Ein Schritt vor, zehn zurück

Die Familienministerin hat vorgeschlagen, die Zahl der Kitaplätze für Kleinkinder zu verdreifachen. Die CDU / CSU führt eine scharfe Debatte darum, ob Frauen so zu „Gebärmaschinen“ herabgestuft werden. David Meienreis untersucht, welche Position die Linke in dieser Debatte einnehmen sollte.

Für kleine Kinder gibt es zu wenige öffentliche Betreuungsplätze. Für viele Frauen bedeutet die Geburt eines Kindes, dass sie ihren Beruf nicht länger voll ausüben können. Dadurch erhöht sich das Risiko der Familien in die Armut abzurutschen. Immer mehr Frauen und Männer zögern deshalb Kinder in die Welt zu setzen.

Vor diesem Hintergrund sorgen sich Regierung und Unternehmer, dass in Zukunft zu wenige hochqualifizierte junge Menschen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen könnten. Außerdem verringern junge Mütter, die sich um ihren Nachwuchs kümmern, schon heute das Angebot an Arbeitskräften. „Weil die Ausstattung mit Kinderbetreuungseinrichtungen nach wie vor unzureichend ist, streben Mütter nach der Elternzeit meist nur eine reduzierte Stelle an“, schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft, „Dem Arbeitsmarkt bleiben dadurch kluge Frauenköpfe vorenthalten.“

Familienministerin von der Leyen hat deshalb Anfang Februar vorgeschlagen, die Zahl der Kitaplätze für zwei- bis dreijährige Kinder zu verdreifachen. So könnten Frauen Berufstätigkeit und Familie leichter vereinbaren.
Kritik kommt vom Sprecher der CSU-Gruppe im Bundestag, Ramsauer, der einwendet, dass von der Leyen die „außerfamiliäre Betreuung von Kindern zum alleinigen Leitbild“ erhebe. Der Augsburger Bischof Mixa kritisiert, ihre Politik sei „vorrangig darauf ausgerichtet, junge Frauen als Arbeitskraftreserve für die Industrie zu rekrutieren“.

Der Streit zwischen den wirtschaftsnahen Familienpolitikern und den Anhängern eines konservativen Ideals der Frau als Mutter und Hausfrau dreht sich um ein altes Dilemma des Kapitalismus.

Frauen waren von Anfang an zentraler Bestandteil der modernen Arbeiterklasse. Als im 18. und 19. Jahrhundert neue Industrien aufgebaut wurden, leisteten oft Frauen die Pionierarbeit – auch im Bergbau, der Metallverarbeitung, und natürlich in der Textilbranche, später in den wachsenden Verwaltungen. Heute machen Frauen 43 Prozent aller Berufstätigen aus und sind für das Wirtschaftsleben unentbehrlich.

Auf der anderen Seite sind Kapital und Staat nie in der Lage, voll für die Versorgung und Erziehung der nächsten Generation von Arbeitern aufzukommen. Deshalb müssen sie die Familie als Ideal erhalten und die besondere Aufgabe der Frauen für die Kindererziehung betonen. Diese Aufgabe soll im Kapitalismus weitgehend Privatsache der Eltern – und größtenteils der Frauen – bleiben.

Je stärker aber Frauen selbst darüber entscheiden können, ob sie Kinder bekommen wollen oder nicht, desto dringender müssen sich die Herrschenden mit der Frage beschäftigen, mit welchen Anreizen und Drohungen sie junge Menschen dazu bewegen können, Kinder zu zeugen.

In dieser Situation muss die CDU / CSU ein neues Gleichgewicht finden zwischen einer wertkonservativen Familienideologie und einer modernen, den heutigen Interessen der Industrie angepassten Familienpolitik.

In dieser Auseinandersetzung muss die Linke eine Position beziehen. Von der Leyens Vorschlag ist zu unterstützen. Aber er geht nicht weit genug. Würde er umgesetzt, gäbe es nur für jedes 20. Kind einen Kitaplatz. Die Ministerin will sich nicht festlegen, wie hoch die Gebühren dafür sollen sein sollen. Hauptsächlich geht es bei ihrer Familienpolitik um Erleichterungen für hoch qualifizierte und besser verdienende Frauen.

78 Prozent der Deutschen meinen, dass Diskriminierung aufgrund des Geschlechts selten oder gar nicht vorkomme. Tatsächlich gibt es heute zwar kaum noch Gesetze oder betriebliche Regelungen, die Frauen ausdrücklich benachteiligen. An der grundsätzlichen Schlechterstellung von Frauen hat sich aber nichts geändert.

Frauen verdienen im Durchschnitt ein Viertel weniger als Männer. Sie leben häufiger in Armut und haben geringere Chancen, beruflich aufzusteigen.

Hauptursache für die schlechtere soziale Stellung von Frauen ist die Tatsache, dass sie die Kinder gebären und die Verantwortung für deren Erziehung nicht von der Gesellschaft getragen wird. Während der Schwangerschaft und nach der Geburt eines Kindes stehen Frauen als Arbeitskräfte nicht voll zur Verfügung. Sie verlassen den Betriebsalltag und müssen später wieder eingearbeitet werden. Unternehmer zögern deshalb, junge Frauen, die wahrscheinlich bald Mütter werden, in Vollzeit einzustellen.

Für Frauen bedeutet dies, dass sie schlechtere Chancen auf tariflich bezahlte, sozialversicherungspflichtige Jobs haben. Da ihre Erwerbslaufbahnen leichter unterbrochen werden, verringern sich außerdem ihre Chancen innerhalb des Unternehmens aufzusteigen.

Kostenlose und ganztägige Kinderbetreuung wäre daher ein großer Fortschritt für Frauen mit Kindern. Verbesserungen für die große Mehrheit der Frauen müsste jedoch noch viele andere Probleme angehen. Die Große Koalition verschärft diese Probleme.

CDU und SPD setzen auf die Ausweitung geringfügiger Beschäftigung. Von den gering Beschäftigten sind zwei Drittel Frauen. Diese über drei Millionen Frauen verdienen zum Teil nur 3,50 Euro pro Stunde und sind deshalb von Verwandten oder staatlichen Zuschüssen abhängig.

Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns würde für diese Frauen, von denen viele allein erziehende Mütter sind, eine gewaltige Verbesserung bedeuten.

Die Bosse dürfen mittlerweile bei Neueinstellungen innerhalb einer Probezeit von zwei Jahren ohne Begründung entlassen. Das hebelt den Mutterschutz aus. Schwanger zu werden ist für neu eingestellte junge Frauen mit der Drohung gleichbedeutend, ihren Job zu verlieren und in Hartz IV abzurutschen.

Bis zum 18. Geburtstag eines Kindes geben Eltern mehrere hunderttausend Euro für seine Versorgung aus. Der Abbau des Sozialstaates erhöht diese Summe. Gebühren für Studium, Kita und Schulbücher, der Wegfall der ermäßigten Steuerklasse 2 für allein Erziehende und erhöhte Eigenbeteiligungen von Patienten – diese Verschlechterungen treffen Eltern, und gerade allein Erziehende, besonders hart.

Der neoliberale Umbau der Hochschulen bedeutet für viele Studentinnen das Ende ihrer Ausbildung. Studiengebühren, Anwesenheitspflichten und der erhöhte Leistungsdruck machen es Studentinnen, die Kinder zu versorgen haben, zunehmend unmöglich, ihren Abschluss in der vorgegebenen Zeit zu machen. Sie werden exmatrikuliert oder geben von sich aus auf.

Dieselbe Familienministerin, die jetzt mehr Kinderkrippenplätze durchsetzen will, hat letztes Jahr das Elterngeld eingeführt und das einkommensunabhängige Erziehungsgeld abgeschafft. Dieser Schritt bedeutet eine Verschlechterung für Arbeiterfamilien. Profitiert haben besser verdienende Paare aus der Mittelschicht.

Von der Leyen vertritt das Interesse der Unternehmer an einer großen Auswahl hoch qualifizierter Arbeiterkräfte. Gering qualifizierte Arbeitskräfte sind im Überfluss vorhanden. Das Kapital sieht keinen Bedarf, diese Menschen zu fördern.

Für Frauen bedeutet die Möglichkeit zu arbeiten, ein Mehr an Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Dafür muss die Linke eintreten und von der Leyens Vorschlag gegen die Angriffe der katholischen Traditionalisten verteidigen. Aber Kinderbetreuung muss auch für Geringverdiener und allein Erziehende zugänglich und erschwinglich werden.

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