Lula in der Sackgasse

Der brasilianische Präsident Lula wollte einen Dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus gehen. Jetzt macht er Politik für die Konzerne. Dafür erntet er Protest.


Lulas Versuch, den Bruch mit dem Neoliberalismus aus der Regierung heraus einzuleiten, ist gescheitert.

„Wir wollen regieren“, sagte Oskar Lafontaine kürzlich zu den politischen Perspektiven der Linkspartei. Er hält eine Regierungsbeteiligung bei den Wahlen 2009 für realistisch.

„Ich will regieren“, sagte vor drei Jahren auch Luis Ignazio da Silva, genannt Lula, in Brasilien. Im Oktober 2002 gewann der ehemalige Metallarbeiter die Präsidentschaftswahlen in Brasilien. Kurz darauf wurde seine Partei, die Partido dos Trabalhadores (Arbeiterpartei), kurz PT, in den Parlamentswahlen stärkste Kraft.

Im Wahlkampf versprach Lula ein soziales Brasilien: „Meine Regierung wird für die Ausgeschlossenen da sein, die Verachteten, die Unterdrückten.“ Der Kampf gegen die Armut werde das wichtigste Ziel seiner Regierung sein.

Millionen, vor allem in den Armenvierteln, feierten Lulas Wahlsieg. Bis dahin waren brasilianische Präsidenten Industrielle oder reiche Banker gewesen. In den 80er Jahren regierte eine brutale Militärdiktatur. Gewerkschaften und Streiks waren verboten. Lula war damals Streikführer in der Metallindustrie und musste deshalb ins Gefängnis. Sein Kampf gegen die Diktatur brachte ihm viele Sympathien ein.

In kaum einem anderen Land ist die Kluft zwischen Arm und reich so groß wie in Brasilien. Die reichsten zehn Prozent besitzen 50 Prozent des Reichtums, die ärmsten 10 Prozent der Bevölkerung nur 1 Prozent.

Laut der offiziellen brasilianischen Armutsstatistik hat ein Drittel der Bevölkerung, rund 50 Millionen Menschen, „nicht die finanziellen Möglichkeiten, um genug Nahrungsmittel zu kaufen, um Unterernährung abzuwenden“.

Dabei ist Brasilien kein Entwicklungsland, sondern die mit Abstand größte Volkswirtschaft Lateinamerikas und die zehntgrößte der Welt. Das Land ist einer der größten Exporteure von Agrargütern wie Kaffee, Soja und Hühnerfleisch. Große Konzerne wie VW und General Motors betreiben rund um Sao Paolo Fabriken. Brasilien hat auch eigene Hochtechnologiekonzerne und exportiert Computer, Flugzeuge und Raketen. Reichtum ist also vorhanden, die Verteilung aber sehr ungerecht.

Die Politik von Lulas Vorgänger Cardoso verschärfte die Ungleichheit und brachte das Land in starke Abhängigkeit von internationalen Banken und dem Internationalen Währungsfond IWF.

Cardoso hatte seit 1994, getreu den Leitlinien des IWF, die Wirtschaft des Landes für internationale Konzerne geöffnet und staatliche Betriebe massenhaft privatisiert. Er rechtfertigte seine Politik mit der Behauptung, sein Sparkurs schaffe Vertrauen in die brasilianische Wirtschaft und locke Anleger an. Doch 2002 zogen Spekulanten ihr Geld panikartig aus Brasilien ab. Der Wert der brasilianischen Währung Real fiel innerhalb von sechs Monaten um 50 Prozent. Gleichzeitig gingen die brasilianischen Exporte um 6 Prozent zurück.

Banker in aller Welt fürchteten eine weltweite Krise, falls die brasilianische Wirtschaft zusammenbräche. Deshalb sagte der IWF Brasilien einen Kredit von 30 Milliarden Dollar zu. Damit erhöhten sich die Gesamtauslandsschulden des Landes auf die gewaltige Summe von 250 Milliarden Dollar. Brasilien zahlt mit zehn Prozent auf seine Auslandsschulden die dritthöchsten Zinssätze der Welt. Der Schuldendienst schluckt fast die Hälfte des brasilianischen Staatshaushalts.

Der Milliardendeal mit dem IWF wurde noch kurz vor Lulas Regierungsübernahme beschlossen. An der Regierung hatte Lula nun die Wahl: Entweder den Schuldendienst einstellen und seine sozialen Programme finanzieren. Oder weiter an den IWF zahlen und weiter bei den Armen kürzen.

In der Vergangenheit hatte Lula mehrfach angekündigt, an der Regierung den Schuldendienst einzustellen. Seine Begründung: Die Schulden hatten Banken und Spekulanten dem Land eingebrockt. Deshalb sei es ungerecht, dass die Bevölkerung dafür gerade stehen solle.

IWF-Offizielle fürchteten, dass Lula sich mit den anderen Schuldnerstaaten zusammentun könnte, um gemeinsam Schulden und Zinshöhe neu zu verhandeln Ein plötzlicher, koordinierter Zahlungsstopp der Schuldnerländer hätte die großen Banken empfindlich getroffen und sie zu Zugeständnissen gezwungen.

So eine Aktion hätte nicht nur in Brasilien, sondern in ganz Lateinamerika die Rückendeckung der Bevölkerung gehabt. Auf dem ganzen Kontinent hatten in den Jahren zuvor die Menschen gegen neoliberale Politik, gegen den IWF und die eigenen Regierungen protestiert. Mehrere Regierungen wurden durch Volksaufstände gestürzt. Lulas Wahlsieg selbst war das Ergebnis einer Protestwelle. In Rahmen der Proteste hatten mehr als 5 Millionen Brasilianer die Forderung der Landlosenbewegung MST unterstützt, die Schuldenzahlung einzustellen.

Die Angst der Banker, Lula könnte die Politik seines Vorgängers beenden, erwies sich als unbegründet. Hatte Cardoso 2002 noch 41 Prozent des Haushalts für den Schuldendienst ausgegeben, steigerte Lula diesen Anteil 2003 auf 54 Prozent.

Die dafür notwendigen Gelder holte er über Kürzungsprogramme rein. Das größte Projekt dabei war eine Rentenreform nach dem Vorbild der „Riester-Rente“ in Deutschland. Teile der Rente wurden privatisiert, die Rente gesenkt und Beiträge ebenso wie das Renteneintrittsalter heraufgesetzt. Das groß angekündigte Programm zur Armutsbekämpfung mit dem Namen „Null Hunger“ verschwand in der Schublade.

Im Wahlkampf hatte Lula eine große Landreform angekündigt. Deshalb hatte die Bewegung der landlosen Bauern MST alle ihre Aktivisten mobilisiert, um Lula im Wahlkampf zu helfen

Die ungerechte Landverteilung ist eines der drängendsten sozialen Probleme des Landes. 90 Prozent des Ackerlandes konzentriert sich in den Händen von 27.000 Großgrundbesitzern. Die 20 größten Agrarbarone besitzen so viel wie 3,3 Millionen Kleinbauern. Große Flächen liegen brach, während Hunderttausende landlose Bauern keinerlei Möglichkeit haben sich zu ernähren.

Die Landreform sollte eine grundlegende Änderung bringen. Lula beauftrage einen der bekanntesten linken Intellektuellen Brasiliens, Plinio Sampaio, damit, die Reform zu entwerfen.

Sampaio traf sich mit Vertretern der MST und präsentierte einen wirklich tief greifenden Plan: 1 Million Familien sollten in einem Zeitraum von 3 Jahren auf brachliegendem Land angesiedelt werden. Die Kosten schätzte er auf 8 Milliarden Euro.

„Zu teuer“, protestierte Lula unter dem Druck der Großgrundbesitzer. „Ein Land, das jedes Jahr 40 Milliarden Euro zur Schuldentilgung ausgibt, kann sich diese Reform leisten“, erwiderte Sampaio. Doch sein Plan wurde von der Regierung verworfen und stattdessen ein Reförmchen beschlossen. 117.500 Familien wurden bisher angesiedelt, gleichzeitig aber 70.000 Bauern im Auftrag der Großgrundbesitzer durch Schlägertrupps von besetztem Land vertrieben. 50 Bauern wurden dabei ermordet.

Seinen Anhänger erklärt Lula seine Kehrtwende so: „Wir sind eine Regierung im Übergang. Unser Ziel ist ein Bruch mit dem Neoliberalismus, ist soziale Gerechtigkeit. Doch ohne das Vertrauen der internationalen Anleger und ohne Investitionen gibt es keine Zukunft für Brasilien.“ Deshalb müsse die Regierung die Schulden weiter bezahlen und die heimische Wirtschaft bei Laune halten. Das entstehende Wirtschaftswachstum könne dann im zweiten Schritt in soziale Programme umgesetzt werden.

Die Erfahrungen der letzten Jahre widerlegen seine Behauptung. Lulas Politik hat zwar tatsächlich die internationalen Anleger erfreut. 2004 wuchs die brasilianische Wirtschaft um 5,2 Prozent, so stark wie seit 10 Jahren nicht mehr. Spielräume für soziale Politik sind dadurch aber nicht entstanden. Weil als Investitionsanreiz die Unternehmenssteuern gesenkt wurden, gibt es trotz Wachstum nicht mehr Geld in der Staatskasse. Die hohen Zinsen verhindern einen spürbaren Abbau der Schulden. Der Bevölkerung geht es jetzt schlechter als bei Lulas Amtsantritt.

Schlimmer noch: Das brasilianische Wirtschaftswachstum beruht auf dem Vertrauen der Manager, dass Lula seine Politik der Steuersenkungen und des Sozialabbaus weitertreibt. Das brasilianische Wirtschaftswachstum beruht auf der Senkung von Löhnen und Sozialleistungen. Deshalb wird dieses Wachstum die sozialen Probleme nicht lösen, sondern verschärfen.

Aufgrund der Kürzungen und der niedrigen Lohnabschlüsse, die der von der PT kontrollierte Gewerkschaftsverband CUT durchsetzt, stagniert die Binnenwirtschaft. Das Wachstum ist vollständig vom Export abhängig. Jeder Einbruch in der Weltwirtschaft würde Brasilien schwer treffen und die Lage der Brasilianer dramatisch verschlechtern.

Lula versprach seinen Anhängern einen „Dritten Weg“ zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Sein Weg ist in einer Sackgasse geendet. Da Lula nicht wagte, die Banken zu konfrontieren, tanzt er jetzt nach ihrer Pfeife. Sein Versuch, den Bruch mit dem Neoliberalismus aus der Regierung heraus einzuleiten, ist gescheitert.
In Deutschland beginnt jetzt die Debatte über die künftige politische Ausrichtung der neuen Linskpartei. Die Erfahrung mit Lula in Brasilien spricht gegen eine Regierungsübernahme.

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