Das Ende der Sozialpartnerschaft

Hubertus Schmoldt, Chef der Gewerkschaft IGBCE, will nicht, das die Gewerkschaften am 21. Oktober demonstrieren. Doch seine Politik der Kooperation mit Bossen und Regierungen ist gescheitert.


Protest gegen den Auftritt von Angela Merkel beim DGB-Kongress am 24. Mai: Die Regierung lehnt einen Mindestlohn von 7,50 Euro, so wie ihn die Gewerkschaften fordern, ab

Am 21. Oktober will der DGB gegen die große Koalition demonstrieren. Dieser Beschluss hat innerhalb der Gewerkschaften zu heftigen Debatten geführt. Der SPD-nahe Chef der Gewerkschaft IGBCE Schmoldt lehnt die Proteste ab, weil dadurch der Eindruck entstehe, „die Gewerkschaften wollen dauerhaft Angebote zur Mitwirkung an der Regierungsarbeit ausschlagen“. Anstatt auf „französische Verhältnisse zu spekulieren“ sollten die Gewerkschaften „mit der schwarz-roten Bundesregierung Möglichkeiten der Zusammenarbeit nutzen und erproben“.

Damit schlägt Schmoldt eine Strategie der Kooperation mit Regierung und Unternehmern vor, die seit Jahren scheitert und der wesentliche Grund dafür ist, das die Gewerkschaften sich in der Krise befinden.

Noch unter der Kohl-Regierung beteiligten sich die Gewerkschaften am so genannten „Bündnis für Arbeit“. Sie erklärten sich bereit, auf Lohn zu verzichten, die Unternehmer sollten im Gegenzug Arbeitsplätze schaffen. Ein Erfolg war das Bündnis für Arbeit nur für das Kapital: Während die Löhne bis heute stagnieren, explodierten die Profite – während die Unternehmer weiter entließen.

Ein ähnliches Trauerspiel ist der so genannte „Ausbildungspakt“, in dem sich Unternehmer in Absprache mit Regierung und Gewerkschaften „selbst verpflichten“, mehr auszubilden. Nichts als hohle Worte – noch immer jedes Jahr fehlen mehrere Zehntausend Lehrstellen.

Auch die Geschichte der Kooperation mit der Regierung Schröder legt nicht nahe, dass die Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit der Regierung Ergebnisse im Sinne der Beschäftigten bringt. Gewerkschaftsvertreter waren unter Schröder in die verschiedenen Kommissionen zur Entwicklung von Gesetzen eingebunden – auch in die Hartz-Kommission, welche Hartz IV entwickelt hat.

Ergebnis war ein Gesetz, welches nicht nur Leid für die Betroffenen brachte, sondern auch die gewerkschaftliche Kampfposition massiv geschwächt hat. Die Angst vor dem sozialen Absturz bei Arbeitslosigkeit, die Hartz IV in die Belegschaften getragen hat, ist eine machtvolle Waffe in der Hand der Unternehmer um Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen durchzusetzen.

Diese Ergebnisse sind nicht einfach Ergebnis von mangelndem Verhandlungsgeschick der Gewerkschaften. Das Problem liegt tiefer: Das „rheinische Modell der Sozialpartnerschaft“ stand für eine Kooperation von Unternehmern und Gewerkschaften. In den Boomjahren der Nachkriegszeit wurden durch die Gewerkschaftsbewegung wichtige Elemente des jetzigen Sozialstaates errungen – wie die unter der Adenauer-Regierung eingeführte dynamische Rente. Die Grundpfeiler des Sozialstaates, wie die paritätische Finanzierung der Sozialkassen, die Absicherung gegen Verelendung und der Flächentarifvertrag blieben bis Mitte der 90er Jahre intakt.

Der Angriff auf diese Grundpfeiler, sowohl von Unternehmer- als auch von Regierungsseite ist das Hauptmerkmal unserer Zeit. Die Umverteilungspolitik der Großen Koalition, Schröders Agenda 2010 und Harz IV, Münteferings Rente mit 67, die partielle Einführung der 40-Stunden-Woche bei Siemens und Daimler, der Angriff auf die Arbeitszeiten im Öffentlichen Dienst – das alles ist Teil einer Großoffensive auf die arbeitende und arbeitslose Bevölkerung.

Den Kopf einzuziehen und zu hoffen, dass der Sturm auf die Sozialsysteme und Arbeitsbedingungen irgendwann nachlässt, ist sinnlos. Der Angriff wird nicht aufhören, weil er weder der persönlichen Bösartigkeit von Regierung und Unternehmern entspringt, noch Folge eines „neoliberalen Virus“ ist, welches die Herrschenden befallen hat und durch die „richtigen“ Wirtschaftsrezepte kuriert werden kann. Das Problem liegt tiefer. Ursache der jetzigen Angriffe ist die verschärfte weltweite Konkurrenz in einer Zeit weltweiter wirtschaftlicher Stagnation. Diese Stagnation hat weder erst kürzlich begonnen, noch ist sie nur ein Problem der deutschen Wirtschaft.

Der Nachkriegsboom endete Mitte der 70er Jahre. Seitdem sinken die Wachstumsraten. Betrug das Wachstum in den OECD-Staaten zwischen 1969 und 1973 jährlich 4,9 Prozent, so fiel es in den darauf folgenden Perioden auf 2,8 Prozent (1973-79), 2,6 Prozent (1979-90) und 2,4 Prozent (1990-97). Diese Stagnation umfasste mehr oder weniger alle großen Industriestaaten. Seit der ersten großen Rezession 1975 gab es in der BRD drei weitere Einbrüche (1982, 1993, 2001/2002). Nach jedem Einbruch wurde der darauf folgende Aufschwung flacher, die Arbeitslosigkeit höher.

Anders als von Wirtschaftswissenschaftlern behauptet, hat der Ausbruch dieser wirtschaftlichen Krisen mit einem „zuviel an Sozialstaat“ überhaupt nichts zu tun. In den letzten Jahren wurden Länder mit wenig oder gar keiner sozialstaatlichen Absicherung wie die USA, Argentinien oder Thailand ebenso von der Krise erfasst wie Deutschland oder Frankreich.

Bei einer anderen Frage ist der Sozialstaat allerdings entscheidend: Wer zahlt für die Krise? In den USA haben Ronald Reagan und seine Nachfolger es geschafft, durch die Schwächung der Gewerkschaften die Wirtschaft so umzustrukturieren, dass die Bevölkerung, insbesondere die abhängig Beschäftigten, für die Folgen der Krise aufkommen. Die Jahresarbeitszeit eines US-Arbeiters liegt um ein Viertel höher als die seines deutschen Kollegen. Die durchschnittlichen Reallöhne sind im Vergleich zur Mitte der 70er deutlich gesunken. Die rasche Verelendung bei Arbeitslosigkeit zwingt amerikanische Arbeiter jeden Job anzunehmen, was wiederum Druck auf die Löhne der noch Beschäftigten ausübt. Lebensrisiken wie Krankheit sind privatisiert – fast 40 Millionen Amerikaner haben keine Krankenversicherung. Vor zwanzig Jahren hatte die US-Bevölkerung die höchste Lebenserwartung – heute stehen Frauen in den USA bei der Lebenserwartung auf Platz 19, Männer auf Platz 28 – gleichauf mit Brunei.

Die Abwälzung der Kosten der Krise hat zwar die Krisenanfälligkeit der Weltwirtschaft nicht verringert, aber die Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Konzerne erhöht. Das wiederum schafft den Druck auf Regierung und Konzerne in Deutschland, den „amerikanischen Weg“ zu gehen – also weg mit dem Sozialstaat, runter mit den Löhnen, hoch mit der Arbeitszeit. Das steht hinter der „Rettung des Standort Deutschlands“.

Zu Ende gedacht bedeutet diese Politik, dass die Beschäftigten in aller Welt in einen Unterbietungswettbewerb um die schlechtesten Sozialstandards, die niedrigsten Löhne und höchsten Arbeitszeiten hineingezwungen werden. Die Grenze nach unten ist hier, die Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers – oder die Grenze, die durch die Gegenwehr der Beschäftigten gesetzt wird.

Deshalb sind die geplanten Proteste am 21. Oktober ein richtiger Schritt, um diesen Wettlauf nach unten von gewerkschaftlicher Seite etwas entgegenzusetzen. Sie müssten der Ausgangspunkt sein für größere Aktionen sein. Bewegung in Frankreich gegen das CPE hat gezeigt, das eine große Bewegung in der Lage ist, Sozialabbau effektiv zu bekämpfen. Aufgabe von Aktivsten in den Gewerkschaften ist, über den Aufbau der Proteste am 21. Oktober, den „französische Verhältnissen“, die Schmoldt so fürchtet, ein Stück näher zu kommen.

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