Berlin, 1.11.: "Wir wollen der Regierung in den Hintern treten"

Linksruck bringt Stimmen von der großen Demonstration in Berlin.
Eine Gruppe von Feuerwehrleuten in Uniform war mit einem Bus der Gewerkschaft ver.di aus Köln gekommen. "Wir sind gekommen, um, auf Deutsch gesagt, der Regierung in den Hintern zu treten. Es sind genügend Argumente ausgetauscht worden, jetzt muss man auf die Straße gehen", erklärte einer von ihnen. "Ich bin selbst SPD-Mitglied, aber eine solche Politik hätte ich nie für möglich gehalten. Die Wahlen in Brandenburg und Bayern haben gezeigt, dass Schröders Politik die SPD in die Katastrophe führt. Wenn ich heute wählen müsste, hätte ich große Schwierigkeiten. Ich könnte meine eigene Partei nicht wählen."
Ishild D. aus Berlin, 65 Jahre alt, war allein zur Demonstration gekommen. "Heute ist mein erster Tag als Rentnerin. Ich bekomme nur 365 Euro pro Monat, weil ich wie viele Frauen geheiratet, meine Kinder großgezogen und dadurch in meinem Beruf als Zierpflanzengärtnerin nur zwölf Jahre gearbeitet habe. Die Angriffe auf die Rentner durch die Schröder-Regierung sind verhängnisvoll. Selbst wenn einer 900 Euro Rente hat, wie soll er denn Miete, Lebensunterhalt und Krankenkosten davon bezahlen können? Aber die Politiker erhöhen sich ihre Diäten und erhalten schon nach wenigen Abgeordnetenjahren eine hohe Rente, für die sie nichts eingezahlt haben."
Rolf C. aus Berlin, 53 Jahre alt, hatte in der Verwaltung sozialer Träger von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gearbeitet und ist aufgrund der Kürzungen in diesem Bereich seit einem Jahr arbeitslos. "Das Wort Reform ist völlig fehl am Platz", sagte er zur Agenda 2010, "denn eigentlich sollte eine Reform eine Verbesserung bedeuten. Schröders Politik geht davon aus, der Lobby der Pharmaindustrie und der anderen Industrieverbände ständig nachzugeben und bei denen zu kürzen, die keine Lobby haben."
Ein Arbeiter von Philips in Norderstedt bei Hamburg, der mit seinen Söhnen gekommen war, erzählte, er habe dem Bezirksvorsitzenden der IG Metall Teichmüller eine E-Mail geschickt, um den Treffpunkt für die Demonstration zu erfahren, sei aber auf taube Ohren gestoßen. Dank der Mitglieder und Vertrauensleute seien schließlich noch ein paar wenige Busse zusammengekommen. Wütend kommentierte er die Regierungspolitik: "Jeden Tag gibt es neue, noch weitergehende Angriffe. Und jedes Mal schaue ich hinter mich, ob nicht wieder Schröder irgendwo auf einem Balkon steht und droht runterzuspringen, wenn seine Kürzungsmaßnahmen nicht akzeptiert werden. Am liebsten würde ich rufen, lasst ihn doch springen!"
Andreas Kossack, IG Metall-Vertrauensmann und Maschineneinrichter bei Siemens VDO in Dortmund, berichtete, auch in seinem Betrieb sei nur von unten, gegen den Widerstand der Gewerkschaftsführung für die Demonstration mobilisiert worden. "Ich finde es toll, dass so viele hierher gekommen sind, obwohl die Gewerkschaftsspitze dagegen war und auch die Medien die Aktion totgeschwiegen haben. Das ist eine neue Situation."

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