US-Regierung will Bürgerkrieg

Im Irak stehen sich eine brutale Besatzungsmacht und ein allgemeiner Widerstand gegenüber. Über die Hintergründe und Ursachen spricht der Irak-Experte Aziz Alkazaz. Das Interview führte Stefan Ziefle.
Hat die Bush-Regierung den Krieg gegen den Irak 2003 für Demokratie und Menschenrechte geführt?
Es ist heute kein Geheimnis mehr, dass es darum nicht ging. Die USA wollten den Irak besetzen, um ihre strategische Position in der Region auszubauen. Dort befinden sich momentan 14 Militärstützpunkte im Bau. Es geht dabei um die Kontrolle des Öls in der Region, die zwei Drittel der bekannten Reserven ausmachen.
Wie auch schon beim Krieg gegen Afghanistan ist das Ziel der Pentagon-Strategen auch die Eindämmung des russischen Einflusses in der Region und die Einkreisung Chinas. China ist die aufstrebende Wirtschaftsmacht des 21. Jahrhunderts und wird in Washington als eine wachsende Bedrohung für die eigene Hegemonie gesehen. China ist zunehmend abhängig vom arabischen Öl.

Das US-Militär ist stolz auf seine Hightech-Waffen. War das, wie behauptet, ein Krieg ohne zivile Opfer?
Bereits im Krieg 1991 wurden international geächtete Waffen eingesetzt: Streubomben, abgereichertes Uran, eventuell sogar taktische Nuklearwaffen. Einige Regionen des Südiraks sind stark verstrahlt.
Einige dieser Waffen wurden auch dieses Mal benutzt. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 200.000 irakische Soldaten und 30.000 Zivilisten getötet worden sind.

Warum beginnt der Widerstand gegen die Besatzung erst so spät?
Der Widerstand beginnt nicht erst jetzt. Er hat als militärischer Widerstand bereits während der Invasion begonnen. Vor allem in den Städten gab es heftige Gefechte, weshalb die Invasionsarmee die Städte erst einmal umgangen hat, um direkt auf Bagdad vorzustoßen.
Aber es war jedem Iraker klar, dass es ein ungleicher Konflikt sein würde – zwischen einer Supermacht und einem Land der 3. Welt. Die USA haben diesen Krieg seit Jahren vorbereitet, das Embargo und die permanenten Bombardierungen der letzten Jahre waren ein Teil davon.
Deswegen haben sich die Iraker auf einen Guerillakrieg vorbereitet. Die Regierung hat Waffen an die Bevölkerung verteilt, Teile der Armee haben sich darauf vorbereitet, in den Untergrund zu gehen.

Die Besatzer scheinen völlig überrascht vom Aufstand der schiitischen Mahdi-Milizen zu sein. Waren sie nicht ausreichend über die Lage im Irak informiert?
Die Besatzer sind Gefangene ihrer Vorstellungen, die nicht immer richtig waren. Dazu gehört dieses Mosaik der Bevölkerung: Schiiten, Sunniten, Kurden, Araber, Christen, Turkmenen. Das ignoriert völlig das irakische Nationalbewusstsein.
Außerdem bestimmt die konfessionelle oder ethnische Zugehörigkeit nicht die Weltanschauung und das politische Programm. Bei den Schiiten gibt es Islamisten, Saddamisten, Nasseristen, Sozialisten und Kommunisten. Ebenso unter Sunniten oder Kurden.
Deswegen ist die Vorstellung absurd, dass alle Kurden und Schiiten unterdrückt waren und auf die Seite der USA wechseln würden, und die verbliebenen 20-25 Prozent dann leicht militärisch zu schlagen wären.
Das sogenannte „Sunnitische Dreieck“ in Zentralirak ist eine Illusion. Es gibt keine rein sunnitischen Gebiete. Der Widerstand konzentrierte deshalb zuerst in dieser Region, weil dort die Verwaltung des Landes, der Sitz der Übergangsregierung ist und die US-Truppen dort konzentriert sind. Schiiten, Sunniten und Kurden sind am Widerstand beteiligt.

Letzte Woche gab es das erste Mal direkte Verhandlungen zwischen US-Militärs und den sunnitischen Guerillagruppen, die bisher als Terroristen galten. Ist das ein strategischer Schritt, um den Aufstand der schiitischen Mahdi-Milizen zu isolieren?
Die Amerikaner haben erkannt, dass es ein Fehler war, Sunniten im allgemeinen, und die Baathisten im speziellen, systematisch auszuschließen. Jetzt leisten die Bewohner von Nadschaf bewaffneten Widerstand, trotz der überlegenen Feuerkraft der Besatzer und den hohen eigenen Verlusten, trotz der Bombardierung der Stadt.
Schiiten aus der Umgebung bringen Hilfe: Nahrung, Waffen und Munition.
Deswegen führen die USA jetzt Verhandlungen mit den Anhängern der Baath-Partei. Sie stellten den Großteil der Verwaltung und der öffentlichen Dienste. Ohne sie funktioniert nichts.

Warum wächst in der irakischen Bevölkerung die Unterstützung für den Widerstand?
Ein großer Teil der Bevölkerung hat die Versprechungen der US-Regierung geglaubt. Sie hofften, die USA würden die internationale Isolierung des Iraks durchbrechen, das Embargo beenden, die Auslandsschulden erlassen, den Wideraufbau vorantreiben. Und sie hofften auf ein Ende der Repressionen.
Aber nun sehen sie, dass die Amerikaner sich als Besatzer etablieren wollen. Der Wideraufbau der sozialen Infrastruktur und die Versorgung der Bevölkerung haben keine Priorität, sondern der Bau von Militärbasen und die Sicherung der Ölproduktion, sowie der Ausverkauf der lukrativen Teile der irakischen Wirtschaft an vornehmlich US-Konzerne.
„Wenn sie auf den Mars fliegen können“, fragen sich viele, „warum können sie unsere Kraftwerke nicht reparieren?“ Saddam hat das 1991 trotz UN-Embargo in wenigen Monaten geschafft – heute, ein Jahr nach der Invasion, haben viele Iraker immer noch nur drei Stunden am Tag Strom.
Und Freiheit gewährte die US-Verwaltung nur, als es gegen Saddam Hussein ging. Aktionen gegen die Besatzung werden brutal unterdrückt, Demonstrationen beschossen, Zeitungen geschlossen und Parteien verboten.
Die Frustration über die Besatzung wuchs auch, weil die Arbeitslosigkeit nach der Zerschlagung der staatlichen Verwaltung, der öffentlichen Dienste und der Armee bei über 70 Prozent liegt.
Die irakischen Auslandskonten wurden beschlagnahmt, angeblich um damit den Wideraufbau zu finanzieren. Aber kein Iraker kann kontrollieren, wohin das Geld fließt.

Würde ein Ende der Besatzung die Lage nicht noch schlimmer machen?
Das ist barer Unsinn, der verbreitet wird, um die Besatzung zu legitimieren. Es gab Versuche, bürgerkriegsartige Zustände hervorzurufen. Zum Beispiel gab es Anschläge auf sunnitische Moscheen, die dann den Schiiten in die Schuhe geschoben wurden. Die haben sich aber sofort davon distanziert.
Man weiß nicht, wer dafür verantwortlich war. Aber man weiß, dass die US-Regierung ein Interesse an einer Destabilisierung des Landes hat, um sich der irakischen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit als Garant für Sicherheit und Ordnung zu präsentieren.
Wie auch immer, der Zusammenhalt der irakischen Bevölkerung bleibt aufrecht. Ein Bürgerkrieg der Iraker untereinander ist nicht zu befürchten.
Zunehmend gibt es Konferenzen zur Versöhnung der irakischen Bevölkerungsteile. Kurden, Sunniten, Schiiten, auch Anhänger der Baath-Partei nehmen daran Teil. Diese Initiativen kommen von der irakischen Bevölkerung selbst.

Sind die Schiiten im Widerstand religiöse Fanatiker?
Das kann man überhaupt nicht sagen. Es ist immer bei arabischen Ländern zu beobachten, dass, wenn sie von außen bedroht werden, sie sich auf den Islam als identitätsstiftendes Element beziehen. Mehr Menschen gehen in die Moscheen, weil sie Halt in ihren kulturellen Traditionen suchen.
Daneben gibt es Gewerkschaften und Parteien. Aber in der Atmosphäre der Bedrohung werden alle in diese Richtung gedrückt. Das ist nicht die Situation, in der Sozialisten mit Religiösen über Atheismus diskutieren.
Das hat mit Fanatismus nichts zu tun.Aziz Alkazaz ist Mitarbeiter des Deutschen Orientinstitutes in Hamburg und Experte für Wirtschaft und Gesellschaft des Nahen Osten.

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