Zapatistas – Ein Vorbild für die ganze Welt?

Am 1.1.1994 katapultierte sich der Widerstand gegen den Neoliberalismus auf die Titelseiten der Zeitungen: die EZLN, die Zapatistische Armee der nationalen Befreiung, organisierte den Aufstand im ärmsten Bundesstaat von Mexiko, in Chiapas. Rund 800 Frauen und Männer besetzten bewaffnet 6 Städte und forderten Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie. Eigentlich sollte an diesem Tag das Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsvertrages NAFTA gefeiert werden. Stattdessen wurden die Zapatistas weltweit zu einem Symbol der Rebellion gegen Neoliberalismus und Vorbild für viele Antikapitalisten.

Chiapas


Der Subcommandante Marcos der EZLN beschreibt die Ursachen der Rebellion: "Mehr als 600 Milliarden Pesos (ca. 60 Mrd US$, die Redaktion) verschwinden (pro Jahr) im Bauch der Bestie. Öl, elektrische Energie, Vieh, Geld, Kaffee. … Und was gibt die Bestie im Tausch für das, was sie nimmt? Ein Fünftel der gesamten Elektrizität Mexikos wird in Chiapas produziert, doch nur ein Drittel der chiapanekischen Haushalte verfügt über elektrisches Licht. Die kapitalistische Spur zeigt sich deutlich an der Gesundheit der Chiapaneken: 54% der Bevölkerung sind unterernährt, im Hochwald und im Lakandonischen Urwald sind es vier Fünftel der Menschen."


Die Zaptatistas wehren sich gegen die Ausbeutung und Unterdrückung ihres Volkes, indem sie sogenannte "Freiräume" schaffen. Sie wollen die Wirtschaft dort nach demokratischen Prinzipien organisieren.


Um dieses Ziel zu erreichen, führen sie einen bewaffneten Kampf, der den Staat zu Verhandlungen zwingen soll. Gleichzeitig schmieden sie ein Bündnis mit allen fortschrittlichen Kräften, wie zum Beispiel mit der PRD (Partei der demokratischen Revolution).


Rache


Der Staat reagierte auf den Aufstand mit einem brutalen Krieg. Die Luftwaffe bombardierte die besetzen Dörfer, während die Armee Massen von Chiapaneken hinrichtete. Armee und Paramilitärs der Großgrundbesitzer drangen in die zapatistischen Gebiete ein und verwüsteten Siedlungen. Die Guerrilleros mußten sich in die Berge zurückziehen.


Es ergab sich eine Pattsituation, in der die EZLN gegen die Übermacht von 60.000 Soldaten wehrlos war, und die Regierung den politischen Preis einer Vernichtung der Guerrilla nicht zahlen wollte. Denn inzwischen, rund ein Jahr nach dem Beginn des Aufstands der Zapatistas, hatten sich Hunderttausende in den Städten Mexikos versammelt. Mit dem Slogan "Wir sind alle Zapatistas" protestierten sie gegen die Militäraktionen und zwangen den Präsidenten Ernesto Zedillo im März 1995 die Offensive zu beenden.


Ein Waffenstillstand wurde ausgerufen. Unter Leitung des damaligen Bischofs von Chiapas wurde in San Andrés ein Abkommen über die Selbstbestimmungrechte der Bevölkerung getroffen. Die Regierung setzte es aber nie um.


Auch eine zweite Verhandlungsrunde scheiterte. Seitdem führt der Staat einen "Krieg niedriger Intensität" gegen die Zapatistas – mit Massakern, wie dem am 22. Dezember 1997, als in der Kommune Acteal 45 Zivilisten in einer Kirche erschossen wurden.


Metropole


Die Schwäche der EZLN liegt in ihrem Wesen als Kampforganisation der Landbevölkerung. Als Kleinbauern haben die Kämpfer nicht die Mittel, eine Militärmaschinerie aufzubauen, die den Staat schlagen kann. Ihre Waffen sind das Wort und das Gewehr.


Zentral für das Überleben der Guerrilla ist die Unterstützung, die von Marcos geschickt organisiert wird. Der Aufstand hat nicht nur eine breite Solidaritätsbewegung hervorgerufen, sondern auch der Linken in Mexiko wieder Auftrieb gegeben. An einem Referendum zur Zukunft der EZLN nahmen landesweit 1,5 Millionen Menschen teil. Im Sommer 1996 trafen sich 3000 Aktivisten aus aller Welt zum "Interkontinentalen Treffen gegen Neoliberalismus und für eine menschliche Gesellschaft". Eine ziviler Arm der EZLN wurde gegründet, die FZLN, ein loser Zusammenhang, der die Bürger Mexikos gegen das Regime zusammenführen soll.


Diese demokratische Opposition hat zwar die PRI (Partei der institutionalisierten Revolution) so stark geschwächt, daß ihre siebzigjährige Alleinherrschaft beendet wurde. Paradoxerweise hat davon aber der konservative Vincente Fox profitiert, der die Präsidentschaftswahlen im Juli gewann.


Denn die reformorientierte PRD (Partei der demokratischen Revolution) ist keine Alternative zur PRI. Korruptionsskandale und die Enttäuschung über ihre unsoziale Politik im Bürgermeisteramt von Mexiko-City ließen ihren Kandidaten Cárdenas bei der Wahl im Juli glatt durchfallen.


Also wird die Guerrilla ihre Taktik ändern müssen. Ihre Perspektive beschränkt sich auf ein Stück Land und die Forderung nach Demokratie. Den Kampf um die Macht im Staat lehnen die Zapatistas jedoch ab, weil ihnen die Methoden der Mächtigen verhaßt sind.


Deshalb hat die EZLN lange ein gutes Verhältnis zur PRD gehegt. Das hat ihr schwer geschadet.


Alleine läßt sich nicht einmal der Kampf um die elementaren Lebensnotwendigkeiten gewinnen. Deshalb muß die EZLN die Kämpfe der Arbeiter Mexikos ins Zentrum ihrer Politik stellen.


Streiks


Hunderttausende Lehrer, Elektriker und kürzlich die Arbeiter von VW in Puebla traten schon in den Streik, um für höhere Löhne und gegen Privatisierungen zu kämpfen. Die Pesoabwertung vom Dezember 1994 hatte den Wert der Sparguthaben halbiert und rief die schwerste Krise seit den 30er Jahren hervor. Als die staatlich kontrollierten Gewerkschaften aus Angst vor der wachsenden Radikalität unter den Arbeitern die traditionelle Demonstration am 1. Mai 1995 absagen wollten, gründete die Gewerkschaftsbasis ein Bündnis, das 200.000 Arbeiter auf die Straße brachte.


Die unabhängige Gewerkschaft FAT und die "Intergewerkschaftliche Koalition für den 1. Mai" gewinnt stetig an Bedeutung, während die Anzahl der Streikenden steigt: Der letzte Höhepunkt des Widerstandes war der Streik gegen Studiengebühren an der mit 200.000 Studierenden größten Universität Lateinamerikas von Mexiko-Stadt. Als der Streik nach elf Monaten noch anhielt, räumten Polizei und Militär in einem brutalen Einsatz die Universität.


Die Bewegung fordert genauso wie die Zapatistas den mexikanischen Staat und das weltweite imperialistische System heraus, das auf Dauer keine Freiräume dulden wird. Um Erfolg zu haben muß dem Neoliberalismus die Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft entgegengestellt werden. Die Zapatistas könnten ihre politische Autorität nutzen, um aktiv in den Städten, gerade unter Studierenden und in den Gewerkschaften, für den Aufbau einer landesweiten sozialistischen Organisation zu werben. Die Bewegungen der letzten Jahre zeigen, welches Potential für eine revolutionäre Opposition von unten existiert.

Dieser Beitrag wurde unter International, Südamerika veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.