Iran: Studenten erschüttern Terrorstaat

Anfang Juli kam es im Iran zu massiven Ausschreitungen von Studenten. Erst nach sechs Tagen gewann die Diktatur erneut die Oberhand, als sich der westlich orientierte Reformpräsident Khatami gegen die Studenten stellte. Bricht die Mullah-Diktatur zwei Jahrzehnte nach der gescheiterten Revolution von 1979 auf?
Linksruck diskutierte mit vier in Deutschland lebenden, iranischen Genossen über die jetzige Lage im Iran und die Perspektiven im Kampf gegen die Mullahs. Kijan war während der Unruhen im Iran, Simin floh bereits in den 60ern vor dem damaligen Schah-Regime nach Deutschland, ebenso wie die Eltern von Asadeh und Pedram. Das Interview führte Jan Maas.Linksruck: Im Anschluß an das Verbot der liberalen Tageszeitung Salaam kam es nicht nur zu Unruhen in Teheran. In 13 weiteren Städten gab es Proteste gegen die Diktatur. Wie kam es dazu?

Simin: Für mich ist der Hintergrund der Demos vor allem ein Machtkampf zwischen rivalisierenden Flügeln der islamischen Front, der Hisbollah.
Kijan: Hauptsächlich gibt es zwei: Zum einen den Betonflügel um den Religionsführer Ajatollah Chamenei. Dessen Unterstützung setzt sich aus dem rechtskonservativen Flügel der Mullahs, einem großen Teil der superreichen „1000 Familien“ und bewaffneten Einheiten zusammen.
Auf der anderen Seite steht Präsident Khatami als Vertreter des liberaleren Flügels der Geistlichkeit. Beide Flügel sind aber sehr heterogen.
Asadeh: Ich denke, der Machtkampf ist Ausdruck des Willens der Mehrheit der Iraner, etwas zur verändern. Die Wahl Khatamis und der neu formierte Reformflügel sind nur auf dieser Basis zu verstehen. Sein Rückhalt gegenüber den Vorstößen der Konservativen waren vor allem die Studenten. Es gäbe keinen Machtkampf oben ohne diese Protestbewegung unten.
Pedram: Der Fundamentalismus hat große Teile seiner Basis enttäuscht. Bei der Errichtung des islamischen Staates machte der Klerus große soziale Versprechungen. Die Mostafan, die Stadtarmen, sollten einen neuen Platz in der Gesellschaft bekommen. Aus diesen Schichten wurde der Kader der Hisbollah während der Konterrevolution rekrutiert.
Interessant ist, daß es jetzt auch alte Kader der Hisbollah sind, die für Reformen eintreten. Der Chefredakteur der Salaam war 1979 bei der Besetzung der amerikanischen Botschaft als islamischer Aktivist dabei.

Linksruck: Warum ließen die Mullahs Khatami überhaupt zur Wahl antreten?

Kijan: Ich denke, große Teile der Konservativen waren gegen Khatami. Wer den Iran kennt, weiß aber, daß niemand gegen den Willen des Regimes gewählt wird. Sie sahen die Notwendigkeit seiner Wahl ein, weil das Regime vor dem Bankrott steht.
Die Menschen im Iran waren sich dessen bei der Wahl Khatamis auch bewußt. Sie hofften auf einen langsamen Verschleiß des Regimes.
Besonders in den letzten paar Monaten wurde aber deutlich, daß die extremen islamischen Zirkel ihre Macht immer aggressiver verteidigen und die kleinen liberalen Errungenschaften der Ära Khatami zurückdrängen.
Dieser Rechtsruck mündete vor anderthalb Monaten in einem neuen Pressegesetz.
Asadeh: Gerade daran haben sich dann die letzten Aufstände entzündet. Salaam, die geschlossen werden sollte, war eine der populären, liberalen Zeitungen.

Linksruck: Warum explodierte der Unmut gerade jetzt?

Pedram: Der Krieg gegen den Irak preßte die Gesellschaft jahrelang wie in einem Korsett zusammen. Nun sind die Leute Zeuge eines Jahrzehnts, in dem die Reichen in Saus und Braus lebten, während die Masse der Bevölkerung in Armut verrottet. Diese Erfahrung brachte viele Fundamentalisten dazu, mit ihrer Ideologie zu brechen und Reformen zu fordern.
Asadeh: Entscheidend ist die Generation, die in diesem Staat aufgewachsen ist. 70% der Iraner sind unter 30 Jahre alt. Jugendliche sind die aktive Vorhut der Reformbewegung. Sie haben die tragische Erfahrung der islamischen Konterrevolution nicht mitgemacht und die Demoralisierung ist nicht so tief wie in der älteren Generation. Seit der Wahl Khatamis sammeln sie Selbstbewußtsein.
Dabei hat sich gerade der Nachwuchs der islamischen Studentenverbände radikalisiert. Ihre Erfahrung paßt nicht mit den ideologischen Eckpfeilern des Islam zusammen, die soziale Gerechtigkeit versprechen.

Linksruck: Wie sieht es nach den Unruhen aus?

Kijan: Überall im Land gab es Solidaritätsdemos. Die angeblich riesige Demo der regimetreuen Anhänger Chameneis war reine Propaganda.
Simin: Ja, die Herrschenden haben sich sehr schwach gezeigt. Aber sie haben gelernt: Wenn wir streiten, das ist schlecht. Deswegen war doch innerhalb von 48 Stunden die Armee auf der Straße. Mein Vater erzählt aus Teheran, daß praktisch Belagerungszustand herrscht.
Man kann nichts machen, die Leute haben Angst, Einkaufen zu gehen. Die Proteste gehen weiter, Gruppen werden gegründet, Flugblätter verteil. Aber jedem, der sich beteiligt, droht der Tod. Es ist eine sehr gefährliche Arbeit.
Pedram: Stimmt, die Bewegung ist zurückgedrängt worden. Aber die Reaktion der Rechten war kein Zeichen von Stärke. Zur Mullah-Demo in Teheran wurden Schüler und Arbeiter teilweise gezwungen. Die Bevölkerung stand eindeutig hinter den Studenten und fieberte mit.
Ich habe gehört, daß sich in Tabriz und Kermanschah Arbeiter der Maschinenbaubetriebe an Protesten beteiligt haben. Viele andere haben sympathisiert. Sie brachten den Studenten Essen und versteckten sie auch auf der Flucht vor den Sicherheitskräften.

Linksruck: Welche Bedeutung meßt Ihr den Unruhen bei?

Pedram: Die Rechten haben die Lage in den Griff bekommen, aber die Studenten spürten die Massen hinter ihrem Rücken. Die Studenten sind die Speerspitze, die Hoffnungsträger und der Fokus von Millionen.
Asadeh: Die Unruhen waren die wichtigsten Tage seit der Revolution. Zum ersten Mal traute sich jemand, die islamistischen Terrorbanden zurückschlagen.
Tausende von Frauen haben gemeinsam neben ihren männlichen Kommilitonen gekämpft. Leute, die am Tag zuvor nicht in einer Vorlesung nebeneinander sitzen oder miteinander reden durften!

Linksruck: Wie stark sind die Mullahs heute noch?

Simin: Es ist mit dem Mullah-Regime nicht einfach vorbei. Ein Student, der demonstriert hat, ist von Hisbollah-Leuten wiedererkannt worden. Im Namen Allahs haben Sie ihn aus dem fünften Stock geworfen, Klatsch und er war tot!
Tausend Intellektuelle zählen nicht, solange die Armen hinter dem Islam stehen, weil er das sagt, was sie hören wollen: Antiimperialismus und Antikapitalismus. Der Islam verspricht den Leuten das Paradies wenn nicht in diesem Leben, dann in einem anderen.
Pedram: Es steht nicht so schlecht. Die ökonomische Krise ist endlos. Die Armut wächst. Es gab eine Reihe von Streiks. Khatami versucht, Reformen einzuleiten, um einen Aufstand zu verhindern. Aber jede Reform ermutigt die Menschen, weiterzugehen. Genau davor hat er Angst: Daß die Reformbewegung außer Kontrolle gerät und das ganze System hinwegschwemmt.
Asadeh: Die Lehre wird entscheidend sein, die die Menschen aus dem Kampf mitnehmen: Khatami, der Hoffnungsträger der Studenten, der Reformpräsident, hat die Studenten und den Kampf um Reformen verraten. Sobald sie die Grenzen des Gesetzes überschritten, fiel er ihnen in den Rücken.
Linksruck: Wie kann sich die Bewegung weiterentwickeln?

Simin: Viele Leute haben genug von den Mullahs. Aber sie haben auch Angst, daß es schlimmer kommt. Die Studenten alleine werden keine Veränderung bringen, wenn die Masse nicht mitmacht und enttäuscht ist.
Asadeh: Die Erfahrung, daß Khatami gegen die Studenten stand, wird die Frage aufwerfen, wie Reformen zu erreichen sind. Die Studenten sind auf die Arbeiter angewiesen. Sie müssen deren Forderungen aufzugreifen!
Kijan: Das ist der Unterschied zwischen bürgerlichen und ärmeren Schichten. Die Studenten haben versäumt, für mehr Arbeit, mehr Brot oder mehr Wasser zu demonstrieren. Sie verlangten Pressefreiheit und distanzierten sich von den Arbeitslosen, die in Teheran Banken niederbrannten. Da konnte das Regime den Keil zwischen das Volk treiben.
Ich habe selbst erfahren, daß sich Menschen im Land zwar solidarisch zeigten, aber ihre Forderungen nicht verwirklicht sahen und somit auch nicht bereit waren, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Asadeh: Eine Orientierung auf die Arbeiterklasse wird auch die tiefergehenden Fragen der Klassengesellschaft hochspülen. Marx“ Grundrisse der Ökonomie waren übrigens vor einigen Monaten Bestseller im Iran.
Pedram: Der Iran ist nicht mehr der dunkle Fleck des Nahen Ostens. Mein Cousin sagte: Wir, die hier sind, spüren es. Es wird sich etwas ändern, bestimmt. Und es ändert sich zum Positiven.

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