Das Nein ist der Startschuss

Aus der Kampagne gegen die EU-Verfassung geht Europas Linke gestärkt hervor. Jan Maas sprach mit Aktivisten aus Frankreich und den Niederlanden.

Appell der 200

Mit dem Appell der 200 hat im letzten Herbst die gemeinsame Kampagne gegen die EU-Verfassung in Frankreich begonnen. 200 Erstunterzeichner haben darin erklärt, warum sie die Verfassung ablehnen.

Sie sagen Nein, weil sie ein demokratisches Europa wollen. In der Verfassung behebt jedoch nicht das Demokratiedefizit. Sie enthält ein neoliberales Programm, das Privatisierungen und den Abbau von sozialen und Umweltschutzregelungen vorschreibt. Aufgrund des Demokratiedefizits ist eine Änderung kaum möglich, ohne die gesamte Verfassung zu kippen.

Sie sagen Nein, weil sie ein soziales Europa wollen. Die Verfassung bedeutet jedoch uneingeschränkten Wettbewerb, der Staaten und Konzerne antreibt, den härtesten Sozialabbau und die niedrigsten Löhne durchzusetzen.

Sie sagen Nein, weil sie ein Europa der sozialen und demokratischen Rechte wollen. Die Verfassung garantiert aber kaum soziale Grundrechte. Zum Beispiel fehlt ein Recht auf Arbeit, wodurch in Zukunft Rechte auf solidarische und staatliche Unterstützung in Frage gestellt werden können.
Sie sagen Nein, weil sie ein friedliches Europa wollen. Die Verfassung verpflichtet die Mitgliedsstaaten auf die NATO und zur Aufrüstung. Kriegseinsätze auf der ganzen Welt sollen möglich werden.

Mehr Infos: www.transform-network.org/download/Solidarity_with_the_French_Left_NO_ger.pdf

Die Abstimmungen in Frankreich und den Niederlanden haben eine klare Ablehnung der EU-Verfassung ergeben und damit ein zentrales Projekt der Herrschenden in Europa vorerst zu Fall gebracht. Das ist ein großer Erfolg für alle, die sich einem Europa der Billiglöhne und der militärischen Aufrüstung widersetzen wollen.

Aber der Kampf für ein soziales Europa hat erst begonnen. Europaweit bereiten Aktivisten weiteren Widerstand und Diskussionen über die Zukunft Europas vor. Die Mehrheit der Menschen will keinen Sozialabbau mehr, aber die Regierungen planen weitere scharfe Angriffe auf die sozialen Standards.

In den nächsten vier Wochen treffen sich die führenden Staats- und Konzernchefs zwei Mal in Europa: Erst am 16. und 17. Juni in Brüssel zum EU-Gipfel und dann vom 6. bis 8. Juli in Schottland zum Gipfel der G8, der acht mächtigsten Staaten.

Gegen beide Gipfel werden Zehntausende auf die Straße gehen, um zu zeigen, dass sie eine Alternative zum Sozialabbau in ihren Ländern, aber auch zu Hunger und Krieg auf der ganzen Welt wollen.

Für den 25. und 26. Juni laden die französischen Vertreter des linken Neins europaweit zu einer großen Konferenz ein. Sie wollen dort darüber beraten, wie die Verfassung endgültig beseitigt und ein soziales und demokratisches Europa aussehen und erkämpft werden kann.

„Wir verlangen, dass Chirac seine Unterschrift unter der Verfassung zurückzieht“, sagte Elisabeth Gauthier von der Leitung der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) gegenüber Linksruck. Sie war an führender Stelle in der Kampagne gegen die EU-Verfassung aktiv. „Wir haben gesagt: entweder er beugt sich, oder er muss sich ersetzen lassen. Das würde Neuwahlen bedeuten.“

Die Ablehnung der Verfassung hat die EU und die Regierungen ihrer Mitgliedsstaaten in eine Krise getrieben. Ihrer Politik im Interesse der Konzerne haben die Menschen eine Abfuhr erteilt.

Dieser Erfolg ist das Ergebnis engagierter Kampagnen, in denen verschiedenste Gegner eines Kapitalismus pur zusammengearbeitet haben. In der Auseinandersetzung um die Verfassung stand immer wieder die Basis der Führung von Parteien, Gewerkschaften, und Staaten gegenüber.

Die französische Regierung hatte mit aller Kraft versucht, ein Nein zur EU-Verfassung zu verhindern. Sie lud Bundeskanzler Schröder und den spanischen Ministerpräsidenten Zapatero ein, um öffentlich für die Verfassung zu werben. Dann hat sie den Präsidenten der Europäischen Kommission Barroso wieder ausgeladen, um den Gegnern nicht neue Argumente zu liefern.

„Unsere Kampagne war ein Kampf der Ameisen gegen die vereinte Meinungsmacht des Staates, der Medien und der beiden großen Parteien“, meint Elisabeth.

Ähnliches berichtet Pepijn Brandon von der Zeitung De Socialist aus den Niederlanden: „Die Kampagne der Regierung für ein Ja war aggressiver als ein Wahlkampf. Die Beteiligung war um die Hälfte höher als bei der letzten Europawahl. Unter diesen Bedingungen ist es erstaunlich, dass 62 Prozent gegen die Verfassung gestimmt haben.“

Voraussetzung für die Erfolge in Frankreich und den Niederlanden war die intensive Zusammenarbeit der linken Gegner der Verfassung. Die gemeinsame Kampagne hat die Linken zusammengebracht wie kaum zuvor.

Innerhalb der Linken ist das Nein in der Mehrheit: 98 Prozent der KPF-Wähler, 63 Prozent der Grünen-Wähler und 58 Prozent der Wähler der PS, die in etwa der SPD entspricht, waren gegen die Verfassung.

„Nach dem Wahlkampf für die Europawahl 2004 haben wir im Herbst den von der Stiftung Copernic initiierten so genannten Appell der 200 verbreitet. Damit haben wir das Signal gesetzt, dass eine gemeinsame Kampagne von sehr unterschiedlichen linken Kräften geführt werden konnte“, erzählt Elisabeth.

Unter den 200 ersten Unterzeichnern waren bekannte Intellektuelle, Gewerkschafter, Repräsentanten der globalisierungskritischen Bewegung, Vertreter von Parteien wie der KPF und der kämpferischen linken Revolutionären Kommunistischen Liga (LCR).

Anfangs waren die Befürworter der Verfassung in der Mehrheit. Dann bildeten sich im Zuge des Appells der 200 im ganzen Land Komitees. Sie klebten Plakate für die Kampagne, verteilten Flugblätter und klärten in zahllosen kleinen und oft auch sehr großen Veranstaltungen über die EU-Verfassung auf. Nach einer internen Abstimmung schloss sich das gesamte Attac-Netzwerk der Kampagne an.

Weitere interne Abstimmungen über die EU-Verfassung fanden bei den Grünen und der PS statt. Beide Parteien waren heftig zerstritten. Obwohl die Führung der PS immer wieder ihr Ja bekräftigte, stimmten bereits im Dezember 42 Prozent ihrer Mitglieder dagegen.

Da die Führung der PS nicht von ihrem Kurs abließ, begannen viele Mitglieder mit dem Appell und den Komitees zusammenzuarbeiten. Viele Grüne schlossen sich an, nachdem ihre Parteiführung sich für das Ja ausgesprochen hatte. Auch Prominente wie der ehemalige Ministerpräsident Fabius warben öffentlich für ein linkes Nein.

„Wichtig waren auch die Gewerkschafter“, meint Elisabeth. „Die vier Gewerkschaften FSU, SUD, CGT und FO nahmen offiziell gegen die Verfassung Stellung. Auch die Mitglieder der Gewerkschaften CFDT und UNSA, die sich offiziell positiv ausgesprochen hatten, stimmten mehrheitlich dagegen. In der CGT waren es vor allem die Mitglieder und die Einzelgewerkschaften, die den kritischen Ton angaben. Die Vorsitzenden von FSU und SUD traten sehr kämpferisch in der öffentlichen Debatte auf.“

Ähnliches berichtet Pepijn über die Gewerkschaften in den Niederlanden. „Offiziell sind die Gewerkschaften neutral. Aber der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes ist im Fernsehen aufgetreten und hat gesagt, die Verfassung sei gut für ein soziales Europa.

Das haben ihm seine Mitglieder nicht geglaubt. Zwei Wochen vor der Abstimmung hat der Gewerkschaftsbund eine Onlineumfrage auf seine Homepage gestellt. Das Ergebnis war so eindeutig gegen die Verfassung, dass sie die Umfrage nach zwei Tagen wieder von der Homepage genommen haben.

Kurz vor dem Referendum haben Gewerkschafter vor dem Gewerkschaftstag protestiert und dazu aufgerufen, mit Nein zu stimmen. Einer von ihnen war der Vorsitzende der Hafenarbeitergewerkschaft.

Die Hafenarbeiter waren in letzter Zeit sehr aktiv. Vor über einem Jahr haben sie durch einen Streik Billiglöhne in den Häfen verhindert. Die wussten schon, was die EU-Verfassung für alle bringen sollte.“

Die Arbeitspartei, die Sozialdemokraten der Niederlande, waren ebenso gespalten wie die PS in Frankreich. „Die Hälfte der Mitglieder hat mit Nein gestimmt, und einige ehemalige Minister haben öffentlich dafür geworben, die Verfassung abzulehnen.“

Verglichen mit Frankreich war die Kampagne in den Niederlanden eher klein. In Frankreich war die Zahl der Komitees kurz vor dem Referendum auf 1.000 angewachsen und die Stimmung politisiert. „Menschen haben die hunderte Artikel der Verfassung in der Pariser Metro auf dem Weg zu Arbeit gelesen“, berichtet Nick Barrett von der LCR.

Umfragen aus der letzten Woche vor dem Referendum zeigen, dass 12 Prozent den fast 200 Seiten umfassenden Text, der eigentlich nur für Juristen und Beamte lesbar ist, „vollständig oder zu großen Teilen“ und 46 Prozent „in Auszügen“ gelesen hatten.

Elisabeth meint: „Viele kannten die Verfassung besser als manche Abgeordnete. Durch das Internet konnten wir schnell auf die Argumente der Befürworter antworten und durch die Komitees konnten wir unsere Argumente weit verbreiten. Wir haben von allen Seiten behandelt, was die Verfassung bedeutet: Für die öffentlichen Dienste, in den Betriebe, für die Schulen, für die Grundrechte, für die Frauenrechte und vieles mehr.“

Nur die KPF hatte, da sie im Parlament vertreten ist, die Möglichkeit, für das linke Nein Fernsehspots zu senden. Die Partei entschied, ihre Sendezeit mit den anderen Vertreter der gemeinsamen Kampagne zu teilen.

Rechte Kräfte haben in der Kampagne kaum eine Rolle gespielt, berichtet Pepijn aus den Niederlanden. „Natürlich haben manche Leute auch nationalistische Ideen im Kopf. Aber die organisierte Rechte war praktisch unsichtbar in der Kampagne.

Die meisten Menschen haben das Referendum als Abstimmung über neoliberale Politik und die konservative Regierung gesehen.

Jedes Mal, wenn der Ministerpräsident im Fernsehen für die EU-Verfassung geworben hat, gingen danach die Umfragewerte für das Nein hoch.“

Auch das französische Nein war links. „Umfragen zeigen, dass der geplante Beitritt der Türkei zur EU praktisch keine Rolle gespielt hat. Die Befürworter haben uns als antieuropäisch, rückschrittlich oder ausländerfeindlich dargestellt, um den Menschen Angst zu machen. Sie haben eher eine Kampagne gegen das Nein geführt als für die Verfassung“, erinnert sich Elisabeth.

„Dass die Menschen nicht antieuropäisch sind, zeigt auch die Tatsache, dass 63 Prozent eine neue Verfassung wollen.“

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