Kommentar: Deutschland sucht den Super-Aufschwung

Ganz Deutschland redet über die Krise. In den USA dagegen soll die Wirtschaft in diesem Jahr um 4,7 Prozent wachsen.
Doch das angebliche amerikanische Wirtschaftswunder taugt nicht zum Vorbild – es entsteht nämlich auf dem Rücken von Arbeitern, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern.
Seit Anfang der 1980er Jahre haben US-Regierungen immer wieder phasenweise wirtschaftliches Wachstum geschaffen.
Den Grundstein legte der konservative US-Präsident Reagan, der 1980 gewählt wurde. Er holte die US-Wirtschaft Mitte der 1980er aus der Krise, indem er die Lebensbedingungen der Arbeiter rücksichtslos verschlechterte.
Er senkte den Spitzensteuersatz von 70 auf 28 Prozent. Die Steuerbelastung von Arbeiterfamilien dagegen stieg.
Den Widerstand der Arbeiterbewegung brach Reagan, indem er 1981 einen Streik der Fluglotsen zerschlug. Dieser Schock lähmte die US-Gewerkschaften 16 Jahre lang.
Die Fluglotsen waren gut organisiert: 85 Prozent waren Gewerkschaftsmitglied. 95 Prozent hatten dem Streik zugestimmt und 13.000 von 17.000 Lotsen waren im Streik aktiv.
Reagan ließ die Streikführer verhaften und die Streikenden entlassen. Die Gewerkschaft wurde nicht mehr zu Verhandlungen zugelassen und Reagan zwang Militärpersonal, Rentner und die restlichen Fluglotsen zur Arbeit.
Danach hatte die Regierung freie Hand, die Tarifregeln auf dem Arbeitsmarkt zu zerstören und die Sozialsysteme kaputt zu machen. In den Betrieben setzten die Bosse eine Nullrunde nach der nächsten durch.
Gleichzeitig steckte Reagan 750 Milliarden Dollar in die Rüstungsindustrie. Diese Mischung aus Steuergeschenken für Reiche, Sozialabbau und Militärinvestitionen ist bis heute als „Reaganomics“ bekannt. Sie wurde von einem doppelten Defizit begleitet: Einer negativen Außenhandelsbilanz und einem wachsenden Schuldenberg.
Ende der 80er kam die Wirtschaftskrise wieder. Reagans Nachfolger Bush senior konnte sich nur vier Jahre lang halten. Sein demokratischer Herausforderer Clinton versprach 1992 neues Wachstum – und wurde gewählt.
Tatsächlich begleitete eine lange Wachstumsphase die Ära Clinton. Der Schuldenberg verschwand. Wieder wuchs die Wirtschaft auf Kosten der Mehrheit.
Als Clintons Zeit zu Ende ging, arbeiteten die Menschen in den USA im Schnitt 165 Stunden länger als 1975, aber zu denselben Löhnen wie 1975. In den acht Jahren demokratischer Regierung stieg die Zahl der US-Bürger ohne Krankenversicherung um 10 Millionen auf 44 Millionen.
Zur Jahrtausendwende ging auch diese Wachstumsphase vorbei. Bush junior löste Clinton 2000 durch einen Wahlbetrug ab und sah sich ab Ende 2001 einer schrumpfenden Wirtschaft gegenüber.
Das Wachstum, das nun für 2004 vorhergesagt wird, entsteht wieder auf Kosten der Mehrheit der US-Bürger. Bush verfolgt eine Neuauflage der „Reaganomics“.
Seine Regierung hat den Reichen neue Steuergeschenke gemacht. Seit 2001 sind mehr als 2,5 Millionen Arbeitsplätze in der US-Wirtschaft zerstört worden.
Kürzungen im Sozial- und Bildungshaushalt zerstören die Reste der Sozialsysteme. Darum ist die Zahl der Menschen, die von kostenlosen Suppenküchen abhängig ist, 2003 um 17 Prozent gestiegen. Inzwischen lebt jeder achte US-Amerikaner unter der Armutsgrenze.
Der Rüstungshaushalt hat 2004 die Rekordssumme von 379,9 Milliarden Dollar erreicht. Auch das doppelte Defizit in Haushalt und Außenhandel, das die Reagan-Ära kennzeichnete, ist wieder da.
Wenn die Bosse in Deutschland heute vom „Vorbild USA“ reden, meinen sie damit rücksichtslosen Sozialabbau, Steuergeschenke und Militärinvestitionen.
Diese Mischung hat zwar in den USA zu einem zahlenmäßigen Wachstum der Wirtschaft geführt – aber die Arbeiter haben davon nichts. Genauso wie die Arbeiter in Deutschland nichts von der Agenda 2010 haben.
Darum liegt auch der ehemalige SPD-Chef Lafontaine falsch, der die USA lobt, weil dort „der Staat mehr Geld ausgibt“, wie er der Bild-Zeitung sagte. Oder ist er wirklich der Meinung, dass die Bundesregierung die Krise durch rücksichtslose Aufrüstung und ein menschenverachtendes Besatzungsregime im Irak bekämpfen soll?

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