Da nehmen endlich immer mehr aufgebrachte und empörte Menschen ihre demokratischen Grundrechte wahr und demonstrieren seit Wochen gegen das Verarmungsgesetz Hartz IV. Doch die Regierung ist besorgt über solche Entwicklungen. Gemeint sind die Demonstrationen, nicht die Verarmung.
Der Kanzler gibt sich unbeeindruckt und sieht gar die politische Kultur gefährdet. Im Stile seines Vorgängers Kohl sagt Schröder nicht viel, außer: Weiter so. Und was setzen die Gewerkschaften und ihr Dachverband DGB dagegen?
Obwohl der Zorn an der Basis täglich steigt und der Vorstand erkennt, dass mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen schwerwiegende Fehlentscheidungen verbunden sind, sowie Gefahr für das ökonomische und gesellschaftliche Gleichgewicht einhergeht, wird die Verantwortung für die Teilnahme an den Protestkundgebungen an die KollegInnen vor Ort abgewälzt. Die bundesweite Demonstration gegen Hartz IV am 2. Oktober in Berlin aber unterstützen die Gewerkschaftsspitzen nicht. Sie eiern herum.
Angesichts von immer mehr Sozialhilfeempfängern, armen Kindern und armen Alten, sowie des Versagens aller bisherigen Hartz-Konzepte: Personalservice-Agenturen, private Vermittler, Vermittlungsgutscheine, Ich-AGs, weiterer Privatisierungen und Stellenstreichungen, nennt DGB-Chef Sommer die Hartz-Gesetze zu Recht ein Verarmungsprogramm für hunderttausende. Dass er sich weigert, dagegen zu kämpfen und die Forderung Hartz muss weg zu unterstützen, liegt daran, dass er einen Regierungswechsel fürchtet wie der Teufel das Weihwasser.
Dabei könnte ihm eigentlich egal sein, ob uns jetzt die Schröder-Pest oder später die Merkel-Cholera regiert. Das Signal müsste jetzt sein: Wir wollen beides nicht. Wir wollen Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Wir vertreten die Interessen der von Arbeit abhängigen Menschen und nicht die von Parteien oder Politikern. Es geht um die Sache, um Tarifverträge, Zumutbarkeiten, Urlaub, Arbeitszeiten und die Würde der Menschen.
Wer aufgibt, offensiv dafür zu kämpfen, gerät in den Strudel der Bedeutungslosigkeit. Die SPD macht es gerade vor. Der DGB und seine Gewerkschaften müssen handeln. Andernfalls könnte es spätestens nach 2006, wenn der DGB zu Protesten gegen weiteren Sozialabbau der CDU/CSU-Regierung aufruft, heißen: Stell dir vor, der DGB demonstriert, um kaum einer geht hin.
Die Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit kann die Gewerkschaften nicht ersetzen. Aber: Stell dir vor, die Wahlalternative würde eine bundesweite Kampagne für den 2. Oktober machen und überall öffentlich für Alternativen zum rot-grünen Sozialabbau werben. Damit würde sie unzählige Gewerkschafter vor Ort ermutigen, die Hartz IV kippen wollen, aber selbst noch davor zurückschrecken, offensiv zu mobilisieren, weil sie (noch) keine politische Alternative zur SPD sehen.
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