Den Osten verkauft

Seit 15 Jahren Jahren ist der Osten das Billiglohnland der West-Konzerne. Das Ergebnis sind hohe Profite und hohe Arbeitslosigkeit.


Stillgelegte Fabrik in Gotha. Auf die Wiedervereinigung folgte die größe Deindustrialisierung in der deutschen Geschichte

„Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber“, schimpfte der bayerische CSU-Ministerpräsident Stoiber über die Ostdeutschen, weil derzeit 33 Prozent von ihnen Linkspartei.PDS wählen würden.

Der Zuspruch für die Linkspartei.PDS ist nicht Folge der angeblichen Dummheit der Ostdeutschen, sondern der 15-jährigen Erfahrung mit den wirklichen Metzgern Ostdeutschlands –den Vorständen westdeutscher Konzerne. Beim Zerschlagen der ostdeutschen Wirtschaft wurden sie erst von der Kohl-Regierung und ab 1998 von Rot-Grün unterstützt.

Gleich nach der Wende kauften große Unternehmen ostdeutsche Betriebe, vernichteten Arbeitsplätze und senkten die Löhne. Im Sommer 1990 waren 1 Million Ostdeutsche arbeitslos. Jede Woche kamen 25.000 dazu.

In den folgenden Jahren musste die Hälfte der 150.000 Handwerksbetriebe schließen. Bis Ende 1991 waren zwischen 40 und 50 Prozent aller Arbeitsplätze verschwunden.

Die Industrieproduktion in Ostdeutschland wurde zwischen 1989 und 92 um 69 Prozent gesenkt, das Bruttoinlandprodukt fiel um ein Drittel.

Noch nie wurden in Deutschland so schnell, so viele und so große Betriebe geschlossen. Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Deutschland noch 57 Prozent der Wirtschaftskraft aus der Zeit vor dem Krieg.

Die Ursache war die Krise der Weltwirtschaft ab 1989. Die USA und Großbritannien befanden sich in der Rezession. Mitte 1989 verlangsamte sich auch das Wachstum in Deutschland.

Die Exporte sanken, besonders im Maschinenbau. Die Bosse blieben auf ihren Waren sitzen. Eine Überproduktionskrise begann.

Durch die Wiedervereinigung konnten westdeutsche Konzerne der Krise kurze Zeit entkommen. Durch die Währungsunion hatte die westdeutsche Wirtschaft 16 Millionen neue Kunden, die mit D-Mark bezahlen konnten. Gleichzeitig übernehmen West-Konzerne ihre ostdeutschen Konkurrenten.

Dabei wurden die modernsten und konkurrenzfähigsten Betriebe, beispielsweise im Maschinenbau, als erste geschlossen. Sie waren die größten Konkurrenten für die westdeutsche Wirtschaft.

Die billige Übernahme der ostdeutschen Betriebe organisierte die Treuhandanstalt. In ihrem Verwaltungsrat versammelten sich die Spitzen der westdeutschen Banken und Konzerne.
Im August 1990 macht der Ministerrat der DDR den westdeutschen Manager Rohwedder vom Stahlkonzern Hoesch zum Präsidenten der Treuhand. Bei Hoesch hatte er in acht Jahren fast die Hälfte der Angestellten entlassen, um mehr Profit zu erreichen.

Die Treuhand verkaufte die DDR-Industrie zu symbolischen Beträgen von einer Mark. 85 Prozent der ostdeutschen Industrie gingen an westdeutsche Konzerne, 10 Prozent an ausländische Käufer.

BASF aus Ludwigshafen kaufte eine Kaliumsulfat-Düngerfabrik in Dorndorf. Kaliumsulfat war als Dünger weit besser als das westdeutsche Produkt. BASF löste Mitte 1991 die Sulfatfabrik in Dorndorf auf und baute drei Monate später eine Sulfatanlage im westdeutschen Philippsthal. Die Konkurrenz war erledigt, die Monopolstellung von BASF in ganz Deutschland erreicht.

Innerhalb von zwei Jahren legten Treuhand und Konzerne die Hälfte des ostdeutschen Maschinenbaus still, 70 Prozent der Büromaschinenherstellung und 80 Prozent der Optik und Feinmechanik. 1991 sagte der Treuhand-Manager Odewald: „Wenn alles gut geht, wird man uns vorwerfen, zu billig verkauft zu haben.“

Ende 1994 löste sich die Treuhand auf. Sie hatte umgerechnet 60 Milliarden Euro Schulden angehäuft.

Die Arbeitslosigkeit schwankt seitdem um 20 Prozent. In manchen ehemaligen Industriestandorten liegt sie bei 50 Prozent.

Viele Menschen hofften nach der Wiedervereinigung, dass der Lebensstandard der Ostdeutschen auf das Niveau im Westen steigt. Tarifverträge regelten die langsame Angleichung der Löhne im Osten an den Westen.

Die Bosse wollten jedoch nicht erfüllen, was Kohl versprochen hatte. Sie wollten die Vereinigung nur, um ihre Profite zu steigern.

1993 drohten die Metallbosse, einen Tarifvertrag zu kündigen, der eine Lohnerhöhung im Osten um 26 Prozent vorsah. Die Gewerkschaft IG Metall schlug diesen Angriff mit einem Streik im Osten zurück. Die Erhöhung wurde verschoben, aber sie sollte kommen.

Die Öffnungsklauseln, die mit dem neuen Tarifvertrag vereinbart wurden, hatten schwere Folgen. Auf ihrer Grundlage blieb die Spaltung zwischen Ost und West bestehen.

Viel Ostdeutsche sind aus Angst vor Arbeitslosigkeit bis heute bereit, Löhne unter Tarif hinzunehmen. In über der Hälfte der Betriebe arbeiten die Menschen ganz ohne Tarifvertrag. Ostdeutschland ist zur Billiglohnzone geworden.

Deshalb hat sich der Anteil der Armen im Osten verglichen mit 1990 fast vervierfacht. Damals sprachen sich 77 Prozent der Ostdeutschen für die Marktwirtschaft aus. Heute sind es 23 Prozent.

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