Prodi in die Falle gegangen

Obwohl Romano Prodi die italienische Regierung nach rechts rückt, will ihm die italienische Linkspartei Rifondazione Comunista die Treue halten. Das ist ein Fehler, meint Stefan Bornost.


Romano Prodi (rechts) mit Fausto Bertinotti, dem Parteichef der italienischen Linkspartei, bei der Vorstellung des gemeinsamen Wahlprogramms Anfang letzten Jahres. Statt des von Bertinotto angekündigten „Bruchs mit dem Neoliberalismus“ kam ein Sparpaket in Höhe von 33 Milliarden Euro

Die italienische Regierung befindet sich in einer tiefen Krise. Der italienische Ministerpräsident Romano Prodi reichte seinen Rücktritt ein, nachdem er im Senat eine Abstimmung über die Außenpolitik seiner Mitte-Links-Regierung verloren hatte. Kurz darauf hat er seine Bereitschaft erklärt, weiter zu regieren – unter der Bedingung, dass die Politik der Regierung nach rechts rückt.

Prodi nannte den Koalitionsparteien 12 „unverhandelbare“ Bedingungen für sein Weitermachen – unter anderem die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes, die gerade im Parlament abgelehnt wurde. Reformvorhaben wie die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften will Prodi fallenlassen, um Konservative als Unterstützer für künftige Abstimmungen zu gewinnen.

Das von Prodi angeführte Unione-Bündnis hatte erst vor neun Monaten mit einer hauchdünnen Mehrheit die Wahlen gewonnen und damit die konservative Regierung Berlusconis abgelöst.

Prodi war im Wahlkampf nicht nur von den Gewerkschaften und der gesamten offiziellen Linken, einschließlich den Nachfolgeorganisationen der Kommunistischen Partei, unterstützt worden, er hatte auch den Rückhalt großer Teile der italienischen und europäischen Wirtschaft, die sich ernüchtert von Berlusconi abgewandt hatten.

Der Medienunternehmer hatte während seiner fünfjährigen Regierungszeit zwar sein Privatvermögen auf geschätzte 12 Milliarden Euro verdoppelt, die italienische Wirtschaft dagegen stagnierte. Sie wuchs nur um durchschnittlich 0,35 Prozent im Jahr, im Vergleich zu 1,45 Prozent im restlichen Europa.

Von Prodi versprechen sich die Unternehmerverbände eine konsequentere Durchsetzung ihrer Interessen. Der Wirtschaftsfachmann hat die Konsolidierung des Haushalts und eine Senkung der auf die Löhne entfallenden Sozialabgaben um fünf Prozent in den Mittelpunkt seines Wahlprogramms gestellt.

Entsprechend sah auch der rabiate Sparkurs im Haushalt aus, den Prodi im Oktober 2006 vorstellte: Ein über 30 Milliarden Euro umfassendes Sparpaket kam zum großen Teil durch Einschnitte ins Sozialsystem und durch Kürzungen zustande. Als Trostpflaster für die Linke gab es auch leichte Steuererhöhungen für den Mittelstand – die wesentlichen Opfer von Prodis Sparkurs sind jedoch Arbeiter, Rentner und Kranke.

Während die gewerkschaftlichen Führungen gegen Berlusconis Politik mobilisiert hatten, hielten sie gegenüber den Kürzungen „ihrer“ Prodi-Regierung still. Der Gewerkschaftsdachverband CGIL sagte zum Beispiel nach Intervention von Prodi geplante Protestaktionen gegen Entlassungen und Lohnkürzungen bei der Fluggesellschaft Allitalia ab.

Ein zweiter Grund für die Demobilisierung der italienischen Bewegungen ist die Einbindung der linken Parteien, vor allem der Rifondazione Comunista, in die Regierung Prodi. Die Rifondazione hat sich in den Jahren vor dem Regierungseintritt 2006 den Respekt und die Unterstützung vieler Aktivisten erworben, als sie ihre Kräfte in den Dienst des Aufbaus von Bewegungen gegen Krieg, Sozialabbau und Globalisierung stellte. Ihr Vorsitzender Fausto Bertinotti spielte bei den G8-Protesten in Genua eine Schlüsselrolle, als er nach der Ermordung des Demonstranten Carlo Giuliani öffentlich dazu aufrief, am Folgetag nach Genua zu reisen und sich an der Großdemonstration zu beteiligen. Unter großer Zustimmung der Bevölkerung marschierten 300.000 durch die Stadt.

Im März 2005 beschloss die Rifondazione auf ihrem Parteitag eine strategische Wende: Sie erklärte sich bereit, einer Regierung Prodi beizutreten. Das wesentliche Argument von Fausto Bertinotti, der den Kurswechsel gegen heftigen Widerstand in der Partei durchsetze, war, dass die Ablösung der Regierung Berlusconi jetzt Vorrang vor allen anderen Aufgaben habe: „Die Frage ist: Kann man daran denken, in der realen Politik des Landes und in den Massen präsent zu sein, wenn man der weitest verbreiteten Forderung des Volkes, unseres ganzen Volkes, nicht entspricht, der Forderung Berlusconi zu verjagen. Wer nicht in der Lage ist, zur Verwirklichung dieses Ziels beizutragen, wird von der politischen Szene verschwinden und den Bezug zu den Massen verlieren.“

Mit dem selben Argument hat die Parteiführung der Rifondazione seit Regierungseintritt ihre Zustimmung zu Prodis Sparpaket und Militäreinsätzen im Libanon und Afghanistan begründet. Sie dürfe die hauchdünne Mehrheit der Regierung nicht gefährden, weil sonst die Rückkehr Berlusconis an die Macht drohe.

In Wirklichkeit hat erst das Fehlen einer linken Opposition gegen die Regierung Prodi der Berlusconi-Parteienkoalition zu einem Comeback verholfen. Berlusconi hat es in Abwesenheit einer gewerkschaftlichen und linken Mobilisierung gegen die Prodi-Regierung geschafft, sich an die Spitze des Unmuts über die Angriffe der Regierung zu setzen.

Am 2. Dezember 2006 versammelte sich in Rom eine Million Menschen zu einer rechten Massendemonstration und bejubelten den Auftritt Berlusconis auf der Piazza San Giovanni. Berlusconi beschuldigte die Regierung Prodi, sie regiere gegen das Volk, gegen die Sparer, die Familien, die Schule, die Rentner, die Unternehmer und die Wirtschaft.

Mittlerweile führt Berlusconi in den Meinungsumfragen, weil sich die vormaligen Prodi-Wähler aus Enttäuschung über den Sozialabbau der Regierung von ihr abwenden. Die Unterstützung des vermeintlich „kleineren Übels“ der Prodi-Regierung hat dem „größerem Übel“ Berlusconi, das die Rifondazione-Führung verhindern wollte, wieder den Weg an die Macht geebnet.

Dabei wäre es gar nicht notwendig gewesen, der Regierung Prodi beizutreten. Die Kritiker der Regierungsbeteiligung in der Rifondazione haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es möglich gewesen wäre, eine Minderheitsregierung Prodi von außen zu unterstützen – und zwar entlang von programmatischen Mindestforderungen, zum Beispiel eines durch höhere Unternehmenssteuern finanzierten Ausbaus des Sozialstaats und das Ende aller Militäreinsätze. So hätte die Rifondazione den Wunsch von Millionen nach einem Ende der Berlusconi-Regierung entsprochen und gleichzeitig deutlich machen können, dass für ein mögliches Scheitern der Regierung nicht die Rifondazione, sondern Prodis Unwillen, eine soziale und antimilitaristische Politik zu machen, verantwortlich ist.

Durch die Bedingungen, die Prodi an seine weitere Regierungszeit geknüpft hat, wird ein weiteres Argument für den Verbleib der Rifondazione in der Regierung vollends hinfällig, nämlich, dass die Rifondazione in der Regierung „linke Akzente“ setzt, oder Prodi gar zu einem Bruch mit dem Neoliberalismus“ treibt, wie Parteichef Bertinotti behauptet. Prodi hat die Regierungskrise benutzt, um das Programm der Koalition kräftig nach rechts zu verschieben – von den Projekten der Rifondazione bleibt nichts übrig. Beispiel Rente: Die Rifondazione hatte eine Rückkehr zum von Berlusconi abgeschafften Rentensystem gefordert, nach dem jeder Arbeiter, der mindestens 35 Jahre lang seine Beiträge bezahlt hat, mit 57 in Rente gehen kann. Prodi will jetzt eine gegenteilige Rentenreform durchbringen, die nach dem deutschen Modell gestrickt ist: Teilprivatisierung der Rente bei gleichzeitiger Anhebung des Rentenalters. Da Prodi als Bedingung für sein Weiterregieren von seinen Koalitionspartnern die alleinige Entscheidungsgewalt über die Politik der Unione verlangt, ist klar, dass Prodis Rentenreform gemacht wird und nicht die der Rifondazione – und das durch einen von der Rifondazione gestellten Sozialminister.

Die weitere Entwicklung in Italien ist offen. Erstmal scheint es, als hätten sich Prodi und seine Unterstützer in den Chefetagen mit ihrer Erpressung durchgesetzt: Alle Parteien der Unione, inklusive der Rifondazione unterstützen seine Bedingungen. Die Rifondazione-Führung ist sogar so weit gegangen, ihren Senator Franco Turigliatto, der durch seine Enthaltung bei der Abstimmung zum Afghanistan-Einsatz mit für Prodis Abstimmungsniederlage gesorgt hatte, aus der Partei auszuschließen. Dabei hatte Turigliatto nichts anderes getan, als die anti-militaristische Politik des Rifondazione-Programms in sein Stimmverhalten umzusetzen. Nicht er öffnet Berlusconi Tür und Tor, sondern die Rifondazione-Führung, die durch die Anbiederung an eine sich rasant nach rechts entwickelnde Prodi-Regierung ihre eigenen Anhänger demoralisiert.

Dabei zeigte sich wenige Tage vor der Regierungskrise, worin die Alternative zum Verbleib in der Regierung liegt. Mehr als hunderttausend Menschen demonstrieren im norditalienischen Vicenza gegen den Ausbau des US-Militärstützpunkts Ederle. Der Zug war sechs Kilometer lang und richtete sich sowohl gegen den US-Krieg im Nahen Osten als auch gegen die Außenpolitik der Prodi-Regierung. Im Aufbau solcher Bewegungen liegt die Perspektive für die italienische Linke – egal ob unter konservativen oder sozialdemokratischen Regierungen.

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