Keine Billiglöhne durch die Hintertür

Hinter geschlossenen Türen verhandelt: Wie die EU-Regierungen sich über Proteste gegen Lohn- und Sozialdumping hinwegsetzen wollen.


Rumänische Gewerkschafterinnen protestierten im März Seite an Seite mit Kolleginnen aus EU-Ländern gegen die Bolkestein-Richtline

Weltweit wehren

13. bis 18. Dezember 2005: Proteste gegen die WTO-Ministerkonferenz in Hongkong
14. Januar 2006: Demo gegen die Bolkestein-Richtlinie in Straßburg
Januar bis März 2006: Weltsozialforum in Afrika (Bamako, Mali, 19. bis 23. Januar), Amerika (Caracas, Venezuela, 24. bis 28. Januar) und Asien (Karatschi, Pakistan, März)
6. bis 9. April 2006: Europäisches Sozialforum in Athen
Juli 2006: G8-Gipfel in St. Petersburg
Juli 2007: G8-Gipfel in Heiligendamm
Mehr Infos: www.weltsozialforum.org, www.fse-esf.org, www.attac.de

Gegen die nach dem ehemaligen EU-Kommissar Bolkestein benannte Dienstleistungsrichtlinie sind im März 2005 zehntausende Gewerkschafter in Brüssel auf die Straße gegangen. Die EU-Regierungen verschoben sie auf unbestimmte Zeit.

Doch nun steht fest: Mitte Januar soll sie im europäischen Parlament verabschiedet werden. Dafür sprechen sich auch CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag aus.

Manche EU-Staaten fordern nach den Protesten eine völlig neue Richtlinie. Andere Regierungen, wie die große Koalition, wollen sie nur in einigen Punkten überarbeiten, kritisiert Linkspartei-Abgeordnete Ulla Lötzer: „Die Regierung spricht sich nicht einmal konsequent gegen das Herkunftslandprinzip aus.“

Das Herkunftslandprinzip ist einer der wichtigsten Kritikpunkte an der Richtlinie. Es bedeutet, dass Firmen, die Dienstleistungen in einem anderen Land erbringen, nur den gesetzlichen Regelungen ihres Herkunftslands unterliegen.

Kontrollen wären kaum mehr durchführbar. Sie sollen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur noch den entfernten Behörden im Herkunftsland erlaubt sein. Diese dürften daran kaum Interesse haben, weil sie von den Wettbewerbsvorteilen ihrer Unternehmen profitieren.

Damit sich die Konzerne aus den nationalen Rechtssystemen immer das günstigste aussuchen können, soll die Niederlassungsfreiheit gleich mit liberalisiert werden. So können Betriebe schnell reagieren, wenn ein Land seine Standards senkt, um im Wettbewerb mitzuhalten.

Ein Unternehmen bräuchte nur seinen formalen Sitz zu verlagern, um diese Regelung auszunutzen. Oder es beauftragt eine ausländische Firma, die es dazu vielleicht selbst gegründet hat, und schon kann es die am Ort geltenden höheren Anforderungen umgehen.
Der Kampf um soziale Mindeststandards würde damit schwierig werden. Die Richtlinie macht es möglich, die europäischen Gewerkschaften gegeneinander auszuspielen.

Bietet ein Unternehmen eine Dienstleistung grenzüberschreitend an, ist für die Beschäftigten die Gewerkschaft des formalen Herkunftslandes zuständig. Auch die Regeln zur Wahl eines Betriebsrats oder dessen Rechte richten sich nach dem formalen Herkunftsland – selbst wenn vor Ort nur inländische Beschäftigte arbeiten.

Attac sieht in der Dienstleistungsrichtlinie einen „Anschlag auf das europäische Sozialmodell, der zu einer Abwärtsspirale um die niedrigsten Standards führt“. Die Globalisierungskritiker rufen deshalb europaweit zu Protesten im Februar in Straßburg auf.

Über zwei Drittel der Arbeiter in Europa arbeiten im Dienstleistungssektor. Wenn die Richtlinie verabschiedet wird, können sie in Zukunft leichter erpresst werden.

Die große Koalition opfert ihren Mindestschutz den Profiten multinationaler Dienstleistungsunternehmen. Ganz vorne mit dabei: Ehemalige deutsche Staatskonzerne wie Post, Telekom und Bahn.

Die Post ist zum größten Logistikkonzern der Welt geworden, während sie zehntausende Stellen gestrichen und in Billigjobs umgewandelt hat. Die Bundesregierung ist also treibende Kraft zur Schaffung eines globalisierten Dienstleistungsmarktes.

Unser Standpunkt: Nein zum Europa der Konzerne! Eine Frage der Stärke
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