Die Krise in der Türkei: Nein zum Putsch der Generäle

Am Freitag den 27.4. hat das türkische Militär offen mit einem Putsch gedroht, sollte Abdullah Gül von der konservativen, gemäßigt islamistischen AK-Partei zum Staatspräsidenten gewählt werden. Kurz darauf, am Sonntag gingen, nach Angaben der Veranstalter, rund eine Million Menschen in Istanbul untern einem Meer von Türkei-Fahnen gegen die Erdogan-Regierung auf die Straße.

Die Generäle sagen, es ginge ihnen darum, die Trennung von Staat und Kirche gegen die „islamistische Bedrohung“ zu verteidigen. Dieses Argument, auch wenn es offensichtlich vorhandene Ängste grade unter jungen Leuten im westlich geprägten Istanbul aufnimmt, ist vorgeschoben. Obwohl viele Spitzenpolitiker der AK-Partei einen islamistischen Hintergrund haben, hat die Partei Regierung seit 2002 keinerlei Anstrengungen unternommen, religiöse Zwangsregeln einzuführen. Im Gegenteil: Um den Eintritt in die EU vorzubereiten, hat die AK-Regierung Schritte in Richtung Demokratisierung unternommen: Die Todesstrafe wurde abgeschafft, die kurdische Sprache erlaubt.

Gleichzeitig hat die Regierung in Absprache mit IWF und EU-Regierungen ein brachiales neoliberales Strukturanpassungsprogramm durchgesetzt, um die Kriterien für den EU-Beitritt zu erfüllen. Das hat die Regierung viel Unterstützung in der Bevölkerung gekostet, vor allem weil überhaupt nicht klar ist, ob die Türkei in die EU aufgenommen wird.

Die Generäle versuchen jetzt, im Verbund mit den kemalistischen, also türkisch-nationalistischen Eliten, die ihre bis 2002 angefochtene Machtposition durch den Aufstieg der AK-Partei bedroht sieht, diese weit verbreitete Unzufriedenheit zu nutzen und sie vor Karren des Nationalismus zu spannen. Hauptpunkt dabei ist die kurdische Frage, die durch das Scheitern der US-Armee im Irak neu aufgeworfen ist. Die Armee-Führung hat in den letzten Jahren ihren Krieg gegen die Kurden trotz eines einseitigen Waffenstillstands seitens der PKK mit aller Brutalität wieder aufgenommen und über eine viertel Million Soldaten in das türkisch-irakische Grenzgebiet verlegt. Die Generäle verlangen seit Wochen von der Regierung die Genehmigung für einen Einmarsch in den kurdisch dominierten (und ölreichen) Nordirak. Sie fürchten, dass die Kurdengebiete im Nordirak im Falle eines irakischen Staatszerfalls die Keimzelle eines kurdischen Staates werden könnten und damit dem kurdischen Widerstand gegen die Unterdrückung durch den türkischen Staat einen Aufschwung erleben könnte.

Die Regierung hat bisher die Genehmigung für den Einmarsch verweigert, weil sie sich damit in einen Konflikt mit den USA begeben würden, die kurdische Milizen als Hilfstruppen im Kampf gegen die Aufständischen im Irak einsetzt. Auch ist militärische Intervention an der Parteibasis der AK unpopulär – die türkische Regierung hat der US-Regierung auf Druck der Anti-Kriegs-Bewegung und der eigenen Basis im Jahr 2003 die Benutzung der Luftstützpunkte verweigert.

Die jetzigen Auseinandersetzungen sind der bisherige Höhepunkt einer seit mehreren Jahren von den Generälen, den kemalistischen Elite und Massenblättern wie der Cumhürijet inszenierten nationalistischen Kampagne, in deren Verlauf hunderte von Journalisten und Intellektuellen vor Gericht gezehrt worden, weil sie „das Türkentum“ beleidigt haben sollen. Im Zuge dieser Kampagne haben faschistische Parteien wie die MHP und auch der politische Mord einen Aufschwung erlebt – mehr als 20 kurdische Oppositionelle und profilierte Linke, aber auch Christen wurden von faschistischen Gruppen mit direkter oder indirekter Unterstützung von armeenahen Sicherheitskräften ermordet – der armenischen Menschenrechtsaktivisten Hrant Dink, der im Januar diesen Jahres nach einer monatelangen Hetzkampagne ermordet wurde, ist das bekannteste Opfer dieses Terrors gewesen.
Dinks Schicksal ist eine Warnung für die kurdischen Aktivisten, die gesamte Linke und auch die türkische Gewerkschaftsbewegung, was droht, wenn die Generäle und ihre nationalistischen und faschistischen Bündnispartner sich durchsetzen. Die AK-Partei hat eine lange Geschichte des Kompromisses mit dem Militär und den nationalistischen Kräften – es ist überhaupt nicht ausgemacht, das sie die Kräfte in der türkischen Gesellschaft mobilisiert, die sich einem erneuten Putsch gegenüberstellen wollen. Diese Kräfte gibt es: Zum Begräbnis von Hrant Dink kamen spontan an einem Werktag 200.000 Menschen und riefen „Wir sind alle Armenier“ – ein Schlag ins Gesicht der türkischen Nationalisten, die den Völkermord an den Armeniern bis heute leugnen. Auch die großen gewerkschaftlichen Verbände haben trotz Kritik am Sozialabbau der Erdogan-Regierung zumindest die Großdemonstration am 14. April nicht offiziell unterstützt – was angesichts der Repression von Gewerkschaftsaktivisten unter den Militärdiktaturen der vergangenen Jahrzehnte auch selbstmörderisch wäre.

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