Die Autonomia-Bewegung in Italien – Siegen durch Militanz?

Die Proteste in Genua können ein Meilenstein für den Aufbau einer neuen Linken werden. Aber die heutige Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung hat eine Geschichte. Damit wir von ihren größten Anläufen und Rückschlägen lernen können, erzählt Linksruck in zwei Teilen die Geschichte der italienischen Automia-Bewegung Ende der 70er Jahre und ihres Vorläufers, des Operaismus. In keinem europäischen Land war in den 70er Jahren die revolutionäre Linke so stark wie in Italien. Die "Autonomia" in Italien wurde das Vorbild der Autonomen in Deutschland. Ihr Erbe wirkt bis heute fort.

Was bleibt?

Die Autonomia-Bewegung war kämpferisch und kreativ – aber sie war isoliert von der Arbeiterklasse. Deswegen war sie der Staatsmacht unterlegen. Ihre Militanz war nicht Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche. Ein Solidaritätsstreik der Arbeiter im öffentlichen Dienst mit den Studenten hätte die Innenstädte wirksamer lahmgelegt als große Krawalle. Die Aktivität der Autonomen war nicht in der Lage, eine neue Streikwelle wie in den frühen 70er Jahren zu zu entfachen. Ihr Fehler lag darin, aus der Not eine Tugend zu machen und die Randgruppenmilitanz als Ersatz für ein Bündnis mit der Arbeiterbewegung zum Prinzip zu erheben.


Die Niederlage hätte viel weniger schwer sein müssen, wenn die Bewegung verstanden hätte, ihren Willen und ihre Militanz in eine korrekte Analyse der gesamtgesellschaftlichen Situation einzufügen. Eine gewissenhafte Analyse hätte erbracht, dass die Arbeiterbewegung abgeebbt war und dass der Radikalismus einer Minderheit diese Tatsache nicht ausgleichen konnte. Die Bewegung wäre vernünftigerweise der direkten Konfrontation mit dem Staat aus dem Weg gegangen, wäre kleine Schritte gegangen und hätte auf bessere Zeiten gewartet.


Wir können aber auch etwas Positives lernen von der Autonomia-Bewegung: Die Rebellion bricht häufig am Rand der Gesellschaft aus. Die heutige Bewegung gegen die Globalisierung des Kapitals begann 1994 mit dem Aufstand der Zapatistas in den mexikanischen Wäldern von Chiapas. In Deutschland haben wir gerade eine Bewegung gegen die Atomkonzerne in den Wäldern des Wendlandes erlebt. Sogar eine wehrlose, isolierte Gruppe wie die Flüchtlinge haben eine bundesweite Kampagne gegen die Residenzpflicht aufgebaut und in Berlin 4.000 Leute auf die Straße gebracht. Unsere Bewegung kann gewinnen, weil sie eine Chance hat, die die damalige Bewegung nicht hatte. Sie kann den Kampf um das Herz der kapitalistischen Maschinerie aufzunehmen: die Arbeiterklasse. Das ist die Lehre insbesondere von den Protesten in Seattle und Quebec. Dort kamen militante Jugendliche und Gewerkschafter gegen die Institutionen des globalen Kapitalismus zusammen. Auch in Deutschland greift die Unzufriedenheit mit der herrschenden neoliberalen Politik weit über die Reihen der Antikapitalisten hinaus.


Die Politik der Randgruppenmilitanz, die in den späten 70er und 80er Jahren auch in Deutschland aufblühte, hat damals die Isolation der Bewegung vergrößert und dadurch die Niederlage verschärft. Heute ist sie überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen uns nicht im Kleinkrieg mit dem Staat aufreiben. Wir können den linken Rand der Arbeiterbewegung für revolutionäre Politik zu gewinnen. Damit müssen wir jetzt beginnen.

Nach dem Krieg war Italiens Politik zwanzig Jahre lang im eisernen Griff der christdemokratischen Partei Democrazia Christiana (DC). Politik, Verwaltung und Kapital waren über die DC aufs engste miteinander verflochten. Die Herrschenden saßen fest im Sattel – die Sozialdemokratie und vor allem die Kommunisten wurden trotz hoher Stimmenanteile aus der Regierung rausgehalten, die Gewerkschaften waren schwach und die revolutionäre Linke so gut wie nicht vorhanden.


Der „lange heiße Herbst“ 1968–69 änderte alles. Die internationale Studentenrevolte erreichte Italien und, anders als in Deutschland, griff auf die Betriebe über. Die Zahl der Streiks vervierfachte sich zwischen 1968-69. Die Streiks waren meist spontan, an den Gewerkschaftsstrukturen vorbei und militant. Betriebsbesetzungen, gezielte Sabotage zur Lahmlegung der Produktion und massenhaftes Krankfeiern waren die Kampfformen der Bewegung. Die Fabrikkämpfe weiteten sich schließlich bis zum Herbst 1969 in einem ungeahnten Ausmaß aus. Der Höhepunkt war ein landesweiter Generalstreik mit einer Demonstration am 25. September in Turin mit 600.000 Metallarbeitern.


Die Militanz hatte ihren Ursprung in der veränderten sozialen Zusammensetzung der italienischen Arbeiterklasse


Italien war in den 60″ern wie heute ein zutiefst gespaltenes Land: Der an modernste Produktions- und Arbeitsorganisationen orientierten ökonomischen Entwicklung in Norditalien standen in Süditalien Verhältnisse mit zum Teil mittelalterlichen Eigentumsstrukturen in der Landwirtschaft gegenüber.


Arbeitslose ländliche Jugendliche aus dem Süden wurden in Massen in die Fabriken des Nordens gezogen, wo sie sofort mit extremen Arbeitsbedingungen konfrontiert wurden: Hohe Fließbandgeschwindigkeiten, Aufgliederung der Arbeit in monotone Einzelhandgriffe und ein brutales Aufsichtssystem von Managern und Vorarbeitern. Das Ergebnis war eine enorme Wut. Eine Umfrage unter jungen Fiat-Arbeitern zeigt die Stimmung: „Meine Meinung ist, daß 1969 der Arbeiter viel weniger arbeiten sollte, und das umso mehr, weil alles automatisiert ist. Aber die Automation kommt nur den Unternehmern zugute und nicht den Arbeitern. Deshalb ist es nötig die Gesellschaft zu verändern.“ Ein anderer Arbeiter: „Die Arbeit macht einen zum Automaten, raubt einem die Persönlichkeit, blockiert jede Initiative“. Die Studentenrevolte war der Zündfunke, der diese Wut zum Explodieren brachte.


Aufschwung

Die Streikbewegung veränderte die italienische Linke schlagartig. 1968 gab es keine nennenswerte revolutionäre Linke in Italien, alles wurde überschattet von den 1,5 Millionen Mitgliedern der kommunistischen PCI. 1973 hatte Italien die größte revolutionäre Linke aller entwickelten Industrieländer, mit Zehntausenden von Anhängern und drei Tageszeitungen.


Neue Organisationen entstanden direkt aus dem Kampf. Aus gemeinsamen Versammlungen von Studenten und Arbeitern bei Fiat Mirafiori in Turin geht die Organisation Lotta Continua hervor. Vier Monate nach der Gründung organisierte Lotta Continua tausende von militanten Arbeitern und vertrieb eine Wochenzeitung mit einer Auflage von 65.000 Stück. Die Zeitung wurde auf wöchentlichen Massenversammlungen erstellt, auf der bis zu 1.000 Arbeiter teilnahmen. Diese Versammlungen fanden jede Woche in einer anderen Stadt statt, Arbeiter fuhren mit Bussen aus den großen Fabriken Italiens zu den Treffen.


Die Streiks griffen über die Betriebe hinaus. Ein Zeitzeuge beschreibt die Dynamik: „Die Bewegung folgt einer Spirale, die ihren Ausgang meist von einem artikulierten Streik nimmt. Der Unternehmer, noch unerfahren, antwortet durch Aussperrung und Entlassung. Die Arbeiter kontern mit einem Solidaritätsstreik, in den mehr und mehr Abteilungen hineingezogen werden, die Studenten werden von den Arbeitern in die Fabrik hineingelassen, die Arbeiter kommen in die Universität. Der Verkehr, erst vor dem Betrieb, dann in den Hauptstraßen der Stadt, wird blockiert. Die Polizei greift an. Straßenschlachten, Barrikaden, Rathausbesetzungen, Solidaritätsstreiks anderer Betriebe, der Schulen und Universitäten sind die Folge“.


Autonomie

Zehntausende von Arbeitern hatten sich innerhalb kürzester Zeit revolutionärer Politik zugewandt – und das in einem westlichen Industrieland. Diese Bewegung hatte das Potential, den italienische Kapitalismus zu sprengen. Doch dazu kam es nicht. Der Grund war der politische Kurs, den die neuen revolutionären Organisationen einschlugen.


Ein wesentliches Merkmal der Kämpfe war, dass sie anfangs komplett an den traditionellen Strukturen der Arbeiterbewegung, den Gewerkschaften, vorbeigingen. Das war Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit mit der Gewerkschaftspolitik der vergangenen Jahre. Die Opposition der Arbeiter richtete sich vor allem gegen zwei Punkte der traditionellen gewerkschaftlichen Strategie: Gegen die Festlegung auf das kapitalistische Produktivitätsprinzip, die dem Unternehmer gegen Lohnerhöhungen freie Hand bei der Modernisierung des Betriebes läßt, und gegen die gewerkschaftlichen Kampfformen, in der Regel symbolische Streiks, die in keiner Weise die Produktion angriffen und vor allem dem Zweck dienten, Druck auf Verhandlungen auszuüben.


In diese Unzufriedenheit stießen die neuen Organisationen wie Lotta Continua oder Potere Opereia (Arbeitermacht) mit ihrem Konzept der „Arbeiterautonomie“ hinein. Aus der erfolgreichen Praxis der gewerkschaftsunabhängigen Fabrikkämpfe machten die Vordenker der neuen Linken, Toni Negri und Mario Tronti, eine Theorie: Arbeiterkämpfe können dem System nur dann gefährlich werden, wenn sie „autonom“, das heißt unabhängig von im Kapitalismus existierenden Strukturen, geführt werden. Das schloß für die Theoretiker der Arbeiter-Autonomie Gewerkschaften aus. „Die Gewerkschaft kann nie etwas anderes sein als ein völlig gebändigter Organismus, funktional nur für die reformistische Politik und Strategie des Kompromisses mit dem Unternehmer.“


Die Konsequenz dieser Analyse: Die Arbeit innerhalb von Gewerkschaften wurde systematisch abgelehnt. An die Stelle einer Kritik der Politik der Gewerkschaftsführung trat die Verdammung der Gewerkschaften, inklusive gesamten ihrer Mitglieder – zu einem Zeitpunkt, als Hunderttausende Arbeiter, politisiert durch die Streikbewegung in die Gewerkschaften strömten. 1975 organisierten die zwei größten Gewerkschaftsverbände 46,2 Prozent der Arbeiter, im Gegensatz zu 31 Prozent im Jahre 1967.


Die linke Bewegung hatte die Gewerkschaftsbürokratie in die Enge gedrängt, Stück für Stück wurde die Führung gezwungen, die neuen militanten Kampfmethoden anzuerkennen und zu offizieller Gewerkschaftspolitik zu machen. Im Kampf waren Fabrikkomitees entstanden, als Ausdruck von Arbeiterselbstorganisation. Diese Komitees, mit dem Recht Kampfforderungen und Kampfformen selbst zu bestimmen, wurden jetzt als Basisebene in die Gewerkschaften übernommen.


Die revolutionäre Linke hatte sich durch ihre Politik von diesen Prozessen in der Mehrheit der Arbeiterklasse isoliert. So konnte sie auch nicht eingreifen, als die PCI versuchte, die Initiative wiederzuerlangen und die Bewegung einzudämmen.


„Strategie der Spannung“

Die italienischen Herrschenden hatten nicht einfach zugesehen, wie sich eine Revolte im Herzen ihres Systems ausbreitete. Ihre Antwort, die sogenannte „Strategie der Spannung“, war ebenso radikal wie die Bewegung, die sie zerstören sollte: Rechte Terrorgruppen zündeten im Auftrag des Staates Bomben, um die Anschläge dann der revolutionären Linken in die Schuhe zu schieben. Die Bombenexplosion in einer Bank in Mailand mit 16 Toten war der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Anschlägen auf Demonstrationen und öffentliche Einrichtungen. Hinter den Anschlägen steckte „Gladio“, eine geheime NATO-Guerillatruppe, die im Falle einer Invasion des Warschauer Paktes Sabotage hinter den feindlichen Linien betreiben sollte. Jetzt wurde sie gegen die revolutionäre Linke eingesetzt.


In diesem aufgeheizten politischen Klima wuchs die faschistische MSI, vor allem im Süden, wo sie die aufsässigen „Roten“ im Norden für Armut und Arbeitslosigkeit verantwortlich machte. In manchen süditalienischen Städten kam es fast täglich zu Angriffen von faschistischen Banden. Putschgerüchte machten die Runde.


Die maßgeblichen Teile des italienischen Kapitals hatten nicht vor, zum Faschismus überzugehen. Aber sie sahen die Gerüchte als nützliches Mittel an, um Druck auf die PCI auszuüben, das politische Klima durch eine Kontrolle der Streiks zu entschärfen.


Die PCI-Führung machte das Spiel mit. Mit dem Argument, dass der Faschismus vor der Tür stünde, drängten maßgebliche Teile der Parteiführung auf einen „historischen Kompromiss“, und zwar ausgerechnet mit der Partei, die sie seit Jahrzehnten von der Macht ausgeschlossen hatte – der Democrazia Christiana.


Der Unterpfand für eine Regierungsbeteiligung war ein Abwürgen der Bewegung. Die PCI legte ihr ganzes politisches Gewicht in diese Aufgabe – dabei ließen ihr die Revolutionäre kampflos das Feld. 1976 war das Werk vollbracht und die PCI ging in die Regierung.


Niedergang

Diese Entwicklung zog den neu enstandenen revolutionären Organisationen den Boden unter den Füssen weg. Lotta Continua und die anderen Organisationen waren ein Produkt der militanten Arbeiterkämpfe gewesen. Ihr politisches Programm bestand im wesentlichen aus einer Verstetigung und Ausweitung dieser Militanz. Mit dem Absterben der Kämpfe starben auch die operaistischen Organisationen genauso schnell, wie sie entstanden waren. 1973 löste sich mit Potere Opereiro eine der einflußreichsten Organisationen auf, Lotta Continua folgte 1976.


Doch das Scheitern der Arbeiterautonomie war nicht das Ende, sondern der Anfang der autonomen Bewegung wie wir sie heute kennen. 1977 brach die nächste große Bewegung über Italien herein.


Im Frühjahr 1977 besetzten Studenten in Palermo, Catania und Neapel ihre Universitäten, um gegen die Abschaffung einiger Feiertage sowie ein geplantes Gesetz zur Universitätsreform zu protestieren. Die Bewegung breitete sich schnell über ganz Italien aus. "Es gab dauernde, endlose Debatten. Es gab auch die (oft stürmischen) Vollversammlungen, auf denen die Bewegung die Entscheidungen über ihre Politik fällte. Jeder, der etwas zu sagen hatte, schrieb ein großes Plakat im chinesischen Stil und klebte es auf eine Wand. Die Wände waren bedeckt von Inschriften, manche ernsthaft, manche polemisch, manche einfach komisch."


Am ersten Februar überfiel eine faschistische Gruppe eine Vollversammlung Universität in Rom. Am nächsten Tag marschierten Tausende zum Büro der neofaschistischen MSI. Die Polizei rückte an und schoss auf die Demonstranten. Eine neue Revolte brach aus: Die Universitäten war ihr Zentrum: Hier sammelten sich nicht nur Studenten und Frauengruppen, sondern auch jugendliche Arbeitslose und Jobber.


Bereits mitte der 70er Jahre hatten sich in den Vororten der Großstädte lockere Organisationen von Jugendlichen gegründet. Diese "Circoli del Proletario Giovanile" (Jungproletarische Kreise) und "Indiani Metropolitani" (Großstadtindianer) protestierten gegen ihr Elend, indem sie massenhaft Supermärkte plünderten, Jugendzentren besetzten und Heroindealer verprügelten, um die Selbstzerstörung durch Sucht zu bekämpfen. Sie verschafften sich kostenlosen Eintritt zu Musikkonzerten, öffentlichen Verkehrsmitteln und Kinos. 1976 stürmten Tausende von jungen Arbeitern die Mailänder "Scala" und plünderten Luxusgeschäfte. Die Bewegung gab sich ihre eigene Stimme: Sie schuf hunderte von alternativen Presseorganen und über 50 linksradikale Radiostationen, von denen "Radio Alice" in Bologna das bekannteste wurde. Es gab eine Vielzahl von Wandmalereien, Straßentheatern und Massenvestivals.


Während eine Minderheit der Gesellschaft in die Offensive ging, ging die Arbeiterklasse in die Defensive. Sie war damit befasst, ihre Löhne gegen die steigende Inflation zu verteidigen und die Schikanierung der Militanten zu verhindern. Die Unternehmer setzten die Rationalisierung und Umstrukturierung der italienischen Industrie durch. Diese Entwicklung schwächte die revolutionäre Linke in den Betrieben und stärkte die Hoffnungen auf die bestehenden Gewerkschaften und eine Regierungsbeteiligung der Kommunistischen Partei. Die Isolation der radikalen Bewegung hatte zwei Auswirkungen: Erstens konnte die Polizei relativ ungehindert die Bewegung unterdrücken. Zweitens wendete sich die Bewegung von den Versuchen der frühen 70er Jahre ab, die Industriearbeiter auf ihre Seite zu gewinnen. Stattdessen setzte sie auf ihre eigene Militanz.


Ihr führender Theoretiker Toni Negri argumentierte, die gesamte Gesellschaft sei zur Fabrik geworden. Alle Unterdrückten, nicht nur die "Massenarbeiter" in der Industrie seien Proletarier, sondern alle, die durch das "gesellschaftliche Kapital" unterdrückt würden. Zum neuen revolutionären Subjekt, den "sozialen Arbeitern", gehörten auch Studenten, Arbeitslose und Hippies – die Randgruppen oder "marginalen Elemente". Durch spontane Aufstände und "Massengewalt" sollten sie den Kapitalismus stürzen. Deswegen sei jeder Zusammenstoß mit der Polizei ein Schritt nach vorne. Weil Toni Negri die Macht von Randgruppen genauso hoch einschätzte wie die der industriellen Arbeiterklasse, verwechselte er die Militanz von Studenten, Arbeitslosen und jugendlichen Jobbern mit einer revolutionären Situation in der gesamten Gesellschaft. Auf Grundlage dieser Ideen eröffneten die Autonomen eine Schlacht, in der sie als Verlier schon feststanden.

Im Februar 1977 kam es zu Nazi-Übergriffen und nachdem die Polizei zwei Demonstranten erschossen hatte, die Universität von Bologna besetzte und linke Radiostationen dicht machte, eskalierte die Situation: Erstmals machten auch Demonstranten von der Schusswaffe Gebrauch. Geronimo, ein Veteran der Autonomen in Deutschland, schreibt: "In der Folgezeit überstürzten sich die Ereignisse. Nachdem es in Bologna schon den ganzen Winter zu Hausbesetzungen, Plünderungen von Restaurants, Besetzungen von Kinos usw. gekommen war, eskalierte die Situation am 11. März. Während eines Bulleneinsatzes auf dem Unicampus wurde ein Autonomer erschossen. Daraufhin kam es zu tagelangen schweren Straßenschlachten, in deren Verlauf eine Waffenhandlung geplündert wurde. Es gelang den StudentInnen in der verwinkelten Altstadt Bolognas mit Barrikaden drei Tage lang ein bullenfreies Gebiet zu halten, bevor das Gelände mit Militäreinheiten geräumt werden konnte. Am 12. März kam es in Rom zu einer Demonstration von über 50.000 Menschen gegen die Verurteilung eines Anarchisten. Diese Demonstiation eskalierte in eine der größten Straßenschlachten, die die italienische Hauptstadt jemals erbt hatte. Dabei praktizierten Gruppen aus dem Strang der ‘Automia Operaia Organizzata’ das von ihnen zuvor propagierte ‘neue Niveau der Auseinandersetzung’, die bewaffnete Aktion. Während der Demonstration wurden zwei Waffengeschäfte geplündert, unzählige Geschäfte, Cafés und Hotels verwüstet, hunderte von Autos und viele Busse umgestürzt und verbrannt. Büros und Zeitungen der regierenden Christdemokratischen Partei (DC) wurden mit Benzinbomben angegriffen… Die Bewegung spitzte sich schließlich am 14. Mai bei einer Demonstration in Mailand zu. Gruppen von mit Knarren bewaffneten Jugendlichen griffen die Bullen an und töteten einen."


Die "Roten Brigaden" maskierten sich und schossen aus Demonstrationen heraus auf Polizisten. Sie legten Feuer an Bonzenwagen, überfielen Banken, entführten kurzzeitig Manager oder schossen Personalchefs und Gewerkschaftsbürokraten in die Beine. 1977 verschärften sie ihre Methoden: Sie ermordeten Richter und Polizeichefs. Ein Jahr später entführten und töteten sie den Führer der Konservativen, Aldo Moro.



Die Polizei schlug zurück. Notstandsgesetze gaben ihr freie Hand. Sie konnten praktische alle verhaften und beliebig lange festhalten, die mit der revolutionären Linken in Verbindung standen. Eine Schätzung geht davon aus, dass es 1980 3.500 politische Gefangene gab. Auf diese Weise endete die Führung der Bewegung im Knast. Die autonome Linke, die 1977 noch mit Demonstrationen von teilweise 100.000 Leuten ein beeindruckendes Bild abgegeben hatte, war geschlagen.



Nicht nur die staatliche Repression war verantwortlich für diese vernichtende Niederlage der stärksten revolutionären Linken in Europa. Die Polizei fand willige Helfer in den Führern der Kommunistischen Partei der Gewerkschaften. Zehntausende Anhänger der KP und Gewerkschaftsvertreter argumentierten unter ihren Kolleginnen und Kollegen, dass der "Historische Kompromiss" mit den Konservativen der einzige Ausweg aus der wirtschaftlichen Krise, aus 30 Prozent Inflation und aus dem politischen Chaos sei. Die KP verleumdete die Studenten als "antidemokratische Wahnsinnige". Es gab gemeinsame Demonstrationen von Arbeitern und ihren Bossen "gegen Gewalt". Gerade die Verbindung mit den militanten Streikbewegungen hatte die revolutionäre Linke der frühen 70er Jahre schlagkräftig gemacht und sie gegen die größten Exzesse des Staates geschützt. Ende der 70er Jahre war die Arbeiterbewegung abgeebbt und die Revolutionäre fanden sich isoliert. Tragischerweise hatte die Militanz der Bewegung diese Isolation noch verstärkt, den Führern der Arbeiterbewegung in die Hände gespielt und die Wehrlosigkeit gegenüber dem Staat noch verstärkt.


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