Die Bundeswehr wird in Libanon keinen Frieden sichern

Im Gespräch mit Linksruck erklärt Matthias Jochheim, warum der Bundeswehr-Einsatz im Libanon keine Friedensmission ist.


Matthias Jochheim ist Vorstandsmitglied der deutschen Sektion von „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung“ e.V. (IPPNW). IPPNW ist eine große internationale Friedensorganisation, die 1985 den Friedensnobelpreis erhielt. (Homepage)

Petition: Keine Rüstungslieferungen nach Nahost!

Ist der Einsatz der Bundeswehr im Libanon nötig, um das Existenzrecht Israels zu verteidigen, wie Kanzlerin Merkel sagt? Ist die Existenz Israel durch die Hisbollah gefährdet?

Kanzlerin Merkels Darstellung ist falsch. Denn ihre Begründung geht an der Sache vorbei. Das Existenzrecht Israels wird vom Libanon nicht in Frage gestellt. Es gibt extremistische islamische Gruppen, die das tun. Hisbollah spricht zwar Israel das Existenzrecht ab, hat aber nicht die Fähigkeit Israel ernsthaft zu gefährden. Israel ist dazu militärisch zu stark und die Hisbollah zu schwach.
Man muss sich vor Augen halten, dass es seit dem Jahr 2000 keine Todesfälle durch Raketenbeschuss der Hisbollah gegeben hat. Es gab einzelne Scharmützel – von beiden Seiten. Aber die waren, so schlimm Gewalt für die Betroffenen immer ist, nie eine Gefahr für den israelischen Staat als solchen. Für israelische Bürger besteht allerdings die Gefahr, Opfer eines Raketenbeschusses oder Anschlages zu werden.

Wie kann deren Sicherheit hergestellt werden?

Nur, wenn Israel bereit wäre, die Probleme politisch zu lösen. Diese Bereitschaft fehlt bisher. Sicherheit kann nur entstehen, wenn die Besatzung beendet wird und Israel einen lebensfähigen. palästinensischen Staat akzeptieren und widerrechtlich annektierte Gebiete aufgeben würde. Für die ins Ausland geflohenen Palästinenser muss eine für beide Seiten tragbare Lösung gefunden werden, die dem Recht auf Rückkehr Genüge tut. Ohne dass Israel Schritte in diese Richtung geht, wird es kein Ende der Gewalt geben.

Sie haben demnach Zweifel an der offiziellen Begründung des Einsatzes?

So ist es. Die wahren Gründe sind andere. US-Außenministerin Condoleezza Rice hat die Besatzung des Irak und den Krieg gegen Libanon als ‚Geburtsstunde eines neuen Nahen Ostens‘ bezeichnet. Sie meint damit die auch gewaltsam erzwungene Unterordnung der dortigen Staaten unter die Interessen des Westens. Teil dieser ‚Geburtsstunde‘ ist der Bundeswehreinsatz. Was realisiert werden soll, ist faktisch ein Besatzungsregime.
Der Libanon-Krieg dient auch als Vorbereitung auf mögliche Kriege gegen Syrien und Iran. Dafür werden Militärpositionen aufgebaut. Militärschläge gegen den Iran hat die israelische Regierung ja auch schon offen angedroht.

Wie steht es mit dem Argument, dass die Bundeswehr den Waffenschmuggel unterbinden helfen soll? Das klingt nach einem lohnenswerten Ziel.

Ich bezweifle, ob das durch die UN-Resolution und den militärischen Einsatz möglich ist. Den Waffenschmuggel über See können die UN-Truppen womöglich unterbinden. Aber nicht den über Land. Laut Resolution soll dies ohnehin Aufgabe der libanesischen Armee sein. Sie ist dazu vermutlich zu schwach. Bezweckt wird damit eine Schwächung der Kapazitäten der Hisbollah. Von Israels Waffen ist hingegen nicht die Rede. Zudem liefert Deutschland wie andere westliche Staaten Waffen in den Nahen Osten. Auch an die Kriegspartei Israel.

Können Sie Beispiele nennen?

Für die Bodenoffensive im Südlibanon hat das israelische Militär den Kampfpanzer Merkava Type 3 und Type 4 eingesetzt. Diese sind mit Stabilisierungselektronik aus deutscher Herstellung ausgestattet. Die Kanonenrohre, die Panzerung, die Getriebe und die Motoren dieser Panzer stammen alle entweder aus deutschen Direktlieferungen oder aus US-amerikanischer Lizenzproduktion von entsprechenden Zwischenfirmen.
Die bei der Bombardierung zum Einsatz kommenden F-16 Kampfflugzeuge sowie die gegen Palästinenser eingesetzten AH-64 Apache Hubschrauber haben Infrarotmodule zur Zielerfassung. Auch diese deutsche Technik wird über amerikanische Firmen an Israel geliefert.
Bei der Belagerung der libanesischen Küste durch die israelische Marine werden eine Reihe von Korvetten und Schnellbooten eingesetzt, deren Dieselmotoren aus deutscher Produktion stammen.
Die Bundesregierung plant derzeit die Auslieferung eines Testexemplars des gepanzerten Truppentransportfahrzeugs Dingo 2 sowie den Bau und Lieferung von zwei U-Booten der Dolphin-Klasse an Israel.
Auf der anderen Seite besitzt die Hisbollah G3-Maschinengewehre aus deutscher Lizenzproduktion im Iran sowie Panzerabwehr-Raketen des Typs Milan. Diese werden in Kooperation mit französischen Waffenfirmen hergestellt. Die deutsche Waffenindustrie verdient somit – direkt oder indirekt – auf beiden Seiten des Konflikts.

Der Linksfraktion-Vorsitzende Oskar Lafontaine ist von Regierungsseite angegriffen worden, als er sagte, dass der Bundeswehreinsatz die Gefahr von Terroranschlägen in Deutschland erhöht. Übertreibt Lafontaine?

Nein. Die Gefahr besteht. Wenn es sich tatsächlich um eine Friedensmission handeln würde, dann könnte man diskutieren, ob man diese Gefahr akzeptiert. Aber das ist keine Friedensmission. Der Bundeswehreinsatz dient einem neokolonialen Ziel.

Was würden Sie jemandem raten, der dem nicht tatenlos zusehen und sich für Frieden im Nahen Osten engagieren will?

Das Wichtigste: Nicht auf die Kriegspropaganda rein fallen. Wir müssen über die wahren Gründe und Hintergründe aufklären. Es gibt keinen ‚Kampf der Kulturen‘, keinen Kampf der so genannten Zivilisation gegen die Barbarei. Die Konflikte im Nahen Osten sind auch keine ethnischen, sondern politische.
Und in der Friedensbewegung aktiv werden. Ganz konkret: Jeder kann die Petition an den Bundestag gegen deutsche Waffenlieferungen nach Nahost unterzeichnen und verbreiten. Außerdem veranstaltet der Koordinierungskreis „Stoppt die Mauer in Palästina“ am 18. November eine Konferenz in Berlin. Dazu ist jeder herzlich eingeladen.

Das Gespräch führte Frank Eßers

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