Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst: Sie schüren Angst, um zu kürzen

Gewerkschafter Samir Fetic über das Kopftuchverbot, das Feindbild Islam und die Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst.

Kampagne gegen das Kopftuchverbot

Samir Fetic unterstützt die Unterschriftenkampagne „Nein zum Kopftuchverbot. Kein Berufsverbot für Frauen!“ Unterschriftenlisten gibt es zum Download. Infos zur Kampagne über E-Mail.

Die SPD-Bundestagsfraktion fordert ein Kopftuchverbot für den gesamten öffentlichen Dienst. Was sagst du dazu?
Ich fände es schlimm, wenn das durchkommen würde. Ebenso wie wir gegen einen Kopftuchzwang sind, sind wir auch gegen ein Verbot. Jede Frau sollte die freie Entscheidung haben, sich zu kleiden, wie sie es für richtig hält.

Manche Leute antworten dann, dass es selbst in der Türkei ein Kopftuchverbot gibt.
Ich finde nicht, dass die Türkei als Vorbild dienen kann. Die türkische Regierung verstößt gegen die Menschenrechte, und das Militär bestimmt dort immer noch sehr stark die Politik.
Außerdem finde ich es widersinnig, wenn die Konservativen einerseits die EU-Mitgliedschaft der Türkei ablehnen, weil sie behaupten, die Türkei sei noch nicht so weit und andererseits das Kopftuchverbot in der Türkei als Modell hernehmen.

Was hätte ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst für Folgen?
De facto würde muslimischen Frauen ein Berufsverbot auferlegt werden. Ich habe in meinem Bekanntenkreis Frauen, die auf Lehramt studieren. Diese Studentinnen fühlen sich ausgegrenzt und diskriminiert.
Ihnen wird vorgeworfen, dass sie das Kopftuch zwangsweise tragen, dass es ein Zeichen der Unterdrückung sei, aber diese Frauen empfinden das ganz anders. Vor allem reden alle nur über sie, statt mit ihren zu reden.

Angeblich sind Lehrerinnen mit Kopftuch eine Gefahr für ihre Schüler.
Ich sehe sie nicht als Bedrohung, ich sehe sie als Bereicherung an. In Nordrhein-Westfalen arbeiten 15 Lehrerinnen mit Kopftuch. Da gab es nie Beschwerden. Diese Frauen machen nur ihren Job.
Es ist nicht wichtig, was auf dem Kopf ist, sondern was in dem Kopf ist. In Nordrhein-Westfalen gibt es sowieso eine Einzelfallprüfung für Lehrer.

Wie steht es um die Versorgung der Schulen insgesamt?
Ich bin mit der Situation in den Schulen unzufrieden. Meine Tochter ist jetzt in der ersten Klasse. Wenn ich mir Frankreich ansehe – dort gibt Ganztagsschulen, das macht die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen viel einfacher. Hier in Nordrhein-Westfalen sind wir da sehr unterversorgt.

Was unternimmt die Gewerkschaft gegen das Kopftuchverbot?
Unser Arbeitskreis wird sich am 2. April vor der Demo gegen Sozialabbau treffen, um darüber zu sprechen. Ich denke, von der Gewerkschaft könnte mehr kommen, als nur ein paar Prozesse mit Rechtsbeistand zu begleiten.
Ich denke, ver.di sollte dafür einstehen, dass wir alle gleich behandelt werden. Alle sollten die Freiheit haben, über sich selbst zu entscheiden.

Wenn muslimische Lehrerinnen keine Gefahr sind, warum dann das Kopftuchverbot?
Ich denke, es gibt eine Art Panikmache. Alles, was islamisch aussieht, wird als Gefahr dargestellt. Früher hatten wir den Kalten Krieg, und seitdem der beendet ist, suchen die Regierenden ein neues Feindbild.
Der Terror hat keine Religion. Ich stamme aus Bosnien. Dort sind die Muslime Opfer von Terror gewesen. Die serbische Regierung wurde von der orthodoxen, die kroatische von der katholischen Landeskirche unterstützt.
Damals hat niemand von christlichem Terrorismus gesprochen, doch heute wird immer vom islamischen Terrorismus gesprochen.

Reagiert die Gewerkschaft auf diese Panikmache?
Ich denke, sie sollte sich um eine Milderung bemühen. Wenn der bayerische Innenminister Beckstein fordert, dass allein ein Verdacht zur Abschiebung führen soll, dann steckt da Rassismus dahinter. Die Herrschenden wollen mit der Angst der Bevölkerung ihre Politik durchsetzen.
Es heißt zwar, dass wir zwischen guten und bösen Muslimen unterscheiden müssen, aber die Verbindung von Islam und Terror ist doch schon längst gezogen. Dann hat die Bevölkerung Angst vor Muslimen, während die Regierenden für Verschlechterungen wie im öffentlichen Dienst freie Hand haben.

Wie sehen diese Verschlechterungen aus?
Verschiedene Bundesländer kündigen derzeit die geltenden Arbeitszeitverträge im öffentlichen Dienst. Für uns, die wir schon im öffentlichen Dienst arbeiten, hat sie erstmal keine Auswirkungen. Sie betrifft diejenigen, die neu eingestellt werden. Der bayerische Ministerpräsident Stoiber hat gefordert, dass sie in Bayern bis zu 42 Stunden arbeiten sollen.
Wenn das so kommt, dann wird es auch bei uns zu Kürzungen kommen, zum Beispiel durch Änderungskündigungen bei Beförderungen. Dann heißt es: Du kannst zwar befördert werden, aber nur wenn du dich zur Verlängerung deiner Arbeitszeit bereit erklärst.

Wie begründen die Ministerpräsidenten die Arbeitszeitverlängerung?
Steinbrück, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen meint, die Verlängerung sei nötig, weil sonst Beamte und Angestellte ungleich behandelt würden. Aber diese Ungleichbehandlung ist nur entstanden, weil sie den Beamten die Arbeitszeitverlängerung zuerst allein aufgezwungen haben. Wenn er die Ungleichbehandlung nicht will, dann soll er die Mehrarbeit für die Beamten zurücknehmen.
Wir haben 4 Millionen Arbeitslose. Anstatt uns die Arbeitzeit zu verlängern, sollten die Regierenden sie verkürzen, dann könnten Arbeitsplätze entstehen. Nach der Arbeitszeitverlängerung für die Beamten sind 11.000 befristete Stellen in der Verwaltung nicht verlängert worden.

Warum streichen die Länder Stellen, statt neue zu schaffen?
Die Regierunden denken, dass sie die breite Öffentlichkeit gewinnen können, wenn sie bei uns kürzen. Dank der Medien herrscht der falsche Eindruck, dass der öffentliche Dienst überversorgt ist. Vielleicht denken die Menschen an Politikerdiäten, wenn sie an uns denken. Aber die große Masse bei uns verdient unter dem Durchschnitt. Eine Teilzeitkraft bei Aldi verdient mehr als manche unsere Vollzeitkräfte.
In den vergangenen Jahren haben die Regierenden uns immer wieder etwas weggenommen mit der Begründung, dass wir dafür sichere Arbeitsplätze hätten. Aber bei der Reform des Bundesangestelltentarifs (BAT) sollen viele Punkte wegfallen, darunter auch die Unkündbarkeit. Die gilt schon heute erst nach 15 Jahren im öffentlichen Dienst und wenn man mindestens 40 Jahre alt ist. Dazu kommen Kürzungen beim Urlaubsgeld und beim Weihnachtsgeld.

Die Entscheidung der Länder hat die Diskussion um die Arbeitszeit weiter angeheizt. Neben Stoiber fordert auch der Präsidentschaftskandidat der Union Köhler, dass wir in allen Branchen länger arbeiten sollen.
Ich fühle mich um Jahrzehnte nach hinten geworfen. Wir hatten Debatte um die 35-Stunden-Woche in den 80er Jahren. Wir haben doch nicht dafür gekämpft, um sie jetzt über Bord zu werfen. Darum gehe ich am 3. April in Berlin auf die Straße.
Wir werden bei der nächsten Wahl zeigen, dass das mit uns nicht zu machen ist. Die Bestrebungen für eine Wahlalternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit werden zwar von der Gewerkschaftsspitzen nicht unterstützt, aber an der Basis schon.
Unter Kohl hieß es, dass die CDU das C für christlich in ihrem Namen nicht verdient. Heute denke ich, dass die SPD das S für sozialdemokratisch nicht mehr verdient.Das Interview führte Jan Maas

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