Gewerkschaften und ökonomischen Kampf

Einleitende Bemerkung der SVU-Redaktion

Das Vorurteil, daß der große Revolutionär Karl Marx etwas gegen die tägliche Kleinarbeit von Gewerkschaften im Kapitalismus hatte, ist sehr weit verbreitet. Sogar ein so bekannter Sozialgeschichtler wie Hans-Ulrich Wehler spricht in seinem kürzlich erschienen Werk Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849-1914 von der „unverhohlenen Aversion, mit der Marx und Lassalle den frühen Gewerkvereinen begegnet waren.“ (S.793) Wehler selbst spricht an anderer Stelle davon, daß Lassalle „jede gewerkschaftliche Aktivität als eitles Unterfangen“ ansah, die von Marx unterstützte und beeinflußte Eisenacher Sozialdemokratie dagegen eine „im Prinzip gewerkschaftsfreundliche Haltung“ einnahm (S.159). Dieses Vorurteil gegenüber Marx (und den Marxisten) zu widerlegen, wäre schon Grund genug, den folgenden Aufsatz, der von einem Mitglied des Heidelberger SDS 1969 geschrieben wurde, nochmals – leicht gekürzt – zu veröffentlichen. [1]

Bei der Wiederveröffentlichung des Aufsatzes geht es uns allerdings nicht nur um eine Ehrenrettung von Marx. Der Aufsatz arbeitet heraus, wie das gesellschaftliche Sein der Arbeiter – ihre Stellung in der kapitalistischen Produktion, die tägliche Ausbeutung durch das Kapital – sie zum Kampf und zur Organisation treiben und wie der Kampf gegen die tägliche Ausbeutung zum Ausgangspunkt eines politischen Klassenkampfes wird. Gewerkschaften sind nach Marx die „natürlichen“ Organisationszentren der Arbeiterklasse. Jede Trennung zwischen ökonomischem und politischem Kampf wäre daher auch eine künstliche.

Die Stärke des Aufsatzes liegt in der verständlichen Darstellung der Argumente, mit denen Marx sich gegen die Ablehnung des gewerkschaftlichen Kampfes durch die beiden Hauptströmungen der politischen Arbeiterbewegung auf dem Kontinent in den sechziger Jahren wandte – gegen den Anarchismus Proudhons in Frankreich und gegen die Lassalleaner in Preußen. Marxens politische Stellung gegenüber den damals gerade entstehenden Gewerkschaften ist allerdings nicht nur aus den logischen Kategorien seiner Kritik der politischen Okonomie abgeleitet, seiner Wert- und Arbeitswerttheorie, seiner Krisentheorie. Sie basiert mindestens ebenso auf der politischen Analyse aller wichtigen Streikbewegungen und Gewerkschaftskämpfe und deren politischen Auswirkungen, kurz auf den Erfahrungen der Klassenkämpfe selbst.

Diese Erfahrungen kommen in dem Aufsatz zu kurz. Die „Logik“ der immer weiteren Vereinigung der Arbeiter, der Ausschaltung der Konkurrenz untereinander war eine Erfahrung der revolutionären ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; die Aufforderung an die Gewerkschaften, die Beschränktheit des Kampfes um den Lohn zu überwinden und bewußt den Kampf gegen das Lohnsystem aufzunehmen, berücksichtigt schon die Auswirkungen der ruhigeren Gangart der Geschichte, insbesondere der englischen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Wechsel in der Tonlage von enthusiastischer Unterstützung zu scharfer Kritik am Konservativismus der Gewerkschaften in den Schriften von Marx und Engels ist anders nicht zu verstehen und bliebe im schlechten Sinn widersprüchlich.

Hier rührt auch eine zweite Schwäche des Aufsatzes her, nämlich die Tendenz, Marx und Engels eine geschlossene Theorie einer Avantgardepartei im leninistischen Sinn zu unterstellen, etwa beim Aufbau der Ersten Internationale (IAA), an dem beide führend beteiligt gewesen waren. Auch hier war Marx weiter als seine späteren Interpreten. Er hat seine Auffassungen aus der konkreten Analyse der damaligen Klassenkämpfe schrittweise tastend und gleichzeitig weit vorausschauend entwickelt. Der Kampf gegen das Sektierertum der Erben der Frühsozialisten, die den Kampf für eine sozialistische Gesellschaft nach einem frei erfundenen Konzept und losgelöst von den Kampferfahrungen der Arbeiterklasse auf dem Weg der bloßen Aufklärung herbeiführen wollten, bestimmte wesentlich die organisationspolitischen „Lehren“ von Marx und Engels.

Trotz dieser Vorbehalte gegen das unhistorische Zitieren halten wir den Aufsatz für eine gute Einführung in das marxistische Verständnis vom Wesen der Gewerkschaften.

Redaktion Svu

 

I. Beispiele aus Darstellungen der Geschichte der Gewerkschaften bei Marx und Engels

Marx und Engels gingen bei ihrer Einschätzung der politischen Funktion und der ökonomischen Funktion von Gewerkschaften und gewerkschaftlichem Kampf aus 1. von ihren politischen Erfahrungen im letzten Jahrhundert und 2. von ihrer Analyse der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere deren ökonomischen Bewegungsgesetzen. Einen historischen Rückblick gibt Engels auf die Entstehung von Gewerkschaften in Die Lage der arbeitenden Klasse in England:

Der Arbeiter merkt es aber … daß die Bourgeoisie ihn wie eine Sache, wie ihr Eigentum behandelt, und schon deshalb tritt er als Feind der Bourgeoisie auf.. Die Empörung der Arbeiter gegen die Bourgeoisie hat bald nach der industriellen Entwicklung angefangen und verschiedene Phasen durchgemacht…. Die erste, roheste und unfruchtbarste Form dieser Empörung war das Verbrechen. Der Arbeiter lebte in Not und Elend und sah, daß andere Leute es besser hatten als er. Seinem Verständnis leuchtete nicht ein, weshalb er gerade, der doch mehr für die Gesellschaft tat, als der reiche Faulenzer, unter diesen Umständen leiden sollte. Die Not besiegte noch dazu den angestammten Respekt vor dem Eigentum – er stahl. Wir sahen, wie mit der Ausdehnung der Industrie das Verbrechen zunahm, wie die jährliche Zahl von Verhaftungen im steten Verhältnis zu den konsumierten Baumwollballen steht. [2]

Es folgen Zerstörungsaktionen gegen den „Konkurrenten“ der Arbeitskraft, die Maschine und deren Produzenten, die Erfinder.

Im Anfang kämpfen die einzelnen Arbeiter, dann die Arbeiter einer Fabrik, dann die Arbeiter eines Arbeitszweiges an einem Ort gegen den einzelnen Bourgeois, der sie direkt ausbeutet. Sie richten ihre Angriffe nicht nur gegen die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, sie richten sie gegen die Produktionsinstrumente selbst; sie vernichten die fremden konkurrierenden Waren, sie zerschlagen die Maschinen, sie stecken die Fabriken in Brand, sie suchen sich die untergegangene Stellung des mittelalterlichen Arbeiters wieder zu erringen. Auf dieser Stufe bilden die Arbeiter eine über das ganze Land zerstreute und durch die Konkurrenz zersplitterte Masse. Massenhaftes Zusammenhalten der Arbeiter ist noch nicht die Folge ihrer eigenen Vereinigung, sondern die Folge der Vereinigung der Bourgeoisie, die zur Erreichung ihrer eigenen politischen Zwecke das ganze Proletariat in Bewegung setzen muß und es einstweilen noch kann. [3]

Für das Jahr 1812 und 1822 registriert Engels die ersten, von geheimen Arbeiter-verbindungen organisierten Streiks der Weber in Glasgow; für 1818 die erste Arbeitsniederlegung der schottischen Grubenarbeiter. Die Illegalität, die diese Assoziationen behinderte, wurde erst 1824 durch Gesetz beseitigt. Hierauf entstanden in allen Arbeitszweigen Trade Unions mit dem Zweck, den Lohn kollektiv mit dem Kapitalisten auszuhandeln, Arbeitslose zu unterstützen und gegen Streikbrecher (knobsticks) vorzugehen.

Die wachsende Konkurrenz der Bourgeois unter sich und die daraus hervorgehenden Handelskrisen machen den Lohn der Arbeiter immer schwankender; die immer rascher sich entwickelnde, unaufhörliche Verbesserung der Maschinerie macht ihre ganze Lebensstellung immer unsicherer; immer mehr nehmen die Kollisionen zwischen dem einzelnen Arbeiter und dem einzelnen Bourgeois den Charakter von Kollisionen zweier Klassen an. Die Arbeiter beginnen damit, Koalitionen gegen die Bourgeois zu bilden; sie treten zusammen zur Behauptung ihres Arbeitslohns. Sie stiften selbst dauernde Assoziationen, um sich für die gelegentlichen Empörungen zu verproviantieren. [4]

 

II. Objektive Wirkung von Streiks und die Auseinandersetzung um Lohnstreiks in der damaligen sozialistischen Bewegung.

Wie wurden von Marx und Engels die Erfolgsaussichten einer solchen, auf Lohnerhöhungen gerichteten Aktivität eingeschätzt? Lohnerhöhung heißt Heraufsetzung des Preises der Ware Arbeitskraft. Der Preis der Waren paßt sich auf Dauer ihrem Wert an, der sich bei der Ware Arbeitskraft durch die Reproduktionskosten der Arbeitskraft, d.h. durch die Kosten dessen bestimmt, was der Arbeiter zur Aufrechterhaltung seines Lebens und zur Fortpflanzung usw. benötigt. In diese Bestimmung des Wertes der Ware Arbeitskraft geht neben der physischen Komponente der Aufrechterhaltung der Körperkraft auch ein historisch-kulturelles Element ein: Der traditionelle Lebensstandard.

Dies historische oder gesellschaftliche Element, das in den Wert der Arbeit eingeht, kann gestärkt oder geschwächt, ja ganz ausgelöscht werden, so daß nichts übrig bleibt als die physische Grenze. [5]

Die Festlegung des Existenzminimums, das die Lohnhöhe bestimmt, geschieht also in einem sehr elastischen Rahmen.

Was aber die Profite angeht, so gibt es kein Gesetz, das ihr Minimum bestimmt. Wir können nicht sagen, was die äußerste Grenze ihrer Abnahme sei. Und warum können wir diese Grenze nicht feststellen? Weil wir, obgleich wir das Minimum der Arbeitslöhne feststellen können, nicht ihr Maximum feststellen können. Wir können nur sagen, daß mit gegebenen Grenzen des Arbeitstages das Maximum des Profits dem physischen Minimum des Arbeitslohnes entspricht; und daß mit gegebenem Arbeitslohn das Maximum des Profits einer solchen Verlängerung des Arbeitstages entspricht, wie sie mit den Körperkräften des Arbeiters verträglich sind. Das Maximum des Profits ist daher begrenzt durch das physische Minimum des Arbeitslohns. Es ist klar, daß zwischen den beiden Grenzen dieser Maximalprofitrate eine unendliche Stufenleiter von Variationen möglich ist. Die Fixierung ihres faktischen Grads erfolgt nur durch das unaufhörliche Ringen zwischen Kapital und Arbeit, in dem der Kapitalist ständig danach strebt, den Arbeitslohn auf sein physisches Minimum zu reduzieren und den Arbeitstag bis zu seinem physischen Maximum auszudehnen, während der Arbeiter ständig in der entgegengesetzten Richtung drückt. Die Frage löst sich auf in die Frage nach dem Kräfteverhältnis der Kämpfenden. [6]

Dies Kräfteverhältnis wird so eingeschätzt:

Wenn der einzelne Arbeiter mit den Kapitalisten handelseins zu werden versucht, wird er leicht geschlagen und muß sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben. [7]

Hätte der Fabrikant von den Arbeitern keine konzentrierte Opposition zu erwarten, so würde er um seines Nutzens willen allmählich den Lohn immer mehr und mehr drücken; der Kampf der Konkurrenz, den er gegen die anderen Fabrikanten zu bestehen hat, würde ihn sogar dazu zwingen, und der Lohn bald auf ein Minimum sinken. [8]

Als einzelner ist demnach der Arbeiter dem Kapital unterlegen.

Das Kapital ist konzentrierte gesellschaftliche Macht, während der Arbeiter nur über seine Arbeitskraft verfügt. Der Kontrakt zwischen Kapital und Arbeit kann deshalb niemals auf gerechten Bedingungen beruhen, gerecht nicht einmal im Sinne einer Gesellschaft, die das Eigentum an den materiellen Mitteln des Lebens und der Arbeit der lebendigen Produktivkraft gegenüberstellt. Die einzige gesellschaftliche Macht der Arbeiter ist ihre Zahl. [9]

Die Kapitalisten sind immer organisiert. In den meisten Fällen brauchen sie keinen formellen Verband, keine Statuten, keine Funktionäre, etc. Ihre im Vergleich zu den Arbeitern geringe Zahl, der Umstand, daß sie eine besondere Klasse bilden, ihr ständiger gesellschaftlicher und geschäftlicher Verkehr untereinander, machen das alles überflüssig; erst später, wenn ein Industriezweig in einem Gebiet vorherrschend geworden ist, wie z.B. die Baumwollindustrie in Lancashire, wird eine formelle Trade Union der Kapitalisten notwendig. [10]

Diese gesellschaftliche Macht des Kapitals vergrößert sich nach Marx zunehmend. Mit der Entwicklung der Akkumulation des Kapitals verändert sich dessen ökonomische Zusammensetzung.

Der Teil des Gesamtkapitals, der aus fixem Kapital – Maschinerie, Rohstoffen, Produktionsmitteln in allen erdenklichen Formen – besteht, nimmt stärker zu im Vergleich mit dem anderen Teil des Kapitals, der in Arbeitslohn oder im Ankauf von Arbeit ausgewählt wird.

Diese wenigen Andeutungen werden genügen, um zu zeigen, daß die ganze Entwicklung immer mehr zugunsten der modernen Industrie, die Waagschale immer mehr zugunsten des Kapitalisten und gegen den Arbeiter neigen muß und daß es folglich die allgemeine Tendenz der kapitalistischen Produktion ist, den durchschnittlichen Lebensstandard nicht zu heben, sondern zu senken, oder den Wert der Arbeit mehr oder weniger bis zu seiner Minimalgrenze zu drücken. [11]

Bei Marx und Engels erscheint deshalb der Marktpreis der Ware Arbeitskraft beeinflußt durch die historische Komponente des Lebensstandards, in dem Qualität und Quantität der Subsistenzmittel über dem vom physischen Existenzminimum erheischten Level stehen können; andererseits durch Machtverhältnisse selbst, die mit dem Grad der Entwicklung der Produktionsmittel zu Ungunsten des Proletariats tendieren, mit dem Grad der Organisiertheit des Proletariats aber mehr zu dessen Gunsten. Zwar wäre auf der Ebene der höchsten Abstraktion auch der Austausch der Arbeitskraft gegen das physische Existenzminimum „gerecht“, da Äquivalente ausgetauscht werden. Im Blickwinkel der historischen Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums, aber auch des einmal erreichten, zur Gewohnheit gewordenen Lebensstandards stellt nach Marx die Senkung der Löhne einen Übergriff des Kapitals dar, gegen den sich das Proletariat verteidigen muß.

Gewerksgenossenschaften entstanden ursprünglich durch die spontanen Versuche der Arbeiter, diese Konkurrenz [gemeint ist die unter Arbeitern] zu beseitigen oder wenigstens einzuschränken, um Kontraktbedingungen zu erzwingen, die sie wenigstens über die Stellung eines bloßen Sklaven erheben würden. Das unmittelbare Ziel der Gewerksgenossenschaften beschränkt sich daher auf die Erfordernisse des Tages, auf Mittel zur Abwehr der ständigen Übergriffe des Kapitals … [12]

Ein Mittel des Kapitals zur Durchsetzung seiner Macht stellt das einseitige Eingehen auf Preisschwankungen im Krisenzyklus dar. Beim Krisenzyklus sollen sich aber die Preisschwankungen in einem durchschnittlichen Marktpreis wieder ausgleichen.

Während der Phase sinkender Marktpreise, ebenso wie während der Phase der Krise, ist der Arbeiter, falls er nicht überhaupt aufs Pflaster geworfen wird, einer Herabsetzung des Arbeitslohns gewärtig. Um nicht der Geprellte zu sein, muß er, selbst während eines solchen Sinkens der Marktpreise, mit dem Kapitalisten darüber markten, in welchem proportionellen Ausmaß eine Lohnsenkung notwendig geworden sei. Wenn er nicht bereits während der Prosperitätsphase, solange Extraprofite gemacht werden, für eine Lohnsteigerung kämpfte, so käme er im Durchschnitt eines industriellen Zyklus nicht einmal zu seinem Durchschnittslohn oder dem Wert seiner Arbeit. Es ist der Gipfel des Widersinns, zu verlangen, darauf zu verzichten, sich während der Prosperitätsphase schadlos zu halten. Allgemein ausgedrückt: die Werte aller Waren werden nur realisiert durch die Angleichung der ständig wechselnden Marktpreise, die aus den ständigen Fluktuationen von Nachfrage und Zufuhr entspringen. Auf Basis des gegenwärtigen Systems ist die Arbeit bloß eine Ware wie die anderen. Sie muß daher dieselben Fluktuationen durchmachen, um einen ihrem Wert entsprechenden Durchschnittspreis zu erzielen. Es wäre absurd, sie einerseits als Ware zu behandeln und andererseits zu verlangen, sie solle von den die Warenpreise regelnden Gesetzen ausgenommen werden. Der Sklave erhält eine ständige und fixe Menge zum Lebensunterhalt; der Lohnarbeiter erhält sie nicht. Er muß versuchen, sich in dem einen Fall eine Lohnsteigerung zu sichern, schon um in dem anderen wenigstens für die Lohnsenkung entschädigt zu sein. Wollte er sich damit bescheiden, den Willen, die Machtansprüche des Kapitalisten als ein dauerndes ökonomisches Gesetz über sich ergehen zu lassen, so würde ihm alles Elend des Sklaven ohne die gesicherte Existenz des Sklaven zuteil. [13]

Der gewerkschaftliche Kampf mit dem Ziel der Abwehr von Übergriffen des Kapitals in die Existenzbedingungen des Proletariats ist defensiv.

Ich glaube nachgewiesen zu haben – schreibt Marx über den gewerkschaftlichen Kampf des Proletariats –, daß ihre Kämpfe um den Lohnstandard von dem ganzen Lohnsystem unzertrennliche Begleiterscheinungen sind, daß in 99 von 100 Fällen ihre Anstrengungen, den Arbeitslohn zu heben, bloß Anstrengungen zur Behauptung des gegebenen Werts der Arbeit sind und daß die Notwendigkeit, mit dem Kapitalisten um ihren Preis zu markten, der Bedingung inhärent ist, sich selbst als Ware feilbieten zu müssen. [14]

Diese Tätigkeit der Gewerksgenossenschaften ist nicht nur rechtmäßig, sie ist notwendig. Man kann ihr nicht entraten, solange die heutige Produktionsweise besteht. Im Gegenteil, sie muß verallgemeinert werden durch die Gründung von Gewerksgenossenschaften in allen Ländern. [15]

Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die die Lohnhöhe nach Marx mitbestimmen, machen die Taktik des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses zu einer Notwendigkeit für das Proletariat:

Wenn aber die Arbeiter eines ganzen Gewerbes eine mächtige Organisation bilden … und sich dadurch in die Lage versetzen, als eine Macht mit den Unternehmern zu verhandeln, dann und nur dann haben die Arbeiter Aussicht, wenigstens das bißchen zu erhalten, das bei der ökonomischen Struktur der gegenwärtigen Gesellschaft als ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk bezeichnet werden kann. Das Lohngesetz wird durch den gewerkschaftlichen Kampf nicht verletzt; im Gegenteil, er bringt es zur vollen Geltung. Ohne Widerstand durch die Trade Unions erhält der Arbeiter nicht einmal das, was ihm nach den Regeln des Lohnsystems zusteht. Nur die Furcht vor den Trade Unions kann den Kapitalisten zwingen, dem Arbeiter den vollen Marktwert seiner Arbeitskraft zu zahlen. [16]

Marx’ Unterstützung der Gewerkschaften, die die Funktion wahrnehmen, das traditionelle und historisch bedingte Existenzminimum gegen den allgemeinen Lohndruck und den besonderen während des Krisenzyklus zu verteidigen, konnte mit sozio-ökonomischen Argumenten nicht angegriffen werden.

Die Angriffe gegen Marx’ und Engels’ Unterstützung gewerkschaftlicher Tätigkeit wenden sich daher in ihrer Argumentation nicht gegen die Möglichkeit der Erhaltung der Löhne, sondern gegen die Möglichkeit ihrer Erhöhung. In der Tat ist aber häufig die gleichbleibende Entschädigung der Arbeiter für die Vergabe der Arbeitskraft nur über Aktionen, die auf Erhöhung des Preises der Arbeitskraft abzielen, möglich; weder geht nach Marx der Preis der Ware Arbeitskraft in der Prosperität von allein in einem Maß hoch, der die Lohneinbuße in der Krise ausgleicht und das Durchschnittsexistenzminimum selbstregulierend wieder herstellt, noch zahlen die Kapitalisten freiwillig das Äquivalent einer Intensivierung der Arbeit. In beiden Fällen geschieht die Erhaltung der Löhne über deren Hebung. Die Einwendungen gegen die Erhöhung der Löhne stellte aber bei den Marx-Gegnern die prinzipielle Ablehnung gewerkschaftlicher Aktionen dar.

Marx hat die Auseinandersetzung mit Gegnern der gewerkschaftlichen Aktion in zwei Richtungen austragen müssen: einmal mit den Nachfahren des kritisch-utopischen Sozialismus, dem Franzosen Proudhon und dem Owenisten Weston; zum andern mit dem lassalleanischen Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. Ihnen gegenüber hat Marx nicht nur den Sinn gewerkschaflicher Verteidigung eines traditionellen Lebensstandards begründet, sondern mehr. Er begründet an Hand der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus die Möglichkeit, den relativen Lohn zu erhöhen, d.h. seine relative gesellschaftliche Stellung verglichen mit dem Kapitalisten und damit seinen Lebensstandard zu erhöhen. Diese ökonomisch-politische Auseinandersetzung setzt an an der bekannten bürgerlichen Theorie der Abhängigkeit der Preishöhe von den Löhnen. Die Kritik dieses Theorems stellt also keine bloße Rechtfertigung des gewerkschaftlichen Verteidigungskampfes ums Existenzminimum dar.

Proudhon hatte in La Philosophie de la Misère dem Steigen der Löhne eine Preissteigerung von Lebensmitteln als Folge zugeordnet, da der Lohn der Kaufpreis dieser Lebensmittel sei.

Der Lohn ist die Proportionalität der Elemente, die den Reichtum bilden und die täglich von der Masse der Arbeiter reproduktiv verzehrt werden. Nun, den Lohn verdoppeln … heißt also, jedem Produzenten einen größeren Anteil als sein Produkt zukommen zu lassen, was ein Widerspruch ist; und wenn die Steigerung nur auf eine kleine Zahl von Industrien beschränkt ist, so heißt es, eine allgemeine Störung im Austausch … eine Teurung hervorrufen … Es ist unmöglich, daß Arbeitseinstellungen, die Lohnerhöhungen zur Folge haben, nicht auf eine allgemeine Preissteigerung hinauslaufen: das ist so sicher, wie daß zwei mal zwei vier ist. [17]

Marx hat hierauf erwidert:

Wir bestreiten alle diese Behauptungen, ausgenommen, daß zwei mal zwei vier ist. Erstens gibt es keine allgemeine Verteurung. Wenn der Preis aller Dinge gleichzeitig um das Doppelte steigt, so ist das keine Veränderung in den Preisen, sondern eine Veränderung in den Ausdrücken. Ferner kann eine allgemeine Steigerung der Löhne niemals eine mehr oder minder allgemeine Verteurung der Waren herbeiführen. In der Tat, wenn alle Industrien die gleiche Anzahl Arbeiter im Verhältnis zum fixen Kapital [zu den Werkzeugen, die sie verwenden] beschäftigen, so würde eine allgemeine Steigerung der Löhne ein allgemeines Sinken der Profite bewirken und der Marktpreis der Waren keine Veränderung erleiden. [18]

Zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt hat Marx das gleiche Problem in ähnlicher Weise behandelt, und zwar in Zusammenhang mit der Analyse der Geldzirkulation im zweiten Band des Kapitals.

Nimmt man ferner sonst gleich bleibende Umstände an – auch unveränderte Größe, Intensität und Produktivität des Arbeitstages – aber veränderte Teilung des Wertprodukts zwischen Arbeitslohn und Mehrwert, so daß entweder das erstere steigt oder das letztere fällt, oder umgekehrt, so wird dadurch die Masse des umlaufenden Geldes nicht berührt. Dieser Wechsel kann vorgehen ohne irgendwelche Expansion oder Kontraktion der im Umlauf befindlichen Geldmasse. Betrachten wir namentlich den Fall, wo der Arbeitslohn allgemein stiege und daher – unter den vorausgesetzten Bedingungen – die Rate des Mehrwerts allgemein fiele, außerdem, ebenfalls nach Unterstellung, kein Wechsel im Wert der zirkulierenden Warenmasse stattfindet. In diesem Fall wächst allerdings das Geldkapital, das als variables Kapital vorgeschossen werden muß, also die Geldmasse, die in dieser Funktion dient. Aber um gerade soviel, wie die zur Funktion von variablem Kapital erforderliche Geldmasse wächst, um gerade soviel nimmt der Mehrwert ab, also auch die zu seiner Realisierung des Warenwerts nötige Geldmasse. Die Summe der zur Realisierung des Warenwerts nötigen Geldmasse wird davon ebensowenig berührt, wie dieser Warenwert selbst. Der Kostpreis der Waren steigt für den einzelnen Kapitalisten, aber ihr gesellschaftlicher Produktionspreis bleibt unverändert. Was verändert wird, ist das Verhältnis, worin, abgesehen vom konstanten Wertteil, der Produktionspreis der Waren in Arbeitslohn und Profit teilt. [19]

Proudhon gegenüber fährt Marx fort:

Da indes das Verhältnis von Handarbeit zum fixen Kapital in den verschiedenen Industrien ungleich ist, werden alle Industriezweige, welche ein verhältnismäßig größeres fixes Kapital und weniger Arbeiter verwenden, früher oder später gezwungen sein, den Preis ihrer Ware herabzusetzen. Im entgegengesetzten Fall, wenn der Preis ihrer Ware nicht fällt, wird sich ihr Profit über den durchschnittlichen Profitsatz heben. Die Maschinen sind keine Lohnempfänger Das allgemeine Steigen der Löhne wird somit die Industrien weniger treffen, welche im Verhältnis zu den anderen mehr Maschinen als Arbeiter verwenden. Da indes die Konkurrenz stets die Tendenz hat, die Profite auszugleichen, können Profite, die sich über den Durchschnittssatz erheben, nur vorübergehend sein. So wird, von einigen Schwankungen abgesehen, ein allgemeines Steigen der Löhne, statt nach Herrn Proudhon einer allgemeinen Verteurung, vielmehr ein teilweises Sinken der Preise zur Folge haben, d.h. ein Sinken des Marktpreises der Waren, die vorzugsweise mit Hilfe von Maschinen hergestellt werden. Das Steigen und Fallen des Profits und der Löhne drücken nur das Verhältnis aus, in welchem Kapitalisten und Arbeiter an dem Produkt eines Arbeitstages teilnehmen, ohne in den meisten Fällen den Preis des Produktes zu beeinflussen. [20]

 

 

[Gegen die These der Nutzlosigkeit von Lohnstreiks]

Im Kapital greift Marx noch zwei weitere Argumente auf, die die These der Nutzlosigkeit von Lohnstreiks darlegen sollen, da diese zu Preissteigerungen führen:

1. Aber, sagt man, größere Auslagen von variablem Kapital … heißt soviel als größere Masse von Geldmitteln in der Hand der Arbeiter Hieraus folgt größere Nachfrage nach Waren von Seiten der Arbeiter Weitere Folge ist Steigen im Preis der Waren … Antwort auf diese Fassung: infolge steigenden Arbeitslohns wird namentlich die Nachfrage nach Luxusartikeln zunehmen oder sich die Nachfrage einstellen für Artikel, die früher nicht in den Bereich ihrer Konsumtion fielen. Die plötzliche und auf größerer Stufenleiter gesteigerte Nachfrage nach notwendigen Lebensmitteln wird unbedingt momentan ihren Preis steigern. Folge davon: ein größerer Teil des gesellschaftlichen Kapitals wird in Produktion von notwendigen Lebensmitteln, ein geringerer in der Produktion von Luxusmitteln verwandt, da letztere im Preis fallen, wegen des veränderten Mehrwerts und daher der verminderten Nachfrage des Kapitalisten für dieselben. Soweit die Arbeiter dagegen selbst Luxusmittel kaufen, wirkt die Erhöhung ihres Lohns – innerhalb dieses Umfangs – nicht auf Steigerung des Preises von notwendigen Lebensmitteln, sondern deplaciert nur die Käufer von Luxuswaren. Mehr Luxuswaren als bisher gehen ein in den Konsum der Arbeiter und verhältnismäßig weniger in den Konsum des Kapitalisten. Voilà tout. Nach einigen Oszillationen zirkuliert eine Warenmasse vom selben Wert wie vorher. [21]

2. Oder man sagt: Steigt der Arbeitslohn, so erhöhen die Kapitalisten die Preise ihrer Waren … Antwort auf die zweite Fassung: Wenn es in der Hand der kapitalistischen Produzenten stünde, beliebig die Preise der Waren zu erhöhen, so könnten und würden sie das tun, auch ohne Steigen des Arbeitslohns. Der Arbeitslohn würde nie steigen bei sinkenden Warenpreisen. Die Kapitalistenklasse würde sich nie den Trade Unions widersetzen, da sie stets und unter allen Umständen tun könnte, was sie jetzt unter bestimmten, besonderen, sozusagen lokalen Umständen wirklich tut – nämlich jede Erhöhung des Arbeitslohns benutzen, um die Warenpreise in viel höherem Grade zu erhöhen, also größeren Profit einzustecken. [22]

Zur Kritik an Proudhon s These, „die Höhe des Arbeitslohns bestimmt den Preis der Waren“ [23], sagt Marx:

Sogar diejenigen, die keine Ahnung von der politischen Ökonomie haben und nicht wissen, daß der große bürgerliche Ökonom Ricardo in seinem 1817 erschienen Buch Prinzipien der politischen Ökonomie diesen traditionellen Irrtum ein für alle Mal widerlegt hat, kennen die bemerkenswerte Tatsache, daß die englische Industrie ihre Waren zu einem niedrigeren Preis als irgend ein anderes Land verkaufen kann, während die Arbeitslöhne in England relativ höher sind als in irgend einem anderen Land Europas. [24]

 

[Darstellung des Verhältnisses von Lohn und Preis]

Die differenzierte Darstellung des Verhältnisses von Lohn und Preis findet sich bei Marx in drei Thesen im Kapital:

1. Es ist ein allgemeines Gesetz der Geldzirkulation, daß, wenn die Preissumme der zirkulierenden Waren steigt – ob diese Vermehrung der Preissumme nun für dieselbe Warenmasse oder für eine vergrößerte stattfindet – bei sonst gleichbleibenden Umständen die Masse des zirkulierenden Geldes wächst. Es wird nun die Wirkung mit der Ursache verwechselt. Der Arbeitslohn steigt (wenn auch selten und ausnahmsweise verhältnismäßig) mit dem steigenden Preis der notwendigen Lebensmittel. Sein Steigen ist Folge, nicht Ursache des Steigens der Warenpreise.

2. Bei einem partiellen oder lokalen Steigen des Arbeitslohns – d.h. in nur einzelnen Produktionszweigen – kann dadurch eine lokale Preissteigerung der Produkte dieser Zweige erfolgen. Aber selbst dies hängt von vielen Umständen ab. Z.B., daß der Arbeitslohn hier nicht abnorm gedrückt und daher die Profitrate nicht abnorm hoch war, daß der Marktpreis für diese Waren sich nicht verengt durch die Preissteigerungen, etc.

3. Bei allgemeiner Erhöhung des Ar itslohns steigt der Preis der produzierten Waren in Industriezweigen, wo das variable Kapital vorherrscht, fällt aber dafür in solchen, wo das konstante resp. fixe Kapital vorherrscht. [25]

Auf die antigewerkschaftliche Schrift Proudhons hat Marx mit der Schrift Das Elend der Philosophie reagiert, auf die Politik John Westons mit dem Vortrag Lohn, Preis und Profit auf der Sitzung des Zentralrats der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) im Juni 1865. Bei Proudhons Schrift handelt es sich um eine späte Frucht des utopischen Sozialismus, den Marx und Engels im Kommunistischen Manifest wie folgt charakterisieren:

Die Bedeutung des kritisch-utopischen Sozialismus und Kommunismus steht im umgekehrten Verhältnis zur geschichtlichen Entwicklung. In demselben Maße, worin der Klassenkampf sich entwickelt und gestaltet, verliert diese phantastische Erhebung über denselben, diese phantastische Bekämpfung desselben allen praktischen Wert, alle theoretische Berechtigung.

Waren die Urheber dieser Systeme auch in vieler Beziehung revolutionär, so bilden ihre Schüler jedesmal reaktionäre Sekten. Sie halten die alten Anschauungen der Meister fest gegenüber der geschichtlichen Fortentwicklung des Proletariats. Sie suchen daher konsequent den Klassenkampf wieder abzustumpfen und die Gegensätze zu vermitteln. Sie träumen noch immnr die versuchsweise Entwicklung ihrer gesellschaftlichen Utopien, Stiftung einzelner Phalanstère, Gründung von Home-Kolonien, Errichtung eines kleinen Ikariens – Duodezausgaben des neuen Jerusalems – und zum Aufbau aller dieser spanischen Schlösser müssen sie an die Philantropie der bürgerlichen Herzen und Geldsäcke appellieren. Allmählich fallen sie in die Kategorie der … reaktionären oder konservativen Sozialisten … Sie treten daher mit Erbitterung aller politischen Bewegung der Arbeiter entgegen, die nur aus blindem Unglauben an das neue Evangelium hervorgehen konnte. [26]

Daß Proudhon mit seiner Theorie des Zusammenhangs von Lohnerhöhungen mit Preiserhöhungen sich nicht bloß als Ökonom dem Kampf der Arbeiter um die Verbesserung des relativen Lohns (der Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Arbeiter gegenüber dem Kapitalisten) mit Argumenten der politischen Ökonomie wendet, sondern auch gegen den Kampf um die Erhaltung des Existenzminimums, also gegen den Klassenkampf überhaupt, geht hervor aus seiner Berufung auf das Strafgesetzbuch:

Der Streik der Arbeiter ist illegal und es ist nicht nur das Strafgesetzbuch, welches das verkündet, sondern auch das ökonomische System, die Notwendigkeit der bestehenden Ordnung … Daß jeder einzelne Arbeiter freie Verfügung über seine Person und seinen Arm hat, kann geduldet werden; aber daß die Arbeiter mittels Koalitionen dem Monopol Gewalt anzutun sich erfrechen, kann die Gesellschaft nicht zugeben. [27]

Marx geht auf die Charakterisierung dieser Fraktion der sozialistischen Bewegung in der Schrift Der politische Indifferentismus ein, die sich gegen den damals sich entwickelnden italienischen Anarchismus wandte und ihn kritisierte, indem er Proudhon zerpflückte. Marx scheint im Anarchismus eine unter veränderten historischen Bedingungen existierende Neuauflage des Proudhonismus gesehen zu haben. Ironisch führt er den Standpunkt der Anarchisten und Proudhonisten aus:

Die Arbeiter dürfen keine Streiks führen, denn Kräfte vergeuden, um die Erhöhung des Arbeitslohns zu erreichen oder seine Kürzung zu verhindern, heißt das System der Lohnarbeit anerkennen, und das steht im Widerspruch zu den ewigen Prinzipien der Befreiung der Arbeiterklasse. Wenn sich die Arbeiter in ihrem politischen Kampf gegen den bürgerlichen Staat vereinigen, nur um Konzessionen zu erreichen, dann schließen sie Kompromisse, und das steht im Widerspruch zu den ewigen Prinzipien. Die Arbeiter sollen nicht ihre Kräfte vergeuden, um eine legale Grenze des Arbeitstages zu erreichen, denn das heißt, Kompromisse mit den Unternehmern schließen, die damit die Arbeiter nur noch 10 oder 12 Stunden statt 14 oder 16 ausbeuten können. Desgleichen sollen sie sich nicht bemühen, das gesetzliche Verbot der Fabrikarbeit von Mädchen unter 10 Jahren zu erreichen, denn durch dieses Mittel wird noch nicht die Ausbeutung der Knaben unter 10 Jahren aufgehoben; sie gehen dadurch einen neuen Kompromiß ein, und das verstößt gegen die Reinheit der ewigen Prinzipien! … Mit einem Wort, die Arbeiter sollen ihre Hände verschränken und ihre Zeit nicht für ökonomische Bewegungen verschwenden. Alle diese Bewegungen können ihnen nichts als unmittelbare Resultate bringen … [28]

Gerade die Begründung der Untätigkeit der Proudhonisten und Anarchisten mit der revolutionären Phrase der Kompromißfeindlichkeit läßt den Charakter dieser Gruppen als linksopportunistisch erkennen.

Gleichzeitig setzte sich Marx mit der führenden politischen lassalleanischen Linie im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) auseinander, der von Schweitzer geführt wurde. In einem Brief vom 26.9.1868 schreibt er an Engels:

Eine der lächerlichsten Operationen von Schweitzer – wozu er aber unbedingt durch die Vorurteile seiner Armee und als Präsident des ADAV gezwungen war – ist, beständig in verba magistri zu schwören und bei jeder neuen Konzession an die Bedürfnisse der wirklichen Arbeiterbewegung ängstlich zu argumentieren, daß sie nicht die Dogmen des alleinseligmachenden lassalleanischen Glaubensbekenntnisses widerspricht. Der Hamburger Kongreß fühlte ganz richtig, instinktiv, heraus, daß der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein als spezifische Organisation der lassalleanischen Sekte durch die wirkliche Arbeiterbewegung vermittels Trade Unions gefährdet und durch offizielle Teilnahme an denselben die Besonderheit einbüßen würde, die sein point d’honneur und raison d’ètre ausmacht. [29]

Im Brief vom 13. Februar 1865 setzt Marx Schweitzer die Notwendigkeit von Gewerkschaften in Preußen auseinander:

Koalitionen mit den aus ihnen erwachsenden Trade Unions sind nicht nur als Mittel der Organisation der Arbeiterklasse zum Kampf mit der Bourgeoisie von äußerster Wichtigkeit … sondern in Preußen und Deutschland überhaupt ist das Koalitionsrecht außerdem ein Durchbrechen der Polizeiherrschaft und des Bürokratismus, zerreißt die Gesindeordnung und die Adelswirtschaft auf dem Lande, kurz, es ist eine Maßregel zur Mündigmachung der „Untertanen“ … Wie die bürgerliche Partei in Preußen sich namentlich dadurch blamiert und ihre jetzige Misère herbeigeführt hat, daß sie ernsthaft glaubte, mit der „Neuen Ära“ sei ihr durch des Prinzregenten Gnade die Regierung in den Schoß gefallen, so wird sich die Arbeiterpartei noch viel mehr blamieren, wenn sie sich einbildet, durch die Bismarckära oder durch irgendeine andere preußische Ära werde ihr von Königs Gnaden die goldenen Äpfel in den Mund fallen. Daß die Enttäuschung über Lassalles unseelige Illusion eines sozialistischen Eingreifens einer preußischen Regierung kommen wird, ist über allen Zweifel erhaben. Die Logik der Dinge wird sprechen. Aber die Ehre der Arbeiterpartei erheischt, daß sie solche Trugbilder zurückweist, selbst bevor deren Hohlheit an der Erfahrung geplatzt ist. Die Arbeiterklasse ist revolutionär oder sie ist nichts. [30]

Die ökonomisch-theoretische Grundlage der Lassalleaner für Ihre Zurückhaltung den Gewerkschaften gegenüber war die Theorie vom ehernen Lohngesetz; die praktische Grundlage für ihr Bündnis mit Bismarck.

Die Theorie des „ehernen Lohngesetzes“ hat Marx in der Kritik des Gothaer Programms ausgeführt; im Gothaer Programm selbst hatte es geheißen: „… erstrebt die deutsche Arbeiterpartei … die Aufhebung des Lohnsystems mit dem ehernen Lohngesetz.“ [31] Dies „Gesetz“, das die Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter als unmöglich darstellt, da bessere Ernährung zu größerer Vermehrung der Arbeiter und somit wieder zur Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse des Proletariats führen soll, hatte innerhalb des theoretischen Apparats der Lassalleaner seinen festen Platz:

Von dem ehernen Lohngesetz gehört Lassalle bekanntlich nichts als das den Goetheschen „ewigen ehernen großen Gesetzen“ entlehnte Wort „ehern“. Das Wort ehern ist eine Signatur, woran sich die Rechtgläubigen erkennen. Nehme ich aber das Gesetz mit Lassalles Stempel und daher in seinem Sinn, so muß ich es auch mit seiner Begründung nehmen. Und was ist sie? Wie Lange schon kurz nach Lassalles Tod zeigte: die Malthussche Bevölkerungstheorie … Gerade hierauf füßend haben seit 50 Jahren und länger die Ökonomisten bewiesen, daß der Sozialismus das naturbegründete Elend nicht aufheben, sondern nur verallgemeinern gleichzeitig über die ganze Oberfläche der Gesellschaft verteilen könne. [32]

Die Anerkennung des „ehernen Lohngesetzes“ führt natürlich zur Geringschätzung der Gewerkschaften. Diese Anerkennung stellt bei den Lassalleanern nichts dar als den ideologischen Ausdruck ihrer zurückhaltenden Gewerkschaftspolitik, die aus ihrem Bündnis mit Bismarck gegen die Bourgeoisie resultierte. Die Lassalleaner als Gegner der marxschen Gewerkschaftspolitik stellen sich so heraus als Rechtsopportunisten.

Neben der Verteidigung des ökonomisch gewerkschaftlichen Kampfes gegen Lohndruck und für Erhöhung des Lebensstandards der Arbeiterklasse (relative Lohnerhöhung), die Marx und Engels gegen die Nachfahren der utopischen Sozialisten und Anarchisten einerseits und die Lassalleaner andererseits durchführen mußten, schätzten sie die Erfolgsaussichten insbesondere der Möglichkeit der Erhöhung des relativen Lohns, d.h. der Verschiebung des historisch-kulturell und durch Machtfaktoren bestimmten Existenzminimums des Proletariats nach oben sehr skeptisch ein:

In England sind die Streiks regelmäßig Veranlassung zur Erfindung und Anwendung neuer Maschinen gewesen. Die Maschinen waren, man darf es behaupten, die Waffe, welche die Kapitalisten anwendeten, um die Revolte der Geschick erfordernden Arbeit niederzuschlagen. Die self-acting mule, die größte Etfindung der modernen Industrie, schlug die rebellischen Spinner aus dem Felde. [33]

Die bürgerlichen Ökonomen hatten diese Erscheinung aufgegriffen.

Die Ökonomen sagen zu den Arbeitern: koaliert euch nicht. Indem ihr euch koaliert … stört ihr den Handel und beschleunigt das Eindringen der Maschinen, die eure Arbeit zum Teil überflüssig machen und dadurch euch zwingen, einen noch niedrigeren Lohn zu akzeptieren. [34]

Was die Ökonomen gegen die Assoziation bemerken, ist richtig: … Diese Koalitionen rufen hervor neue Maschinen, neue Arbeitsteilung, Displacement von einem Produktionsort zum anderen. Infolge von allem diesem Verminderung des Arbeitslohns. [35]

Mit der Tendenz der Vergrößerung der Macht der Bourgeoisie durch die Veränderung der organischen Zusammensetzung des Kapitals geht einher die Tendenz zur Vergrößerung der industriellen Reservearmee, die die Marktsituation der Arbeiterklasse verschlechtert.

 

III. Die politische Funktion der Gewerkschaften

Marx und Engels sind bei der Analyse der objektiven Tendenz der ökonomischen Entwicklung nicht stehengeblieben.

Da nun die Tendenz der Dinge in diesem System solcher Natur ist, besagt das etwa, daß die Arbeiterklasse auf ihren Widerstand gegen die Gewalttaten des Kapitals verzichten und ihre Versuche aufgeben soll, die gelegentlichen Chancen zur vorübergehenden Besserung ihrer Lage auf die bestmögliche Weise auszunützen ? Täte sie das, sie würden sich selbst unweigerlich der Fähigkeit berauben, irgendeine umfassende Bewegung ins Werk zu setzen. [36]

Alle diese Einwände der bürgerlichen Ökonomisten sind wie gesagt richtig, aber nur richtig von ihrem Gesichtspunkt aus. Handelte es sich in den Assoziationen wirklich nur um das> worum es sich zu handeln scheint, nämlich um die Bestimmung des Arbeitslohns, wäre das Verhältnis von Arbeit und Kapital ein ewiges, so würden die Koalitionen an der Notwendigkeit der Dinge scheitern. [37]

Auf der anderen Seite sind die Gewerksgenossenschaften, ohne daß sie sich dessen bewußt werden, zu Organisationszentren der Arbeiterklasse geworden, wie es die mittelalterlichen Municipalien und Gemeinden für das Bürgertum waren. Wenn die Gewerksgenossenschaften notwendig sind für den Guerrillakrieg zwischen Kapital und Arbeit, so sind sie noch weit wichtiger als organisierte Kraft zur Beseitigung des Systems der Lohnarbeit und Kapitalherrschaft selbst. [38]

Ähnlich heißt es über die Gewerkschaften in der Schrift Arbeitslohn:

Aber sie sind das Mittel der Vereinigung der Arbeiterklasse zum Sturz der ganzen alten Gesellschaft mit ihren Klassengegensätzen. Und von diesem Standpunkt aus lachen die Arbeiter mit Recht über die klugen bürgerlichen Schulmeister, die ihnen vorrechnen, was ihnen dieser Bürgerkrieg an Gefallenen, Verwundeten und Geldopfern kostet. Wer den Gegner schlagen will, wird nicht die Kosten des Krieges mit ihm diskutieren. Und wie wenig die Arbeiter so engherzig sind, beweist den Ökonomen selbst der Faktor, daß die bestbezahlten Fabrikarbeiter die meisten Koalitionen machen und daß die Arbeiter alles, was sie abknapsen können von ihrem Lohn, auf Bildung politischer und industrieller Assoziationen und Bestreitung der Kosten dieser Bewegung verwenden. Und wenn die Herren Bourgeois und ihre Ökonomen in philantropischen Augenblicken so gnädig sind, in das Minimum des Arbeitslohns, d.h. des Lebens, etwas Tee oder Rum oder Zucker und Fleisch eingehen zu lassen, so muß es ihnen dagegen ebenso unbegreiflich als schändlich erscheinen, daß die Arbeiter in dies Minimum ein wenig die Kriegskosten gegen die Bourgeoisie einrechnen und daß sie aus ihrer revolutionären Tätigkeit sogar das Maximum ihres Lebensgenusses machen. [39]

Ähnlich stellte für Engels die Assoziation der Arbeiter ein Teil des Kampfes gegen das System selbst dar, insofern sie die Konkurrenz unter den Arbeitern aufhebt und so in dem Kampf des „Menschen“ gegen ein System, in dem er nur Sache ist, sich das Proletariat als historisches Subjekt bildet:

Beschließen die Arbeiter, sich nicht mehr kaufen und verkaufen zu lassen, treten sie bei der Bestimmung, was denn eigentlich der Wert der Arbeit sei, als Menschen auf die neben der Arbeitskraft auch einen Willen haben, so ist es aus mit der ganzen heutigen Nationalökonomie und den Gesetzen des Lohns … Die Notwendigkeit zwingt sie, nicht nur einen Teil der Konkurrenz, sondern die Konkurrenz überhaupt aufzuheben – und das werden sie auch tun. [40]

Wenn der erste Zweck des Widerstandes nur die Aufrechterhaltung der Löhne war, so formieren sich die anfangs isolierten Koalitionen in dem Maß, wie die Kapitalisten ihrerseits sich behufs der Repression vereinigten zu Gruppen, und gegenüber dem stets vereinigten Kapital wird die Aufrechterhaltung der Assoziationen notwendiger als die des Lohns …. In diesem Kampf – ein veritabler Bürgerkrieg – vereinigen und entwickeln sich alle Elemente für eine kommende Schlacht. Einmal auf diesem Punkt angelangt, nimmt die Koalition einen politischen Charakter an. Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für die Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist die Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf … findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sich als Klasse für sich selbst. Die Interessen, welche sie verteidigt, werden Klasseninteressen. Aber der Kampf von Klasse gegen Klasse ist ein politischer Kampf [41]

Im Kommunistischen Manifest heißt es:

Das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe [zur Verteidigung der Lebensverhältnisse] ist nicht der unmittelbare Erfolg, sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter Sie wird befördert durch die wachsenden Kommunikationsmittel, die von der großen Industrie erzeugt werden und die Arbeiter der verschiedenen Lokalitäten in Verbindung setzen. Es bedarf aber bloß der Verbindung, um die vielen Lokalkämpfe von überall gleichem Charakter zu einem nationalen, zu einem Klassenkampf zu zentralisieren. [42]

 

IV. Marx’ Politik gegenüber den Gewerkschaften

In den von Marx und Engels verfaßten Beschlüssen der Londoner Delegiertenkonferenz, in die die jahrzehntelangen Erfahrungen in der Arbeiterbewegung eingehen, wird der Zusammenhang zwischen ökonomischem Kampf und politischem endgültig bestimmt:

In Erwägung,

daß es im Eingang der Statuten heißt: „Die ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse ist der große Endzweck, dem jede politische Bewegung unterzuordnen ist als Mittel“, …

daß der Kongreß von Lausanne (1867) erklärt hat: „soziale Emanzipation der Arbeiter ist untrennbar von ihrer politischen Emanzipation“, …

daß die Erklärung des Generalrats über das angebliche Komplott der französischen Internationalen am Vorabend des Plebiszits (1870) folgende Stelle enthält: „Nach dem Wortlaut unserer Statuten haben alle unsere Zweige in England, auf dem Kontinent und in Amerika unzweifelhaft die ausdrückliche Aufgabe, nicht nur Mittelpunkte für die streitbare Organisation der Arbeiterklasse zu bilden, sondern in ihren bezüglichen Ländern ebenfalls jede politische Bewegung zu unterstützen, die zur Erreichung unseres Endziels dient, – der ökonomischen Emanzipation der Arbeiterklasse; …“

daß die Arbeiterklasse gegen diese Gesamtgewalt der besitzenden Klasse nur als Klasse handeln kann, indem sie sich selbst als besondere politische Klasse konstituiert, im Gegensatz zu allen alten Parteibildungen der besitzenden Klassen;

daß diese Konstituierung der Arbeiterklasse als politische Partei unerläßlich ist für den Triumph der sozialen Revolution und ihres Endziels – Abschaffung der Klassen;

daß die Vereinigung der Einzelkräfte, welche die Arbeiterklasse bis zu einem gewissen Punkt bereits durch ihre ökonomischen Kämpfe hergestellt hat, nun auch als Hebel für ihren Kampf gegen die politische Gewalt ihrer Ausbeuter zu dienen hat, –

aus diesen Gründen erinnert die Konferenz alle Mitglieder der Internationalen:

daß in dem streitenden Stand der Arbeiterklasse ihre ökonomische Bewegung und ihre politische Betätigung untrennbar verbunden sind. [43]

Diese Darstellung zeigt nicht mehr die unmittelbare Identität von ökonomischem Kampf und politischem, wie dies im Kommunistischen Manifest noch fast der Fall ist: Sie zeigt deren Einheit. Dort hatte es nur geheißen: „Die Kommunisten kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung.“ [44]

In den Beschlüssen der Londoner Delegiertenkonferenz dagegen kommt zum Ausdruck, daß der ökonomische Kampf „bis zu einem gewissen Punkt“ als Hebel für den Kampf gegen die politische Gewalt dienen kann. Dies im Verein mit dem Gedanken, daß die ökonomische Emanzipation der Zweck der politischen Bewegung ist, läßt klar erkennen, daß Marx einerseits dem ökonomischen Kampf eine begrenzte politische Funktion zusprach im Hinblick auf die politische Machtergreifung des Proletariats – daß er andererseits letztere als bloßes Mittel zur ökonomischen Befreiung der Arbeiterklasse ansah. Die Hauptbedeutung im revolutionären Kampf erhält die Partei.

Gerade die Einsicht, daß der ökonomische Kampf nicht schon selbst revolutionären Kampf darstellt und daß daher die Gewerkschaften nicht per se politische-revoltutionäre Organisationen sind, steht im Einklang damit, daß auch und gerade die Trade Unions sich der IAA anschließen konnten. In einem Artikel, der sich gegen die Behauptung Max Hirschs wendet, die IAA sei von den englischen Trade Unions isoliert, zählt Marx zahlreiche Gewerkschaften auf, die mit ihr zusammenarbeiten. [45]

Zwar hatte auch der junge Engels schon festgestellt:

In einzelnen Fällen ist es versucht worden, die Genossen eines Gewerks über ganz England zu einer großen Verbindung zu vereinigen und über mehrere Male – zuerst 1830 – eine allgemeine Arbeiterassoziation des ganzen Reichs mit besonderer Organisation jedes Gewerks in sich zu vereinigen. Diese Assoziationen hielten sich indes nie lange und kamen selten auch nur für den Augenblick zustande, da nur eine außerordentliche allgemeine Aufregung im Stande ist, eine solche Verbindung möglich und wirksam zu machen. [46]

Hier schlägt sich der nur kurzfristig bestehende politische Elan, der aus dem ökonomischen Kampf entstehen kann, direkt in der nur kurzfristig bestehenden Organisationsform großer Trade Unions nieder. Später, als sie sich um so festere Organisationen konstituiert hatten, schlug sich die gleiche Tendenz als mangelnde politische Aktivität nieder.

Marx hat die internationale Organisation der Arbeiterbewegung, in der auch Gewerkschaften vertreten waren, selbst zum Mittel der Einflußnahme auf die Trade Unions gemacht. In seinen Vorträgen vor den Mitgliedern des Zentralrats hat er ausgeführt:

Gleichzeitig und ganz unabhängig von der allgemeinen Fron, die das Lohnsystem einschließt, sollte die Arbeiterklasse die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe nicht überschätzen. Sie sollte nicht vergessen, daß sie gegen Wirkungen kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen; daß sie zwar die Abwärtsbewegung verlangsamt, nicht aber ihre Richtung ändert; daß sie Palliativmittel anwendet, die das Übel nicht kurieren. Sie sollte daher nicht ausschließlich in diesem unvermeidlichen Kleinkrieg aufgehen … Sie sollte begreifen, daß das gegenwärtige System bei all dem Elend, das es über sie verhängt, zugleich schwanger geht mit den materiellen Bedingungen und den gesellschaftlichen Formen, die für eine ökonomische Umgestaltung der Gesellschaft notwendig sind. Statt des konservativen Mottos: „Ein gerechter Lohn für ein gerechtes Tagewerk!“ sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: „Nieder mit dem Lohnsystem!“ [47]

Als Beschluß legte er den Mitgliedern u.a. folgende Formulierung vor

Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkt des Widerstandes gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems. [48]

(Ähnliche Ausführungen enthalten Engels’ Artikel: Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk, MEW19, S.247ff., Das Lohnsystem, MEW19, S.251ff., und Die Trade Unions I, II, MEW19, S.254ff.)

Ein weiteres Beispiel der Einflußnahme auf den ambivalenten Charakter der Gewerkschaften über das Mittel der internationalen proletarischen Partei., der IAA, stellt der Passus in den Instruktionen für die Delegierten des Zentralsrats dar:

Die Gewerksgenossenschaften haben sich bisher ausschließlich mit dem lokalen und unmittelbaren Kampf gegen das Kapital beschäftigt und haben noch nicht völlig begriffen, welche Kräfte sie im Kampf gegen das System der Lohnsklaverei selbst darstellen. Sie haben sich deshalb zu fern von allgemeinen sozialen und politischen Bewegungen gehalten … Abgesehen von ihren ursprünglichen Zwecken müssen sie jetzt lernen, bewußt als organisierende Zentren der Arbeiterklasse zu handeln, im großen Interesse ihrer vollständigen Emanzipation. Sie müssen jede soziale und politische Bewegung unterstützen, die diese Richtung einschlägt. Wenn sie sich selbst als Vorkämpfer und Vertreter der ganzen Arbeiterklasse betrachten, muß es ihnen gelingen, die Außenstehenden in ihre Reihen zu ziehen. [49]

Obwohl in der IAA Partei und Gewerkschaft nicht organisatorisch getrennt waren, läßt sich die Funktion der IAA als Gesamtverband als proletarische Organisation mit Parteicharakter unter der Führung Marxens ansehen, die die in ihr organisierten Trade Unions ständig vorwärts zu treiben suchte und ihnen konkrete Richtlinien gab.

 

 

Anmerkung

1. aus Rotes Forum, Organ des Heidelberger SDS, 6/69

2. Friedrich Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England (1845), MEW2, S.430f

3. Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei (1847/48), MEW4, S.470

4. a.a.O., S.470f.

5. Karl Marx, Lohn, Preis und Profit, (1865), MEW 16, S.148

6. a.a.O., S.149

7. F. Engels, Das Lohnsystem, (1881), MEW 19, S.252f.

8. F. Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England, (1845), MEW 2, S.434f.

9. K. Marx, Instruktionen für die Delegierten des Provisorischen Zentralrats zu den einzelnen Fragen, (1867), MEW 16, S.196

10. F. Engels, Die Trade-Unions, (1881), MEW 19, S.256

11. K. Marx, Lohn, Preis, Profit, (1865), MEW 16, S.151

12. K. Marx, Instruktionen, MEW 16, S.196

13. K. Marx, Lohn, Preis, Profit, MEW 16, S.146

14. a.a.O., S.151

15. K. Marx, Instruktionen, MEW 26, S.197

16. F. Engels, Das Lohnsystem, MEW 19, S.253

17. P.J. Proudhon, La Philosophie de la Misère, Bd.1, S.110f., zitiert nach Marx, Das Elend der Philosophie, MEW 4, S.175

18. K. Marx, Das Elend der Philosophie, (1846/47), MEW 4, S.175

19. K. Marx, Das Kapital II, MEW 24, S.340

20. K. Marx, Das Elend der Philosophie, MEW 4, S.175f.

21. K. Marx, Das Kapital II, MEW 24, S.340f.

22. vgl. Anmerkung 21

23. P.J. Proudhon: De la capacité politique des classes ouvrières, S.333, zitiert nach K. Marx: (1873), MEW 18, S.303

24. K. Marx, Der politische Indifferentismus, (1873), MEW 18, S.302

25. K. Marx, Das Kapital II, a.a.O., S.342

26. K. Marx, F. Engels, Das Kommunistische Manifest, a.a.O., S.491

27. P.J. Proudhon, Philosophie des La Misère, Bd.1, S.334, zit. nach K. Marx, a.a.O.

28. K. Marx, Der politische Indifferentismus, a.a.O., S.302

29. K. Marx, Brief an Engels, 26.9.28682, MEW 32, S.168

30. K. Marx, Brief an J.B. v. Schwertzer vom 13.2.1865, zit. in Brief von Marx an Engels vom 18.2.1865, MEW 31, S.76

31. Gothaer Programm der deutschen Arbeiterpartei, zit. nach K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, (1875), MEW 19, S.24

32. K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, a.a.O., S.25

33. K. Marx, Das Elend der Philosophie, a.a.O., S.176

34. a.a.O., S.179

35. K. Marx, Arbeitslohn, (1847), MEW 6, S.554

36. K.Marx, Lohn, Preis, Profit, a.a.O., S.151f

37. K. Marx, Arbeitslohn, a.a.O., S.554f

38. K. Marx, Instruktionen, a.a.O., S.197

39. K. Marx, Arbeitslohn, a.a.O., S.554f

40. F. Engels, Die Lage der Arbeitenden Klasse, a.a.O., S.436f

41. K. Marx, Das Elend der Philosophie, a.a.O., S.180f

42. K. Marx, F. Engels, Das Kommunistische Manifest, a.a.O., S.471

Dieser Beitrag wurde unter Arbeiterbewegung, Gewerkschaften abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.