Mit der Ökosteuer gegen Umweltzerstörung und Massenarbeitslosigkeit?

Der Umweltschutz wird hinter der Massenarbeitslosigkeit von den meisten Menschen als zweites großes Problem genannt, von dessen Lösung die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft abhängt.
In diesem Zusammenhang spielt die Diskussion um eine ökologische Steuerreform eine sehr wichtige Rolle. Viele sehen in ihr den Schlüssel zur Problemlösung. Neben den Grünen vertritt auch die SPD ein Konzept für eine Ökosteuer, ihre Realisierungschancen werden deswegen auch immer vor dem Hintergrund der Chancen für ein rot-grünes Koalitionsbündnis auf Bundesebene diskutiert. Die Vorstellungen der Grünen zur Ökosteuer gehen dabei viel weiter als die der SPD, in deren Reihen außerdem der ganze Ansatz umstritten ist. Kann die Ökosteuer die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen?

Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Sommer 1995 ein Diskussionspapier vorlegt, in dem für eine ökologische Steuerreform argumentiert wird, im Vorwort zu dem Papier, mit dem sie nicht nur potentielle Wähler, sondern auch Kritiker in den eigenen Reihen im Auge gehabt haben dürfte, heißt es:

Die Entwickung in unserer Gesellschaft ist zukunftsblind vor allem ökologisch, aber zunehmend auch wieder sozial. Der Fortschritt, so wie er sich in der Industriegesellschaft entwickelt hat, geht heute in einem wachsenden Umfang auf Kosten der ökologischen und sozialen Ressourcen. Der Wohlstand der Gegenwart wird zur Belastung für die Zukunft. Lange Zeit haben wir dies nicht zur Kenntnis genommen … Es ist ein Kampf um das zukünftige „Modell Deutschland“ entbrannt, der von der SPD nur erfolgreich geführt werden kann, wenn sie für ein attraktives sozial-ökologisches Reformprojekt eintritt, das die Kräfte von Wirtschaft und Technik für ein besseres und soziales Morgen nutzt. [1]

Kann die Ökosteuer das leisten?

Anders als die Umweltschutzpolitik der SPD zu Beginn der Siebziger Jahre wird mit der Ökosteuer auf die Kräfte des Marktes gesetzt. Damals stand der Interessenskonflikt zwischen den Unternehmern, die möglichst wenig Auflagen wollten, und den Menschen, die eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen forderten, im Vordergrund. Noch im Orientierungsrahmen ’85, der nach langjähriger Vorbereitung im November 1975 auf dem Mannheimer Parteitag der SPD beschlossen wurde, hieß es:

Dem Schutz der Umwelt muß die Strukturpolitik künftig besondere Beachtung schenken, indem … die Kosten umweltbelastender Produktion voll den Verursachern angelastet werden, um den Wettbewerbsvorteil schädlicher Produktionsweisen zu verringern. [2]

Dieses Versprechen wurde nie eingelöst, auch wenn bereits von 1971 bis 1974, in den ersten Jahren der sozial-liberalen Bundesregierung unter der Kanzlerschaft von Willy Brandt, einige wichtige Gesetze zum Umweltschutz beschlossen worden waren. Mit der ersten tiefen Wirtschaftskrise nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Mitte der Siebziger Jahre wurde der Widerstand der Industrie gegen das Verursacherprinzip immer stärker. Die damalige sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt lud im Juli 1975 Unternehmer, Gewerkschaften und Vertreter der Bundesländer zu einer Klausurtagung auf Schloß Gymnich ein. Unabhängig von Parteitagsbeschlüssen und über die Grenzen sich widersprechender Interessenslagen hinweg wurden dort die Richtlinien der Politik diskutiert: Oskar Lafontaine zeichnete in seinem Buch Der andere Fortschritt, das 1985 zum ersten Mal erschienen ist, diese Entwicklung kritisch nach:

Umweltschutz wurde von vielen als Hemmschuh eines schnellen Wiederaufschwungs gesehen. Die Wirtschaft wollte das – für sie zumeist nur theoretische, aber dennoch störend empftudene – Joch des Verursacherprinzips abschütteln. In vertrauter Runde und erlesener Umgebung kamen die Mächtigen überein, weniger Umweltschutz und diesen dazu langsamer zu betreiben. [3]

Damit waren die Beschlüsse des Mannheimer Parteitages zum Umweltschutz, der erst ein halbes Jahr später stattfand, bereits Makulatur.

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich für jene, die dem Umweltschutz entsprechend den Grundsätzen des Orientierungsrahmen 85 einen höheren Stellenwert einräumen wollen, seit der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt noch wesentlich weiter verschlechtert. Lafontaines Schlußfolgerungen aus dieser Entwicklung münden in der Forderung nach einer ökologischen Steuerreform.

 

Energiesparen

Er bestreitet jedoch, daß es sich um ein Zurückweichen vor den Profitinteressen der Unternehmer handelt. Seiner Meinung nach gibt es inzwischen ausreichend umweltpolitische Regelungs- und Kontrollinstrumente, die aber selbst bei konsequenter Anwendung allein nicht verhindern könnten, daß sich die Umweltsituation permanent verschlechtert. Lafontaine kritisiert in diesem Zusammenhang vor allem, daß über die Rationalisierung immer mehr menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt wird, deren Einsatz auf der einen Seite den Energieverbrauch und auf der anderen die Arbeitslosenzahlen immer weiter in die Höhe treibt:

Vielfach wäre es ökologisch und sozial sinnvoller, statt arbeitssparenden Investitionen energiesparende Investitionen vorzunehmen. Eine neue Produktionspolitik müßte Energiesparen belohnen und Energiemehreinsatz verteuern. [4]

Deswegen soll der sogenannte „Faktor Arbeit“ entlastet werden, indem zuerst Sozialversicherungsbeiträge und dann die Lohn- und Einkommenssteuer gesenkt werden. Die Finanzierung soll über die höheren Energieabgaben gesichert werden. Diese Grundüberlegungen Lafontaines finden sich in dem Modell zur Ökosteuer wieder, das von der SPD vertreten wird. Auch die Vorstellungen der Grünen gehen im Grundsatz von den gleichen Überlegungen aus.

 

Pigou

Alle Modelle gehen auf einen Ansatz zurück, der zum ersten Mal von dem englischen Ökonom Arthur Cecil Pigou (1877-1959) zu Beginn der Zwanziger Jahre entwickelt worden ist. Pigou wollte durch die Besteuerung von Produkten erreichen, daß sich alle Kosten im Preis einer Ware niederschlagen, die zu ihrer Herstellung notwendig sind. Damit sollte verhindert werden, daß Produkte z.B. unter ihrem tatsächlichen Wert angeboten werden, weil das eine zu hohe Nachfrage auslösen könnte, die in der Folge eine für die ganze Gesellschaft schädliche Entwicklung begünstigen würde.

Pieou hat mit seinen Überlegungen ein Grundproblem des Kapitalismus angesprochen. Die Schäden, die durch die kapitalistische Produktionsweise entstehen, werden nur zu einem Bruchteil von den Verursachern bezahlt. Das gilt nicht nur für die Umweltzerstörung oder Kriegsfolgeschäden. sondern ebenso für die sozialen Folgeschäden wie Berufskrankheiten, Arbeitslosigkeit usw. Zwar werden auch die Betriebe und die Unternehmer besteuert, aber über drei Viertel der Staatseinnahmen, aus denen diese Kosten gedeckt werden, resultieren aus der Lohn- bzw. Einkommenssteuer und der Mehrwertsteuer, die auf alle Dienstleistungen und Waren erhoben wird.

Die Schwäche von Pigous Ansatz ist, daß er davon ausgeht, daß es sich hierbei nicht um eine Klassen-, sondern um eine Menschheitsfrage handelt.

In Hinblick traf die „natürliche“ Neigung der Menschen, zu viele ihrer Mittel für den gegenwärtigen Gebrauch zu bestimmen und zu wenig für den zukünftigen, ist jede künstliche Einmischung seitens der Regierung dieser Neigung verpflichtet, es sei denn, sie hebt die damit verbundenen Vorteile auf … [5]

Als Beispiel führte er den enormen, zusätzlichen Kohleverbrauch an, der notwendig war, um die kurze Fahrtzeit der Schiffe zwischen Europa und New York um nur eine weitere Stunde zu verringern. Pigou fürchtete, daß das auf Kosten der zukünftigen Generationen gehen könnte, die ohne Kohle vielleicht keine Chance mehr hätten, diese Reise überhaupt anzutreten. Aber das Bestreben, ständig die Fahrtzeit zu verringern, resultierte aus der harten Konkurrenz der Reedereien untereinander und nicht aus einer Verschwendungssucht der Menschen, wie Pigou glaubte.

In der gegenwärtigen Diskussion werden die Energiepreise gerne als Beispiel angeführt. Würden die Folgeschäden der Stromerzeugung wie z.B. die Waldschäden als Kostenfaktor berücksichtigt, so die Argumentation der Befürworter einer Ökosteuer, dann müßten die Strompreise viel höher sein. Erst dann wäre gewährleistet, daß die Nachfrage nach Strom sinkt und somit über den Marktmechanismus eine für die ganze Gesellschaft richtige umweltpolitische Weichenstellung erfolgt.

Diese Gedanken führen bei den Befürwortern der Ökosteuer zu einer Kritik an der Verwendung des Bruttosozialprodukts (BSP) als Maßstab für den Lebensstandard der Bevölkerung, weil über das BSP alle Waren und Dienstleistungen statistisch erfaßt werden, unabhängig davon, ob sie die Bedürfnisse der Menschen befriedigen oder nicht. Denn die Produktion von Waffen steigert das BSP ebenso wie die Beseitigung von Umweltschäden oder die Behandlung von Krankheiten, die aus dem Umgang mit Giftstoffen am Arbeitsplatz resultieren.

Als Alternative zum BSP wird z.B. von dem bekannten Biologen Ernst Ulrich von Weizsäcker, der zu den profiliertesten Verfechtern einer Ökosteuer zählt, eine Statistik angeregt die diese Aspekte berücksichtigt, weil sie zeigen würde, daß seit Mitte der Siebziger Jahre eine wachsende Diskrepanz zwischen Wirtschaftswachstum und realem Wohlstand zu beobachten ist – eine Entwicklung, wie sie Pigou für den Fall befürchtet hatte, daß über einen längeren Zeitraum nur die für den Unternehmer relevanten Kosten in die Preise von Produkten eingehen und die Kosten z.B. aus Umweltschäden unberücksichtigt bleiben.

Entgegen dieser Kritik gibt jedoch das BSP durchaus Auskunft über den gesellschaftlichen Reichtum, sein Wachstum und seine Verwendung, bzw. seine Aufteilung auf verschiedene Bevöllkerungsklassen.

Etwa ein Fünftel des BSP gehen in den Staatsverbrauch, gut die Hälfte in den privaten und ein knappes Viertel in Investitionen. Am privaten Verbrauch sind die Arbeiter und Angestellten, ausgedrückt in der Bruttolohnquote, mit rund zwei Drittel beteiligt, ein Drittel bleibt bei den Unternehmern und kleinen Selbständigen, die rund 10% der Erwerbstätigen stellen. Berücksichtigt man, daß die Investitionen in Gebäude und Maschinen von den Unternehmern kontrolliert werden, dann verfügen damit diese 10% über fast die Hälfte des gesamten BSP.

 

Raubbau

Das zeigt auch, wie oberflächlich es ist, wenn diese Gesellschaft von vielen Verfechtern der Ökosteuer einfach als Überflußgesellschaft charakterisiert wird, denn der Reichtum, der sich hinter der statistischen Größe des BSP verbirgt, ist sehr ungleich verteilt. Von 1982 bis 1993 hat sich diese Verteilung immer weiter zu Ungunsten der Arbeiter und Angestellten verschoben. Während bis 1982 mit 72,5% die höchste Bruttolohnquote seit Kriegsende erkämpft worden ist, ist sie bis 1993 auf 67,2% gesunken, das entspricht dem Stand von 1965. [6]

Raubbau an der Natur und rücksichtslose Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft gehören zu den Wesensmerkmalen der kapitalistischen Produktion und haben immer erhebliche Schäden zur Folge gehabt, vor deren Bezahlung sich die Verursacher immer zu drücken versucht haben.

Mit der Ökosteuer wird den Kapitalisten von den Umweltschützern versprochen, daß sie der Umweltschutz nichts kosten muß, wenn sie sich entsprechend den politischen Vorgaben verhalten. Die Ökosteuer ist deswegen auch für Lafontaine und andere attraktiv, die immer wieder betonen, daß es nichts mehr zu verteilen gibt und daß Reformen kein Geld kosten dürfen.

Die Ökosteuer soll nicht zu höheren Steuereinnahmen führen, sondern aufkommensneutral sein. Die Mehreinnahmen durch die höhere Besteuerung des Energieverbrauchs sollen die Lücken schließen, die durch die indirekte Subventionierung über steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten sowie die direkte Subventionierung von Investitionen der Unternehmer in umweltschonende Produktionstechnik entstehen.

Parallel dazu sollen im ersten Schütt zur Umsetzung der Ökosteuer die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um rund ein Drittel gesenkt werden, um über diese Verringerung der Lohnnebenkosten die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu erleichtern. In einem zweiten Schritt sollen ab dem dritten Jahr die Lohn- und Einkommensteuer gesenkt werden, um die Nachfrage und damit die Konjunktur zu beleben. [7]

Das ist ein an die Verträge von Maastricht angepaßter Schein-Keynesianismus, weil die staatlichen Investitionsprogramme nicht über eine höhere Staatsverschuldung, sondern über eine Umverteilung finanziert werden sollen.

 

Energiepreise

Da die Steuersenkungen im Rahmen einer ökologischen Steuerreform erst ab dem dritten Jahr geplant sind, steht fest, daß mit dem ersten Schritt vor allem auf die Privathaushalte höhere Belastungen zukommen werden. Je geringer ihr monatliches Einkommen, um so härter werden sie von den höheren Strom-, Benzin- und Heizölpreisen getroffen.

Im ersten Schritt soll für den gestrichenen Kohlepfennig, der für die Subventionierung des deutschen Steinkohlebergbaus erhoben worden ist, über eine Stromsteuer die Kilowattstunde (kWh) für Privathaushalte um 2 Pfennig teurer werden, für Gewerbe dagegen in Abhängigkeit vom Verbrauch – unter Hinweis auf die internationale Konkurrenzsituation – nur um 1 oder 0,5 Pf/kWh, wobei Betriebe mit einem hohen Energiebedarf den günstigeren Stromtarif zugesprochen bekommen oder völlig von einer Erhöhung befreit werden sollen.

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Anke Fuchs, die federführend an der Ausarbeitung der Finanzierungsmodelle für eine Ökosteuer beteiligt war, begründet die Abstufung so:

Um den wirtschaftlichen Erfolg des ökologischen Strukturwandels nicht zu gefährden, muß in besonderem Maße auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft Rücksicht genommen werden. [8]

Gleichzeitig macht sie verschiedene Rechenmodelle auf, die auch eine völlige Entlastung der Industrie von der Stromsteuer einschließen, was bedeuten würde, daß von den Privathaushalten ein Steuerausfall von 2,5 Milliarden Mark zu kompensieren wäre.

Der Wegfall des Kohlepfennigs als Konsequenz aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil, der die Stromkosten verringert hat, wird als falsches umweltpolitisches Signal gewertet, weil die Konsumenten damit indirekt zu mehr Stromverbrauch verleitet würden – so, als ob in der Folge der Verbrauch ansteigen würde oder alte Haushaltsgeräte, die einen wesentlich höheren Verbrauch als neue aufweisen, deswegen nicht ersetzt würden.

Ein Blick in die Statistik über den Zusammenhang von Einkommen und Stromverbrauch ergibt ein differenzierteres Bild. Je höher das Einkommen, um so stärker ist auch der Stromverbrauch, weil der Ausstattungsstandard der Familien mit Haushaltsgeräten und Unterhaltungselektronik besser ist. Doch der prozentuale Anteil, den die Stromrechnung am Monatsbudget hat, sinkt mit steigendem Einkommen. Wer mehr verdient, der kann sich mehr leisten, und den trifft eine Erhöhung kaum, während sie ganz unten auf der Einkommensleiter deutlich spürbar wird (Tabelle 1).

Tabelle 1

Anteil der monatlichen Stromkosten am Nettoeinkommen [9]

Angaben für Ehepaar mit 2 Kindern, bezogen auf 1994

Haushaltseinkommen

(netto)

monatlicher

Stromverbrauch

in kW/h

Stromkosten

in % des

Nettoeinkommens

1.700-2.450 DM

290 kW/h

4,7-3,2%

3.457-4.757 DM

359 kW/h

2,9-2,1%

5.221-6.677 DM

385 kW/h

2,0-1,6%

Ein Blick auf die Entwicklung des Stromverbrauchs von Privathaushalten in den letzten Jahren im Verhältnis zum Einkommen macht noch einen weiteren interessanten Aspekt deutlich. In den Familien mit einem monatlichen Nettoeinkommen von höchstens 2.450 Mark ist der Verbrauch von 1991 bis 1994 gestiegen, während er bei den mittleren stagniert und bei den höheren Nettoeinkommen ab etwa 5.200 Mark in diesem Zeitraum gesunken ist, obwohl der hohe Ausstattungsstandard bei den Haushaltsgeräten nicht verringert worden ist und in der Unterhaltungselektronik weiter gestiegen ist.

Der Grund für diese Entwicklung ist in der unterschiedlichen Qualität der Geräte zu suchen. Während der steigende Stromverbrauch bei den niedrigen Finkommensbeziehem aus einer langsamen Verbesserung des Ausstattungsstandards resultiert, bei dem preisgünstige Geräte, die einen höheren Energieverbrauch haben, im Vordergrund stehen dürften, haben die höheren Einkommensbezieher einige ihrer alten Haushaltsgeräte durch moderne ersetzt, die zum Teil nur noch einen Bruchteil der Energie ihrer Vorgänger benötigen (Tabelle 2).

Tabelle 2

Jährliche Aufwendungen privater Haushalte für Strom [10]

Angaben für ein Ehepaar mit 2 Kindern

Haushaltseinkommen

(netto)

jährlicher

Stromverbrauch

in kW/h

Veränderung

in % von

1991 bis 1994

1991

1994

1.700-2.450 DM

2.771

3.480

+ 25%

3.457-4.757 DM

4.392

4.108

–   2%

5.221-6.677 DM

5.220

4.620

– 11%

Neben der Stromsteuer ist die in mehreren Schritten vorgesehene höhere Besteuerung des Benzins, des Dieselkraftstoffes und des Heizöls mit Abstand der größte Posten auf der Einnahmenseite der Ökosteuer. Unverbleites Benzin soll im ersten Jahr um 10 Pf/l teurer werden, dann alle zwei Jahre um weitere 5 Pf/l.

Das bereits bei der Stromsteuer gegenüber den Privathaushalten angewandte Prinzip, über eine Verteuerung die Konsumenten zum Sparen zu erziehen, soll auch hier zum Tragen kommen.

Die Verteuerung des Heizöls, das z.B. zum Heizen und zur Warmwasserversorgung in Mietwohnungen eingesetzt wird, kann vom Hausbesitzer über die Nebenkostenabrechnung direkt an die Mieter weitergegeben werden. Der hat nur dann ein Interesse an der Modernisierung seiner Heizungsanlage, wenn sich die Investitionen dafür über Abschreibungsmögiichkeiten oder Förderprogramme für ihn rentieren. Die Mieter zahlen in jedem Fall, entweder über die höheren Nebenkosten oder indem mit ihren Steuergeldern die Förderprogramme oder Abschreibungsmöglichkeiten für die Hausbesitzer finanziert werden.

 

Benzinpreise

Im Mittelpunkt der Diskussion um die Einführung einer Ökosteuer steht der Benzinpreis, auch wenn die von der SPD vorgesehenen Erhöhungen weit hinter den Forderungen der Grünen von 5 Mark/l zurückbleiben. Parallel zur stärkeren Treibstoffbesteuerung soll die sogenannte km-Pauschale für Berufspendler, die mit ihrem Auto zur Arbeit fahren, von bisher 70 Pf/km, die von der Steuer abgesetzt werden können, in eine Entfernungspauschale von nur noch 61 Pf/km umgewandelt werden, die auch in Anspruch genommen werden kann, wenn man öffentliche Verkehrsmitteln benutzt.

Dabei wird den Berufspendlern unterstellt, sie hätten eine Wahlmöulichkeit zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln und es bedürfte nur des sanften Drucks durch die Preise, um sie zu einem umweltbewußten Verhalten zu bewegen. In vielen Regionen gibt es heute aber zum Auto keine Alternative, und oft führt das Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel dazu, daß sich die Fahrtzeit zur Arbeit erheblich verlängert, weil die Fahrplanangebote so schlecht sind.

Die Ökosteuer weist hier wieder eine soziale Schieflage auf, weil, wie schon bei der Stromsteuer, die prozentuale Belastung des Familieneinkommens durch das Auto um so höher ist, je niedriger das Einkommen ausfällt (Tabelle 3).

Tabelle 3

Monatliche Aufwendungen privater Haushalte für Kfz-Haltung [11]

Angaben für ein Ehepaar mit 2 Kindern, 1994

Haushaltseinkommen

(netto)

monatliche

Aufwendungen

für Kfz-Haltung

Kfz-Haltung

% des

Nettoeinkommens

3.457-4.757 DM

374 DM

11-8%

5.221-6.677 DM

501 DM

10-7%

Darüber hinaus ist es die unterschiedliche Wirtschaftskraft einzelner Regionen, die der Kapitalismus verursacht und die immer mehr Menschen zwingt, zu ihrem Arbeitsplatz zu pendeln. Weil in ländlichen Gebieten die Chancen, einen Arbeitsplatz oder Ausbildungsplatz zu bekommen, besonders stark sinken, sind die Menschen dort gezwungen, sich an den Ballungszentren zu orientieren. Dort sind die Mieten aber so hoch, daß es günstiger ist, selbst sehr lange Anfahrtszeiten in Kauf zu nehmen anstatt umzuziehen. Deswegen steigt die Zahl der Berufspendler kontinuierlich an. Nach Düsseldorf z.B. pendeln jeden Tag rund 250.000 Menschen zur Arbeit, nach Frankfurt sind es mehr als 300.000. Doch nicht nur die Anzahl der Berufspendler steigt, auch das Einzugsgebiet von Industrie- und Dienstleistungszentren wird immer größer.

In Ludwigshafen etwa ist die mittlere Pendeldistauz der Beschäftigten (Berufsverkehr) im Vergleich der beiden Volkszählungen von 10,5 km pro Tag im Jahr 1970 auf 18,6 km pro Tag im Jahr 1986 angewachsen. [12]

Fast ein Viertel aller Beschäftigten mußte 1991 jeden Tag mehr als 1 Stunde Fahrtzeit aufwenden, um den Hin- und Rückweg zur Arbeit zu bewältigen (Tabelle 4).

Tabelle 4

Anzahl der Berufspendler [13]

Fahrtdauer zur Arbeit

Berufspendler 1982

Berufspendler 1991

10 – 30 Minuten

12,7 Millionen

15,5 Millionen

30 – 60 Minuten

4,0 Millionen

5,0 Millionen

60 und mehr

1,0 Million

Die ungleiche regionale Entwicklung, die Wohnung und Arbeitsplatz immer weiter auseinandertreibt, ist weder durch Strukturförderprogramme verhindert worden, noch wird die Ökosteuer daran etwas ändern können. Aber der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) kann dazu dienen, die Menschen dort vom Autoverkehr zu entlasten und den Pendlern den Weg zur Arbeit zu erleichtern und zu verkürzen. Die Finanzierung sollte von den Unternehmen geleistet werden, weil sie die ungleiche Entwicklung verursachen und in den Ballungszentren vom ÖPNV profitieren, der für sie einen wichtigen Standortvorteil darstellt.

Mit der Einführung einer Ökosteuer ist die Hoffnung auf Schaffung neuer Arbeitsplätze verbunden. Aber selbst wenn es gelingen sollte, die Lohnnebenkosten zu senken, bedeutet das nicht automatisch, daß die Produktion ausgeweitet wird oder Rationalisierungsmaßnahmen ausgesetzt werden, denn beides hängt ausschließlich von den Profiterwartungen ab.

Neue Arbeitsplätze werden nur in den Betrieben entstehen die die Umrüstung der alten Produktionsanlagen durchführen oder effizientere Maschinen und Geräte anbieten, die einen geringeren Stromverbrauch aufweisen. Andere Betriebe werden entsprechend Markanteile verlieren und Arbeitsplätze abbauen.

 

Ökosteuerpläne

Die Ökosteuerpläne der SPD werden auch die Konjunktur nicht beleben, da sie Aufkommensneutral sein sollen, d.h. nur eine Umverteilung der Nachfrage durch den Staat darstellen und keine Erhöhung der Kaufkraft bewirken. Hierin unterscheiden sie sich von früheren Investitionsprogramme der SPD-Regierung in den Siebziger Jahren, die eine Erhöhung der Staatsverschuldung vorsahen und so zusätzliche Nachfrage schafften.

Im besten Fall bedeutet das für die Arbeiter und Angestellten, daß ihre höhere Belastung aus der Strom- und Mineralölbesteuerung über die Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer sowie über die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge ausgeglichen wird. Je niedriger das Einkommen ist, um so mehr wächst aber die Gefahr, daß dieser Ausgleich nicht stattfindet, weil die Belastung aus den Energiesteuern einen relativ höheren Anteil am Haushaltsbudget einnehmen würde, während auf der anderen Seite die Entlastung um so geringer ausfällt, je niedriger das Einkommen ist.

Außerdem ist die genaue Definition der Aufkommensneutralität innerhalb der SPD umstritten. Nur ein Teil plädiert für eine echte Aufkommensneutralität, die die vollständige Rückgabe aller Mehreinnahmen garantiert.

Ein anderer Teil sieht dieses Kriterium bereits durch mittelbare Effekte einer mit den Mitteln der ökologischen Steuerreform angeschobenen ökologisch motivierten Innovations- und Beschäftigungspolitik als erfüllt an. Nur so sei im übrigen eine überzeugende ökologische Reformperspektive gegeben. [14]

Die Unternehmer fürchten, daß sich die Ökosteuer für sie als Trojanisches Pferd erweist, in dem sich höhere Abgaben und Steuern verbergen. Ihr Klassenbewußtsein schärft den Blick für die Gefahren, die ihren Profitinteressen drohen, wenn sie die Vorgaben zum Umweltschutz im Rahmen der Ökosteuer nicht einhalten, weil sich die dafür notwendigen Investitionen in ihren Augen möglicherweise auch bei einer Subventionierung oder bei steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten nicht rentieren.

Umweltschutz steht dagegen bei den meisten Arbeitern und Angestellten nicht nur hinter der Arbeitslosigkeit auf der Sorgenliste ganz oben, es gibt auch eine große Bereitschaft, etwas dafür zu tun.

Die Einführung eines Tempolimits im Sommer 1994 im Rahmen eines viertägigen Ozonversuchs im Raum Heilbronn/Neckarsulm wurde von den meisten Autofahrern bereitwillig mitgetragen. Ebenso gibt es eine breite Zustimmung der Frankfurter zu der Wassersparkampagne der dortigen Stadtwerke, und auch das getrennte Sammeln des Hausmülls fand eine breite Unterstützung.

Doch die Ökosteuer, die die Unternehmer schont und die Konsumenten um so stärker belastet, je geringer ihr Einkommen ist, wird diese Bereitschaft, etwas zu tun, nicht aufgreifen und fördern. Sie wird viele Arbeiter in ihrer Befürchtung bestätigen, daß Umweltschutz zu ihren Lasten geht, entweder durch höhere Preise oder weil Betriebe mit Produktionsverlagerungen ins Ausland drohen, wenn die Umweltschutzauflagen verschärft werden sollen.

Nur wenn es gelingt zu verhindern, daß Arbeitsplatzängste gegen Umweltschutzmaßnahmen ausgespielt werden, dann hat der Umweltschutz eine Chance.

Besonders die Arbeiter sind von Umweltzerstörung in zweierlei Hinsicht besonders hart betroffen. Zum einen sind ihre Stadtteile am höchsten durch ein starkes Verkehrsaufkommen und durch viele Industrieabgase belastet. Bereits im letzten Jahrhundert entstanden die Villenviertel im Westen der Städte, während die Arbeiterviertel im Osten zu finden waren, weil die vorherrschende Windrichtung den Dreck aus den Fabrikschloten von Westen nach Osten trug.

Zum anderen macht die steigende Zahl der Berufserkrankungen deutlich, daß die Arbeiter in der Produktion ganz besonders hohen Belastungen ausgesetzt sind. Über ein Viertel aller angezeigten Verdachtsfälle waren Hauterkrankungeri, mehr als die Hälfte der Arbeiter ist bereits heute gezwungen, vor Erreichen des Rentenalters wegen Berufsunfähigkeit ihren Arbeitsplatz aufzugeben.

Sie sind mit dem Vielfachen an Dreck konfrontiert, der der Allgemeinbevölkerung zugemutet wird.

Beim Lösemittel Ethoxyethanol etwa ist an Arbeitsplätzen das 350fache dessen erlaubt, was die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA im Umweltbereich toleriert.

Und während das gefährliche Dichlormethan wegen Krebsverdachts aus Haarsprays verbannt worden ist, enthalten Kaltreiniger bis zu 25 Gewichtsprozente dieses Gifts – ohne daß auch nur eine Deklarationspflicht besteht. Die meisten der rund 100.000 verwendeten Stoffe sind noch nicht einmal auf ihre Wirkung untersucht; gerade mal 1.600 hat die Gefahrstoff-Verordnung erfaßt, und nur 400 davon sind mit einem Grenzwert belegt – kein Wunder, daß die Anzahl kranker Arbeitnehmer steigt. [15] (Tabelle 5).

Tabelle 5

Ausgewählte Berufskrankheiten [16]

Jahr

Anzeigen auf

Verdacht einer

Berufskrankheit

insgesamt

Lungen-
erkrankung,

hier

Silikose

Haut-
erkrankungen

erstmals

entschädigte

Berufs-
krankheiten

1961

33.184

6.229

  6.420

14.521

1975

38.296

6.324

  7.778

  6.104

1980

45.114

3.820

12.028

  6.235

1992

85.721

2.924

24.056

  5.918

Die Arbeiter kennen ihren Arbeitsplatz und die Gefahrenquellen für sich und die Umwelt am besten. Sie müssen als Fachleute auf diesem Gebiet ernstgenommen werden. Bestes Beispiel hierfür ist die Kritik von Betriebsräten der Frankfurter Hoechst AG nach den jüngsten Störfällen im Werk, die einen halben Stadtteil mit einem nach einer Explosion ausgetretenen Zwischenprodukt verseuchten. Die Entlassungswellen der letzten Monate haben die Personaldecke so ausgedünnt, daß Arbeiter überfordert werden und sich kleine Unachtsamkeiten zu einer Katastrophe entwickeln können.

Die Produktivität ist in allen westlichen Industrienationen so hoch, daß alle Waren im Überfluß produziert werden können. Viele Untersuchungen belegen, daß es keine technischen Probleme sind, die einem wesentlich effizienteren und insgesamt sparsameren Umgang mit Energie- und Rohstoffquellen im Wege stehen.

Bereits eine so einfache Maßnahme wie ein Tempolimit auf den Autobahnen kann die Schadstoffbelastung erheblich senken. Der Ausbau des ÖPNV kann viele Berufspendler dazu bewegen, auf das eigene Auto zu verzichten, und eine deutliche Senkung der Fahrpreise würde viele motivieren, auch auf langen Strecken, z.B. für einen Familienausflug, die Bahn zu benutzen. Niedrigere Grenzwerte, schärfere Kontrollen und höhere Bußgelder sind, wenn sie konsequent angewendet werden, bewährte Mittel, die Umweltbelastungen durch Industriebetriebe zu verringern.

Das eigentliche Problem ist, daß im Kapitalismus nur unter dem Gesichtspunkt der zu erwartenden Rendite investiert und produziert wird und es nicht darum geht, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen.

 

Anmerkungen

1. Michael Müller, Was kostet der Fortschritt, in: Umweltpolitik (Hrsg.: SPDParteivorstand), Bonn, September 1995, S.1

2. SPD-Parteivorstand (Hrsg.), Okonomisch-politischer Orientierungsrahmen für die Jahre 1975-1985, Bonn 1975, S.69

3. Oskar Lafontaine, Der andere Fortschritt, München 1985, S.95

4. a.a.O., S.101

5. Arthur Cecil Pigou, The economics of welfare, London 1960, S.28

6. Sowohl die Angaben zur Verteilung des BSP als auch die zur Bruttolohnquote gehen zurück auf folgendes Zahlenmaterial: Michael Kittner (Hrsg.), Gewerkschaftsjahrbuch 1992, Köln 1992, S.171 u. 185

7. SPD-Parteivorstand (Hrsg.),Umweltpolitik, Bonn, September 1995, S.7 u. 8

8. Anke Fuchs, zitiert nach Frankfurter Rundschau, 30.08.95

9. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1995, Wiesbaden 1995, S.551 Die Einteilung der Nettoeinkommen erfolgte entsprechend den drei im Jahrbuch festgelegten Haushaltstypen.

10. a.a.O., S.551

11. a.a.O., S.551

12. Eckhard Kutter u.a., in: Nutzungsmischung, Darmstadt 1993, S.75

13. Hauptvorstand der IG Metall (Hrsg.), Mitgliederzeitschrift Metall, 20.08.93, S.12

14. Fuchs, Ökologischer Umbau der Industriegesellschaft, in: Umweltpolitik (Hrsg.: SPD-Parteivorstand), Bonn Juni 1995, S.26

15. Mitgliederzeitschrift Metall, 25.03.94, S.13

16. Michael Kittner (Hrsg.), Gewerkschaftsjahrbuch 1994, Köln 1994, S.362ff.; Alix Arnold u. Rolf Satzer, Kaputt und auch noch selber schuld, Hamburg 1986, S.30ff.

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