Lale U. ist in Berlin-Neukölln aufgewachsen. Sie erzählt von ihrem Leben, ihrer Religion und von Behörden, die Einwanderern vorschreiben, wo sie wohnen.Ich wurde eigentlich schon immer diskriminiert. Bevor ich das Kopftuch getragen habe, hieß es: Scheiß-Türkin, danach: Scheiß-Muslimin. Anti-Islamismus gab es schon vor dem 11. September, aber seit den Anschlägen und der Medienhetze gilt er als politisch korrekt.
Frauen mit Kopftuch haben auch vorher Probleme bei der Arbeits- und Ausbildungssuche gehabt, aber seither sagt man ihnen offen: Sie können hier nicht arbeiten, weil sie ein Kopftuch tragen.
Neukölln wird in den Medien immer so dargestellt, als wäre man auf den Straßen nicht sicher und würde an jeder Ecke von kriminellen Ausländern bedroht werden. Ich bin in Neukölln aufgewachsen und habe das nie so empfunden. Die einzige Bedrohung, die ich manchmal empfinde, kommt von angetrunkenen Deutschen davon gibt es hier schon viele.
Es gibt auch viele Jugendliche, die die Schule schwänzen oder abbrechen und dann auf der Straße rumhängen, weil sie wissen, dass sie keinen Ausbildungsplatz finden werden und somit jegliche Motivation verlieren.
Viele Ausländer gehen auf die Hauptschule und sprechen schlecht Deutsch. Viele merken das aber überhaupt nicht, weil sie von Mitmenschen umgeben sind, die genauso schlecht sprechen wie sie.
Ich habe selbst gemerkt, wie Ausländer an den Schulen diskriminiert werden. Nach der Grundschule habe ich eine Hauptschulempfehlung bekommen, obwohl ich keine schlechte Schülerin war. Als mein Vater den Lehrern erklärte, dass ich trotzdem aufs Gymnasium gehen würde, haben sie sich über ihn lustig gemacht.
Kinder von Einwanderern werden viel schneller auf die Hauptschule geschickt. So werden ihnen von Anfang an die Chancen verbaut. Sie werden oft weder von ihren Eltern noch von ihren Lehrern richtig gefördert.
Oft wird man als Türke angefeindet. In den Medien werden Muslime seit Wochen als gefährliche Menschen dargestellt, welche die Deutschen verachten, Terroranschläge planen und Frauen unterdrücken. Der Bürgermeister von Neukölln Buschkowsky (SPD) meinte, dass sich die Ausländer nicht integrieren wollen und stattdessen Parallelgesellschaften gründen. Was da von manchen Medien geschrieben wird, erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung.
Medien und Politiker behaupten schon seit Wochen, dass sich Muslime absichtlich vom Rest der Gesellschaft abschotten ihre eigene Wohngegend, eigene Läden, Ärzte und Anwälte haben. Man muss das auch mal andersherum sehen: Gerade dass es hier Muslime gibt, die solche Berufe ausüben, heißt doch, dass sie integriert sind.
In Wirklichkeit spielt Geld eine wichtige Rolle. In vielen Stadtteilen wie Neukölln oder Kreuzberg sind die Mieten einfach billiger. Viele Einwanderer können sich keine teuren Wohnungen leisten.
Natürlich leben viele Muslime lieber in Stadtteilen, in denen andere Muslime wohnen, weil sie von diesen mit Respekt behandelt werden und auch ein freundschaftliches Miteinander erleben wollen.
Ich war vor einigen Tagen bei einer Diskussionsveranstaltung, zu der die Kreuzberger Bürgermeisterin eingeladen hatte. Ein türkischer Mann hat erzählt, dass er seit vielen Jahren einen Stempel in seinem Pass hat, der besagt, dass er in keinem anderen Stadtteil wohnen darf als in Kreuzberg. Solange es solche Stempel gibt, ist es völlig absurd, den Türken vorzuwerfen, dass sie sich abschotten.
In vielen Artikeln wird der Islam völlig falsch dargestellt. Die Religion hat mit Frauenunterdrückung oder Terroranschlägen überhaupt nichts zu tun.
Der Spiegel hat zum Beispiel vor kurzem Auszüge aus dem Koran abgedruckt, die belegen sollen, dass der Islam die Männer dazu auffordert, ihre Frauen zu schlagen. Von diesem Textstück gibt es viele Übersetzungen beziehungsweise Interpretationen , aber im Spiegel war natürlich diejenige, in der schlagen steht.
Praktizierende Muslime, die ich kenne, befolgen, was der Prophet Mohammed gesagt hat: Derjenige unter euch ist der Beste, der seine Frau am besten behandelt.
Ich habe einige Male in meinem Freundeskreis rumgefragt, ob irgendjemandem ein Fall bekannt ist auch durch Hörensagen , wo ein Mädchen dazu gezwungen wurde, das Kopftuch zu tragen oder zu heiraten. Nicht einmal ein Fall war bekannt. Wenn so viele nichts von solch einem Schicksal gehört haben, dann können es wohl niemals so viele sein, wie immer und überall behauptet wird.
Im Gegenteil: Ich kenne einige Frauen, die in ihren Familien darum kämpfen mussten, das Kopftuch tragen zu dürfen. Ich habe erst mit 24 Jahren damit begonnen, und meine Mutter war anfangs auch dagegen, weil sie nicht wollte, dass ich noch mehr diskriminiert werde.
Ich finde es unglaublich, dass das Kopftuch verboten werden soll. Muslimische Frauen werden so daran gehindert zu arbeiten und ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit auszuüben.
Sollte das Kopftuch beispielsweise für Anwältinnen verboten werden, können sie nur noch in muslimischen Einrichtungen arbeiten. Und dann heißt es wieder, sie wollten sich nicht integrieren.
Dieser Fall gilt ja bereits für Lehrerinnen mit Kopftuch. Sie werden praktisch per Gesetz dazu gezwungen, in muslimischen Schulen zu unterrichten und müssen sich dann wieder den Vorwurf gefallen lassen, dass sie in einer Parallelgesellschaft leben wollen.
Ich bestreite nicht, dass es auch Gewalt in muslimischen Familien gibt, genauso wie in deutschen oder polnischen. Aber das ist eine Frage der sozialen Lage und des Charakters, nicht der Religion oder Nationalität.
Viele Einwanderer lassen den Frust an ihren Frauen oder Kinder aus, was ihre Handlungen aber nicht entschuldigt.
Muslime, die kriminell sind oder ihre Frauen verprügeln, praktizieren die Religion nicht und leben deshalb eben nicht nach den Geboten des Islam. Wenn solche Leute gewalttätig sind, dann nicht, weil sie Muslime sind, sondern obwohl sie Muslime sind.Notiert von Sarah Nagel
Archive
- September 2007
- Juni 2007
- Mai 2007
- April 2007
- März 2007
- Februar 2007
- Januar 2007
- Dezember 2006
- November 2006
- Oktober 2006
- September 2006
- August 2006
- Juli 2006
- Juni 2006
- Mai 2006
- April 2006
- März 2006
- Februar 2006
- Januar 2006
- Dezember 2005
- November 2005
- Oktober 2005
- September 2005
- August 2005
- Juli 2005
- Juni 2005
- Mai 2005
- April 2005
- März 2005
- Februar 2005
- Januar 2005
- Dezember 2004
- November 2004
- Oktober 2004
- September 2004
- August 2004
- Juli 2004
- Juni 2004
- Mai 2004
- April 2004
- März 2004
- Februar 2004
- Januar 2004
- Dezember 2003
- November 2003
- Oktober 2003
- September 2003
- August 2003
- Juli 2003
- Juni 2003
- Mai 2003
- April 2003
- März 2003
- Februar 2003
- Januar 2003
- Dezember 2002
- November 2002
- Oktober 2002
- September 2002
- August 2002
- Juli 2002
- Juni 2002
- Mai 2002
- April 2002
- März 2002
- Februar 2002
- Januar 2002
- Dezember 2001
- November 2001
- Oktober 2001
- September 2001
- August 2001
- Juli 2001
- Juni 2001
- Mai 2001
- April 2001
- März 2001
- Februar 2001
- Januar 2001
- Dezember 2000
- November 2000
- Oktober 2000
- September 2000
- August 2000
- Juli 2000
- Juni 2000
- Mai 2000
- April 2000
- März 2000
- Februar 2000
- Januar 2000
- Dezember 1999
- November 1999
- Oktober 1999
- September 1999
- August 1999
- Juli 1999
- Juni 1999
- Mai 1999
- April 1999
- März 1999
- Februar 1999
- November 1998
- Mai 1998
- Dezember 1997
- August 1997
- Juni 1997
- Februar 1997
- August 1988
Kategorien
- Afrika
- Allgemein
- Anti-Atom-Bewegung
- Anti-Kriegs-Bewegung
- Anti-Nazi-Bewegung in der BRD
- Antifaschismus
- Antikapitalismus
- Arbeiterbewegung
- Asien
- Bildung
- Börse
- Buchrezensionen
- DDR
- Deutschland
- Europa
- Filmkritik
- Frauenbefreiung
- Geschichte
- Gewerkschaften
- Globalisierungskritik
- Großkonzerne und Privatisierung
- Imperialismus
- International
- Ist Gewalt ein legitimes Mittel?
- Kosovo
- Kultur
- Lebensmittel und Gesundheit
- Linkspartei
- Marktwahnsinn
- Mittelamerika
- Mumia Abu-Jamal
- Musik
- Naher und Mittlerer Osten
- Nahost: Afghanistan
- Nahost: Irak
- Nahost: Iran
- Nahost: Israel / Palästina
- Neue Rechte in Europa
- Nordamerika
- Organisation
- Parlament & Wahlen
- PDS
- Rassismus
- Sozialdemokratie und Reformismus
- Sozialforen
- SPD
- Staat und Parlament
- Studentenproteste
- Süd-Ost-Asien
- Südamerika
- Theorie & Hintergründe
- über Linksruck
- Umweltschutz
- Unis und Hochschulen
- UNO
- USA
- Warum gibt es Wirtschaftskrisen?
- Weimarer Republik und 3. Reich
- Woher kommen die Ideen der Menschen?