„Ich bin nicht schwul oder so“

Behutsame Studie über 20 Jahre heimliche Liebe zwischen zwei Cowboys. Zu Recht mit x Oscars ausgezeichnet.

Hintergrund: Bitte nicht im Kino

Es gibt schwule Filme, seit es Filme gibt. Schon 1919, als die deutsche Revolution den Kaiser gestürzt hatte, drehten Schwulenrechtler „Anders als die andern“. Der Film erzählt die Geschichte eines Schwulen und fordert Toleranz und rechtliche Gleichstellung. Die Nazis verboten diesen und ähnliche Filme.
Die Hollywood-Studios hielten sich an den „Hayes-Code“, wonach „kein Film hergestellt werden soll, der die moralischen Standards senkt.“ Küsse durften höchstens 1,5 Sekunden dauern. Sexuelle Beziehungen zwischen Menschen des gleichen Geschlechts oder verschiedener Hautfarben waren verboten.
In den 60er Jahren durchbrach die Schwulenbewegung das Schweigen. 1961 zeigte „Victim“ mit Dirk Bogarde, dass einige Gesetze schwule Männer zu Zielscheiben für Mobbing machen. Filme wie dieser bereiteten den Weg für eine andere Darstellung von Homosexualität.
In den 70er Jahren wurde das Kino von linker Politik, der Schwarzen- und der Antikriegsbewegung beeinflusst. „Tod in Venedig“ von 1970 ist die einfühlsame Erzählung der Begeisterung eines älteren Schriftstellers für einen männlichen Teenager. Die „Rocky Horror Picture Show“ feiert 1975 den Bruch mit sexuellen Normen.

„Ich sehe mir den Film nicht an. Wer garantiert mir, dass ich hinterher nicht schwul werde“, schrieb Satiriker Larry David in der New York Times. Wahrscheinlich hält er seine Macho-Sprüche für lustig.

Einige Kinobetreiber erklärten, den Film nicht zu zeigen, nachdem rechte Organisationen, die behaupten, christlich zu sein, zum Boykott aufriefen. Ang Lees Trauerspiel über die Unterdrückung einer verbotenen Liebe beginnt 1963, doch es könnte auch heute spielen.

Im Sommer hüten die Saisonarbeiter Ennis Del Mar (Heath Ledger) und Jack Twist (Jake Gyllenhall) die Schafherde eines Ranchers und schlagen in der Einsamkeit von Wyomings Brokeback Mountain ihr Camp auf. Einer schläft im Zelt, einer wacht bei den Tieren.

Bis zu jener Nacht, in der Jack den frierenden Ennis zu sich holt. Eine beiläufige Berührung führt zu heftigem Sex.

Am Morgen tun beide den Zwischenfall als Fehltritt ab: „Ich bin nicht schwul oder so.“ „Ich auch nicht.“

Aber es fühlt sich richtig an und hier oben sieht es niemand. Dabei soll es bleiben.
Ennis heiratet seine Verlobte Alma, die Rodeo-Prinzessin Lureen erobert Jack. Beide werden Vater. Vier Jahre nach ihrem Sommerjob erhält Ennis überraschend eine Postkarte: Jack kommt zu Besuch.

Regisseur Ang Lee beschränkt sich auf eine knappe, drängende Sexszene und jenen Kuss, bei dem Ledger („Brothers Grimm“) seinem Partner Gyllenhaal („Jarhead“) fast die Nase brach. „Das kraftvollste an dieser Romanze ist, was wir nicht sehen“, weiß der Filmemacher. Was er hingegen schmerzhaft deutlich zeigt, ist die Verkümmerung von Menschen, die ihre Gefühle unterdrücken müssen.

Alle paar Jahre treffen sich die Liebenden in der Wildnis „zum Fischen“. Ein paar gestohlene Tage in Freiheit sind alles, was sie haben – 20 Jahre lang.

Jack will Ennis überreden, mit ihm eine kleine Farm zu kaufen. Doch Ennis erzählt ihm, was mit dem Nachbar-Rancher passierte, der mit einem Mann zusammenlebte. „Was du nicht ändern kannst, musst du aushalten“, sagt Ennis.

Brokeback Mountain ist ihr Paradies: Lee kontrastiert majestätische Landschaftsbilder mit der armseligen Enge von Ennis’ Wohnung und dem großzügigen, doch genauso verlogenen Wohlstands-Zuhause von Jack.

Warum macht gerade den Taiwanese Ang Lee eine Ballade auf den nordamerikanischen Westen? „Wir Asiaten sind ein indirektes Volk. Wir sagen nicht, was wir sagen möchten. Wir müssen andere Wege finden, uns auszudrücken.“ Tatsächlich ist „Brokeback Mountain“ eines der wortkargsten, indirektesten und gleichzeitig bewegendsten Plädoyers für das Recht auf schwule Liebe, das es jemals im Kino gab.

Nach dem katastrophalen „Hulk“ wurde Lee von solchen Selbstzweifeln gequält, dass er erwog, nie wieder zu drehen. „Brokeback Mountain“, ausgerechnet der Film, den er damals zu Gunsten des Comic-Spektakels abgesagt hatte, wurde seine Wiedergutmachung: ein Werk, so schlicht wie möglich gehalten, auf das Wesentliche reduziert, überwältigend in seiner Zurückhaltung.

Dazu trägt vor allem Ledger bei, als emotional verkrüppelter, bindungsunfähiger Ennis, der jedes Wort erstickt hervorpresst, „als würde er für die Toten singen“ (Lee). „Ich glaube daran, dass Filme die Macht haben, unsere Sichtweise zu verändern“, sagte Lee, als er seinen Golden Globe entgegennahm. Für „Brokeback Mountain“ könnte das stimmen.

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