Eine neue Linke entsteht – Wir können die Welt verändern


Peter Strotmann ist Berufsschullehrer für Informatik und Ökonomie an einem Oberstufenzentrum in Berlin. Er war 1968 im SDS (Sozialistischen Deutschen Studentenbund) und im AStA der Freien Universität Berlin gegen den Krieg in Vietnam aktiv. Er ist heute Mitglied im Attac-Rat.

Am 15. Februar werden Millionen Menschen auf der Welt gegen einen Angriff auf den Irak demonstrieren. Wie können wir verhindern, dass die Proteste danach wieder abflauen?

Das Schlimme ist, dass dieser Krieg wohl erst der Anfang einer Reihe von Kriegen ist, die die US-Regierung plant.

Nach den Demonstrationen am 15. Februar sollten wir darum drei Dinge tun: Kurzfristig sollten wir unsere Vernetzung ausbauen, indem wir zum Beispiel Gewerkschaften, Kirchen, Nicht-Regierungorganisationen, Teile von Grünen und SPD mit ins Boot holen.

Mittelfristig sollten wir versuchen, eine linke Strömung innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung zu stärken, die sich über den Neoliberalismus hinaus auch das kapitalistische System selbst zur Brust nimmt.

Langfristig werden wir eine sozialistische Alternative finden müssen, in der aus den bisherigen Sozialismusversuchen gelernt wird und etwas Neues entsteht.

Was hat dieser Krieg mit Globalisierung zu tun?

Der Neoliberalismus überlässt alle gesellschaftlichen Fragen dem Markt. Er schafft damit Wirtschaftskrisen und soziale Polarisierung weltweit.

Diese unsichtbare Hand des Marktes verursacht für die große Mehrheit der Weltbevölkerung Elend und Verarmung. Allerdings – wo Unterdrückung ist, ist auch Widerstand.

Die unsichtbare Hand des Marktes benötigt daher auch die sichtbare Faust imperialer Macht.

Krieg und neoliberale Politik sind also zwei Seiten derselben Medaille. Auf den Demos in den USA sah ich neulich "No justice, no peace" ("Keine Gerechtigkeit, kein Frieden", d. Red.). Die Strukturen der Gesellschaft müssen geändert werden, wenn man Kriege beseitigen will.

1968 hast du dich an einer Massenbewegung beteiligt, die den Vietnamkrieg gestoppt hat. Wie habt ihr euch damals gefühlt?

Das hat mein Leben geändert. Die USA waren zunächst unser Idol. AFN-Musik, US-Kultur, Freiheit, Multikulturalismus. Als die USA dieses kleine Land mit ihrer Supertechnologie überfielen, änderte sich alles.

David gegen Goliath, Regimewechsel gegen Basisdemokratie, Chemische Massenvernichtungswaffen gegen wehrlose Bauern. Man kam ins Nachdenken…

Dass die USA diesen Krieg gegen Vietnam verloren haben, hat uns viel Kraft gegeben. Es war möglich, eine Supermacht zu stoppen. Und wir selbst hatten uns verändert.

Den Schwung aus der Bewegung gegen den Krieg gegen Vietnam in einen grundlegenden Wandel hier umzuwandeln, das haben wir allerdings damals nicht geschafft.

Wie konnten die gesellschaftlichen Proteste 1968 so groß werden?

Die Bewegung 1968 richtete sich nicht nur gegen den Krieg. In Deutschland gab es an den Unis eine rebellische Stimmung gegen die autoritären Strukturen. Und diese Proteste wurden von den Autoritäten mit Repressionen beantwortet.

Unsere antiautoritären Proteste waren eingebettet in eine weltweite Bewegung. Besonders viel Wind kam aus den USA selber. Von der Bewegung dort – vom anderen Amerika – haben wir viel gelernt: wie man Teach-Ins veranstaltet, gegen Autoritäten rebelliert und den legalen Rahmen überwindet – von den Studentenprotesten in den USA haben wir zivilen Ungehorsam gelernt.

Wie habt ihr damals gearbeitet?

Besonders Rudi Dutschke hat sich dafür eingesetzt, dass es einen ständigen Zusammenhang zwischen Aufklärung und direkten Aktionen gab. Sich selbst was beibringen, damit man anderen was beibringen kann – und dann zu handeln – das war unsere Parole.

Ein Höhepunkt war 1968 der Vietnam-Kongress, der im Februar an der TU in Berlin stattfand. Ingesamt waren 4.000 Leute da – alle Schattierungen, wie heute bei Attac: anarchistische, sozialdemokratische, christliche, sozialistische oder kommunistische Gruppen, aus ganz Europa. Außerdem sind Schriftsteller und profilierte Personen gekommen, die gesamt linke Intelligenz sympathisierte mit uns.

Wie heute lag ein gesellschaftlicher Umbruch in der Luft. Die Stimmung auf unseren Demonstrationen war sehr optimistisch. Wir wollten die Welt hier und jetzt und sofort verändern. Eine revolutionäre Ungeduld, die uns nicht nur gut getan hat.

Und wie wolltet ihr die Welt verändern?

Zunächst war die Bewegung auf die Unis beschränkt, dann sind wir aus den Unis raus in die Stadtteile und Betriebe gegangen. Zunächst waren die meisten Arbeiter nicht so begeistert von unseren Ideen. Sie wurden weniger von der Theorie sondern mehr von einer antiautoritären Haltung angezogen.

Wir haben in unseren Widerstand dann auch die Konflikte in den Betrieben miteinbezogen: es ging um Lohnerhöhungen, die Einrichtung von Pausenräumen oder Meister, die Arbeiter schikaniert haben. Wenn es irgendwo ein Problem gab, haben wir gleich am nächsten Tag vor dem Betrieb Zeitungen verteilt.

Stehen wir heute vor einem neuen 1968?

In den 60er Jahren war die Bevölkerung in Berlin amerika-hörig und zunächst für den Vietnam-Krieg. Heute sind die meisten dagegen, noch bevor der Krieg angefangen hat. Damals waren wir zuerst eine kleine Minderheit, heute sind wir schon ganz viele, die den Krieg stoppen wollen.

Heute beobachten wir wieder eine historische Umbruchphase, es liegt etwas in der Luft. Die Wirtschaft der USA ist am Kippen, das Verhältnis zwischen den USA und Europa ändert sich. Der Dollar verliert seine Vormachtstellung. Die drei größten Wirtschaftsblöcke, die USA, Japan und die EU befinden sich in der Krise – das öffnet Spielraum für gesellschaftliches Handeln. Wir beobachten ein Anschwellen der Antiglobalisierungsbewegung weltweit. Aber auch die Gegenseite erscheint manchmal übermächtig.

Welche Chancen haben wir heute, das zu Ende zu bringen, was 1968 nicht gelungen ist: die Veränderung der ganzen Gesellschaft?

Heute suchen weltweit Menschen nach einer Alternative. In den 12 Jahren nach dem Zusammenbruch des Ostblocks gab es eine Erstarrung, in der der Neoliberalismus sich frei entfalten konnte. Der globalisierte Kapitalismus zeigt, was er kann. Und das ist wenig.

Die Menschen spüren, dass die Wirtschaft krisenhafter, dass die sozialen Bedingungen schlechter und dass die ökologisches Verhältnisse bedrohlicher werden. Im Krieg spitzt sich diese Entwicklung zu.

Ob in Lateinamerika, Nordamerika oder Europa – die Menschen, vor allem die jungen, spüren, dass es so nicht mehr weitergehen kann und sagen: "Jetzt reicht´s!"

Beim Weltsozialforum in Porto Alegre und beim Europäischen Sozialforum in Florenz war diese Stimmung deutlich zu spüren: Eine andere Welt ist möglich. Man kann die Welt verändern, man ist nicht passiv – und das gibt Kraft. Und das ist vielleicht das Gemeinsame zwischen 68 und heute.

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