Wir gehören dazu

Muslime in Deutschland sind seit Wochen einer Hetzkampagne von Politikern und Medien ausgeliefert. Sarah Nagel sprach mit Muslimen über ihre Situation.„Heute hat ein Teil der bei uns lebenden Ausländer selbst Gettos gegründet, weil sie uns Deutsche verachten“, meint Brandenburgs Innenminister Schönbohm (CDU). Seit Wochen veranstalten Politiker und Medien in Deutschland eine Hetzjagd auf Muslime. Angeblich bauen sich Muslime Parallelgesellschaften in deutschen Städten auf, in denen sie ungestört Terroranschläge vorbereiten, ihre Frauen unterdrücken und den Sozialstaat ausplündern können.

Fatma kennt diese Vorurteile. Sie stammt aus der Türkei, seit über 24 Jahren lebt sie in Berlin. Fatma hat hier eine Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht, aber in diesem Beruf hat sie nie gearbeitet. „Ich habe viele Bewerbungen abgeschickt, aber weil ich ein Kopftuch trage, bin ich nie eingestellt worden“, erzählt sie. „Es ist völlig egal, ob ein Ausländer Deutsch kann oder nicht, man wird nur nach seinem Äußeren beurteilt. Weil ich ein Kopftuch trage, denken die Leute, ich will mich nicht integrieren.“ Fatmas Nachbarin spricht kein Deutsch, hat aber weniger Probleme, einen Job zu finden – weil sie kein Kopftuch trägt. „Erst wenn wir unsere Herkunft und unseren Glauben verleugnen, werden wir hier akzeptiert“, sagt Fatma. Sie und ihre 19jährige Tochter Zehra arbeiten jetzt als Zimmermädchen. Zehra würde lieber eine Ausbildung zur Erzieherin machen. Beim Arbeitsamt wurde ihr gesagt, dass sie kaum Chancen auf einen Ausbildungsplatz hat, wenn sie ihr Kopftuch weiterhin trägt. Auf das Kopftuch verzichten will sie auf keinen Fall.

So wie Fatma und Zehra geht es vielen Muslimen in Deutschland. Obwohl sie Deutsch gelernt und eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, bekommen sie keine Chance. Stattdessen werden sie als Einwanderer dargestellt, die sich abschotten und nichts mit Deutschen zu tun haben wollen. „Heute sind Türken in Deutschland oft türkischer als die Türken in der Türkei“, meint Fatma, „Aber man muss auch sehen, woher das kommt.“

Seit Jahrzehnten werden Migranten in Deutschland diskriminiert. „In den 60er und 70er Jahren wurden Migranten vom Staat in Heime gesteckt, statt sie zu integrieren. Sie bekamen nur sehr anstrengende Jobs angeboten, die schlecht bezahlt wurden“, erinnert sich Fatma. „Viele Muslime haben sich zurückgezogen und stärker an ihren Kulturen fest gehalten, weil sie hier nicht akzeptiert wurden.“

Bundeskanzler Schröder meint, dass die Bundesregierung schon genug für die Integration tue. Das Problem sieht er in Migranten, die sich nicht anpassen wollen: „Wir müssen darauf bestehen, dass unserer Integrationsbereitschaft ein Integrationswille bei denen entspricht, die zu uns kommen.“ Gleichzeitig kürzt die Regierung Förderprogramme für ausländische Kinder in Kindergärten und Schulen.

Die Arbeitslosenquote unter Türken ist doppelt so hoch wie unter Deutschen, die Quote der Sozialhilfeempfänger sogar dreimal so hoch. Denn als in den 80er und 90er Jahren Stellen in der Industrie abgebaut wurden, waren die ausländischen Gastarbeiter die ersten, die ihren Job verloren.

Jeder Anstieg der Arbeitslosigkeit trifft ausländische Arbeiter heftiger als deutsche. Viele von ihnen finden überhaupt keine Arbeit mehr oder schlagen sich mit Minijobs durch. Schröders Hartz IV wird tausende Familien dazu zwingen, in billigere Wohnungen zu ziehen. Migranten sind besonders betroffen. Die unsoziale Politik der Regierung schafft Gettos in den Städten -Gettos, die muslimische Mitbürger angeblich mit voller Absicht aufbauen.

Aischa, eine junge Muslimin aus Köln, erzählt: „Bis zum vierten Kind mussten meine Eltern mit uns in einer Zweizimmerwohnung leben, weil die Stadt uns nur Wohnungen in Köln-Chorweiler angeboten hat, wo nur Ausländer leben.“

Zehra hat es satt, dass die Leute sie für unterdrückt halten, weil sie ein Kopftuch trägt: „Ich habe mich dazu entschieden, das Kopftuch zu tragen, weil es zu meinem Glauben gehört“, sagt sie. „Niemand hat mich dazu gezwungen. Es kommt von Herzen.“ Auch Aischa kommt sich nicht unterdrückt vor: „Das Kopftuch bedeutet für mich Emanzipation, weil ich nicht nach meinem Körper oder meinen Haaren beurteilt werden will. Das Kopftuch bedeckt meine Haare, aber nicht meinen Verstand“, erklärt sie. Der Spiegel titelte am 15. November mit „Allahs rechtlose Töchter“. Muslimische Frauen erzählen dort, wie sie von ihren Männern und Brüdern unterdrückt werden. Doch die Ursache der Unterdrückung der Frauen liegt nicht in der islamischen Religion, sondern in sozialer Ausgrenzung und Armut. Frauen können sich davon nur befreien, wenn Unterstützung zu bekommen.
Die erste Anlaufstelle für Frauen und Mädchen in Not sind Frauenhäuser. Viele werden aber von den Kommunen geschlossen, weil angeblich die. Kassen leer sind.

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