Damit die Menschen sich selbst regieren

Wir können den Kapitalismus zerschlagen, meint Alex Callinicos.



Buchtipp

Ein Anti-Kapitalistisches Manifest
Alex Callinicos

Alex Callinicos analysiert die Entstehungsbedingungen und die Entwicklung der globalisierungskritischen Bewegung, zeigt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Mitglieder sowie ihre strategischen Dilemmata auf. Er argumentiert, dass diese Bewegung von ihrem Wesen her antikapitalistisch ist, weil sich ihre Werte und Ziele innerhalb dieser Gesellschaftsordnung nicht durchsetzen lassen.

VSA-Verlag
160 Seiten (März 2004)
EUR 14.80 sFr 26.60
ISBN 3-89965-066-2

Wie ist der Kapitalismus zähmbar? Auf diese Frage gibt es gewöhnlich zwei Antworten. Die erste betrachtet den Staat als möglichen Verbündeten, der die Konzerne kontrolliert und das System menschlich gestalten kann.
Auf dieser Vorstellung beruht zum Beispiel die Idee einer Steuer auf Geschäfte an den weltweiten Finanzmärkten. Dieses Ziel war der Ausgangpunkt für Attac in Frankreich und vielen anderen Ländern.
Umgesetzt werden sollen solche Reformen von linken Politikern, wie sie zuletzt in einigen lateinamerikanischen Ländern an die Macht gekommen sind. Vor allem die Wahl des Führers der brasilianischen Arbeiterpartei Lula zum Präsidenten 2002 schien viel versprechend.
Doch gleich darauf legte sich Lula auf das vom Internationalen Währungsfonds vorgeschlagene Wirtschaftsprogramm fest, wonach Brasilien ein brutales Kürzungsprogramm durchziehen musste.
Lula hat diese Maßnahmen damit gerechtfertigt, dass er eine „Übergangsregierung“ führe – er wolle den Neoliberalismus aufgeben, aber anfangs müsse er Kompromisse machen. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Verpflichtungen, die er einging, seine Regierung ins selbe neoliberale Gefängnis einschließen wird, das den ANC in Südafrika seit dem Ende der Apartheid 1994 gehindert hat, die Wirtschaft für die Menschen aufzubauen.
Hinter diesem Problem steht die Wirtschaftsmacht des internationalen Kapitalismus. In den Monaten vor der Präsidentenwahl 2002 ließ sich Lula wegen des stetigen Wertverfalls der brasilianischen Währung ein Zugeständnis nach dem anderen abpressen. Während früher sozialdemokratische Regierungen nach Kapitalflucht und Währungskrisen aufgaben, reicht heute schon die Drohung mit solchen Mitteln, um „linke“ Politiker dem Neoliberalismus zu unterwerfen.
Sollten Politiker gegen solche Angriffe ausnahmsweise standhaft bleiben, gibt es noch andere Mittel, sie zu stoppen. Der frühere SPD-Finanzminister Lafontaine wollte 1999 eine leichte Steuererhöhung für Versicherungskonzerne einführen. Diese drohten Kanzler Schröder umgehend mit Flucht ins Ausland, was diesem wiederum genügte, um Lafontaine zum Rücktritt zu drängen.
Die letzten Jahre bestätigen so das Urteil, welches vor langer Zeit von Karl Marx und Wladimir Lenin gefällt wurde, wonach der Staat nicht als Instrument des sozialen Wandels benutzt werden könne. Er ist Teil des kapitalistischen Systems, kein Mittel, es zu verändern.
Der Idee, den Staat zu benutzen, steht eine scheinbar gegenteilige Position gegenüber. Sie lehnt es nicht nur ab, sich auf den bestehenden Staat zu stützen, sondern auch, dem Kapital die Macht überhaupt zu entreißen.
Die umfassendste Version dieser Idee entwickelte John Holloway in einem Buch, dessen Titel seine Theorie zusammenfasst: „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“.
Holloway sagt zwar, dass das Problem die Macht der Kapitalisten ist: „Solange die Tätigkeitsmittel in den Händen des Kapitals sind, wird die Tätigkeit gebrochen und gegen sich selbst gewendet.“
Holloway trägt auch das gute Argument vor, dass Kapital verletzlich ist, weil es von der Arbeit abhängt, durch die es geschaffen wird. Aber diese Einsicht mündet in keine Strategie, wie oder wer die Macht der Kapitalisten brechen könne. Stattdessen erklärt Holloway, dass „wir nicht als Arbeiterklasse kämpfen, wir kämpfen dagegen, Arbeiterklasse zu sein, dagegen, klassifiziert zu werden“, als könne man die kapitalistischen Produktionsbeziehungen abschaffen, indem man so tut, als gäbe es sie nicht.
Beide beschriebenen Strömungen teilen den Glauben, dass die Macht des Kapitals und seines Staates nicht gebrochen werden kann. Also müssen man entweder versuchen, den kapitalistischen Staat als wohlwollenden Vermittler für soziale Umgestaltung zu behandeln. Oder wir versuchen, ihn zu umgehen und einzuschränken.
Revolutionäre Sozialisten hingegen glauben nicht, dass das Kapital und der Staat zu stark sind, um gestürzt zu werden. Es gibt eine alternative Machtquelle in der kapitalistischen Gesellschaft. Diese findet sich in den außerordentlichen Möglichkeiten einer demokratischen Selbstorganisation durch die Mehrheit der einfachen Menschen.
Die wichtigste Machtquelle kommt von den Arbeitenden, die gezwungen sind, sich zu organisieren, um ihre einfachsten Interessen zu verteidigen. Arbeiterselbstorganisation ist besonders wichtig, weil sie über die Hebel verfügt, die kapitalistische Produktion stillzulegen und deshalb den Profitstrom abzustellen, der das System antreibt. Die Gewerkschaften sind dabei sehr wichtig, weil sie den Rahmen bilden, innerhalb dessen Arbeiter sich organisieren, um sich Tag für Tag am Arbeitsplatz der Ausbeutung zu widersetzen.
In der Vergangenheit haben Arbeiter auf dem Höhepunkt von Kämpfen die Schranken, die ihnen durch Gewerkschaften gesetzt wurden, immer wieder durchbrochen. So wurden in Frankreich 1968 zahlreiche Fabriken besetzt, ohne dass die Gewerkschaften dem zugestimmt hätten.
Arbeiter haben selbst Massenstreiks für politische wie wirtschaftliche Forderungen organisiert. Um diese Kämpfe führen zu können, entwickelten sie neue Organisationsformen, Räte von Arbeiterdelegierten, durch welche die gesamte Klasse auf lokaler und nationaler Ebene vereint wurde.
Diese Arbeiterräte verkörpern eine fortgeschrittenere Demokratie als jene, die es in kapitalistischen Gesellschaften gibt. Die Rätedemokratie beruht auf Basisbeteiligung, dezentralisierter Entscheidungsfindung dort, wo Menschen arbeiten und leben, und der unmittelbaren Rechenschaftspflicht von Delegierten übergeordneter Ebenen gegenüber denen, die sie gewählt haben.
In der klassischen marxistischen Tradition geht es bei einer Revolution also nicht um einen Umsturz durch eine Minderheit. Es geht darum, die Formen von Arbeiterdemokratie auszuweiten, die sich während Massenstreiks von einem einfachen Mittel zur Führung der Auseinandersetzung zu einer Macht gegen die wichtigsten Institutionen der kapitalistischen Beherrschung entwickeln: Dadurch können die Organe der Arbeiterdemokratie das Mittel werden, mit dem sich die Menschen erstmals wirklich selbst regieren.

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