Die Chance ist da

Was für eine ASG wir brauchen, erklärt Christine Buchholz, Mitglied des Bundesvorstands.

Die Mitglieder der Partei Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative (ASG) diskutieren kontrovers, mit welchem Selbstverständnis sie 2006 erfolgreich zur Bundestagswahl antreten sollten. Gründungsmitglied Klaus Ernst repräsentiert die eine Position: „Während offensichtlich ein Teil (…) die ASG als linke Sammlungsbewegung sieht, (…) haben andere das Neue oder die Chance des Projekts gerade darin gesehen, eben nicht als Sammelbecken von linken Splittergruppen aufzutreten, sondern eine ‚Sozialstaatspartei’ aufzubauen, die von Menschen aus allen kritischen und demokratischen Wählerschichten getragen wird.“

Klaus Ernst hat in einer Hinsicht Recht: Wir brauchen eine Partei, die offen und wählbar für alle Menschen ist, die sich gegen neoliberale Politik wehren oder wehren wollen – von der sozialdemokratischen Krankenschwester, über den Studenten, der sich gegen Studiengebühren wehrt, bis hin zum bisher noch nicht politisch engagierten Schlosserauszubildenden.

Deswegen hat die ASG ein Reformprogramm erarbeitet, in dem sich alle wieder finden können. Jeder Versuch, das Programm der ASG auf ein sozialistisches Programm einzuengen, würde das Spektrum derer einschränken, die in der ASG eine (neue) politische Heimat finden könnten.

Die Gegenposition wird von anderen Gründungsmitgliedern vertreten. Sie berufen sich auf den Gründungskonsens der Initiative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit aus dem Frühjahr 2004, in dem es heißt: „Wir treten für ein Bündnis mit allen politischen Kräften und Personen ein, die sich für die Erhaltung und den Ausbau des Sozialstaats und für ein sozial gerecht finanziertes Gemeinwesen einsetzen. (…) Unsere Initiative ist für alle offen, für Mitglieder etablierter Parteien und genauso für Menschen, die sich von ihren Parteien nicht mehr vertreten fühlen.“

Ich stimme dem zu. Eine Trennung von „Sozialstaatspartei“ und „Sammlungsbewegung“ würde die Erfolgsaussichten der ASG schmälern. Nur wenn die ASG beides in sich vereint, haben wir eine Chance.

Die Mehrheit der Menschen in Deutschland versteht sich trotz aller neoliberalen Propaganda als „sozialstaatlich“ orientiert. Die sozialstaatlichen Errungenschaften und Werte wie Solidarität und Gerechtigkeit werden mit der Linken identifiziert. Dementsprechend ordnen sich nach einer Studie des Politikwissenschaftlers Gerd Mielke 44 Prozent „links von der Mitte“, nur 26,3 Prozent „rechts von der Mitte“ ein.

Das erklärt auch den Erfolg der globalisierungskritischen Bewegung in den letzten Jahren. Diese Bewegung hat einen wichtigen Grundstein für unsere Arbeit gelegt. Der Perspektivenkongress von Attac und Gewerkschaften, die Europäischen Sozialforen und verschiedene nationale und internationale Mobilisierungen gegen Sozialabbau und Krieg haben hunderttausende zusammengebracht, die sich mit globaler Ungerechtigkeit und Sozialabbau nicht abfinden wollen.

Auf der Beliebtheitsskala schlagen neue „linke“ politische Formationen wie Attac Parteien um Längen. 2001 sympathisierten bereits 63 Prozent der Bevölkerung in Deutschland mit den Zielen der Globalisierungskritiker, die in Genua gegen den G8-Gipfel demonstrierten.

Lange durch ihre Unterschiede gespaltene Linke haben endlich wieder ihre Gemeinsamkeiten betont. Die Bewegung hat neue Schichten angezogen und Brücken zu den Gewerkschaften geschlagen.

Wenn es uns gelingt, den Sammlungscharakter dieser Bewegung mit dem Reformprogramm einer „Sozialstaatspartei“ zu verbinden, können wir eine erfolgreiche Partei werden.

So eine Verbindung verstehe ich als „Partei neuen Typs“. In dem Artikel „Der SPD droht neues Unheil von links“ stellt das Fachmagazin politik & kommunikation eine aktuelle Umfrage vor, nach der 3 Prozent 2006 „mit Sicherheit“ die ASG wählen werden. 19 Prozent würden es „in Erwägung ziehen“.

Klaus Ernst äußert sich besorgt, dass „durch die Einbeziehung des äußersten linken Spektrums der Zugang zu neuen Mitgliedern und Wählerschichten [verbaut wird], die für Mehrheiten unerlässlich sind.“ Er argumentiert, dass die Partei vor allem durch prominente Gewerkschafter mediale Aufmerksamkeit bekommen hat.

Es stimmt, dass die ASG in unserer Gründungsphase der Medienstar war. Ein Grund war, dass viele SPD-Mitglieder und Gewerkschafter an der Gründung beteiligt waren. Wir bekamen solche Aufmerksamkeit, weil wir ausgedrückt haben, was viele in der Bewegung gegen Sozialabbau und in den traditionell eng mit der SPD verbundenen Gewerkschaften dachten – dass der Erhalt des Sozialstaates mit der SPD nicht mehr zu machen ist.

Die DGB-Spitze hat damals ihre Mitglieder gegen Rot-Grün zu Protesten gegen die Agenda 2010 mobilisiert. Am europäischen Aktionstag gegen Sozialabbau am 3. April 2004 haben in ganz Deutschland 500.000 Gewerkschafter, Erwerbslose und Aktivisten der globalisierungskritischen Bewegung gegen den Sozialabbau der Regierung demonstriert und die Zeitungen waren voll mit Artikeln über die „neue Linkspartei“.

Dass wir heute nicht mehr auf einer Welle von Medienberichten reiten, liegt vor allem daran, dass es wichtigen Teilen der Gewerkschaftsführungen – wenn auch mit Mühe – gelungen ist, die Reihen hinter Schröder wieder zu schließen und eine nennenswerte Beteiligung an weiteren Protesten abzublasen. Am deutlichsten verkörpert DGB-Chef Sommer diese Kapitulation, der angesichts von „Globalisierung“ und „demografischem Wandel“ keine Alternative zur neoliberalen Regierungspolitik sieht.

Nicht die „Linke“ in der ASG ist für diesen Gegenwind verantwortlich, sondern die Veränderung der politischen Lage und auch die bloße Existenz der ASG, die nicht mehr nur eine Idee ist, sondern in NRW zur Wahl steht.

Wir werden bei den kommenden Wahlen unser Potenzial nur erreichen, wenn wir massenwirksam aktuelle politische Themen aufgreifen. Das ist uns noch nicht gelungen. Wir können es schaffen, wenn in den kommenden Wochen und Monaten viele Mitglieder überall in Deutschland auf der Straße stehen, um direkt mit den Betroffenen und Interessierten über Alternativen zum rot-grünen Sozialabbau zu diskutieren.

Die vielen Gewerkschafter, die der ASG beigetreten sind, sind ein wichtiges Fundament der Partei. Ebenfalls wichtig sind aber auch die Menschen, die uns Kontakt zu anderen Bevölkerungs- und Wählerschichten ermöglichen: Initiativen, die sich in den Stadtteilen gegen Sozialabbau wehren, Migrantenorganisationen genauso wie Verbände von Studierenden und globalisierungskritische Netzwerke. Sie sind wichtige Verbündete der Gewerkschaften im Kampf um den Erhalt und Ausbau des Sozialstaates.

Jede weitere Person, die wir dafür gewinnen, in ihrem Stadtteil oder ihrer Universität die ASG als politische Alternative zu Rot-Grün aufzubauen, ist wichtig. Das verstehe ich unter einer „Sammlungsbewegung“. Die bloße Zusammenfassung von bereits vorhandenen linken Organisationen wäre in der Tat zu wenig.

Ich teile die Auffassung der anderen Gründungsmitglieder der ASG, die argumentieren, dass wir keine Neuauflage der „alten“ Sozialdemokratie und des „alten“ Sozialstaats brauchen, sondern „eine ‚Erneuerung’ und den Ausbau des Sozialstaats und eine neue politische Kultur (…), die den veränderten Bedingungen des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt“.

Dafür brauchen wir keine Abgrenzung von einzelnen Gruppen und Strömungen. Wir brauchen eine Vereinbarung über unsere gemeinsamen Grundlagen – das konsensfähige Reformprogramm.
Dabei brauchen wir einen gemeinsamen politischen Willen, um Vereinbarungen darüber zu treffen, wie unsere Kandidaten und Mandatsträger bei aller Unterschiedlichkeit einheitlich nach außen auftreten können. Administrative Maßnahmen sollte sich die Partei für Einzelfälle vorbehalten, falls gemeinsame Vereinbarungen bewusst gebrochen werden.

Das Potenzial für einen Erfolg ist da – nutzen wir es.

Dieser Beitrag wurde unter Linkspartei, Parlament & Wahlen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.