Hundert Tage Grauen

„Sometimes in April“ und „Hotel Ruanda“ sind die ersten großen Spielfilme über den Völkermord in Ruanda 1994.

„Wann wurde das Paradies zur Hölle?“, fragt jemand zu Beginn von „Sometimes in April“. Der Film gibt auf diese Frage dieselbe Antwort wie „Hotel Ruanda“: Ruanda wurde zur Hölle, als es 1916 unter belgische Kolonialherrschaft kam.

Jahrhunderte lang hatten die Völker der Tutsi und Hutu dort friedlich zusammengelebt. Erst die belgischen Besatzer trennten die Tutsi von den Hutu. Ab 1926 räumten sie der Tutsi-Minderheit Privilegien ein, damit sie die Macht Belgiens unterstützte.

1959 übergaben die Belgier die Regierung an die Hutu-Mehrheit und begannen, Ruanda zu verlassen. Anfang der 60er wurde Ruanda unabhängig. Nun unterdrückten die Hutu die Tutsi und verübten immer wieder Massaker.

Daraufhin gründeten vorwiegend Tutsi die „Patriotische Front Ruandas“ (RPF). Anfang der 90er Jahre brach ein Bürgerkrieg zwischen den Völkern aus. Im Sommer 1993 unterzeichnete der ruandische Hutu-Präsident Habyarimana ein Friedensabkommen mit der RPF.

Am 6. April 1994 kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, der wahrscheinlich von Hutus verursacht wurde, die die Umsetzung des Friedensabkommens verhindern wollten. Unmittelbar danach begannen die Hutu-Armee und von ihr ausgebildete Milizen, Tutsi und gemäßigte Hutu zu ermorden.

Bis zu 1 Million Menschen starben in den nächsten hundert Tagen. Mehr als 3 Millionen flohen ins Ausland. Die Massaker waren eine späte Folge der belgischen Kolonialherrschaft.

Die Regisseure Raoul Peck („Sometimes in April“) und Terry George („Hotel Ruanda“) erzählen jeweils vom Schicksal einer Familie während des Völkermords. In beiden Filmen steht ein Hutu im Mittelpunkt, der mit einer Tutsi verheiratet ist.

Beide Filme schildern die verzweifelten Bemühungen ihrer Hauptfiguren, sich selbst und ihre Familien zu retten. Und beide Filme zeigen das Grauen der Massaker vor allem durch die verstörten Gesichtszüge der Überlebenden. Sie vermeiden es, menschliches Leid für Schockeffekte auszubeuten.

Die Hauptfigur von „Sometimes in April“ („Manchmal im April“) ist der Lehrer Augustin. Jedes Jahr im April überkommt ihn die Erinnerung an den Völkermord mit ungebrochener Macht.

2004 sieht Augustin erstmals seinen Bruder Honoré wieder. Dieser arbeitete 1994 bei einem Hutu-Radiosender, der zu Mord und Vergewaltigung an Tutsi aufrief.

Jetzt wird Honoré von einem internationalen Tribunal angeklagt. In langen Rückblenden erzählt der Film, wie Augustins Familie in den Wirren des Völkermords zugrunde ging.

„Sometimes in April“ zeigt die Schicksale zahlreicher Menschen. Dabei gelingt es Regisseur Peck, den Horror des Massenmords in einigen unvergesslichen Szenen festzuhalten: etwa wenn Augustin von Milizen gezwungen wird, seinen Freund zu ermorden. Ein anderes Mal sprengt sich eine Frau mit Soldaten in die Luft, um Vergewaltigungsopfern die Flucht zu ermöglichen.

Leider zerfasert der Film gegen Ende, weil Peck versucht, möglichst viele Seiten des Konfliktes zu zeigen. Unter anderem erzählt er von den Diskussionen im Weißen Haus, ob die US-Armee Ruanda besetzen solle.

„Hotel Ruanda“ beschränkt sich hingegen auf die wahre Geschichte von Paul Rusesabagina (Don Cheadle). Nach Beginn der Massaker wird ihm die Leitung des Vier-Sterne-Hotels „Mille Collines“ in der Hauptstadt Kigali übertragen.

Der Hutu Paul ist ein unpolitischer Mann. Er hat vor allem Angst, seine Arbeit zu verlieren und will das Hotel unter allen Umständen geöffnet halten.

Doch dann dringen Hutu-Soldaten in Pauls Haus ein, um seine Frau Tatiana, eine Tutsi, und seine Kinder zu ermorden. Paul kann das mit Bestechung verhindern und versteckt seine Familie fortan im Hotel.

Bald nimmt Paul hunderte Tutsi-Flüchtlinge im Hotel auf. Als die Hutu-Armee davon erfährt, muss sich Paul mit verzweifeltem Mut immer neue Tricks ausdenken, um seine Familie und die Flüchtlinge zu beschützen. Es gelingt ihm, 1268 Menschen das Leben zu retten.

Regisseur George sagt über seinen Film: „Es geht darum, dass ein einfacher Mensch den Mut findet, sich der Gewalt zu widersetzen und das Richtige zu tun.“ Dass Pauls Wandlung vom Manager zum Menschenretter glaubhaft wird, liegt vor allem an der beeindruckenden Leistung von Cheadle.

Einmal kehrt Paul ins Hotel zurück, nachdem er auf der Suche nach Lebensmitteln auf einen Berg von Leichen gestoßen ist. Er, der immer auf Ordnung bedacht war, ist nicht mehr fähig, seine Krawatte zu binden.

Erst lächelt Paul, während er sich mit dem Knoten abmüht. Dann bricht er weinend zusammen.

„Hotel Ruanda“ stellt die Liebe zwischen Paul und Tatiana in den Mittelpunkt. In fast jeder Szene verfolgt der Film den gemeinsamen Kampf der beiden um das Überleben ihrer Familie. Deshalb ist „Hotel Ruanda“ berührender als „Sometimes in April“.

Regisseur George setzt nicht nur dem Mut des echten Paul Rusesabagina – er war Berater des Films und sagte, dieser beruhe zu 90 Prozent auf Tatsachen – ein Denkmal. Er zeigt auch, welche Kraft Menschlichkeit und Solidarität selbst unter nahezu hoffnungslosen Umständen entfalten können.

„Sometimes in April“ und „Hotel Ruanda“ sind trotz verschiedener Schwächen wichtige Filme. Sie wurden teilweise in Ruanda selbst gedreht.

Die Regisseure hoffen, mit ihren Filmen dazu beizutragen, dass der Völkermord an den Tutsi nicht vergessen wird. Und sie wollen der Vorstellung entgegentreten, das Leben eines Afrikaners sei weniger wert.

„Hotel Ruanda“ läuft ab 7.April in den Kinos. „Sometimes in April“ hat noch keinen Starttermin.

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