Bereit, sich zu wehren

Aus der Demonstration gegen Sozialkahlschlag kann eine neue Bewegung entstehen.
Der 1. November war ein historischer Tag. Die Beteiligung auf der Demonstration gegen Sozialkahlschlag in Berlin übertraf mit 100.000 bei weitem die Erwartungen aller, die wochenlang für dieses Ereignis mobilisiert hatten.
Selbst die Polizei gab zu, dass sich tausende Menschen spontan der Demonstration angeschlossen hätten. Dieser Erfolg besonders wertvoll, weil die Demonstration die erste Mobilisierung gegen Sozialabbau war, die von unten ausging. Die Führung des Deutschen Gewerkschaftsbunds verwehrte bis zum Schluss die Unterstützung.
Die Größe der Demonstration ist ein weiterer Beweis für die tiefe Krise des politischen Systems, insbesondere der Regierungsparteien. Denn Rot-Grün ist 1998 von der Hoffnung der Menschen auf eine sozialere Politik an die Macht gespült worden.
Nach fünf Jahren ist davon nichts mehr übrig. Statt den Auftrag ihrer Wähler zu erfüllen macht sich die Schröder-Regierung zum Vollstrecker der Konzerninteressen. So wird die Wirtschaft mit Steuergeschenken bedacht, während gegen den Sozialstaat heftige Angriffe geführt werden, vor denen selbst CDU-Kanzler Kohl zurückgeschreckt ist.
Schröder plant nach eigenen Angaben den "Systemwechsel". Die "Agenda 2010" ist erst der Einstieg in viel weiterreichende Angriffe auf den Lebensstandard der Menschen. Millionen Wähler von Rot-Grün sind von den Kürzungen selbst betroffen.
Obwohl faktisch eine große Koalition aller Parteien und fast alle Medien Schröders Kürzungen grundsätzlich unterstützen, machen sie die Regierung unbeliebt. Diese Einstellung wurde durch die Demonstration an die Oberfläche gespült.
"Die Demo ist erst der Anfang", war das einhellige Urteil aller Beteiligten. Die 100.000 sind ein Zeichen des Aufbruchs für alle, die etwas gegen Schröders Politik unternehmen wollen.
Überall entstehen Initiativen und Sozialforen gegen Sozialabbau. Die Parteitage von CDU, SPD und Grünen werden in den nächsten Wochen von Demonstrationen belagert sein. An den Universitäten wird aus der Unzufriedenheit über Kürzungen oft schon Widerstand. In vielen Städten streiken bereits Studenten. Dieser Funke kann wie 1997 zu einem Flächenbrand auf alle Universitäten ausgeweitet werden.
Diese verschiedenen Ansätze des Widerstands sollten in einem Großereignis zusammenlaufen. Auf dem Europäischen Sozialforum in Paris wird es einen Beschluss über einen weltweiten Aktionstag gegen Neoliberalismus geben, der voraussichtlich Ende März stattfindet. Ähnlich wie beim weltweiten Aktionstag gegen den US-Krieg im Irak könnten an diesem Tag Millionen auf die Straße gehen.
Der Druck auf die Gewerkschaftsführer, den Widerstand mit aufzubauen, ist enorm gewachsen, und die Brüche zwischen Parteiführung und Basis von SPD, Grünen und PDS ist tiefer als zuvor. Als die Parteispitze der Grünen vor der Demonstration das globalisierungskritische Netzwerk attac scharf kritisierte, protestierten einzelne Parteigliederungen gegen ihre rechte Führung.
Die 100.000 in Berlin haben die "Agenda 2010" weder verändert, noch verhindert. Dafür brauchen wir Streiks und andauernde Massenproteste.
Doch die Demonstration hat gezeigt, dass viele Menschen bereit sind, sich zu wehren. Auch die Möglichkeiten für Widerstand in Betrieben haben sich verbessert. Viele Demonstranten waren Arbeiter von Konzernen der Metallindustrie wie Volkswagen, DaimlerChrysler und Porsche. Der 1. November war erst der Anfang.

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