Die Menschen wollen die Revolution

Linksruck sprach mit Rubén Linarez von der venezolanischen Gewerkschaft UNT über Präsident Hugo Chavez, den Sozialismus im 21. Jahrhunderts und die Gefahr einer Konterrevolution.


Anhänger von Hugo Chavez demonstrieren
in Caracas: „Ohne die Bewegung von unten hätte Chavez nicht viel erreicht,“ sagt der Gewerkschafter Ruben Linares

Die deutschen Medien stellen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez oft dar, als würde er den Menschen die Bolivarische Revolution aufzwingen. Stimmt das?

Rubén: Die Bolivarische Revolution ist ein Prozess, der seit dem Caracazo 1989 (siehe Kasten) andauert. Chavez ist ein Katalysator dieses Prozesses und ein Anführer dazu.
Doch der Prozess besteht aus einer Reihe von Elementen die auf den Zielen Simón Bolívars beruhen. Er führte im 19. Jahrhundert den südamerikanischen Unabhängigkeitskampf gegen die spanischen Besatzer und träumte von einem vereinten Lateinamerika. Unser zweites Vorbild ist Ezekiel Zamora, der gegen den Großgrundbesitz kämpfte.
Entlang dieser Ideale organisiert sich die arme Bevölkerung. Ohne diese Bewegungen hätte Chavez nicht viel erreicht.

Europäische Regierungen und US-Präsident Bush bezeichnen Chavez als „Populisten“.

In seinem Wahlkampf 1998 versprach Chavez die Einberufung einer Verfassungsgebenden Nationalversammlung. Sie setzte sich aus allen Bevölkerungsschichten zusammen und arbeitete eine Verfassung aus, der bei einer Volksabstimmung 72 Prozent der Venezolaner zustimmten.
Die meisten Menschen waren immer politisch und sozial ausgeschlossen. Das ist vorbei.
Seit Chavez Präsident ist, haben ausnahmslos alle Menschen Zugang zu kostenloser medizinischer Versorgung, wie es in der Verfassung festgeschrieben ist. Fast alle Leute, auch alte, konnten lesen und schreiben lernen.
Die Kinder und Jugendlichen bekommen in den kostenlosen Schulen und Hochschulen Frühstück und Mittagessen. Es gibt kaum noch Kinder, die auf der Straße leben müssen. Die Arbeitslosenquote wurde von über 20 auf 10 Prozent gesenkt.
Durch das Öl hat der venezolanische Staat schon immer viel Geld gehabt. Doch früher ist davon nichts bei den Armen angekommen. Heute bedeutet das Öl Integration. Wenn das Populismus ist, bin ich auch Populist.

Die Konzerne, Teile der Armee und die rechte Gewerkschaft haben mit Hilfe der US-Regierung mehrere Male versucht, Chavez zu stürzen. Ist die Revolution in Gefahr?

Das Land ist nach wie vor sehr polarisiert. Etwa 65 Prozent unterstützen den Präsidenten, doch die Massenmedien verbreiten Tag für Tag Lügen über die Regierung und Hetze gegen Chavez.
Als die Herrschenden merkten, dass sie unter Chavez Macht verloren, versuchten sie 2002, ihn mit einem Putsch zu stürzen. Doch die Soldaten, die sich am Putsch beteiligten, lernten damals eine wichtige Lektion: Die Menschen wollten die Bolivarische Revolution und verteidigten Chavez.
Heute schließen sich überall Menschen zusammen: in Gewerkschaften, Bauernverbänden oder Nachbarschaftsgruppen. Wir als Revolutionäre sind hauptsächlich in Gewerkschaften aktiv und unterstützen die Selbstorganisation.
Diese Organisationen fordern zum Beispiel Rechenschaft von den Behörden und beantragen andernfalls die Abwahl der Verantwortlichen. Man spürt, wie sich immer mehr Menschen am gesellschaftlichen Geschehen beteiligen.
Das bedeutet einerseits, dass die Menschen an Entscheidungen des Staates beteiligt werden. Wir wollen jedoch erreichen, dass immer mehr politische Aufgaben der demokratischen Kontrolle der Menschen unterstellt werden. Beides sind Grundsätze der Bolivarischen Revolution.

Die US-Armee hat vor der venezolanischen Küste vor kurzem einen Angriff geübt. Droht ein Krieg?

Die US-Marine führt öfter Manöver vor unserer Küste durch oder sie fahren mit einem Kriegsschiff vorbei. Damit wollen sie uns einschüchtern.
Zurzeit ist ein Angriff sehr unwahrscheinlich, weil die US-Armee in Irak genug Probleme hat. Wenn sie irgendwann angreifen, würden nicht nur die Venezolaner gegen sie kämpfen, sondern auch alle anderen linken Bewegungen in Lateinamerika, zum Beispiel die Piqueteros aus Argentinien. Die US-Regierung lügt, wenn sie behauptet, gegen Terrorismus vorgehen zu wollen.
Im Mai verhängten die USA ein Waffenembargo gegen Venezuela, mit der Begründung, Venezuela stünde beim Kampf gegen Terrorismus nicht auf ihrer Seite. Doch die USA weigern sich, Posada Carilles nach Venezuela auszuliefern. Er hat 1976 mit einem Anschlag auf ein kubanisches Flugzeug 73 Menschen ermordet.

Chavez, der kubanische Präsident Castro und der bolivianische Präsident Evo Morales stellen sich als Achse gegen die USA da und reden von „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ und „sozialistischer Revolution“. Gibt es diese wirklich?

Ja. Die Indios auf dem ganzen Kontinent stehen auf. Das ist keine Übertreibung.
Im Moment befindet sich der Prozess in der Phase, in der mit dem Neoliberalismus Schluss gemacht wird. Nach der Kolonialzeit, dem Rohstoffraub, den Diktaturen, der Ausbeutung durch multinationale Konzerne sagen die Menschen jetzt: „Nein! Es reicht! Wir wollen etwas ganz anderes!“
Venezuela ist ein sehr reiches Land, doch die Bevölkerung, bis auf eine winzige Minderheit, war immer arm. Das ist vorbei. Es gibt noch viel zu tun. Aber der Kampf ist in vollem Gange.

Nächstes Jahr findet in Deutschland der G8-Gipfel statt. Möchtest du den Aktivisten, die schon jetzt dagegen mobilisieren etwas mit auf den Weg geben?

Ja: Die Menschen auf der ganzen Welt kämpfen schon! Kämpft mit!

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