Weil Hilfe zu spät kam

Wenn der Staat überforderten Eltern nicht von sich aus Hilfe anbietet, kann das Kindern das Leben kosten, erklärt Elfi Witten vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.


Jugendliche trauern um den siebenjährigen Christian. Der 16-jährige Keith hat ihn „aus Frust“ getötet

Elfi Witten ist Pressesprecherin der LIGA-Wohlfahrtsverbände und Kampagnenkoordinatorin von „Glücksspiel Zukunft – Kinder- und Jugendhilfe sichern“. Internetseite: www.ligaberlin.de

Der Mörder des siebenjährigen Christian im Berliner Stadtteil Zehlendorf war selbst erst 16 Jahre alt. Schon als Achtjähriger ist er aufgefallen, wegen Diebstahl und Gewalttätigkeit. Seine Eltern hatten ihn zu den Großeltern abgeschoben, die ebenfalls mit der Erziehung überfordert waren. Ihnen hätte man frühzeitig und konsequent helfen müssen.

Offiziell haben Familien einen Rechtsanspruch auf staatliche Unterstützung, wenn sie mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind. Doch viele Eltern schämen sich, auf dem Amt Hilfe zu beantragen.

Statt frühzeitig und vorsorgend Helfer in die Familien zu schicken, erzieherische Unterstützung anzubieten oder Jugendliche ambulant zu fördern, erfolgt heute die Hilfegewährung häufig erst dann, wenn Kinder unmittelbar in Gefahr sind, also geschlagen, ausgesperrt oder misshandelt werden und nur noch Inobhutnahme oder Heimunterbringung in Frage kommt.

Prävention geht vor die Hunde. Gleichzeitig werden durch drastische Einsparungen die Hürden für Hilfebedürftige immer höher.

Wie in anderen Berliner Bezirken wird in Steglitz-Zehlendorf weniger für die Kinder- und Jugendhilfe ausgegeben als im Haushalt zur Verfügung steht. Als nächstes will der Bezirk sogar die 13 Schulstationen schließen.

Auch die Berliner Landesregierung hat seit 2002 128 Millionen Euro bei den Hilfen zur Erziehung gekürzt. Weitere Streichungen in Höhe von 33 Millionen Euro in den nächsten zwei Jahren sind geplant. Dabei nehmen die sozialen und psychischen Belastungen für Familien in Berlin zu.

Die Arbeitslosigkeit in Berlin liegt bei 19,4 Prozent. Depression, Alkohol- und Drogensucht sind häufiger als in anderen Städten. In keinem anderen Bundesland leben so viele arme Menschen wie in Berlin. Viele sehen schwarz für ihre Zukunft, entwickeln Aggressionen gegen sich und andere. Familien, die täglich darum kämpfen, sich über die Runden zu bringen, schaffen es ohne Hilfe von außen oft nicht heraus aus diesem Teufelskreis.

Seit Einführung von Hartz IV lebt ein Drittel der Kinder in Berlin in Armut. Jugendliche, die von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe leben, sind vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Sie können sich keine Nachhilfe leisten, keine Kinokarte, keinen Musikunterricht.

Immer öfter werden Jugendliche an Jobcenter abgeschoben, wo ihnen erst recht niemand hilft. Trotzdem kürzt Finanzsenator Sarrazin weiter und begründet das sogar damit, dass sechs Bezirke im letzten Jahr mit weniger Geld ausgekommen seien, als vorgesehen war.

Am 29. September organisiert die Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege mit den freien Jugendhilfeträgern in Berlin den „Aktionstag Jugendhilfe“. Dieser Tag ist Bestandteil der LIGA-Kampagne „Glücksspiel Zukunft – Kinder und Jugendhilfe sichern!“.

Jugendhilfeeinrichtungen laden zu einem Tag der offenen Tür, wo sie zeigen, was sie leisten und was gekürzt wird. Eltern und Jugendliche sollen informiert und ermutigt werden, sich nicht einschüchtern zu lassen. Sie haben ein Recht auf Hilfe und Unterstützung.

Darüber hinaus ist eine Veranstaltung in Vorbereitung mit Prominenten im Berliner Abgeordnetenhaus, sowie eine Demonstration und Kundgebung am 20. Oktober, um gemeinsam mit Trägern und Betroffenen gegen die Kürzungen zu kämpfen.

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