Bush in Babylon

Im Irak hat ein Guerillakrieg begonnen. Tariq Ali, ein britischer Anti-Kriegs-Aktivist und Autor, beschreibt die Hintergründe. Kriegsgegner auf der ganzen Welt sollten den Widerstand unterstützen, schreibt er.

Auf einen Blick

Seit dem 23. Juni gibt es in Bagdad und Umgebung weder fließendes Wasser, noch Strom oder Kühlmöglichkeiten – die Tageshöchsttemperatur liegt bei bis zu 50 Grad Celsius
  • Das US-Verteidigungsministerium zahlt nach seinen neuesten Angaben jeden Monat 4 Milliarden US-Dollar für den Krieg gegen den Irak
  • US- und britische Armee haben seit dem 20. März zwischen 6.000 und 7.700 Iraker ermordet

  • Dieser Artikel ist die gekürzte und redigierte Version eines Vortrags, den Tariq Ali am 9. Juli in London gehalten hat. Unter dem Titel "Bush in Babylon" erscheint in diesem Jahr Tariq Alis neues Buch. In Deutschland ist zuletzt sein Buch "Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung" erschienen. Darin beschreibt er, wie der Imperialismus die Menschen im Nahen Osten seit langem unterdrückt und der politische Islam als Reaktion darauf entstanden ist.

    Ein Vierteljahr ist seit dem Fall Bagdads vergangen. Immer noch debattiert die Welt die Gründe für den Krieg, in den die Vereinigten Staaten und Großbritannien gezogen sind. Für uns stand außer Frage, dass die Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak erfunden waren.
    Hätte man wirklich geglaubt, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt, dann wäre man nicht losgezogen, um in das Land einzumarschieren. Denn wenn die Waffen existiert hätten, wären sie auch eingesetzt worden. Bush und Blair wussten von Anfang an, dass sie nicht existierten.
    Jetzt behauptet Blair zuversichtlich, dass er Massenvernichtungswaffen finden wird. Das kann nur heißen, dass sie die Waffen irgendwo platzieren wollen. Das wird nicht einfach sein. Denn die ganze Welt sieht zu, und das Land befindet sich in einem sehr turbulenten Zustand.
    Wir haben von Anfang an gesagt: "Wenn ihr den Irak besetzt, werdet ihr Widerstand bekommen und zwar sehr früh." Bush und Blair sind dennoch überrascht. Sie ziehen los, besetzen ein Land und sind überrascht, dass die Menschen nicht glücklich sind.
    Als die Nazis große Teile Europas besetzten und der Widerstand anfing, war niemand überrascht. Vielleicht sind die US- und die britische Regierung überrascht, dass Iraker zu Widerstand noch fähig sind? Jeder im Irak weiß, dass das Regime Saddam Husseins Jahrzehnte lang von den Vereinigten Staaten und Großbritannien bis an die Zähne bewaffnet wurde. Darum ist einer der Slogans auf den großen Demonstrationen "Nein zu Saddam, nein zu Amerika".
    Die Kriegstreiber nahmen an, dass der Irak ein Land ohne Vergangenheit und ohne Kultur sei; dass die Menschen dort dumm seien und den einmarschierenden Truppen um den Hals fallen würden.
    Die Menschen fallen sie tatsächlich an, aber nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatten. Ein Zeitungsreporter berichtete, wie er irakische Kinder mit US-Soldaten fotografierte. Die Kinder hatten miteinander gewettet, wer dem Soldaten die Hand schüttelt, lächelt, fotografiert wird und dabei sagt: "Wir hassen euch Arschlöcher!".
    Das kennen wir schon. Nicht weit weg vom Irak fingen Kinder und Jugendliche die Intifada an. Kinder kennen keine Angst. Viele Bilder aus dem Irak zeigen bekannte Bilder: Kinder, die mit Steinen nach Panzern werfen.
    Die US-Armee kann den Irak in naher Zukunft nur regieren, wenn sie eine Mischung der Methoden aus dem Gaza-Streifen und von Guantanamo Bay anwendet. Einige Häuser von irakischen Oppositionellen haben die Besatzer schon abgerissen, wie die israelische Armee das gleiche in den besetzten Gebieten getan hat.
    Das ist das Gesetz der Besatzung. Die Soldaten würden sich vielleicht gerne anders verhalten. Ihr Verhalten hängt aber von ihrem Auftrag und auch von der Bevölkerung ab. Und die Iraker stehen ihnen feindlich gegenüber.
    Seit über drei Monaten ist das Land besetzt. Kein grundlegendes Versorgungssystem wurde seitdem wiederhergestellt. Es gibt weder Strom noch Wasser. Mehr Menschen werden an der schlechten Versorgungslage sterben. Die Sanktionen waren schon schlimm genug.
    Einfache Iraker berichteten Reportern, dass das Baath-Regime (von Saddam Hussein, die Red.) nach dem Golfkrieg 1991 zwei Wochen brauchte, um die Versorgung in Schuss zu bringen. Die heutigen Besatzer leisten das nicht.
    Die Besatzung hat den Staat demontiert. Es gibt keine Arbeit und keine Normalität. Und das erhöht die Anziehungskraft des Widerstands.
    Die Medien verbreiten, dass nur Überreste der Baath-Partei Widerstand leisten. Aber das stimmt nicht. Der Widerstand im Süden kommt nicht von den Überresten des Baath-Apparats. Es gibt Elemente davon in Bagdad und besonders in Falludscha. Aber Basra, Nassirija und Amara, wo die britischen Soldaten getötet wurden, sind Gegenden, wo die irakische kommunistische Bewegung sehr stark gewesen ist. Es gab starke Bauernorganisationen und starke Gewerkschaften.
    Widerstand hat in diesen Gegenden eine Geschichte. Und jetzt gibt es wieder erste Anfänge eines Widerstands, eines Guerillakriegs niedriger Intensität. Ihr Ziel ist, jeden Tag einen Soldaten umzubringen. Manchmal sind sie erfolgreich, manchmal nicht, und manchmal übererfüllen sie ihr Ziel.
    Und ich bin sehr froh darüber. Er wäre schrecklich und deprimierend, wenn es keinen Widerstand gäbe. Stellt euch vor, wenn diese Leute willkommen geheißen worden wären!
    Der Widerstand wird viele Formen annehmen. Es wird bewaffneten und politischen Widerstand geben. Vor einigen Wochen sah ich eine Szene im Fernsehen: Eine Demonstration vor einer amerikanischen Kaserne.
    Die meisten Leute skandierten auf Arabisch. Ein schwarzer amerikanischer Soldat kam heraus und sagte: "Ihr solltet jetzt gehen, wir haben euch befreit." Ein Junge von vielleicht 16 oder 17 Jahren sprach Englisch. Er sagte immer wieder: "Verlasst unser Land, wir hassen euch."
    Jedes Mal, wenn der Amerikaner sprach, antwortete er: "Wir hassen euch. Wir wollen euch hier nicht." Irgendwann verlor der Amerikaner die Fassung und rief: "Wenn du so weiter redest, nehme ich dich mit rein, und dann wird ich’s dir zeigen." So lange hatte die Freiheit nicht angehalten.
    Was im Irak passiert, wird entscheidend sein. Falls die Amerikaner es schaffen, den Widerstand zu zerschlagen, eine Marionettenregierung einzusetzen, alles zu privatisieren und das Öl zu nehmen, wäre das eine große Niederlage.
    Aber wenn der Widerstand anfängt, abzuheben und Siege zu erringen, wird das Auswirkungen haben. Wenn es große Angriffe auf Kasernen mit Besatzungstruppen gibt, und sie anfangen, nicht einen oder zwei sondern ein- oder zweihundert Soldaten zu verlieren. Das wissen sie. Deswegen flehen sie jetzt andere Regierungen an, Truppen zu schicken.
    Für ein neues Buch habe ich einige Fotos gesichtet. Auf einem steht Bush in der Mitte. Neben ihm stehen die Könige von Jordanien und von Saudi-Arabien und dann noch der ägyptische Präsident Mubarak. Und damit waren bis auf einen sämtliche US-Unterstützer in dieser Region versammelt. Sie konnten Ariel Scharon nicht dazustellen, weil das zu offensichtlich gewesen wäre.
    Aber er ist die eine fehlende Person. Bush und Sharon versuchen, die Besatzung des Irak zu benutzen, um die Palästinenser zu noch größeren Zugeständnissen zu zwingen. Die so genannte "Roadmap to Peace" haben sowohl die israelische Friedensbewegung als auch die israelische Linke und die palästinensische Linke von Anfang an verurteilt.
    Gestern wurde Abu Mazen, der so genannte Ministerpräsident von Palästina, fast von seiner eigenen Organisation Al Fatah ausgeschlossen, weil er zu viele Zugeständnisse macht, die einfach unannehmbar sind.
    Und die USA wollen auf der ganzen Welt Marionettenregierungen wie in Afghanistan schaffen. Aber die sind wie Pflaster. Sie können die Blutung stoppen, aber früher oder später gehen sie ab. Und sie können die Wunden nicht heilen.
    Es wird keine Lösung geben, bevor nicht die echten Probleme angegangen werden. Werden die Iraker glücklich sein, dass sie anstelle des alten Regimes, wie schlimm es auch war, eine total privatisierte Gesellschaft bekommen sollen, wo die Armen Minute für Minute ärmer werden?
    Werden die Palästinenser glücklich sein mit der Mauer, die um sie gezogen wird, so dass sie nicht von einem Teil Palästinas zum anderen reisen können? Das wird nicht funktionieren.
    Deswegen glaube ich, dass wir weitermachen müssen. Wir müssen sagen, dass wir vollkommen Recht hatten, gegen diesen Krieg zu sein.
    Wir sollten jetzt Iraker einladen, die öffentlich erklären, warum sie Widerstand leisten und leisten müssen. Ich hoffe, dass der Widerstand international immer besser und stärker wird und dass die Iraker den Besatzungstruppen weiter zusetzen, bis sie keine Wahl mehr haben als abzuziehen. Und in der Zwischenzeit müssen wir hier in Europa und in den USA Druck aufbauen gegen die Regierungen Großbritanniens und der USA und gegen die europäischen Staatschefs, die jetzt aufs Trittbrett springen.

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