1945: Die neue Welt war verboten

Nachdem die Alliierten am 8. Mai 1945 Nazi-Deutschland besiegt hatten, zerschlugen sie auch mehrere antifaschistische Freiheitsbewegungen Bewegungen.


Eine Massenversammlung von Arbeitern im Ruhrgebiet fordert die Enteignung der Industriebarone, die Hitler unterstützt hatten.

Deutschland im April 1945: Aus den Trümmern der ausgebombten Städte erhebt sich eine Demokratiebewegung. Hunderte Antifaschistische Komitees werden gegründet, meist von Kommunisten und Sozialdemokraten.
"Wir erfüllen praktisch Aufgaben der späteren Stadtverwaltung. Versammlungen von Bäckern wurden organisiert, um die Versorgung mit Brot wieder in Gang zu bringen. Ärzte wurden zusammengerufen, um das Gesundheitswesen wieder aufzubauen," berichtet ein Komiteemitglied aus Berlin-Neukölln.
Neben der Organisation des Lebensnotwendigen beginnen Antifaschisten mit dem grundlegenden Umbau der Gesellschaft – mit breiter Unterstützung der Bevölkerung. Denn nach dem Ende des Krieges ist die Mehrheit in Deutschland gegen den Kapitalismus.
Der Generalsekretärs des CDU-Vorläufers CDP Zimmermann schreibt im November 1945: "Die politische Tendenz geht in aller Welt nach links. Die soziale Not, die im Verfolg ("in Folge", die Redaktion) des Krieges überall entstanden ist, macht dies verständlich." Aktivisten vor Ort beseitigen die Strukturen der Nazi-Diktatur und kämpfen für eine neue soziale Ordnung.
Antifaschistische Komitees werfen Nazis aus Verwaltung und Betrieben. In einigen Firmen im Ruhrgebiet werden leitende Angestellte, die mit den Nazis zusammengearbeitet hatten, verhaftet. Betriebsausschüsse und Betriebsräte übernehmen die Leitung.
Der US-amerikanische Historiker Almond schreibt: "Fast ausnahmslos wurden die alliierten Truppen bei der Besatzung größerer deutscher Städte von Delegationen linker Antifaschisten empfangen, die fertige Pogramme, Kandidaten für die örtliche Verwaltung und Unterstützung bei der Durchführung der Entnazifizierung bereit hielten."
In Hamburg planen Sozialdemokraten und Kommunisten, die von den Nazis zerschlagene Gewerkschaftsbewegung wiederaufzubauen. Die Sozialistische Freie Gewerkschaft (SFG) wird gegründet.
Ihre politischen Forderungen sind: "Ausrottung der Nazis, ihrer Ideologie und des Militarismus, Absetzung und Bestrafung aller Richter und Staatsanwälte, Bestrafung aller Kriegsschuldigen und Kriegsverbrecher." Ihr wirtschaftliches Pogramm: "Verstaatlichung der wirtschaftlichen Schlüsselstellungen, Überführung des Großgrundbesitzes und Baulandes in öffentliches Eigentum." Innerhalb von nur fünf Wochen wollen 50.000 Hamburger Arbeiter bei der SFG Mitglied werden.
Es bleibt nicht bei Forderungen. Im Ruhrgebiet streiken 1946 und 47 bis zu 500.000 Arbeiter, um die Enteignung der Industriebarone durchzusetzen.
Die Führer der deutschen Wirtschaft hatten die Nazis bis zum Ende des Krieges unterstützt. Sie finanzierten ihnen mit Milliardenspenden den Weg zur Macht, ermöglichten die Aufrüstung der deutschen Wehrmacht und machten mit dem Massenmord an 6 Millionen Juden riesige Profite.
Die Nazis wurden 1945 vertrieben – ihre Unterstützer aus den Chefetagen der Wirtschaft behielten aber ihre Macht. Wenige Stunden vor einer Sitzung des neu gebildeten nordrhein-westfälischen Landtags erschienen 95 Arbeiterdelegationen, gewählt von 100.000 Bergarbeitern vor dem Landtag. Sie überbrachten ihre Forderung nach "entschädigungsloser Enteignung der kriegsverbrecherischen Kohlebarone an Rhein und Ruhr". Der Landtag lehnte jedoch ab. Die Antwort war eine neue Streik- und Demonstrationswelle mit einem zweitägigen Streik von 334.000 Arbeitern und Angestellten als Höhepunkt.
Doch die Enteignungsbewegung scheitert ebenso wie die Entnazifizierung durch eine Massenbewegung. Die Antifaschistischen Komitees wurden keine zwei Monate nach ihrer Gründung in allen Besatzungszonen verboten. Die von den Komitees begonnenen Entlassungen von Nazis aus den Verwaltungen wurden von der alliierten Militärverwaltung wieder rückgängig gemacht.
Die von Arbeitern gegründeten Gewerkschaften, wie die SFG, wurden sofort verboten – im Gegensatz zu den Arbeitgeberverbänden, die gleich nach Kriegsende ihre Arbeit wieder aufnehmen durften. Auch die Streiks für Enteignungen im Ruhrgebiet wurden mithilfe der alliierten Militärpolizei niedergeschlagen.
Als 1949 im Westen die Bundesrepublik gegründet wird, sind in Justiz und Verwaltung hauptsächlich frühere NSDAP-Mitglieder im Amt. Nach einem Bericht der alliierten Militärregierung sind 1948 in Bayern 60 Prozent der Richter und 75 Prozent der Staatsanwälte frühere Mitglieder der Nazi-Partei. Noch größer war der Anteil an Nazis bei den Bürgermeistern und Landräten.
Auch in der Wirtschaft blieben Hitlers Finanziers und Helfer im Krieg an der Macht. Die BRD wurde auf den Fundamenten der Nazi-Herrschaft gegründet. Schuld daran war die alliierte Militärverwaltung, die sich von Anfang an einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel verhinderte.
Diese Politik der Alliierten war kein Zufall. Zwar mobilisierten sie mit Parolen über Antifaschismus und Demokratie Soldaten für den Zweiten Weltkrieg – tatsächlich war er aber ein Krieg aller großen Mächte um die Aufteilung der Welt. Erklärtes Kriegsziel war neben dem Zurückdrängen der deutschen und japanischen Ausdehnung, grundlegende gesellschaftliche Veränderungen auf der ganzen Welt zu verhindern.
Begonnen wurde der Krieg von den deutschen Herrschenden, die ihre im Ersten Weltkrieg verlorene Macht mit Gewalt zurückholen wollten: Nazi-Führung, Industrie und Militär waren sich einig, dass Deutschland wieder eine dominierende Militärmacht in Europa werden sollte.
Doch vor dem Angriff auf Polen waren die Nazis auch bei vielen Politikern und Wirtschaftsbossen im Ausland beliebt.
Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 hatte weltweit zu heftigen Klassenkämpfen geführt. In den USA wurden hunderte Streikende von Polizei und Armee erschossen, Millionen traten den Gewerkschaften bei. In Frankreich verhinderte 1936 eine Massenstreikwelle eine Machtergreifung der Faschisten. Danach übernahm der Sozialist Leon Blum die Regierung – zum Entsetzen des französischen Großbürgertums, das die Faschisten unterstützt hatte.
In Deutschland hingegen zerschlug Hitler als Erstes alle Arbeiterorganisationen. Kommunisten wurden zu Tausenden verhaftet und in die ersten Konzentrationslager geworfen.
Der britische Minister Lord Halifax besuchte Hitler 1937 und erzählte ihm, dass seine Kritiker in Großbritannien "nicht voll informiert" seien und dass Hitler "sich durch die Verhinderung des Kommunismus in Deutschland große Verdienste erworben hat". Die Mächtigen in den USA, Frankreich und Großbritannien befürchteten, dass es bei einem Krieg erneut zu vielen revolutionären Aufständen wie nach dem 1. Weltkrieg kommen könnte. Damals wurden der russische Zar und das deutsche Kaiser durch Revolutionen gestürzt und zahlreiche andere Regierungen durch Massenstreiks bedroht.
Der französische Minister Daladier sagte 1938, dass "Deutschland im einem Krieg besiegt wird, aber die einzigen Profiteure die Bolschewisten sein werden, weil es soziale Revolutionen in jedem Land gibt". Beim deutschen Einmarsch in Frankreich 1940 weigerten sich viele französische Offiziere dagegen zu kämpfen, weil sie Hitler gegenüber dem Sozialisten Blum bevorzugten.
Als Deutschland zurückgeschlagen wurde, war der Alptraum der Herrschenden von revolutionären Erhebungen wahr geworden. In Frankreich, Italien, Jugoslawien und Griechenland hatten linke Partisanenbewegungen die Kontrolle übernommen, sobald die Wehrmacht besiegt war.
So hatte in Griechenland die antifaschistische Nationale Befreiungsfront EAM ohne fremde Hilfe vier Fünftel des Landes von den der deutschen Armee befreit. Die Bewegung hatte 2 Millionen Mitglieder und Sympathisanten bei einer Gesamtbevölkerung Griechenlands von nur 7 Millionen.
Zwei Tage nachdem die Wehrmacht 1944 aus der griechischen Hauptstadt Athen abziehen musste, kamen britische Truppen. Tausende Griechen ließen zur Begrüßung den britischen Premierminister Churchill hochleben. Doch sie wurden bitter enttäuscht. Denn Churchills Ziel war "die Niederlage der EAM".
Wenig später griff die britische Armee die EAM an. In den ersten Wochen wurden 60.000 Mitglieder der EAM eingekerkert oder ermordet. Obwohl die USA die Niederwerfung der revolutionären Bewegung mit 797 Millionen US-Dollar unterstützte, wurde der Widerstand der EAM erst 1949 gebrochen. Die britische Regierung installierte danach den Militärherrscher, der im Krieg mit Deutschland zusammengearbeitet hatte.
Die Partisanenbewegungen in Frankreich und Italien mussten die Alliierten nicht mit Gewalt vernichten. Dazu reichte ein Befehl der sowjetischen Regierung.
Diktator Stalin wollte seine neu gewonnene Macht über Osteuropa sichern und deswegen keinen Streit mit den anderen Alliierten Mächten beginnen. Stalin missbrauchte den Einfluss kommunistischer Parteien in Frankreich und Italien, um die Auflösung der linken Bewegungen durchzusetzen.
Aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs war eine Bewegung emporgestiegen, die eine neue Welt aufbauen wollte. Doch nachdem die Alliierten diese Bewegungen niedergeworfen hatten, wurden dieselben kapitalistischen Gesellschaften erzwungen, die schon zu Faschismus und Zweitem Weltkrieg geführt hatten.

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