Die Linkspartei, die WASG und der Kampf gegen Neoliberalismus

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In der Berliner WASG dominiert die Debatte über die Strategie und Taktik der WASG zu den Abgeordnetenhauswahlen 2006. Im Zentrum der Debatte steht die Kritik der Regierungspolitik der Linkspartei. Was macht die Linkspartei in Berlin falsch?

Die Wähler der Linkspartei erhofften sich mehr soziale Gerechtigkeit. Jetzt macht die SPD-Linkspartei-Landesregierung das Gegenteil: Die SPD und mit ihr die Minister der Linkspartei privatisieren, wie die anderen Regierungen in Bund und Land, Krankenhäuser, Kindertagesstätten, Wohnungsbaugesellschaften, Wasserbetriebe und öffentlichen Nahverkehr. Sie vernichten Arbeitsplätze und kürzen die Löhne im öffentlichen Dienst.
Diese Politik stieß auf den breiten Widerstand von Gewerkschaften, Schülern und Eltern, Studierenden und sozialen Projekten. Leider stand die Führung der Linkspartei in Berlin trotz ihrer sozialen Rhetorik oft auf der anderen Seite. Das ist keine linke Politik. Damit muss Schluss sein.
Die Linkspartei hat ihre Möglichkeiten in der Regierung in keinerlei Weise gegenüber der SPD ausgereizt und die Bevölkerung nicht für soziale Ziele mobilisiert. Im Gegenteil: Die Parteiführung der Linkspartei, um Finanzsenator Harald Wolf und den Vorsitzenden der Linkspartei Berlin Stefan Liebich, versuchen, die Kürzungsmaßnahmen im Stile neoliberaler Politik an der Seite der SPD durchzusetzen. Sie haben damit ihre eigenen Wähler verunsichert und demoralisiert.

Wolf und Liebich verteidigen diese Politik mit dem Hinweis auf den maroden Berliner Haushalt. Sie sagen, die Linke dürfe sich vor dem Wählerauftrag nicht drücken und müsse Verantwortung übernehmen.

Als Linke müssen wir zwei Ebenen unterscheiden. Die Erste betrifft die Frage, ob die Linke überhaupt in eine Regierung reingehen sollte, deren Finanzspielraum gleich null ist. Das ist in Berlin der Fall.
Wir denken, es ist ein Fehler, sich in dieser Situation an einer Regierung zu beteiligen. Das ist den Wählern gegenüber verantwortungslos.
Die Linkspartei hat sich für die Regierungsbeteiligung entschieden und hier kommt die zweite Ebene ins Spiel. Was macht sie in einer solchen Situation? Welche Möglichkeiten hat sie unter diesen Bedingungen einer Regierungsbeteiligung, die sozialen Bedingungen zu verbessern und das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der Arbeiterklasse zu verschieben?
Auch hier hat die Führung der Linkspartei unserer Meinung nach versagt. Sie greift nicht das Kapital an, sondern ihre eigene Wählerbasis. Das hat nichts mit Verantwortung zu tun.

Liebich sagt, man sei wegen der Schulden Berlins zu Kürzungen in Milliardenhöhe gezwungen: „Konsolidierung ist kein neoliberales Teufelszeug, sondern Bedingung für soziale Gerechtigkeit.“

Wenn Liebich davon spricht, dass Konsolidierung eine Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit ist, hat er Recht. Wir brauchen Geld, damit wir mehr Schulen, Kitas, Arbeitsplätze, etc. schaffen können.
Aber der Haushalt in Berlin ist aus eigener Kraft nicht zu sanieren. Die Schulden Berlins betragen über 50 Milliarden Euro. Bei der Berliner Bankgesellschaft schlummern weitere Finanzrisiken in Milliardenhöhe.
Selbst durch die härtesten Sparmaßnahmen, schlimmste Gebührenerhöhungen und Lohnverzicht im öffentlichen Dienst ist der Schuldenberg Berlins nicht abzutragen. Eine Entschuldung Berlins und anderer Kommunen (die Verschuldung aller Kommunen beträgt zusammen 443 Milliarden) ist nur durch eine konsequente Umverteilungspolitik im Bund zu bewerkstelligen.
Um das zu erreichen, ist die Mobilisierung der ganzen Bevölkerung für eine gerechtere Steuerpolitik erforderlich. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Regierungsbeteiligung der Linkspartei in Berlin kontraproduktiv. Denn Haushaltskonsolidierung bedeutet, dass die Linkspartei diejenigen angreift, die sie gegen die Interessen des Kapitals mobilisieren sollte.

Aber was kann die Linkspartei denn anders machen? Gibt es andere Möglichkeiten zur derzeitigen Form der Haushaltskonsolidierung?

Ja. Zum Beispiel, wenn man die Politik der Privatisierung rückgängig macht. Zwar hat die Stadt durch Privatisierungen einmalig höhere Einnahmen. Mittel- und langfristig werden dadurch jedoch nur neue Kosten und Probleme auf die Stadt zukommen.
Denn durch den Verkauf von Krankenhäusern, Wohnungsbaugesellschaften, dem öffentlichen Nahverkehr, Kitas, etc. an Kapitalgesellschaften schwächt die Stadt ihre Gestaltungsmöglichkeit gegenüber dem Kapital. Das bedeutet, die Gebührengestaltung, die Investitionsplanung, die Tarifpolitik, etc. der Entscheidungsgewalt der Stadt zu entziehen.
Dass die Führung der Linkspartei dem zugestimmt hat, ist eine wirkliche Bankrotterklärung. Ein anderes Beispiel sind die Zinszahlungen an die Banken. Diese betragen jährlich ca. 2,4 Milliarden Euro.
Eine linke Landesregierung hätte die Möglichkeit, die Zinszahlungen zu verweigern, um eine Entschuldung durch den Bund zu erzwingen. Die Linke könnte dies politisch nutzen und die Bevölkerung gegen die Bereicherung der Banken mobilisieren.

Ist das nicht unrealistisch?

Nein. In hoch verschuldeten Ländern der Dritten Welt haben die Menschen bereits erfolgreich Erpressungsversuche der mächtigen internationalen Kreditinstitute bekämpft: Im bolivianischen Cochabamba gingen vor fünf Jahren tausende Menschen auf die Straße, weil Durchschnittsverdiener ein Drittel ihres Einkommens für Wasser ausgeben mussten.
Die Regierung hatte die Wasserversorgung zuvor auf Druck der Weltbank an einen US-Konzern verkauft. Nachdem die Bewohner vier Tage gestreikt und die Stadt zum Stillstand gebracht hatten, stellte die Regierung die Wasserversorgung wieder unter öffentliche Kontrolle und senkte die Preise. Es war ein Teilerfolg für die Bolivianer gegen die vom Internationalen Währungsfonds geforderten brutalen Kürzungen der staatlichen Ausgaben.
Auch in Deutschland haben Menschen erfolgreich gegen den Ausverkauf des öffentlichen Dienstes und gegen Sozialabbau im Namen der Haushaltskonsolidierung gekämpft. In Düsseldorf und Münster sammelten Gewerkschafter, Globalisierungskritiker und soziale Projekte 97.700 Unterschriften und verhinderten 2001 die Privatisierung der Stadtwerke.
In Baden-Württemberg haben die Beschäftigten von vier Unikliniken gestreikt und die geplanten massiven Lohnkürzungen zurückgeschlagen. Vom Widerstand ihrer Kollegen ermutigt, kämpfen auch die Angestellten de Berliner Uniklinik Charité gegen die Angriffe des Berliner Senats.
Die Führung der Linkspartei Berlin sollte die Seiten wechseln und die Stadt zur Speerspitze des Widerstands gegen die Kürzungen von Bundes- und Landesregierungen machen. Nur wenn hunderttausende an den Türen des Reichstags rütteln, kann die große Koalition gezwungen werden, Reiche und Unternehmensgewinne höher zu besteuern, damit die Länder mehr Geld haben.

Die Parteiführung der Linkspartei behauptet aber, es gebe Zustimmung für die Politik der Haushaltskonsolidierung des rot-roten Senats. Als Beweis führen sie die guten Wahlergebnisse bei den Bundestagswahlen im September an.

Bei den Bundestagswahlen hat die Linke in Berlin mehr Stimmen gewonnen, das ist richtig. Das gilt jedoch nur für den Westen. In den Ostbezirken ist die Linkspartei gegenüber den letzten Abgeordnetenhauswahlen von 48 Prozent auf 30 Prozent abgerutscht.
Unsere Interpretation ist, dass die Dynamik des gemeinsamen Antrittes von Linkspartei und WASG und die Hoffungen, die in ein neues linkes Projekt gesetzt werden, der Linkspartei trotz der Regierungspolitik in Berlin im Westen Zuwächse ermöglicht haben. Diese Interpretation stützt sich auch auf die Tatsache, dass die Linkspartei seit ihrem
22,6-Prozent-Hoch bei den Abgeordnetenhauswahlen 2001 in Umfragen auf bis zu 9 Prozent im April 2003 abgestürzt ist. Nach der gemeinsam mit der WASG erfolgreichen Bundestagswahl liegt sie jetzt bei 16 Prozent. Die Bildung der neuen Linken hat die Linkspartei Berlin vor Schlimmerem gerettet.

Das lag an der WASG?

Es lag am gemeinsamen Projekt. Dazu gehören sowohl Linkspartei als auch WASG. Die Ankündigung des früheren SPD-Finanzministers Oskar Lafontaine hatte Signalwirkung. Die WASG konnte so ins gewerkschaftliche Milieu ausstrahlen und wütende SPD-Wähler und Nichtwähler an sich binden.
Es ist eine Fehleinschätzung der Linkspartei-Führung in Berlin, dass der Stimmenzuwachs eine Bestätigung für den Haushaltskonsolidierungskurs der SPD-Linkspartei-Landesregierung ist. Nach Meinungsumfragen von 2004 sind 78 Prozent der Berliner unzufrieden mit der Politik der Landesregierung.

Warum seid ihr trotz eurer Kritik an der Regierungspolitik der Linkspartei für einen gemeinsamen Antritt bei den Abgeordnetenhauswahlen 2006?

Weil wir eine bundesweite, politisch weit ausgreifende, neue Linke wollen. Diese soll die Linkspartei einschließen, aber auch darüber hinausgehen: Gewerkschafter, Aktivisten der globalisierungskritischen Bewegung, Vertreter der Erwerbslosen-Bewegung, der Friedens- und Umweltbewegung, aus Kirchen und Sozialverbänden und alle Interessierte an einer gemeinsamen neuen Linken gegen den Neoliberalismus.
Wir denken, dass der politische Streit über die Frage der Regierungsbeteiligung nicht nur ein Streit zwischen WASG und Linkspartei ist. In beiden Parteien gibt es Kritiker und Befürworter der Regierungsbeteiligung.
Auch Lafontaine meint, die Regierungsbeteiligung der Linkspartei in Berlin würde Schlimmeres verhindern. Dieser Streit lässt sich nicht durch Spaltung von WASG und Linkspartei lösen, sondern nur durch gemeinsame Debatte.
Ein gemeinsamer Antritt eröffnet die gemeinsame Debatte. Ein eigenständiger schneidet die WASG zunächst davon ab und schwächt diejenigen in der Linkspartei, die eine Beteiligung an einer Regierung des Sozialabbaus ablehnen.

Ist die Linkspartei überhaupt links oder ist sie eher neoliberal?

Die Linkspartei ist in Berlin Teil einer neoliberalen Regierungspolitik. Auch in Mecklenburg-Vorpommern übt sie sich in Armutsverwaltung, Haushaltskonsolidierung und dem damit einhergehenden Sozialabbau.
Gleichzeitig ist die Linkspartei immer auch Teil bundesweiter Protestbewegungen gegen Krieg, Rassismus und die Auswirkungen neoliberaler Politik gewesen. Die Demonstrationen gegen die „Agenda 2010“ und die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV sind ein gutes Beispiel hierfür.
Viele Mitglieder der Ortsvereine und Bezirksgruppen der Linkspartei haben diese Demonstrationen aktiv mit aufgebaut, im Gegensatz zur SPD. Aber auch in anderen Bereichen unterscheidet sich die Linkspartei von einer neoliberalen Partei wie zum Beispiel der FDP. Die Linkspartei ist ein wichtiger Akteur im Kampf gegen die Nazis und sie war die einzige Partei, die sich gegen die Verlängerung des Bundeswehrmandats in Afghanistan ausgesprochen hat. Eine neoliberale Partei würde das nicht tun.

Aber die Unterstützer der Regierungsbeteiligung sind in der Linkspartei Berlin in der Mehrheit. Es gibt keine Rebellion in der Linkspartei, trotz der außerparlamentarischen Proteste in Berlin.

Das ist richtig. Wolf und Liebich konnten sich durchsetzten. Das liegt auch daran, dass viele Wortführer der innerparteilichen Opposition sich zurückgezogen oder die Partei verlassen haben.
Wolf und Liebich haben einen sehr rigiden Stil, wie sie die Partei führen. Genossinnen und Genossen aus der Linkspartei, die Kritik äußern, haben es nicht einfach. Trotzdem hat die Linkspartei wegen dieser Entwicklungen ihr kritisches Potenzial nicht verloren.
Unterhalb der Vorstandsebene gibt es Kritik an dem Kurs der Partei und das nicht nur in Berlin. Zu empfehlen das Buch „Wer? Für wen? Wohin“ zur kritischen Bestandsaufnahme der Regierungsbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern, für das der Ehrenvorsitzende der Linkspartei Hans Modrow das Geleitwort geschrieben hat.
Ein weiteres Beispiel ereignete sich in den letzten Wochen in Dresden. Dort trat im September die Vorsitzende der Linkspartei, Ingrid Mattern, zurück, weil sie keine Mehrheit mehr für ihre Politik der Privatisierung in der Partei fand. Während zuerst Teile der Stadtratsfraktion für einen Totalverkauf des kommunalen Wohnungsunternehmens Woba stimmten, unterstützte die Partei ein Bürgerbegehren gegen diesen Beschluss.
Diese Widersprüche in der Linkspartei gilt es zu nutzen. Die Schwäche der Opposition innerhalb der Linkspartei in Berlin macht klar, wie wichtig die WASG ist.
Die WASG ist auch eine Hoffung für viele Mitglieder und Wähler der Linkspartei. Je stärker wir die WASG machen, je mehr Mitglieder die WASG hat, desto schwieriger wird es für Wolf und Liebich, ihre Politik fortzusetzen. In Bezug auf einen Politikwechsel der Linkspartei stehen wir vor einer längeren Auseinandersetzung, die nicht durch schnelle Abspaltung der radikalen Linken gewonnen werden kann.

Müssten wir bei einem gemeinsamen Antritt, die Regierungspolitik der Linkspartei schönreden? Müssten wir bei einem gemeinsamen Antritt Flugblätter der Linkspartei verteilen, in denen sie den Sozialabbau rechtfertigt?

Nein. Erstens stehen die Verhandlungen über den Wahlkampf noch aus. Hier schlagen wir ein Kooperationsabkommen mit der Linkspartei vor, in dem das Wahlprogramm und die Kandidatenaufstellung für die Abgeordnetenhauwahl 2006 geregelt sein müssen.
Dieses Abkommen muss in angemessener Weise die WASG berücksichtigen. Darüber hinaus ist die WASG eine eigenständige Partei und wird mit eigenem Material und eigenem Profil Wahlkampf führen. Die WASG kann sich dadurch auszeichnen, dass sie die außerparlamentarischen Proteste unterstützt, unter anderem die der Beschäftigten der Charité.
Im Wahlkampf würden wir als WASG politische Alternativen zur jetzigen Regierungspolitik in Berlin aufzeigen. Wir würden dies in solidarischer Auseinandersetzung und nicht im Frontalangriff auf die Linkspartei tun. Wir würden in unserem Wahlkampfmaterial aufzeigen, dass wir mit Protest mehr erreichen können als mit Haushaltskonsolidierung.
Die Vorrausetzungen sind viel besser als beim Bundestagswahlkampf. Die WASG wird durch die hoffentlich erfolgreichen Wahlkämpfe in Baden-Württemberg, Hessen und
Rheinland-Pfalz politisch gestärkt sein.

Machen wir uns unglaubwürdig, wenn wir gemeinsam mit der Linkspartei antreten? Sie ist an einer Regierung, die Sozialabbau betreibt und wir als WASG haben beschlossen, uns an keiner Regierung zu beteiligen, die Sozialabbau betreibt oder eine solche zu tolerieren.

Gemeinsam mit der Linkspartei im Wahlkampf anzutreten, bedeutet nicht, dass die WASG damit einen Blanko-Scheck für eine Regierungsbeteiligung ausfüllt. Im Gegenteil: Eine wesentliche Bedingung für einen gemeinsamen Antritt von WASG und Linkpartei in Berlin ist der Verzicht der Linkspartei auf eine Koalitionsaussage für die SPD.
Damit erschweren wir eine mögliche Fortsetzung der SPD-Linkspartei Kürzungsregierung. Hat die WASG im gemeinsamen Wahlkampf Kandidaten, hat es die Führung der Linkspartei um Liebich und Wolf schwerer.
Wir führen den Streit um die politische Ausrichtung der Linken dann nicht mehr von außen, sondern von innen, gemeinsam mit den Genossinnen und Genossen der Linkspartei. Das verbessert die Ausgangsbedingungen für einen politischen Kurswechsel in Berlin. Unglaubwürdig machen wir uns eher, wenn wir nicht mit aller Kraft den gemeinsamen Antritt von WASG und Linkspartei einfordern. Die meisten Menschen verstehen nicht, warum es eine Spaltung in Berlin geben sollte.

Wenn die WASG eigenständig antritt, könnte sie 8 Prozent bekommen. Dann wäre der Druck auf die Regierungspolitik der Linkspartei noch größer.

Wir sind nicht pauschal gegen einen eigenständigen Antritt. Sollte sich die Linkspartei nicht auf die WASG, die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zu bewegen oder sollte sie eine Koalitionsaussage für die SPD machen oder sollte sie keine aussichtsreichen Listenplätze in angemessener Zahl für WASG-Mitglieder und Repräsentanten der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen bereitstellen, behalten wir uns vor, eigenständig anzutreten.
Dass die WASG allein 8 Prozent bekommen würde, ist unwahrscheinlich. Denn der Erfolg von WASG und Linkspartei bei der Bundestagswahl entstand im Wesentlichen durch die Dynamik, die vom gemeinsamen Antritt ausging.
Vor den Berliner Abgeordnetenhauswahlen gibt es einige Landtagswahlen, bei denen die Linkspartei gemeinsam mit der WASG antritt und andersherum. Das ist ein Zeichen der Einheit.
Diese neue Einheit der Linken zieht die Menschen an. Viele denken, Linkspartei und WASG hätten sich schon vereinigt. Sie hoffen auf eine gemeinsame neue Linke, die weder alte SPD noch alte PDS, sondern eine neue Kraft gegen Neoliberalismus ist.
Ein eigenständiger Antritt ist nicht unmöglich, aber die schlechtere Alternative, weil es schwierig wäre, eine differenzierte Kritik an der Politik des Berliner Senates zu äußern, ohne pauschal als Anti-Linkspartei zu wirken.
Wir könnten dann sehr leicht als Wahlkampf gegen das Projekt einer gemeinsamen neuen Linkspartei wahrgenommen werden. Manche in der WASG wollen diese gemeinsame neue linke Partei auch gar nicht.
Aber ohne diese neue Linke katapultiert sich die WASG ins Abseits und führt eine massive Einengung ihrer sozialen Basis herbei. Der eigenständige Antritt, ohne bundesweite Unterstützung, wird nicht zur Stärkung der WASG Berlin führen. Im Gegenteil ist die Gefahr groß, dass wir uns als Kritiker der Regierungspolitik in Berlin vom gemeinsamen Prozess einer neuen Linken abschneiden.

Wäre das schlecht?

Ja, weil wir einen starken bewegungsorientierten Flügel in der neuen Linken brauchen. Die Aussicht auf eine gemeinsame neue linke Kraft macht Millionen Menschen Hoffungen.
Tausende sind deswegen bei der WASG Mitglied geworden. Das ist auch für die radikale Linke eine große Herausforderung. Denn die Frage, ob eine Regierungsbeteiligung gut oder schlecht ist, stellt sich nicht nur für die Linkspartei.
Die Auffassung, über eine Regierungsbeteiligung größeres Übel verhindern zu können, ist auch in der WASG verbreitet. In der Linken sind diese politischen Auseinandersetzungen nicht neu.
Schon Rosa Luxemburg diskutierte darüber. Ihre Konsequenz war: Parlament ja, Regierung nein. Die Frage der Regierungsbeteiligung ist ein politischer Streitprozess.
Die Linke sollte dabei Mehrheiten dafür gewinnen, dass politische Veränderungen durch Parlamentsarbeit nur in Verbindung mit den außerparlamentarischen Protesten wirksam sein können. Wir müssen ebenso möglichst viele davon überzeugen, dass wir den Kapitalismus stürzen müssen, wenn wir eine gerechtere Welt haben wollen. Das wird jedoch nicht von heute auf morgen passieren. Sozialisten sollten geduldig aufklären und nicht ungeduldig spalten.

Ist Linksruck gegen eine Urabstimmung im Februar?

Ja. Eine Urabstimmung der WASG Berlin im Februar über den eigenständigen Antritt lehnen wir aus drei Gründen ab: Erstens teilen wir die Ansicht des Bundesvorstandes, dass eine frühzeitige Entscheidung für einen eigenständigen Antritt vor den Landtags- und Kommunalwahlen am 25. März 2006, die Erfolgsaussichten der WASG und der Linkspartei schmälern wurde. Die anderen Parteien und die rechten Medien würden die Spaltung in Berlin als Einladung benutzen, um die Linkspartei und die WASG anzugreifen. Die Rechten und Neoliberalen in Deutschland würden sich die Hände reiben, weil die Linke sich spaltet, während die große Koalition den Sozialstaat platt walzt.
Das hervorragende Abschneiden bei den Bundestagswahlen kam durch die Ausstrahlungskraft einer gemeinsamen Linken, trotz Regierungsbeteiligung in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Eine Spaltung in Berlin würde diese Ausstrahlungskraft dämpfen.
Zum Zweiten ist angesichts dieser Situation nicht gesichert, dass bei der Urabstimmung im Februar wirklich eine breite Mehrheit für einen eigenständigen Antritt ist. Viele WASG-Mitglieder sind unsicher und auch wir würden uns im Februar gegen einen eigenständigen Antritt einsetzen.
Eine Urabstimmung im Februar bedeutet, dass die Berliner WASG sich gegen den Bundesvorstand und gegen den Wunsch vieler WASG-Mitglieder in den anderen Bundesländern wenden würde. Eine Urabstimmung für einen eigenständigen Antritt, ohne eine riesige Mehrheit in der WASG Berlin, würde uns schwächen statt stärken.
Drittens spielen wir denjenigen in der Linkspartei in die Hände, die keine starke anti-neoliberale Linke wollen, sondern auf Haushaltskonsolidierung setzen. Sie können uns als Spalter hinstellen. Dabei werden sie prominente Unterstützung von Lafontaine und Gysi, den Zugpferden des Wahlkampfes, bekommen. Die Kritiker der Regierungspolitik in Berlin, hätten es schwieriger, nicht leichter, um bundesweit für Unterstützung für ihre Linie zu kämpfen.

Könnte der WASG Bundesparteitag uns verbieten eigenständig anzutreten, wenn wir den eigenständigen Antritt nicht vorher beschließen?

Der Bundesparteitag tritt nicht zusammen, um eigenständige Antritte von Landesverbänden zu verhindern. Wie schon beim eigenständigen Antritt der WASG Nordrhein-Westfalen im Mai, können wir die Entscheidung über eine eigenständige Kandidatur in Berlin auf einem Länderrat nach einer Urabstimmung in Berlin treffen, wenn sie notwendig werden sollte.

Ist eine Urabstimmung Ende März nicht zu spät?

Wir denken, dass die Linkspartei Berlin unter starkem Druck steht und die Bedingungen, eine Neuauflage der SPD-Linkspartei-Regierung zu legitimieren, von Tag zu Tag schlechter werden. Die Zeit spielt für uns. Vor allem wegen der großen Koalition im Bund.
Je länger die WASG wartet, desto besser. Im Frühjahr wird es bundesweite Demonstrationen gegen die große Koalition unter Beteiligung der Linkspartei geben. Im März sind die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, sowie Kommunalwahlen in Hessen. Ein gutes Abschneiden wird wie bei den Bundestagswahlen die Stimmung nach links verschieben und wird als Wahl gegen Sozialabbau interpretiert werden.
All das erhöht weiter den Druck auf Liebich und Wolf und ihren Kurs der Haushaltskonsolidierung. Auch Ende März hat die WASG genug Zeit, eine eigene Liste mit Kandidaten aufzustellen, vorausgesetzt die Linkspartei bewegt sich nicht, was wir nicht hoffen.

Wie sollen wir die nächsten Monate arbeiten?

Die Linke muss jetzt in die Offensive kommen. Die Wut über die große Koalition im Bund ist groß. Wir müssen den Menschen zeigen, dass wir anders sind als die alte SPD und die alte PDS.
Das hieße zum Beispiel, im Frühjahr die geplanten bundesweiten Demonstrationen gegen die große Koalition voll mit aufzubauen. Wir wollen, dass auch die Linkspartei in Berlin diese Demonstration mir all ihrer Kraft unterstützt. Sie kann dies benutzen, um auf die miserable Situation des Berliner Haushaltes aufmerksam zu machen und der Forderung nach einer wirklichen Reichensteuer zu mehr Unterstützung verhelfen.
Auch in der Auseinandersetzung mit Wolf und Liebich in Berlin wird die Demonstration der Linken helfen. Das erhöht den Druck. Gleichzeitig bieten uns die Diskussionsforen zwischen WASG und Linkspartei eine gute Möglichkeit, in solidarsicher Debatte über Alternativen zur Berliner Haushaltskonsolidierung und über die Stärkung des außerparlamentarischen Protestes mit der Linkspartei zu diskutieren.
Hier kann die WASG auch den Mitgliedern der Linkspartei zeigen, dass es falsch ist, an der Regierungskoalition mit der SPD festzuhalten. Dies sollten wir verbinden mit dem Schulterschluss mit denjenigen, die gegen die Kürzungen, Privatisierungen und Stellenstreichungen der SPD-Linkspartei-Landesregierung sind, zum Beispiel mit den Kolleginnen und Kollegen der Charité. So kann die WASG mehr Mitglieder gewinnen und gestärkt in die Verhandlungen mit der Führung der Linkspartei gehen. Im März 2006 können wir dann in Ruhe entscheiden, welchen Weg die WASG in Berlin gehen möchte.

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