Keine Welt für Menschen

Der Dokumentarfilm „Lost Children“ erzählt von den körperlichen und seelischen Wunden, die Kindersoldaten aus dem Krieg davontragen.

Jennifer ist 14 Jahre alt. Mehr als ein Drittel ihres Lebens hat sie als Kindersoldatin im ugandischen Bürgerkrieg gekämpft. Rebellen entführten das Mädchen und zwangen es zu töten. Jennifer trug mehrere Schussverletzungen davon; immer wieder wurde sie vergewaltigt. Eines Tages gelang es ihr zu fliehen.

Sie kam in ein Auffanglager der Caritas in der Siedlung Pajule in Nord-Uganda. Hier versuchen Sozialarbeiter, ihr und anderen entkommenen Kindersoldaten eine Rückkehr in ein normales Leben zu ermöglichen.

Der Dokumentarfilm „Lost Children“ erzählt von den Schicksalen dieser Kinder. Neben Jennifer haben sich die Regisseure Ali Samadi Ahadi und Oliver Stoltz auf die Jungen Francis, Kilama und Opio konzentriert. Den vier Kindern ist gemein, dass sie im Bürgerkrieg von Uganda kämpfen mussten. Dieser Krieg tobt seit fast zwanzig Jahren. Sowohl die Regierungstruppen als auch die Rebellen der LRA („Widerstandsarmee des Herrn“) setzen Kindersoldaten ein und terrorisieren die Zivilbevölkerung. Über hunderttausend Menschen sind bislang umgebracht worden, 1,4 Millionen – vor allem Frauen und Kinder – wurden aus ihren Heimatdörfern vertrieben. Insgesamt müssen allein in Uganda 20.000 Kinder kämpfen; weltweit gibt es 300.000 Kindersoldaten.

„Lost Children“ ist ganz aus der Sicht von Jennifer, Francis, Kilama und Opio erzählt. Ahadi und Stoltz bearbeiten nicht die Hintergründe des ugandischen Bürgerkriegs. Ihr Film ergreift weder für die Regierung noch für die Rebellen Partei. Stattdessen stellt er die Frage, wie es den Kindern gelingt, mit den körperlichen und seelischen Wunden, die ihnen im Krieg geschlagen wurden, weiterzuleben.

Francis musste der grausamen Hinrichtung zweier Kindersoldaten, die zu fliehen versuchten, zusehen. Kilama wurde von seinem Kommandanten dazu gezwungen, eine Frau vor den Augen ihrer Tochter zu ermorden. Jede Nacht wird er von Albträumen heimgesucht, in denen er diese Tat wieder und wieder begehen muss.

In einer der erschütterndsten Szenen von „Lost Children“ erzählt Opio, wie Kindern befohlen wurde, das Gehirn eines getöteten Soldaten zu essen. Auf die Frage, ob sie das Gehirn roh essen mussten, bricht er in Gelächter aus: Das sei aber eine dumme Frage, natürlich mussten sie es roh essen und sogar den Schädel sauber lecken.

Aber „Lost Children“ macht auch Hoffnung. Der Film zeigt, wie die ehemaligen Kindersoldaten langsam wieder zu spielen lernen. Wie sie beginnen, erneut von der Zukunft zu träumen: Jennifer will Näherin werden, Kilama zur Schule gehen. Und die Regisseure erwecken Bewunderung für die Sozialarbeiter von Pajule, die Tag und Nacht versuchen, den Kindern im Auffanglager zu helfen, und sie trotz aller Gefahren zu ihren Familien im Bürgerkriegsgebiet zurückbringen.

Insgesamt ist „Lost Children“ eine bittere Anklage gegen alle, die Kriege führen, um ihre Macht und ihren Reichtum zu vergrößern. Am Ende des Films wird wohl jeder Zuschauer den Worten des Sozialarbeiters John Bosco zustimmen: „Das ist keine Welt, in der ein Mensch leben sollte.“

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