50 Jahre Hiroshima: Warum wurde die Bombe geworfen?

Der 6. August 1945 ist auch 50 Jahre später noch ein Datum, an das die Welt mit Schrecken zurückdenkt. An diesem Tag setzten die USA zum ersten Mal die Atombombe ein – mit verheerender Wirkung: Die südjapanische Stadt Hiroshima wurde auf einer Fläche von 13 Quadratkilometern dem Erdboden gleichgemacht, von etwa 76.000 Gebäuden wurden 70.000 zerstört oder stark beschädigt; 78.000 Menschen waren auf der Stelle tot, weitere 122.000 starben an den Folgen der Explosion. Drei Tage später tötete eine zweite Atombombe etwa 70.000 Menschen in Nagasaki.
Über die Hintergründe dieser beiden – bisher einzigen – Einsätze der Atombombe wird seit damals heftig gestritten. Waren sie, wie die USA behaupten, notwendig, um den Krieg schnell zu beenden und weitere Opfer zu verhindern? Oder dienten sie einzig den Großmachtinteressen der Amerikaner, die ihre Stellung gegenüber der UdSSR stärken wollten?

US-Präsident Truman, der den Befehl zum Einsatz der Bomben gab,verteidigte seine Entscheidung zeitlebens mit der Begründung, daß dadurch – und
Japans anschließende Kapitulation – eine halbe Million Soldaten auf beiden
Seiten vor dem Tod und eine Million vor „lebenslanger Verstümmelung“ bewahrt
worden seien. Und auch heute noch bilden derartige Stimmen in den USA die
Mehrheit.

Als anläßlich des 50. Jahrestags von Hiroshima das Smithsonian
Institute
im Washingtoner Luft- und Raumfahrtmuseum eine aufklärerische
Ausstellung über die Auswirkungen des Atombombenabwurfs organisieren wollte,
löste dies einen Sturm der Entrüstung aus. Von den US-Veteranenverbänden, dem
Führer der konservativen Republikaner, Newt Gingrich, und auch von Präsident
Clinton wurde das Institut zu einer „Umorganisierung“ der Ausstellung gedrängt:
Nun ist die Enola Gay, die die Bombe nach Hiroshima brachte, umrahmt
von Bildern heldenhafter GIs zu bestaunen – ein Symbol für die nationale Größe
der USA und für ihren Sieg im 2. Weltkrieg.

Bis heute hat sich kein US-Präsident bei Japan für die Atombombenabwürfe
entschuldigt, und auch in den Medien wird überwiegend die Auffassung vertreten,
daß die Bombe ein notwendiges Übel gewesen sei. So hieß es in einem Kommentar
der International Herald Tribune vom 15.6.95: „Im Pazifik-Krieg
gab es viele schreckliche Dinge. Die Atombombe war eins davon. Aber ihr Einsatz
verhinderte mit großer Sicherheit weitere Greuel.“

 

Uberflüssig

Die Einsicht, daß der Abwurf der Bomben nicht der Verkürzung des
Krieges diente, sondern eiskaltem Machtkalkül der US-Führung entsprang, würde
einen tiefen Schatten auf den glorreichen Kriegssieger werfen und auch die edlen
Motive für den Kriegseintritt in Frage stellen.

Bei einer genauen Betrachtung der militärischen Lage im Sommer 1945 muß man
zu dem Schluß kommen, daß der Abwurf der beiden Atombomben keinerlei
Auswirkungen auf den Ausgang des Krieges hatte.

Japan lag bereits wirtschaftlich und militärisch völlig am Boden. Nach der
verlorenen Schlacht um Okinawa war das Land vollkommen eingekreist, seine Flotte
war zerstört, die Luftabwehr gegen die US- Bomber machtlos. Diese richteten
selbst mit konventionellen Bomben unglaubliche Verwüstungen an, wie der
Luftangriff auf Tokio im März gezeigt hatte, bei dem über 80.000 Menschen
starben. Spätestens Ende 1945, so stellte eine amerikanische
Untersuchungskommission 1946 fest, hätte sich Japan auch ohne den Einsatz der
Atombombe ergeben müssen. Und bis zu dieser Kapitulation wären keineswegs so
viele Soldaten gestorben, wie Truman dies dargestellt hatte; US-Generäle hatten
für den entscheidenden Angriff auf die Hauptinsel vielmehr 25.000 bis 46.000
tote GIs einkalkuliert.

Vermutlich hätten aber noch nicht einmal so viele Menschen ihr Leben lassen
müssen und Japan hätte ohne weitere größere Kämpfe einer Kapitulation
zugestimmt, wenn die USA dies gewollt hätten. Seit Mitte 1944 nämlich gab es
innerhalb der japanischen Führung einen stärker werdenden Flügel, der
Friedensverhandlungen aufnehmen wollte und an Stalin mit der Bitte um eine
Vermittlung herantrat. Die USA waren darüber informiert, jedoch nicht bereit,
die japanische Bedingung zu akzeptieren, daß das japanische Nationalwesen mit
dem Kaiser an der Spitze bestehen bleiben solle. Statt dessen forderten sie in
der Potsdamer Erklärung vom 26. Juli die bedingungslose Kapitulation, worauf
Japan nicht reagierte. Als jedoch am 10. August das Tokioter Außenministerium
die bedingte Annahme der Potsdamer Erklärung mitteilte, machten die USA
plötzlich die entscheidende Konzession und lieferten somit den
Friedensbefürwortern um den Kaiser das entscheidende Argument zum Abbruch des
Krieges.

Nicht nur der langjährige Berater von Präsident Roosevelt, Admiral William
Leahy, betrachtete angesichts dieses Szenarios die Atombombenabwürfe als
überflüssig.

 

Einflußsphären

Wenngleich der Abwurf der Atombomben keinen Einfluß auf den
militärischen Ausgang des Krieges hatte, so war sein Einfluß auf den politischen
Ausgang beträchtlich. Er wies die USA als den eigentlichen Sieger aus und zeigte
ihrem Hauptkonkurrenten, der UdSSR, die neuen Muskeln. Nicht zufällig fand der
erste Atomtest einen Tag vor Beginn der Potsdamer Konferenz statt, auf der sich
die Siegermächte über die Aufteilung der Kriegsbeute einigten, und nicht
zufällig fielen die Atombomben gerade zu jenem Zeitpunkt, als Stalin sich
anschickte, ebenfalls seine Fühler nach Japan auszustrecken. Die Botschaft von
Hiroshima und Nagasaki lautete: Wir, die USA, sind die einzige Supermacht, und
wir sind in der Lage, unsere Machtsphären zu verteidigen.

Von Beginn an ging es den USA bei ihrem Kriegseintritt nicht um Demokratie
und Kampf gegen den Faschismus, sondern um Macht und neue Weltmarktanteile.
Truman beschrieb die amerikanischen Kriegsziele 1941 so: „Wenn wir sehen, daß
Deutschland gewinnt, sollten wir Rußland helfen, und wenn Rußland gewinnt,
sollten wir Deutschland helfen und sie auf diese Weise gegenseitig so viele wie
möglich töten lassen …“

Über Jahre hinweg sahen die USA tatenlos zu, wie Hitler die deutsche
Arbeiterbewegung zerschlug, eine Horrordiktatur errichtete und andere Länder
überfiel. Ihre Haltung änderte sich erst, nachdem der deutsche Faschismus durch
die Eroberung des halben Kontinents zur unmittelbaren Bedrohung der eigenen
imperialistischen Ziele geworden war. Denn Hitlers Ziel hieß Weltherrschaft, und
das konnten die anderen Großmächte nicht zulassen. So wurde die alliierte
Kriegskoalition nicht von einem gemeinsamen Antifaschismus zusammengehalten,
sondern vom Kampf gegen die Achsenmächte als imperialistische Konkurrenten. Der
Wettlauf um die Entwicklung der Atombombe war somit ein Wettlauf zwischen den
fortgeschrittensten imperialistischen Staaten um zukünftige Macht und Profite.
Deshalb pumpten die USA innerhalb von drei Jahren die für damalige Verhältnisse
gigantische Summe von zwei Mrd. Dollar in ihr Atomprojekt, und deshalb mußten
sie die Bombe auch zünden, um zu beweisen, welche Zerstörungskraft sie
besitzt.

Im Anfangsstadium des Kalten Krieges hatten sie dadurch einen entscheidenden
Abschreckungsvorteil gegenüber Stalin. Wie der damalige US-Verteidungsminister
Forestal 1947 sagte: „Die Jahre, die vergehen, ehe eine mögliche Großmacht die
Fähigkeit erreicht, uns wirksam mit Massenvernichtungsmitteln anzugreifen, sind
die Jahre unserer Chance.“

Der Politik der Zurückdrängung des sowjetischen Einflusses, des
roll-back, vor allem in Europa, sollte mit dem nuklearen Potential
Nachdruck verliehen werden. Churchill erklärte 1948: „Wir wollen die Dinge zu
einer Entscheidung bringen … Die Westmächte dürften viel eher ein dauerhaftes
Abkommen ohne Blutvergießen erreichen, wenn sie ihre gerechten Forderungen
erheben, solange sie über die Atomenergie verfügen und bevor die russischen
Kommunisten ebenfalls darüber verfügen.“

Zum Entsetzen der USA brach jedoch bereits 1949 der erste sowjetische
Atomtest ihr Monopol, und in der Folge setzte ein beispielloses Wettrüsten ein.
Wasserstoffbombe, Mittelstreckenraketen, taktische Atomwaffen, Atom-U-Boote,
Cruise Missiles und SS-20 – astronomische Summen wurden von den Supermächten
aufgewendet, um dem Konkurrenten überlegen zu sein und die eigenen Machtsphären
verteidigen und ausweiten zu können. Auf dem Höhepunkt des Wettrüstens besaßen
die USA 32.500 nukleare Gefechtsköpfe; die weltweit vorhandenen, einsatzbereiten
Waffensystem reichten aus, um die Erdbevölkerung 38mal auszurotten. In
zahlreichen Krisensituationen benutzten die Atommächte ihr nukleares Potential,
um den Gegner einzuschüchtern, so während der Suez-Krise 1956, der Berlin-Krise
1961 sowie der Kuba-Krise 1962.

Auch andere Staaten erkannten, daß nur ein eigenes nukleares Potential es
ermöglichte, im Konzert der Großen mitzuspielen: Frankreich, England und China
entwickelten nukleare Waffensysteme, und auch die BRD wollte unter ihrem
Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß Ende der 50er Jahre nuklearen
Teilhaberstatus erreichen.

 

Machtfaktor Bombe

Weit davon entfernt, angesichts ihrer furchtbaren Wirkung weltweit
geächtet zu sein, machte die Atombombe eine rasante Entwicklung durch. 2.022
Kernexplosionen sind seit 1945 unternommen worden, um die Zerstörungstechnik zu
verfeinern. Die modernen Nachfolger der Hiroshima-Bombe sind bei weitem kleiner
und zielsicherer und haben eine ums Hundertfache größere Sprengwirkung.

Auch nach dem Ende des Kalten Krieges werden die Horrorwaffen
weiterentwickelt, und neue nukleare Systeme entstehen. Da die Konkurrenz
zwischen den Großmächten erhalten bleibt – wenngleich mit anderen
Konstellationen – kann es sich keine leisten, auf ihr Atompotential zu
verzichten. Die jüngste Entscheidung Frankreichs, seine Atomtests
wiederaufzunehmen, ist daher eine klare Machtdemonstration, ein deutliches
Zeichen, daß das Land weiterhin den Status einer unabhängigen Großmacht hat.
Prompt wurden auch in den USA Stimmen laut, die forderten, die Atomtests
wiederaufzunehmen.

Diese Realitäten zeigen, daß es naiv wäre, sich für die Beseitigung der
atomaren Bedrohung auf die Initiative der Atommächte zu verlassen. Die Tatsache,
daß sie im Frühjahr auf eine Verlängerung des Vertrages über die
Nichtverbreitung von Atomwaffen gedrängt haben, beweist nicht ihren
Friedenswillen, sondern nur, daß sie ein exklusiver Club bleiben wollen.
Ebensowenig sind die Abrüstungsverträge zwischen den USA und Rußland dazu
geeignet, der Menschheit die Angst vor dem atomaren Inferno zu nehmen. Selbst
wenn beide Seiten die im START II-Vertrag vorgesehenen Reduzierungen
durchführen, bleiben jedem noch immer über 3000 nukleare Sprengköpfe für
interkontinentale Systeme.

Der 6. August 1945 hat gezeigt, daß die imperialistischen Staaten dazu bereit
sind, Atomwaffen einzusetzen, um ihre Macht zu konsolidieren. Und solange es
imperialistische Konkurrenz gibt, besteht die Gefahr, daß sie es wieder tun.

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