Hier herrscht keine Demokratie

In unserer Gesellschaft hat die Wirtschaft am meisten Einfluss auf die PolitikOffiziell leben wir in einer Demokratie. Immerhin wählen wir regelmäßig Länderparlamente und Bundestag.
Trotzdem wird die die Meinung der Mehrheit oft genug nicht beachtet. Die meisten Menschen sind gegen den US-Krieg gegen Irak und finanzielle Belastung einfacher Menschen. Dessen ungeachtet will die rot-grüne Regierung die Selbstbeteiligung von Kranken an den Gesundheitskosten erhöhen.
Außerdem will Kanzler Schröder die Arbeitslosenhilfe auf die Höhe der Sozialhilfe senken und den Kündigungsschutz schwächen. Trotz seiner Antikriegsreden unterstützt Schröder die US-Armee im Irak mit deutschen Soldaten.
Zwar können wir alle vier Jahre bei Wahlen für einige Sekunden Einfluss auf die Politik der Regierung nehmen. Wir stimmen jedoch nicht über politische Fragen ab, sondern wählen Abgeordnete. Diese sind laut Verfassung aber weder ihren Wählern noch der gesamten Bevölkerung verantwortlich, sondern nur "ihrem Gewissen".
Sobald sie im Parlament sitzen, haben wir keine Kontrolle mehr über sie. Sogar rechtliche Maßnahmen gegen verbrecherische Politiker sind stark eingeschränkt. Sie genießen Immunität. Auch dürfen wir nicht in der Nähe des Parlaments demonstrieren, um Druck zu machen. Politiker müssen die Forderungen der Gewerkschaften nicht umsetzen, selbst wenn sie mit Hilfe von Gewerkschaften gewählt wurden.
Doch wenn Politiker sich nicht vor uns verantworten müssen, wer kontrolliert sie dann? Die Parteien bestimmen angeblich die Politik ihrer Abgeordneten. Aber wer entscheidet über die Ziele der Parteien? Die Vorsitzenden mussten sich noch nie an die Vorgaben der Parteitage halten.
Ein Grünen-Parteitag hat im Dezember letzten Jahres beschlossen, das Deutschland seinen Luftraum für die US-Armee sperren solle, wenn sie den Irak angreift. Den Grünen-Außenminister Fischer schert das einen Dreck. Tatsächlich richten sich Politiker meistens weder nach ihren Parteimitgliedern, noch nach der Bevölkerung.
Nicht zufällig strahlte SPD-Wirtschaftsminister Clement über beide Backen, als er Anfang Januar beim Empfang des Bundes der Deutschen Industrie (BDI) viel Beifall bekam. Hätte er sich über Applaus von Rentnern, Studierenden oder Gewerkschaftern genauso gefreut? Den Bossen geht Clements Politik für Konzerne nicht schnell genug, aber sie wissen, dass er versucht, ihre Ziele durchzusetzen.
Die Unternehmer wollen ihren Angestellten weniger bezahlen. Sie wollen, dass mehr öffentliche Einrichtungen privatisiert und die Flächentarifverträge abgeschafft werden. Sie erwarten sich riesige Profite aus dem Aufbau des Iraks nach einem Krieg.
Andererseits sind sie natürlich gegen Steuern, die ihren großen Reichtum verringern würden. Rot-Grün beschafft ihnen, was sie wollen. Wenn Regierungen sich nicht um die Wünsche ihrer Wähler kümmern, liegt es daran, dass sie die Interessen der finanzstarken und gut organisierten Wirtschaft verfolgen.
Zurzeit ist es ziemlich egal, wer die Wahlen gewinnt, denn alle Politiker handeln größtenteils für die Unternehmer und gegen die Bevölkerung. Tatsächlich leben wir in keiner Demokratie, denn es gibt keine Auswahl zwischen sich wirklich unterscheidenden politischen Plänen. Wie undemokratisch Deutschland ist zeigt sich noch deutlicher an den anderen Machtzentren der Gesellschaft.
Weder Richter, Generäle, Diplomaten, Polizeikommandanten noch hohe Beamte, die einen Großteil der Politik entwerfen und umsetzen, werden gewählt. Viele dieser Leute kontrollieren aber mehr Machtmittel als Parlamentsabgeordnete. Die Posten werden jedoch von Vorgesetzten in den Staatsbürokratien besetzt.
Außerdem ist der wichtigste Teil der Gesellschaft, die Wirtschaft, komplett undemokratisch organisiert. Wir können weder unseren Chef, noch unseren Vorarbeiter oder Supervisor wählen. Aber diese Leute treffen täglich Entscheidungen, die über unser Leben entscheiden, angefangen von Investitionen über Einstellungen und Entlassungen, bis hin zu Kontrollen der Arbeitsleistungen.
Auf den ersten Blick müssten wir an dieser Situation verzweifeln. Doch sie ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die "inoffizielle" Demokratie. Sie gibt es nicht an der Spitze, im BDI oder im Bundestag, sondern weiter unten.
Für Millionen Arbeiter in Fabriken, Büros, Ämtern und Schulen gibt es ein Netzwerk von hunderttausenden gewählten Vertretern wie Betriebsräten und Vertrauensleuten der Gewerkschaften.
Ihr Verhältnis zu den Menschen, die sie gewählt haben, unterscheidet sich deutlich von dem der Parlamentsabgeordneten. Die meisten Betriebsräte können abgesetzt werden, wenn ihre Wähler sie nicht mehr wollen. Sie verdienen nicht mehr als die Arbeiter, die sie vertreten. Betriebsräte können leichter zur Verantwortung gezogen werden und müssen sich deshalb um die Meinung der Menschen kümmern, von denen sie gewählt wurden.
Jede starke Widerstandsbewegung braucht genau diese Art von Selbstorganisation. Die antikapitalistische und die Antikriegsbewegung würde es ohne Demokratie von unten nicht geben. Ohne sie würde sich niemand dort engagieren.
In solchen Bewegungen experimentieren Aktivisten mit verschiedenen Wegen, sich demokratisch zu organisieren – einige funktionieren nicht, aber auch ihr Scheitern bringt wichtige neue Erfahrungen.
In Arbeiterrevolutionen wie 1918 in Deutschland gab es in jeder großen Stadt täglich demokratische Abstimmungen in Arbeiterräten. Diese Art von Demokratie kann eine Welt ohne Krieg und Elend schaffen. Der Kampf um eine andere Welt, kann eine solch lebendige, wirklich kontrollierbare Demokratie von unten entfachen und sie zum Grundprinzip der Gesellschaft machen.

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