Kommentar: Schröders Dilemma

Was tut ein Kanzler, der gewählt wurde, um mit der kohlschen Kahlschlagpolitik zu brechen, der sich aber gleichzeitig geschworen hat, Politik für die Bosse zu machen? Er engagiert einen Berater. So den Volkswirtschafts- und Philosophieprofessor Birger Priddat. Sein Tip: Mit ein bißchen Manipulation läßt sich jede Sozialkürzung durchsetzen.


In der Zeitschrift Capital empfiehlt er, "die Offensive im Niedriglohnbereich nicht mit Gürtel-enger-Schnallen-Rhetorik zu verknüpfen ‘Das erzeugt nur Angst und Abwehr. Wenn Schröder schlau ist, hängt er das an der Gerechtigkeitsfrage auf.’ Außerdem lasse sich das Gerechtigkeitsempfinden manipulieren: durch ‘Policy-Mix’ von schmerzhaften Reformen und eher symbolischen Korrekturen im Namen des Volkes."



Antikapitalismus


Es ist zu bezweifeln, daß diese Rechnung aufgeht.


Angesichts des mörderischen Wettbewerbsdrucks sind die Bosse wenig geneigt, solche symbolische Wohltaten der Regierung zu akzeptieren. Alles was den Ruf nach mehr staatlicher Intervention provozieren könnte, ist ihnen ein Dorn im Auge.


Denn laut einer Studie von Capital gibt es "weitverbreitete antikapitalistische Ressentiments" in der Bevölkerung. Ob bei Steuern, Löhnen oder Renten, die Vorstellungen der Eliten stießen bei der Durchschnittsbevölkerung "auf eiserne Abwehr", so die Chefin des konservativen Allensbach-Meinungsforschungsinstitutes, Elisabeth Noelle-Neumann. "Die Reichen, so klagt sie, geraten als Wutobjekt ins Visier, offensichtlich stellvertretend für das unheimliche Phänomen der Globalisierung."


Im Gegensatz zu den "Eliten" meinen 70% der Deutschen, daß der vermögende Teil der Bevölkerung keinen ausreichenden Beitrag für das Gemeinwohl leiste. Nur 10% finden die Löhne generell zu hoch. Die Bereitschaft sich mit billigen Tricks manipulieren zu lassen, dürfte nicht allzu hoch sein.


Noelle-Neumann bestätigt: "So deutlich habe ich noch nie gesehen, wie groß der Meinungsunterschied zwischen Elite und Bevölkerung ist. Daß die Leute so stark das Gefühl artikulieren, sie würden ausgenommen und die Grenze sei erreicht, das hätte ich unter gar keinen Umständen vermutet."

Tarifrunde


In der Tarifrunde 2000 kann die antikapitalistische Wut aufbrechen. Nicht nur die Capital-Umfrage läßt auf Kampfbereitschaft schließen. Die IGMetall will sich mit Ablauf der Friedenspflicht am 29. März auf "massive Warnstreiks" vorbereiten. An der Basis der Branche, die im letzten Jahr Rekordgewinnsteigerungen von 9,2% zu verzeichnen hatte, brodelt es.


Das scheinen auch die Bosse zu ahnen. "Den Drohgebärden der Gewerkschaften haben die Arbeitgeber nichts mehr entgegenzusetzen" lamentiert das Handelsblatt. Während sich die IGMetall als Räuber verkleide, besitze der Arbeitgeberverband Gesamtmetall "nicht einmal mehr Uniform und Blechsäbel, um als Gendarm auftreten und dem Räuber Paroli bieten zu können."

Bahn


Proteste und Streiks sind die einzige Sprache, die die Bosse verstehen. Bei der Bahn AG zeigt die Wut der Kollegen schon Wirkung. Während Bahnchef Mehdorn Einsparungen im Personalbereich von 3,6 Mrd. DM vorsieht und betriebsbedingte Kündigungen nicht ausschließt, sieht sich Verkehrsminister Klimmt angesichts von Streikdrohungen gezwungen, die Eisenbahner zu unterstützen. Er verspricht, daß es keine betriebsbedingten Kündigungen geben soll.



Die Gewerkschaften müssen die Tarifrunde 2000 nutzen, um die Gier der Bosse in die Schranken zu weisen. Nur durch Streik können unsere Tarifforderungen durchgesetzt werden. Und das ist die beste Grundlage, die "antikapitalistischen Ressentiments" zu einem Riesenproblem für Schröders Politik zu machen. Eine erfolgreiche Tarifrunde ist Inspiration für alle anderen, die gegen Lohn-, Sozial und Bildungskürzungen kämpfen.


Es gibt keine Möglichkeit, durch "Policy-Mix" die Kluft zwischen den Interessen der Unternehmer und der Arbeiterdauerhaft zu unterdrücken. Der Kampf von unten gegen den Kampf von oben, kann unser Selbstbewußtsein gegen die Verschleierung der wahren Absichten des Kapitals stärken.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.