Ärmer trotz Aufschwung

Die konjunkturelle Erholung geht an Arbeitern und Arbeitslosen vorbei.


Standpunkt: Investivlohn = weniger Geld in der Tasche

Kanzlerin Merkel fordert die Beteiligung von Arbeitern am Unternehmensgewinn über den Investivlohn. Dabei soll ein Teil des Lohnes in Aktien angelegt werden. Volkswirtschaftler Herbert Schui meint, dass bringe Arbeitern nichts:

„Bei Licht besehen ist der Investivlohn nichts weiter als ein Suggestivlohn. Angesichts sinkender realer Masseneinkommen und sinkender realer Haushaltseinkommen soll den Lohn- und Gehaltsempfängern suggeriert werden, auch sie würden jetzt besser gestellt. Aber was genau hat es mit dem Investivlohn auf sich?
Erstens:Investivlohn erhöht das gegenwärtige Einkommen nicht. In der überschaubaren Frist ist das angesparte Vermögen zu gering, um entsprechende Erträge abzuwerfen.
Zweitens: Wahrscheinlich ist, dass die baren Löhne unter Hinweis auf den existierenden Investivlohn weiter gesenkt werden.
Drittens: Auf den Investivlohn sollen keine Sozialabgaben gezahlt werden. Das soll erst dann der Fall sein, wenn der Betrag fällig wird. Das bedeutet aber, dass die Finanzierung der sozialen Sicherheit in der gesamten Ansparphase in der Größenordnung des Betrags, der dem Umfang der entgangenen Sozialleistungen entspricht, gefährdet ist.
Viertens: Wenn ein Unternehmen Bankrott geht, dann ist nicht nur der Arbeitsplatz weg, sondern auch der angesparte Investivlohn.“

Arbeitsminister Müntefering pries einen „goldenen November“, Kanzlerin Merkel freut sich über „gute Stimmung“ und Wirtschaftsinstitute verkünden eine „robuste Konjunktur“. Die Bild erweckte sogar den Eindruck, jeder könne eine Gehaltserhöhung erhalten – wenn man den Chef nur nett bitte. Diese von Regierung und Medien verbreitete „Es geht aufwärts“-Stimmung geht an der Wirklichkeit vorbei.

Dass die offizielle Zahl der Arbeitslosen erstmals seit Jahren unter 4 Millionen liegt, muss nicht von Dauer sein. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit warnte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: „Am Ende des Jahres 2007 hört der Abbau [der Arbeitslosigkeit] auf und es gibt ein Risiko, dass sie wieder steigt.“

Vielen Arbeitslosen kam die konjunkturelle Erholung nicht zu Gute. Im Gegenteil: „Trotz des Aufschwungs hat sich die Lage der Langzeitarbeitslosen in den vergangenen Monaten sogar verschlechtert“, stellt die Wirtschaftswoche fest. „Waren im vergangenen Jahr 36,3 Prozent der Arbeitslosen länger als ein Jahr ohne Anstellung, sind es heute 43,1 Prozent“.

Arbeitsminister Müntefering hat betont, dass viele sozialversicherungspflichtige Stellen entstanden seien. Doch einen wesentlichen Anteil an diesem Zuwachs trägt laut Bundesagentur für Arbeit die Zeitarbeitsbranche. Deren Arbeiter erhalten niedrigere Löhne, werden schneller gefeuert und nur eine Minderheit schafft den Absprung in ein reguläres Arbeitsverhältnis.

Auch um die Brieftaschen der Beschäftigten macht der Aufschwung einen Bogen. Zwar ist das so genannte Volkseinkommen gestiegen, aber der Zuwachs sei „allein dem deutlichen Plus bei Unternehmens- und Vermögenseinkommen zu verdanken“, berichtet die Wirtschaftswoche. „Der langjährige Rückgang beim Kaufkraftpotenzial der Arbeitnehmer setzt sich fort“, beklagt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung: „Die Nettolohnquote, der Anteil der Arbeitseinkommen am verfügbaren Einkommen aller privaten Haushalte, hat in 2005 mit 41,2 Prozent einen historischen Tiefstand erreicht; 2006 könnte sie sogar unter 40 Prozent sinken. Parallel wächst der Anteil der Einkommen aus Unternehmensgewinnen und Vermögen, die überwiegend einer relativ kleinen Personengruppe zufließen.“

Getragen wird die derzeitige konjunkturelle Erholung in Deutschland durch den Export. In den letzten Jahren haben Unternehmen ihre Profitabilität durch Massenentlassungen, Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen wieder hergestellt. Die Angst der Arbeiter in Hartz-IV abzurutschen, hat es den Bossen erleichtert, ihre Gewinne auf dem Rücken der Belegschaften zu erhöhen. Höhere Profite und größere Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten sind durch weniger Wohlstand der Masse der Bevölkerung erzielt worden.

Das Muster eines Aufschwungs, der an der Mehrheit vorbei geht, findet sich nicht nur in Deutschland. Laut einer Anfang Dezember vorgestellten Studie der Universität der Vereinten Nationen hat der weltweite Konjunkturaufschwung der vergangenen Jahre dazu beigetragen, dass die Reichen reicher, aber die Arbeiter und Armen ärmer geworden sind.

Das ist nicht nur auf die Liberalisierung der Finanzmärkte, die kurzfristige Orientierung der Konzerne an ihrem Börsenwert und die Steuergeschenke der Regierungen zurückzuführen. Es ist Ausdruck einer Profitabilitätskrise des Kapitalismus. In den letzten Jahrzehnten sind die Aufschwünge tendenziell kürzer und flacher verlaufen. Unternehmen müssen im härter werdenden internationalen Konkurrenzkampf immer mehr investieren, um zu überleben – ohne die Garantie, ihre Investitionen auch wieder hereinholen zu können. Das erklärt das unstillbare Verlangen der Bosse nach einer Umverteilung von unten nach oben.

Für die gegenwärtige konjunkturelle Erholung in Deutschland bestehen mehrere Gefahren, die zu einem baldigen Ende des Aufschwungs führen können.

Erstens: Die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft kann zur Falle werden. Denn der Motor der Weltwirtschaft, die USA, ist ins Stottern geraten. Die Konsumenten sind hoch verschuldet und steigende Zinsen erhöhen diese Belastung. Zudem sinken die Immobilienpreise, was bereits zu einer merklichen Abschwächung des Konsums geführt hat.
Zwar gehen nur 14 Prozent des deutschen Exports direkt in die USA. Doch das Wachstum der für deutsche Exporte wichtigen asiatischen Märkte hängt daran, ob US-Amerikaner und US-Firmen die in Asien gefertigten Produkte kaufen können.

Zweitens: Bereits im nächsten Jahr kommen weitere Belastungen auf die Menschen in Deutschland zu, die wie eine Konjunkturbremse wirken: die Mehrwertsteuererhöhung, eine kräftige Erhöhung der Versicherungsteuer, steigende Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung, sowie Kürzungen der Pendlerpauschale. Der von der Bundesregierung vorgelegte Haushalt „belastet vor allem arme Menschen, Rentner, Familien und Kinder mit rund 30 Milliarden Euro“, hält die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Die Linke, Gesine Lötzsch, fest.

Drittens: Genau wie in den USA sind auch in Europa die Leitzinsen erhöht worden. Das ist zwar gut für Sparer, aber schlecht für Unternehmen und Verbraucher, die Kredite aufnehmen.
Für das nächste Jahr rechnen Wirtschaftsinstitute mit einer Abschwächung des Wachstums auf 1,5 Prozent – allerdings bei optimistischer Einschätzung der Weltwirtschaftslage.

Damit sich die Lage für die Masse der Lohnabhängigen tatsächlich bessert, müssen die Löhne kräftig wachsen. Das kann nicht über den Investivlohn gehen, der derzeit diskutiert wird (siehe Standpunkt), sondern nur, wenn die Gewerkschaften ihre Mitglieder zum Kampf gegen die Bosse aufrufen.

Um tatsächlich reguläre Arbeitsplätze mit ausreichender Entlohnung zu schaffen, müsste die Bundesregierung den öffentlichen Dienst ausbauen, statt dort zu streichen. Dort könnten laut Gewerkschaften eine Million Stellen entstehen. Das kostet Geld, das die Regierung von Konzernen und Reichen holen könnte, wenn sie denn wollte. Letzteres fordert die Linkspartei. Denn die tatsächlich gezahlten Unternehmensteuern sind in Deutschland mit knapp 20 Prozent niedriger als in den meisten anderen EU-Staaten.

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