Schiiten führen Kampf gegen Besatzer an

Bush hat sich verrechnet. Statt sie zu begrüßen, bekämpfen viele Iraker die US-Besatzer. Die Schiiten sind die Verbündeten der weltweiten Antikriegsbewegung.

Stichwort: Schiiten

Die Schiiten sind einer der zwei Hauptzweige des Islam. Die größte Strömung stellen mit über 80 Prozent der Gläubigen weltweit die Sunniten. Aber im Irak und im Iran, in Bahrain, Aserbaidschan und einem Teil Saudi-Arabiens sind die Schiiten in der Mehrheit. Die Iraker sind zu etwa 60 Prozent Schiiten.
Die Muslime spalteten sich bald nach dem Tod des Religionsstifters Mohammeds 632. Ein Teil der Gläubigen wehrte sich dagegen, dass die Stammesführer der Stadt Mekka immer mehr Macht bekamen. Sie hielten sich stattdessen an Mohammeds Schwiegersohn Ali. Sie waren die ersten Schiiten.
Ali wurde von seinen Gegnern ermordet, ebenso wie sein Sohn Hussein, dem in den Wallfahrten nach Kerbala als Freiheitskämpfer gedacht wird. Die Schiiten konnten im Gebiet des heutigen Irak und Iran eine große Gefolgschaft sammeln, aber die islamischen Weltreiche des Mittelalters wurden immer von Sunniten geführt. Die Schiiten konnten sich daher oft als Religion der Armen und Rechtlosen gegenüber den Privilegierten darstellen.
Im 19. Jahrhundert konvertierten arme Bauern im heutigen Irak aus Protest gegen die sunnitischen Landbesitzer zu Schiiten. Schiitische Geistliche verdammten die Herrschaft des Osmanischen Reiches und die anschließende Besatzung durch die britische Armee, die zur Gründung des Irak führte. 1920 führten sie einen Aufstand gegen die Briten an. Seitdem er niedergeschlagen wurde, sind die Schiiten bis heute aus allen irakischen Regierungen ausgeschlossen gewesen.


Massendemonstrationen der irakischen Schiiten in Kerbala – das hatten die US-Kriegstreiber erwartet. Aber sie wuden kalt erwischt von den Transparenten und Sprechchören, mit denen die Iraker ein Ende der US-Besatzung forderten.
Unter Saddam Hussein sind die Schiiten lange unterdrückt worden: Sie durften ihre Religion nur begrenzt ausüben, ihre Heimatgegend wurde wirtschaftlich vernachlässigt. Darum dachten die US-Strategen, sie könnten im Kampf gegen Saddam Hussein mit schiitischer Hilfe rechnen.
Aber die Schiiten glaubten diesen Versprechen nicht mehr. Schon im Golfkrieg 1991 hatte die US-Regierung ihnen Unterstützung zugesagt. Als die Schiiten sich am Ende des Krieges erhoben, zogen sich die US-Truppen zurück und ließen das irakische Militär den Aufstand niederbomben. Die US-Regierung fürchtete ein Auseinanderbrechen des Irak. Ein schwacher Saddam Hussein war ihnen lieber.
Unter der heutigen US-Besatzung spüren die Iraker täglich, dass es nicht um ihre Freiheit geht. US-Soldaten schießen auf Demonstranten, die den Rückzug des Militärs fordern. Die Verwaltung des Landes liegt in den Händen der US-Regierung. Der Übergangschef Garner, ein ehemaliger General, versucht, aus den verschiedenen Exil-Gruppen eine US-hörige Regierung zu schmieden.
Immer mehr Iraker wenden sich gegen die USA. Ihr Wunsch nach einem Abzug der Besatzer vermischt sich auf vielen Demonstrationen mit Forderungen nach einem islamischen Staat. Auf Transparenten steht zu lesen: "Nein zu Saddam, Nein zu Bush, Nein zu einem säkularen Staat, Ja zum Islam".
Ähnlich wie in Ostdeutschland vor 1989 bieten die religiösen Zentren dem politischen Protest eine Struktur. Unter den Bedingungen der Diktatur gab es kaum Möglichkeiten, sich zu organisieren. In dieser Situation boten die Moscheen den einzigen Ort für Debatten. Von den Moscheen aus wird jetzt der Kampf gegen die US-Armee geführt.
Große Unterstützung für den schiitischen Widerstand kommt aus dem Iran. Entgegen den Lügen der US-Kriegstreiber, die den Iran auf die Achse des Bösen gesetzt haben, ist das Land weit davon entfernt, ein abgeschotteter mittelalterlicher Gottesstaat zu sein.
Während die iranische Geistlichkeit versucht, Frauen auf ihre Arbeit als Hausfrau und Mutter zu beschränken, ist die iranische Wirtschaft auf ihre Arbeitskraft angewiesen. 28 Prozent aller Frauen im Iran arbeiten außer Haus. Sie haben heute ein ebenso großes Gewicht wie vor der islamischen Revolution.
Der Kapitalismus macht vor islamischen Regierungen nicht halt. Der Iran ist von den Einnahmen aus Ölexporten abhängig – also von seiner Einbettung in den Weltmarkt. Und der steckt in der Krise. Wie auf der ganzen Welt werden im Iran staatliche Betriebe privatisiert und an private Investoren aus dem Ausland verkauft, um den Staatshaushalt zu sanieren. Während die Arbeitslosigkeit steigt, kürzt die Regierung die Arbeitslosenhilfe.
Die steigende Ausbeutung und die soziale Krise führen immer wieder zu Protestbewegungen. Fortwährend streiken Arbeiter privater und staatlicher Betriebe, weil ihre Löhne nicht gezahlt werden. Schüler und Studenten wehren sich gegen die Krise im Bildungssystem. Im Iran bröckelt die Unterstützung für die Geistlichkeit schon lange.
Im Irak bieten sich zurzeit als Gegengewicht zu den geistlichen Führern vor allem Exilanten an. Viele von ihnen sind nach dem Putsch geflohen, der 1958 den König stürzte und den britischen Einfluss beendete. Hinter der Bezeichnung Exiliraker verbergen sich viele Menschen, die im Westen Karriere gemacht haben; reiche Familien mit guten Verbindungen und zum Teil sogar Monarchisten. Die meisten Menschen, die im Irak leben, trauen ihnen nicht, weil sie gemeinsame Sache mit den Besatzern machen. Linke Exiliraker sind eine kleine isolierte Minderheit.
Zwischen den schiitischen Führern und den Exilirakern klafft eine Lücke. Viele politische Parteien sind im Irak verboten gewesen und beginnen erst jetzt wieder, offen zu arbeiten. Wie viele Menschen sie anziehen können, wird sich erst noch zeigen.
Aber es gibt eine greifbare Alternative zu den US-Marionetten: Die Bewegung im Irak könnte sich weiter ausbreiten. Die US-Regierung besetzt das Land, um von dort aus den Nahen Osten unter Kontrolle zu behalten. Sie ist auf die Unterstützung und Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen. Die Ölindustrie und die Versorgung der US-Truppen funktionieren nur mit irakischen Arbeitern.
Aus der Bewegung gegen die Besatzer kann eine Bewegung werden, die den Reichtum unter die direkte Kontrolle der Iraker bringt. Eine solche demokratische Kontrolle des Reichtums im Irak wäre wie ein Signal zum Aufstand für den gesamten Nahen Osten.

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