88. Internationaler Frauentag: Wie weiter gegen Frauenunterdrückung?

Als 1911 der Internationale Frauentag zum ersten Mal gefeiert wurde,strömten Zehntausende von Frauen in Deutschland zu Diskussionsveranstaltungen
und Demonstrationen. Heute, 88 Jahre später, ist von einer großen
Frauenbewegung nichts zu sehen. Heißt das, daß wir die Zeiten
von Frauenunterdrückung hinter uns haben?
Im Gegenteil: die sich zuspitzende weltweite wirtschaftliche Krise
hinterläßt ihre Spuren immer deutlicher in den Leben von Frauen.

Das wird sichtbar, wenn man die angeblich gleichen Chancen von Frauen
anschaut: Das Bild der erfolgreichen Karrierefrau, die sehr gut verdient
und Arbeit und Kinder unter einen Hut bringt, hat mit der Lebenswirklichkeit
der überwältigenden Mehrheit von Frauen rein gar nichts zu tun.

Heute sind zwar 47% aller Beschäftigten Frauen. Im Topmanagement
jedoch sind sie nur mit 3,2% vertreten.

Bei vergleichbarer Arbeit verdienen Industriearbeiterinnen nur 75%
von dem, was ihre männlichen Kollegen monatlich nach Hause bringen,
bei Angestellten sind es nur 66% des Gehalts.

Eine Studie aus den USA zeigt, daß sich die Löhne der Frauen
seit den späten 70ern denen der Männer angeglichen haben: von
59% auf 75%. Diese Angleichung ist aber darauf zurückzuführen,
daß die Löhne der Männer über die letzten zwanzig
Jahre gesunken sind.

Errungenschaften der letzten 25 Jahre werden heute zusehends abgebaut:
Gelder für Kindergartenplätze, Frauenhäuser, Gleichstellungsbüros
etc. fallen immer mehr dem Rotstift zum Opfer.

Frauenunterdrückung spielt sich aber nicht nur auf der ökonomischen
Ebene ab.

Gewalt an Frauen hat heute keinen Seltenheitswert: jede siebte Frau
wird einmal in ihrem Leben vergewaltigt (davon mindestens 200.000 Vergewaltigungen
in der Ehe jährlich).

Alice Schwarzer

Diese Situation müßte jede engagierte Frau auf die Palme
bringen. Bei einem großen Teil der alten Feministinnen-Riege wie
Alice Schwarzer ist das Gegenteil der Fall. Das ehemalige Kampforgan, die
EMMA, ist auf der Seite der Karrieristinnen angelangt:  "Der Euro
kommt. Und die Globalisierung der Weltmärkte ist unvermeidlich. Think
big ist angesagt. Die Männer jonglieren weltweit so lässig mit
den Nullen vor dem Komma, daß die Börsen erzittern. … Jetzt
machen Frauen eigene Karrieren und eigenes Geld."

So schrieb EMMA Anfang 1999 über die "neue Lässigkeit" der
Frauen auf ihrem "langen Weg zu Besitz und Macht", um gleich darauf zu
betonen, wie entspannt die Millionärin Jil Sander mit ihrem Vermögen
umgeht.

"Heute erben Frauen gleichberechtigt und verdienen immer öfter
mehr als sie zum Leben brauchen. So ist inzwischen jeder dritte Aktionär
eine Frau, verdient jede zwölfte Ehefrau mehr als ihr Mann und gehört
jede neunte Emma-Leserin mit über 5.000 DM netto im Monat zu den Spitzenverdienerinnen
der Nation."

Dieser Weg ist aber nur für einige wenige Frauen möglich.
Doch er wird von vielen Feministinnen als der Weg aus der Frauenunterdrückung
heraus gepriesen. Die Bewegung, die heute so nach rechts geht, ist ein
Produkt der Explosion von 1968. Woher kommt aber diese Entwicklung einer
Bewegung, die angetreten war, Frauenunterdrückung auf den Müllhaufen
der Geschichte zu werfen?

Wandel

1968 ist eine Frauenbewegung wiedererstanden, die von einer Orientierung
auf die Arbeiterklasse geprägt war. Frauenunterdrückung war nach
dem damals vorherrschenden marxistischen Ansatz das Produkt der Klassenausbeutung
im Kapitalismus.

Ein Kampf gegen Frauenunterdrückung war für die Bewegung,
die 1968 entstand, nur Hand in Hand mit einem Kampf für den Sozialismus
und gegen das Ausbeutungssystem Kapitalismus möglich.

Diese Bewegung führte tatsächlich zu Erfolgen. Frauen und
Männer kämpften beispielsweise gemeinsam für die Abschaffung
einiger Niedriglohngruppen für Frauen. Diese Kampf wurde 1973 durch
eine große Welle wilder Streiks, eingeleitet durch ausländische
Arbeiterinnen in Pierburg/Neuß, geführt.

Kämpfe dieser Art wurden mit Forderungen nach mehr Kindergartenplätzen
und die Abschaffung des §218 verbunden.

Als aber 1974 die Arbeiterbewegung abflaute, ließ die Orientierung
auf die Arbeiter als verändernde Kraft nach. Es wurde nach anderen
Erklärungen und Möglichkeiten zur Veränderung gesucht. Feministinnen
setzten auf die Patriarchatstheorie. Diese besagt, daß männliche
Dominanz über Frauen das entscheidende Kriterium der Geschichte ist.

Männliches Verhalten sei geprägt von Gewalttätigkeit,
Egoismus und Krieg. Weibliches Verhalten sei genau das Gegenteil. Wenn
nur mehr Frauen in führende Positionen kämen, würde die
Welt weniger gewalttätig und ungerecht aussehen.

Dies ist ein Irrtum. Kriegstreiberinnen wie die US-Außenministerin
Madeleine Albright und Kürzungspolitikerinnen wie Claudia Nolte verbessern
keinesfalls die Situation von Frauen.

Geschichte

Der Gegensatz von einer Frauenbewegung, die auf die Arbeiterklasse
setzt, zu einer, die auf den individuellen Weg einiger Frauen nach oben
setzt, ist nicht neu.

Wie die revolutionäre Sozialistin Clara Zetkin zu Beginn diesen
Jahrhunderts in ihrem wegweisenden Buch ‘Zur Geschichte der proletarischen
Frauenbewegung Deutschlands’ zeigte, findet sich diese Spaltung schon in
den Ursprüngen der Frauenbewegung.

Ende des letzten Jahrhunderts engagierten sich zwar viele bürgerliche
Frauen für Arbeiterinnen. Sie akzeptierten aber nicht, daß sich
ihre Dienstmädchen gewerkschaftlich organisierten oder gar einen 8-Stunden-Tag
bekamen.

Diese Haltung kann auch in Rußland während der Revolution
1917 beobachtet werden.

Obwohl der Auslöser der Revolution ein Streik von Petrograder
Arbeiterinnen am Internationalen Frauentag war, stellten sich die bürgerlichen
Frauenrechtlerinnen gegen die Revolution. Sie verteidigten die Privilegien
der herrschenden Klasse.

Die Gesetze, die Scheidungen erleichterten, freie Kinderversorgung,
kommunale Wäschereien und Küchen, rechtliche und politische Gleichheit
und die Möglichkeit zur Abtreibung für alle Frauen – all das
wurde ohne die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen erkämpft, meist
sogar gegen sie.

Wie Alexandra Kollontai, führendes Mitglieder der Bolschewiki
während der Revolution, feststellte: "Die Welt der Frauen ist, genauso
wie die der Männer, in zwei Lager geteilt … Obwohl beide Lager dem
generellen Slogan nach ‘Frauenbefreiung’ folgen, sind Ziele und Interessen
beider unterschiedlich."

Nicht nur haben Frauen, je nach sozialer Stellung, unterschiedliche
Interessen. Es ist auch so, daß weibliche und männliche Arbeiter
gleiche Interessen haben – auch wenn es manchmal so aussieht, als würden
Männer von der Unterdrückung der Frau profitieren.

Die Bosse, egal welchen Geschlechts, versuchen, die Arbeiterinnen und
Arbeiter gegeneinander auszuspielen.

Wenn ihnen das gelingt, sind das Ergebnis niedrigere Löhne und
schlechtere Arbeitsbedingungen für alle.

Ideologie

Im Kapitalismus fühlt sich die einzelne Arbeiterin oder der einzelne
Arbeiter machtlos vor einer riesigen Gesellschaft, auf die sie oder er
scheinbar keinen Einfluß hat. Diese Ohnmacht und Perspektivlosigkeit
bringt Menschen dazu, auf unschuldige Schwächere herunter zu schauen.
Die Argumentation der Bosse und der Rechten, daß die Frau dem Mann
unterlegen, oder gar schuld an verschiedenen Übeln sei, kann so greifen.

Die kapitalistische Gesellschaft, in der Profite wichtiger sind als
die Bedürfnisse der Menschen, macht alles zu einer Ware, zu einem
Objekt – auch die Arbeitskraft und die Arbeiterin und den Arbeiter. Somit
ist es auch diese Gesellschaft, die Frauen zu sexuellen Lustobjekten degradiert.

Viele Frauen haben ein schwaches Selbstbewußtsein, gerade weil
sie ständig mit dieser Rolle konfrontiert werden – sei es durch sexistische
Witze, sei es durch Pinups oder Anmachen.

Der Kampf um jede Lohnerhöhung in den aktuellen Tarifrunden, die
Proteste der Studentinnen und Studenten für mehr Geld oder der Aufstand
der Kurdinnen und Kurden – jeder Kampf wird dadurch wirkungsvoller, daß
Männer und Frauen ihn gemeinsam führen. So können Männer
und Frauen gemeinsam verhindern, daß die Bosse die Wirtschaftskrise
auf unseren Rücken abladen.

Denn gemeinsam können wir die Ohnmacht überwinden und so
unsere Bedürfnisse gegen die Profitinteressen der Bosse durchsetzen
und eine solidarische Gesellschaft erkämpfen, in der Frauenunterdrückung
keinen Platz mehr hat.

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