Trittin, das ist kein Ausstieg!

Schröder einigte sich letzte Woche mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac, jährlich zwölf Castoren mit deutschem Atommüll von der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague in das deutsche Zwischenlager Gorleben zu überführen. Der erste Castortransport wird Ende März durch das Wendland rollen. Umweltminister Trittin ist entschlossen, für 100 Millionen Mark 20.000 Polizisten gegen die Protestierenden einzusetzen. Sein Argument: Eine Blockade des Transports sei "mit dem Ausstieg durch den Atomkonsens … nicht vereinbar."

Linksruck druckt im folgenden auszugsweise eine gemeinsame Erklärung vom 31.01.01 der Castor Gegner: Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz BBU, Ärzteorganisation IPPNW, Bund für Umwelt und Naturschutz BUND, Robin Wood, X-tausendmal-quer, BI Lüchow-Dannenberg und Grüne Liga:



"Bündnisgrüne Spitzenpolitiker streiten sich über den Umgang mit Protesten gegen den geplanten Atomtransport von La Hague nach Gorleben. Dieser Transport dient allein dem Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke und zementiert den Endlagerstandort Gorleben.


(…).


Im Interesse der Atomindustrie haben Gerhard Schröder und Jürgen Trittin den Atomtransport-Stopp aufgehoben, obwohl nicht einmal die Kontaminationsprobleme gelöst sind. Die Beladung eines deutschen Castor-Behälters im AKW Philippsburg im vergangenen Herbst musste nach vier Versuchen aufgegeben werden. Der Deckel war einfach nicht dichtzukriegen. Und auch der erste Versuch, einen Behälter des Typs TN 13 mit einem neuartigen Konatminationsschutzhemd zu überziehen, ist gescheitert.(…) Die Beispiele machen deutlich, dass der Schutz vor Radioaktivität bei Atomtransporten weder für die Polizei noch für die Bevölkerung gewährleistet ist.


Die Unterzeichner rufen die Bevölkerung und die Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen und die anderer Parteien dazu auf, sich an den – traditionell gewaltfreien – Protesten gegen die bevorstehenden Atomtransporte zu beteiligen."

Rot-Grün und ein Grossteil der Presse bezeichnen den Atomkompromiß als Ausstieg aus der Atomenergie.


Der Präsident der Atomlobby "Deutsches Atomforum", Otto Majewski, bewertete den Atomkompromiß dagegen als Sieg für seine Seite: "Unser erklärtes Ziel, die deutschen Kernkraftwerke zu wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen weiterhin nutzen zu können, haben wir erreicht."


Wenn der Atomkompromiß der Einstieg in den Ausstieg ist: Warum laufen die Atombosse nicht Sturm, sondern sind damit auch noch hochzufrieden? Dafür gibt es vier Gründe – vier Gründe, weswegen der Atomkompromiß kein Ausstieg ist.


Erstens: Für die bestehenden Kraftwerke wird eine "Reststrommenge" von 2.620 Terrawattstunden festgelegt, die sie noch produzieren dürfen. Dieser "Reststrom" entspricht der Menge, die seit der Inbetriebnahme des ersten Reaktors 1968 produziert wurde. Die Atomstromproduktion in Deutschland hat ihren Zenit also gerade mal überschritten.


Zweitens: Die Konzerne dürfen zwischen den Kraftwerken mit den Strommengen Handel treiben. So können die Atombosse unrentable Kernkraftwerke stillegen, um die rentableren länger laufen lassen.


Diese Klausel dient der Profitmaximierung, wie die Financial Times feststellt: "Die Branche leidet sowieso europaweit an Überkapazitäten. Die neueren Kraftwerke können dann fast bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts billigen Strom produzieren."


Drittens: Im Kompromißpapier erklärt die Regierung ihre Absicht den Neubau von Atomkraftwerken gesetzlich zu verbieten. In Deutschland wurde aber schon seit zwanzig Jahren kein Kernkraftwerk mehr in Auftrag gegeben.


Der Ausstieg aus dem Neubau ist also schon längst vollzogen. Das Gesetz würde nur schon bestehende Tatsachen nachvollziehen.


Viertens: Im Atomkompromiß hat sich Rot-Grün selbst die Hände gebunden: "Die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, mit der die Nutzung der Kernenergie durch einseitige Maßnahmen diskreditiert wird."


Mit einem Wort: Rot-Grün hat sich von den Atombossen über den Tisch ziehen lassen.


Das ist nicht die Folge mangelnden Verhandlungsgeschicks, sondern die Verhandlungsstrategie.


"Wir haben nie gegen die ökonomischen Interessen der Unternehmen handeln wollen" – sagte Gerhard Schröder, nachdem der Atomkompromiß ausgehandelt war.


Der Atomkompromiß bedeutet nur eines: Rot-Grün hat sich einseitig bereit erklärt, in seiner Amtszeit keine Atomkraftwerke abzuschalten.


Deswegen ist Rot-Grün jetzt entschlossen, den neuen Castor durchzuprügeln. Denn die Abklingbecken der Krernkraftwerke sind voll. Frankreich weigert sich aber, neuen Atommüll in La Hague wiederaufzubereiten, solange der alte noch dort lagert.


Der Transport von La Hague ins Zwischenlager Gorleben hat deshalb, wie Trittin behauptet, mit einer "internationalen und moralischen Verpflichtung" den deutschen Atommüll zurückzunehmen, nichts zu tun. Der Transport ist nur der Türöffner für weitere Castortransporte – von Deutschland nach Frankreich. Sie sind notwendig, um die Kraftwerke am Laufen zu halten.


Die Atombosse sind jetzt nervös. Sie haben Angst vor den Protesten gegen die Castortransporte. Um Druck auf die Regierung zu machen, die Transporte um jeden Preis durchzuknüppeln, drohen sie den Atomkompromiß platzen zu lassen.


Ein gutes halbes Jahr nachdem er ausgehandelt wurde, ist er nämlich immer noch nicht vertraglich besiegelt. Auch wenn Trittin uns das so verkauft.


Im Juni letzten Jahres wurde der Kompromiß nur "paraphiert", nicht vertraglich besiegelt – so meldete die Presseagentur Associated Press.


Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele kündigte deshalb in Radio Eins an, solange gegen die Castortransporte zu demonstrieren, bis das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet ist.


Er hat Recht. So lange die Regierung nicht mit den Atombossen bricht, braucht es außerparlamentarischen Widerstand.

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