Änderungen im Institutionengefüge, von denen sich viele Regulationstheoretiker eine
Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen erwarten, sind von diesem Interesse geleitet.
Die Angriffe auf die Gewerkschaften, die Privatisierung von Unternehmen oder der Versuch, die Renten-
und Sozialversicherungsleistungen einzuschränken und private Versicherungen zu fordern, dienen nicht
dem Zweck, das Institutionengefüge unter Wahrung der Rechte und des Einflusses der verschiedenen
Gruppen zu optimieren, sondern haben das Ziel, die Ausbeutung der Arbeiter zu erhöhen und die Position
ihrer Organisationen zu schwächen.

Es ist Joachim Bischoff zuzustimmen. wenn er schreibt: "Ein postfordistischer Kapitalismus
zeichnet sich nirgendwo ab. […] Wir sollten uns vielmehr auf eine Verschärfung der
gesellschaftlichen Konflikte einstellen."37 Auch Joachim Hirsch zufolge bezeichnet der Begriff "Postfordismus" "eher
das inzwischen recht lange anhaltende Fortdauern einer globalen kapitalistischen
Krise
"38.

Japan

Tatsächlich ist mit einer zunehmenden Krisenhaftigkeit des Kapitalismus zu rechnen. Die
Wirtschaftskrise in Japan, das wegen der "Arbeitsmoral" der Beschäftigten und der geringen
Zahl von Streiks, aber auch wegen der schnellen Einführung neuer Technologie sowie wegen der
großen Verflechtung der Industrie und des steuernden Einflusses des Staates von vielen
Regulationstheoretikern als Ansatz für ein neues Modell eines "postfordistischen" (d. h.
nach-fordistischen) Kapitalismus gepriesen wurde, wirft ein Schlaglicht auf diese Entwicklung.
Wie die Weltwirtschaftskrise 1929 wurde die japanische Krise durch eine sich, aus dem Boom
ergebende unvorhergesehene Überproduktion verursacht, Wie 1929 fielen die Aktienkurse und Bodenpreise.
Auch kam es kurzfristig zu einer Deflation, die nur durch eine extrem lockere Geldpolitik der
japanischen Zentralbank, die den Diskontsatz bis auf 0,5% drückte, beseitigt werden konnte.
Zudem legte die japanische Regierung fünf umfangreiche Investitionsprogramme auf, um die Krise
abzuschwächen. Das zeigt, daß keynesianische Wirtschaftspolitik, die viele Regulationstheore-tiker
als ein Hauptmerkmal des Fordismus ansehen, weiterhin betrieben wird. Nach dem Zusammenbruch des
Systems der über den US-Dollar an das Gold gebundenen festen Wechselkurse 1971 wurde keynesianische
Politik aber, wegen des drohenden Verlusts der Finanzmärkte in die nicht mehr an das Gold gebundenen
Währungen in zunehmendem Maße nur noch dann betrieben, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gab,
eine tiefe Krise zu überwinden.

Die japanische Krise wurde durch zwei Überproduktionswellen in den Jahren 1988/89 und 1991 ausgelöst.
Während die Lagerbestände 1987 noch weniger als 1 Bill. Yen betrugen, waren sie 1989 auf
über 3 Bill. angewachsen. Nach einem kurzen Rückgang stiegen sie 1991 erneut auf über 3 Bill. Bereits
die erste Welle führte zu einem Rückgang der Profite, die von 2% des Umsatzes 1989 auf 1,2% 1992
fallen, und in der Folge zum Fall der Börsenkurse. Aber erst die zweite Welle spülte die Konjunktur
aus dem Boom von 1987/88 hinweg. Von 1991 bis 1992 fiel die Industrieproduktion um 6,1%, im
folgenden Jahr um weitere 4,5%. 1992 brach schließlich die Bodenspekulation zusammen. Die
Mieten neuer Büros in Tokio fielen um über 30%, die Mieten alter Büroräume um etwa die Hälfte.
Erst die keynesianischen staatlichen Investitionsprogramme, die ab 1992
einsetzten und mit deren Hilfe der japanische Staat die Nachfrage in einem Umfang von etwa 2% des
Bruttoinlandsprodukts seither unterstützt, konnten den Produktionsrückgang aufhalten.
Der Wert der Lagerbestände fiel bis 1993 wieder auf unter l Bill. Yen. Seit dem Tiefpunkt der
Rezession 1993 weist die japanische Wirschaft wieder geringe Wachstumsraten auf, die aber
weit hinter den durchschnittlichen Zuwächsen in den letzten Jahrzehnten liegen.39

Kaum ist die letzte Krise halbwegs überwunden, kündigt sich am asiatischen Horizont
jedoch bereits die nächste Überproduktionskrise an. Die Financial Times berichtet, daß
"eine neue Investitionswelle [in der petrochemischen Industrie] der Vorbote einer Ära bedeutender
Überkapazitäten und heftiger Preiskämpfe ist. Nirgends sind die Symptome deutlicher als in
Südostasien. […] Eine solche Aussicht mag für einige Industrien unbehaglich sein, aber für die
chemische Industrie, in der Fabriken oft zu mehr als 90 Prozent ausgelastet sein müssen, um profitabel
zu sein, könnte es sehr schmerzhaft werden. [..,] eine anhaltende Phase des Überangebots von
Basischemikalien (Ethylen und seine Derivate) könnte bereits zum Ende des Jahres 1997 anfangen.
"40

Die Krise der neunziger Jahre ereignet sich nach einem Jahrzehnt, in dem sich der Klassenkampf
zunehmend abschwächte. Einen neuen Aufschwung der Klassenkämpfe gab es erst, als die Krise bereits
ausgebrochen war. Und vor altem in Japan gingen der Krise Jahre eines unaufhaltsam scheinenden
Aufschwungs und stetiger Produktivitätssteigerungen voraus. Um so deutlicher zeigt die heutige
Krise, daß es die kapitalistische Produktionsweise selbst ist, aus der heraus immer neue Krisen
resultieren. Wenn Marx von den Einflüssen der politischen Verhältnisse (also regulationstheoretisch
gesprochen: der Regulationsweise) bei der Ausarbeitung seiner Theorie im "Kapilal" zunächst abgesehen
hat und sie erst später mit einbezog, dann tat er dies nicht, weil er geschichtliche Prozesse allein aus
den Veränderungen der Ökonomie erklären wollte, sondern um zu zeigen, daß der Kapitalismus unabhängig vom
bewußten Handeln der Arbeiterklasse oder anderer Klassen. Organisationen und Institutionen sich
verschärfende Krisen erzeugt.

Auch wenn diese politischen, kulturellen oder technischen Veränderungen die jeweilige Gestalt von
Krisen beeinflussen können, so können sie an der Tatsache, daß Krisen – und Kriege als eine mögliche
Konsequenz – aus den inneren Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft entstehen, nichts ändern.
Für Marxisten ist daher die Alternative nicht "störungsfreie Entwicklung des Kapitalismus" oder
Klassenkampf, sondern, wie Rosa Luxemburg richtig sagte: Sozialismus oder Barbarei!

Anmerkungen


1 Siehe z. B. Michel Aglietta: Regulation et crises du capitalisme, Paris 1976; Robert Boyer: La theorie de la regulation: une analyse critique. Paris 1986; Joachim Hirsch und Roland Roth: Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post-Fordismus, Hamburg 1986; Alain Lipietz: Miniges et miracles, The crises (of global Fordism, London 1987; Karl Polanyi: The great transformation, Frankfurt/M. 1990; J. Esser, C. Görg und J. Hirsch: Politik. Institutionen und Staat. Zur Kritik der Regulationstheorie, VSA-Verlag, Hamburg 1994; Amin Ash: Post-Fordism, Oxford und Cambridge. Mass.1995; Joachim Hirsch: Der nationale Wettbewerbsstaat, Edition ID-Archiv, Berlin 1995

2 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. l, S.51.

3 Alain Linietz: "Akkumulation, Krisen und Auswege aus der Krise", in: PROKLA Nr. 58 (1985), S. 121

4 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. 1, S. 61

5 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. 1, S. 62

6 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. 1, S. 20

7 Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie, Dietz Verlag, Berlin 1981,S. 13

8 Friedrich Engels, Brief an H. Starkenburg (1894), in: Iring Fetscher (Hg.): Marx/Engels. Studienausgabe, Bd. l. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1990, S. 232

9 Friedrich Engels (1894), s. Fn. 8, S. 233

10 Antonio Gramsci, "Euvres Choisies", Paris 1959, S. 104 (hier: Iring Fetscher (Hg.): "Der Marxismus", Bd. 1, Piper & Co. Verlag, München 1962, S. 250)

11 Quelle der Daten: OCDE, Centre de Deve-loppement (A. Maddison): L’economie mondiale 1820-1992. Paris 1995, S. 272f. Leider sind dort nur für Großbritannien und die USA genaue Daten ab 1820 angegeben. Es ist ferner zu beachten, daß die Zahlen in realen US-$ auf der Basis von 1990 ausgedrückt sind. In anderen Währungen und mit anderen Korrekturgrößen für den Ausgleich der Inflation berechnete Daten können daher von den hier wiedergegebenen Daten abweichen. Die Schaubilder sind daher nur der Tendenz nach für den Verlauf der dargestellten Größen aussagekräftig.

12Berechnung: 100 % abzüglich korrigierter Lohnquote. Die Zahlen geben natürlich nur Näherungswerte wieder und sind wegen ihrer Tendenz im Zeitverlauf interessant. So werden etwa Managerlöhne, die nach marxistischer Sicht zum größten Teil umverteilter Mehrwert sind, in dieser Darstellung zur Lohnsumme gezählt. Quelle: Keizer/Lazarsfeld: La Triade economique et finanziere. Ed. du Seuil, Paris 1996, S. 303, dort nach OECD

13Es ist ein ziemlich weit verbreiteter Irrtum, Marx habe die Profitrate als Verhältnis von dem in einer Periode verbrauchten Kapital zur Profitmasse berechnet. Marx bezieht den Profit auf das in der Produktion angewandte Kapital (wobei er allerdings die Länge der Periode oft so wühlt, daß der Wert des verbrauchten Kapitals dem Wert des Kapitalbestands entspricht, das Kapital sich in einer Periode also einmal umschlägt): "Der Preis einer Ware, welcher gleich ist ihrem Kostpreis plus dem im Verhältnis ihrer Umschlagsbedingungen auf sie fallenden Teil des jährlichen Durchschniltsprofits auf das in ihrer Produktion angewandte (nicht bloß das in ihrer Produktion konsumierte) Kapital
ist ihr Produktionspreis." (Das Kapital. Bd. 3, MEW 25, Dietz Verlag, Berlin 1988, S. 165f. Der Text in Klammem stammt von Marx.)

14 Quelle der Daten; OCDE 1995. s. Fn. II

15 Quelle der Daten: OCDE 1995, s. Fn. 11

16 Das Verhältnis BIP/Kapitalbestand fallt in der BRD von 55,0 % (1950) über 51,5 % (1973) auf 42.4 % (1992), in Frankreich von 56,7 % (1950) über 50,8% (1973) auf 34,3 % (1992). Quelle: OCDE, Centre de Developpement, s. Fn.11,S,40

17 In Japan waren 1950 nur 39,5 % aller Erwerbspersonen Lohnabhängige.

18 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. l, S. 62

19 Quelle der Daten: D, E. Baines, in: Die Vereinigten Staaten von Amerika, Fischer Weltgeschichte, Bd. 30, Fischer Verlag Frankfurt/M. 1977,S. 320

20 vgl. zum Einfluß der Kriegs- und Rüstungswirtschaft auf den Kapitalismus den Artikel von Andreas Berlin in diesem Heft

21 vgl. New York Times: Weekly Business Index. Der kurzfristige Konjunkturrückgang wird in Diagramm Nr. 4 nicht voll erfaßt.

22 D. B. Baines 1977, s. Fn. 19, S. 291 f.

23 Quelle der Daten: OCDE 1995, s. Fn. 11. S. 35. Der Ausbildungskoeffizient entspricht der durchschnittlichen Zahl der gewichteten Schuljahre (Faktor: weiterführende Schulen: 1,4; Hochschulen: 2,0)

24 Quelle: Wirtschaftsdienst, 1928, Heft 36, Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv u. a., 7. 9. 1928, S. 1459f.

25 vgl. Wirtschaftsdienst, 7. 9. 1928, S. 1461

26 Wirtschaftsdienst, 7.9.1928. S. 1461

27 Der NATO-Vertrag wurde in Washington unterzeichnet.

28 In der Raumfahrttechnik war die Sowjetunion den USA sogar für kurze Zeit voraus. Der Start des sowjetischen Sputnik, des ersten Weltraumsatelliten, im Jahr 1957, wird seither von amerikanischen Historikern oft als "Sputnik-Schock" beschrieben.

29 zitiert nach Henry A. Kissinger: Memoiren, Goldmann Verlag (Berteismann GmbH), München 1981, Band II, S. 1198

30 "Alle für wirtschaftliche Fragen zuständigen Behörden waren einstimmig der Auffassung, daß der Dollar überbewertet sei und daß das unserer Zahlungsbilanz schadete." (H. A. Kissinger, s. Fn. 29, S. 1199)

31 H. A. Kissinger 1981, s. Fn. 29, S. 1201

32 H.A. Kissinger 1981, s. Fn. 29, S. 1202f.

33 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. 1, S. 62

34 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. l, S. 88

35 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. l, S. 88

36 Joachim Bischoff: Restauration oder Modernisierung?, VSA-Verlag, Hamburg 1995, S. 29. Bischoff teilt viele Grundannahmen der Regulationstheorie, aber betont stärker die Klassengegensätze in der Gesellschaft.

37 Joachim Bischoff 1995, s. Fn. 36, S. 30f.

38 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. l, S. 178

39 Quelle der Daten: OECD, Statistics Direktorate: National Accounts 1960-1993, Bd. l, Paris 1995, S. 37 und OECD: Etudes economiques de l’OECD 1994-1995 Japon, Paris 1995, S. 5, Kf., 39. 56 und 67. Die keynesianischen Wirtschaftsprogramme schlagen sich in den Statistiken der OECD als ’strukturelle Komponente‘ (OECD) der Staatsausgaben nieder, die den Teil bezeichnen, der nicht auf durch die Konjunktur bedingte ‚automatische‘ Änderungen der Ausgaben zurückzuführen ist, also vom Staat bewußt zur Steuerung der Nachfrage eingesetzt wird.

40 Financial Times. 12.6. 1996

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