Wie Arbeiter Revolutionäre werden

Wenn man heute auf der
Straße Arbeiter anspräche und fragte, ob sie eine
Revolution wollten, würden sie einen für verrückt
erklären oder zumindest mit Entsetzen reagieren. Diese
Gleichgültigkeit oder gar Feindschaft der Arbeiter gegenüber
dem revolutionären Sozialismus überrascht nicht.

Wir wurden alle in einer
kapitalistischen Gesellschaft erzogen. In dieser Gesellschaft gilt es
als selbstverständlich, daß die Menschen sich egoistisch
verhalten. Presse und Fernsehen verbreiten ständig, daß
nur eine auserlesene Minderheit dazu in der Lage ist, wichtige
politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu fällen.

Vom ersten Schultag an wird
Arbeiterkindern beigebracht, daß sie den Befehlen ihrer Eltern
und Vorgesetzten zu gehorchen haben.

»Die herrschenden
Ideen sind die Ideen der herrschenden Klasse«, schrieb Marx.
Die große Mehrheit der Arbeiter stellt sie gar nicht in Frage.

Aber trotzdem ist es in der
Geschichte des Kapitalismus immer wieder zu revolutionären
Bewegungen der Arbeiterklasse gekommen: In Frankreich 1871, Rußland
1917, Deutschland und Ungarn 1918, Italien 1920, Spanien und
Frankreich 1936, Frankreich 1968, Chile 1972 – 73, Portugal 1975,
Iran 1979, Polen 1980/81.

Diese Erhebungen entstehen
aus dem Kapitalismus selbst. Denn der Kapitalismus ist eine
krisenanfällige Gesellschaft. Auf Dauer ist er nicht in der
Lage, Vollbeschäftigung und Wohlstand für alle zu
garantieren. Er kann uns den Lebensstandard von heute nicht gegen die
Krisen von morgen sichern, auch wenn die Arbeiter während der
Hochkonjunktur daran glauben.

So haben sich die deutschen
Arbeiter in den 50er und 60er Jahren und bis Mitte der 70er Jahre
daran gewöhnt, daß die Vollbeschäftigung im großen
und ganzen gesichert war, daß Sozialleistungen und der
persönliche Lebensstandard langsam aber stetig verbessert werden
konnten. Die kurze Rezession von 1967 hatte diese Erwartung nicht
wesentlich erschüttern können.

Aber seit 1974 wuchs das
Heer der Arbeitslosen auf Millionen an. Der Lebensstandard sinkt.
SPD- und CDU-Regierungen zerfetzen das "soziale Netz".

Weil es eine Art täglicher
Gehirnwäsche gibt, werden einige dieser Einschränkungen und
Angriffe auf den Lebensstandard als "notwendig"
hingenommen. Aber das hat Grenzen.

Es gibt einen Punkt, an dem
die Arbeiter das nicht mehr akzeptieren. Plötzlich – meist wenn
es niemand erwartet – bricht ihr Ärger in Aktionen gegen die
Unternehmer oder die Regierung aus. Es kommt zu Demonstrationen oder
Streiks.

Dann fangen Arbeiter an,
all jene kapitalistischen Ideen und Normen in Frage zu stellen, die
sie bis dahin bejaht hatten. Sie beginnen, Solidarität zu
zeigen, sie handeln als Klasse und im Gegensatz zu den Vertretern der
kapitalistischen Klasse.

Die Ideen des
revolutionären Sozialismus, die sie bis dahin verworfen hatten,
scheinen nun plötzlich mit ihren eigenen Aktionen
übereinzustimmen. Einige Arbeiter beginnen, sich mit solchen
Ideen ernsthaft auseinanderzusetzen – vorausgesetzt, daß diese
Ideen auch greifbar sind.

Das Ausmaß, mit dem
das geschieht, hängt vom Ausmaß der Kämpfe ab, nicht
von den Ideen, die ursprünglich in den Köpfen der
beteiligten Arbeiter herumspukten. Der Kapitalismus zwingt die
Arbeiter zur Gegenwehr, selbst wenn sie diese Gegenwehr auf der
Grundlage ihrer prokapitalistischen Ideen beginnen.

Die kapitalistische Macht
beruht auf zwei Säulen – der Kontrolle über die
Produktionsmittel und der Kontrolle über den Staat. Eine
wirklich revolutionäre Bewegung beginnt, wenn der Kampf der
Masse der Arbeiter für ihre unmittelbaren wirtschaftlichen
Interessen mit diesen beiden Säulen des Kapitalismus
zusammenstößt.

Nehmen wir als Beispiel
eine Gruppe von Arbeitern, die seit Jahren in der gleichen Fabrik
arbeiten.

Ihr gesamtes Leben ist von
der Arbeit in dieser Fabrik geprägt. Eines Tages verkündet
der Unternehmer, daß der Betrieb geschlossen werden soll.
Selbst die CDU-Wähler in der Fabrik sind schockiert und wollen
etwas gegen die Stillegung unternehmen. In der Verzweiflung
beschließen sie, die Fabrik zu besetzen, weil das der einzige
Weg zu sein scheint, das Leben weiterzuführen, das ihnen der
Kapitalismus versprochen hatte. Mit diesem Schritt haben sie aber
schon die Kontrolle des Unternehmers über die Produktionsmittel
in Frage gestellt.

Es dauert nicht lange, und
sie werden im Konflikt mit der Staatsmacht sein, weil der Unternehmer
die Polizei ruft, die ihm "sein" Eigentum zurückgeben
soll.

Auf diese Weise schafft der
Kapitalismus selbst die Bedingungen für den Klassenkonflikt,
durch den die Arbeiter zu Ideen kommen, die sich gegen den
Kapitalismus richten. Deshalb ist die Geschichte des Kapitalismus
auch eine Geschichte wiederkehrender Aufschwünge von
revolutionären Ideen unter Millionen von Arbeitern, obwohl sie
für lange Zeit die Ideen, mit denen das System sie täglich
füttert, akzeptieren.

Eines der größten
Hindernisse auf dem Weg zu revolutionären Ideen ist allerdings
das Gefühl, daß man ja von den anderen Arbeitern allein
gelassen werde. Deshalb sei das Risiko zu groß, irgendetwas zu
unternehmen.

Wenn sie aber herausfinden,
daß andere Arbeiter etwas unternehmen, verlieren sie plötzlich
ihre Gleichgültigkeit, ein wichtiger Grund, warum die
bürgerliche Presse kaum oder nur oberflächlich darüber
berichtet.

Arbeiter, die jahrelang von
ihrer Unfähigkeit, die Gesellschaft zu leiten, überzeugt
waren, machen im Verlauf von Kämpfen die Erfahrung, daß
sie gegen die bestehende Gesellschaft bereits die Organisierung und
Führung wichtiger Teile der Gesellschaft ausüben.

Aus diesem
Grund entwickeln sich revolutionäre Bewegungen, wenn sie erst
einmal begonnen haben, mit erstaunlicher Geschwindigkeit wie ein
Schneeball zur Lawine.

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