Die Niederlage vor Augen

US-Präsident Bush verliert den Krieg im Irak – und könnte trotzdem einen neuen beginnen.


Soldaten der amerikanischen Nationalgarde vor dem Abflug in den Irak. Die Nationalgarde liegt momentan 30 Prozent hinter ihren Rekrutierungszielen – viele haben Angst im Irak zu sterben.

Der Feldzug im Irak ist ein Debakel für die Bush-Regierung. 150.000 US-Soldaten kämpfen im Irak. 1.371 US-Soldaten wurden bisher getötet, knapp 10.000 verletzt, viele davon so schwer, dass sie nie wieder ein normales Leben führen können. Weitere 15.000 Soldaten sind seit Kriegsanfang wegen „psychischer Probleme“ beurlaubt wurden – traumatisiert durch die Kriegserfahrung. Im August 2004 wurden die Besatzer und irakische Hilfstruppen 2.700mal angegriffen. Seit September 2004 liegt die Zahl der Angriffe regelmäßig bei über 3.000 pro Monat.

Als US-Verteidigungsminister Rumsfeld letzten Monat die Truppen im Irak besuchte, wurde er von unzufriedenen Soldaten mit Kritik überhäuft. Viele der im Irak kämpfenden Soldaten sind eingezogene Reservisten aus der Nationalgarde. Diese „Wochenend-Soldaten“ rechneten damit, ein bis zwei Monate im Irak zu bleiben, um dann zu ihren Familien zurückzukehren. Statt zwei Monaten werden bald zwei Jahre im Einsatz sein, weil die Bush-Regierung nicht genug Soldaten hat, um die Truppen im Irak auszutauschen.

Die Moral der Armee sinkt. 5.000 Soldaten der US-Armee sind seit Beginn des Krieges desertiert. Viele dieser Soldaten sind nach Kanada geflüchtet, um den Feldjägern der Militärpolizei zu entgehen. Die Nationalgarde hat erstmals seit zehn Jahren ihr Rekrutierungsziel verfehlt – statt den geplanten 56.000 Rekruten meldeten sich nur 51.000. Der Grund hierfür ist die Angst, in den Irakkrieg geschickt zu werden und dort zu sterben. Der Chef der US-Heeresreserve, James Helml, sagte kürzlich, die Truppen im Irak „verkommen zu einer gebrochenen Streitmacht“. Die Tatsache, dass die vorgeblichen Kriegsgründe wie Massenvernichtungswaffen oder Verbindungen Saddam Husseins zu Osama bin Laden eingestandenermaßen alle erfunden waren, drückt die Moral zusätzlich.

Die Verluste der US-Armee verblassen gegenüber dem fürchterlichen Preis, den die Iraker für die Besatzung zahlen müssen. Laut einer Studie des englischen Medizin-Journals Lancet sind bisher 100.000 Iraker durch den Krieg und die Besatzung umgekommen – durch Bomben, Kugeln und durch die Zerstörung der irakischen Infrastruktur, des Gesundheitswesens, der Trinkwasserversorgung. Die UNO warnt in einer Studie, 400.000 Kinder im Irak seien durch Unterernährung und daraus folgende Durchfallerkrankungen vom Tode bedroht. Damit hat sich seit der Invasion die Zahl der unterernährten Kinder im Irak verdoppelt.

Allein die Zerstörung der Stadt Falludscha durch US-Truppen im November letzten Jahres kostete über 6.000 Iraker das Leben. Falludscha hatte einst 300.000 Einwohner. Nun leben noch einige zehntausend Menschen in den Ruinen, die weiterhin umkämpft werden. Über hunderttausend ehemalige Einwohner fristen ihr Leben in Flüchtlingscamps.

Die Brutalität der Besatzung ist die wesentliche Ursache für den stärker werdenden Widerstand im Irak. Seit ihrem Einmarsch behauptet die Bush-Regierung, der Widerstand würde von einer kleinen Gruppe „ausländischer Terroristen“ getragen, die sich in Falludscha sammelten. Doch unter den 1.600 toten Kämpfern, die nach dem Sturm auf Falludscha identifiziert wurden, waren nur 24 Nicht-Iraker.

Die Wahrheit ist, dass der irakische Aufstand von der Bevölkerung getragen wird. Der irakische Geheimdienstminister Muhammad al-Shahwani geht davon aus, dass sich mittlerweile 200.000 Iraker aktiv im Widerstand engagieren und von der Sympathie breiter Teile der Bevölkerung, gerade in den sunnitischen Gebieten, unterstützt werden. Diese Einschätzung wird von US-Kommandeuren vor Ort geteilt. Damit wäre der Widerstand im Irak viel tiefer in der Gesellschaft verankert als beispielsweise die französische Resistance unter der deutschen Besatzung.

Viele Iraker haben nach dem Sturz Saddam Husseins abgewartet, ob die Amerikaner ihre Versprechen von Wohlstand und Stabilität einlösen oder sich als Besatzungsmacht aufführen würden. Als wenige Wochen nach dem Sturz Saddams die ersten Demonstrationen für mehr Demokratie von US-Truppen zusammengeschossen wurden, wandten sich viele Iraker von den Besatzungstruppen ab. Auch die Einrichtung der „provisorischen Regierung“ unter dem ehemaligen CIA-Mitarbeiter Allawi hat diese Situation nicht verbessert.
Eine zunehmend demoralisierte Armee steckt fest in einem Krieg gegen eine von der Bevölkerung unterstützte Widerstandsbewegung. Mit einem ähnlichen Szenario sahen sich die USA schon einmal Ende der 60erJahre konfrontiert. In Washington und in hohen Kreisen des US-Militärs macht das V-Wort die Runde – Vietnam.
Doch die Aussicht auf eine Niederlage muss die US-Regierung nicht dazu bewegen, Besatzung und Gewalt zu beenden. Robert McNamara, der US-Kriegsminister zu Zeiten des Vietnamkriegs, bestätigte letztes Jahr, dass ein großer Teil der Herrschenden in den USA schon Mitte 1968 zu dem Schluss kam, dass der Krieg in Vietnam nicht mehr zu gewinnen sei. Bis zum endgültigen Abzug vergingen dann aber noch über sieben Jahre. In diesen Jahren ermordete das US-Militär noch über eine Million Vietnamesen, viele davon durch ein ununterbrochenes Flächenbombardement des Nordteils des Landes. 1971 wurde der schon verloren gegebene Krieg noch auf Kambodscha ausgeweitet.
Es ist durchaus denkbar, dass die Bush-Regierung im Irak eine ähnliche Flucht nach vorne wählt. In der neuesten Ausgabe des Magazins „The New Yorker“ berichtet der Journalist Seymour Hersh von US-Spezialeinheiten, die seit dem Sommer heimlich in den Iran einsickern, um Ziele für ein mögliches Bombardement auszukundschaften.
Hersh zitiert einen engen Regierungsberater mit den Worten: „Die Zivilisten im Pentagon wollen rein in den Iran und so viel von der militärischen Infrastruktur zerstören wie nur möglich.“

Die Bush-Regierung selbst hat schon vor zwei Jahren klargestellt, dass sie die Invasion des Irak nur als Auftakt zu einem langen Feldzuges versteht – die US-Regierung kämpft um die Beherrschung der Welt. Zwei Tage nach Bushs Angriff auf den Irak sagte William Kristol, der Vorsitzende des „Projekts für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert“ (PNAC), einem Zusammenschluss konservativer Politiker, es gehe darum, einen „Mangel an Ehrfurcht vor den USA“ zu beseitigen. Als Bush Anfang 2001 Präsident wurde, kamen die Strategen des PNAC an die Regierung. Ihr Ziel ist, die Überlegenheit des US-Militärs zu benutzen, um politische und wirtschaftliche Konkurrenten auf der ganzen Welt unter amerikanische Vorherrschaft zu zwingen. Die Kontrolle über den Nahen Osten spielt dabei eine zentrale Rolle, denn die Ölproduktion der Region ist unerlässlich für die Energieversorgung der ganzen Welt.

Bush will auf seiner Europareise im Februar für mehr Unterstützung bei der Besatzung werben. Die Chancen stehen gut, das er tatsächlich mehr Hilfe aus Europa erhält.

Denn an einem Abzug der US-Armee aus dem Irak haben auch die europäischen Herrscher kein Interesse. Die irakische Widerstandsbewegung bedroht, indem sie den Besatzern des Landes die Macht streitig macht, gleichermaßen die Interessen der Herrschenden in Europa und den USA.

Überall im Nahen Osten – nicht nur im Irak, sondern auch in Ägypten, Saudi-Arabien oder Jordanien- herrschen undemokratische und brutale Diktaturen, die die Ausbeutung der Region durch den Westen sicherstellen. Sie alle sind auf westliche, insbesondere amerikanische Unterstützung angewiesen, ohne die sie nicht lange gegen den Widerstand ihrer zunehmend verarmten und aufgebrachten Bevölkerungen halten könnten.

Ein erzwungenes Ende der Besatzung des Irak würde die örtlichen Diktaturen enorm schwächen und das Tor für große Bewegungen von unten öffnen, die die Kontrolle der Reichtümer der Region in die Hände ihrer Bewohner legen könnten.

Diese Aussicht beunruhigt nicht nur die US-Regierung. Auch Schröder und Fischer fürchten nichts mehr als eine „Destabilisierung“ der Region, also die Entmachtung der westlichen Konzerne, die sie jetzt ausbeuten.

Aus diesem Grund unterstützt Schröder die Besatzung, indem er irakische Hilfstruppen ausbildet. Die Bundeswehr in Afghanistan nimmt Bush Arbeit ab und stellt so US-Truppen für die Besatzung des Irak frei.

Keiner der Herrschenden Europas wird die Besatzung beenden oder eine Ausweitung des Krieges verhindern.
Europas Staatschefs versuchen stattdessen, Bush ähnlicher zu werden, um in der Konkurrenz mit den USA nicht abgehängt zu werden. Seit Jahren stricken europäische Politiker aller Parteien an einer weltweit einsatzfähigen EU-Armee, die unabhängig von den USA die Profitinteressen europäischer Konzerne durchsetzen soll. Und auch im Inneren werden durch Sozialabbau und Angriffe auf Arbeiter amerikanische Verhältnisse geschaffen, um die „Wettbewerbsfähigkeit“ der europäischen Industrie zu erhöhen.

Dieser Wahnsinn wird nicht von alleine oder aufgrund der Einsicht der Herrschenden enden, sondern nur, wenn Millionen sich gegen ihn wenden, wie es vor dem Angriff auf den Irak der Fall war. Deshalb sollte jeder zum Bush-Protest nach Mainz fahren – und am 19. März bei der europaweiten Demonstration in Brüssel den europäischen Herrschern die Stirn bieten.

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