Herausforderungen für die Friedensbewegung

Die USA planen einen Krieg gegen den Irak. Mit fadenscheinigen Argumenten zimmert sich die US-Administration, unterstützt von Großbritannien, derzeit eine Legitimation für einen Angriff zurecht. Die Frage lautet nicht mehr ob, sondern wann der Krieg gestartet wird.
Im letzten Golfkrieg 1991 durchlitten die Menschen 42 Tage und Nächte pausenlose Bombardements. Mindestens 150.000 Menschen starben unter den angeblich "sauberen, chirurgischen" Schlägen. Mehr als 1 Million Opfer, vor allem Kinder, forderte das bis heute andauernde Embargo. Ein erneuter Krieg hätte katastrophale Folgen für die Bevölkerung des Irak und könnte einen Flächenbrand von Gewalt und Krieg in der gesamten Region auslösen. Ein Angriff gegen den Irak würde Tausenden von unschuldigen Menschen das Leben kosten, das Land verwüsten, die Umwelt zerstören.

Bedroht der Irak den Westen? Nein, er ist "heute viel schwächer als Anfang der neunziger Jahre", so der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, General Richard Myers.1 Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.9.02 sind die Streitkräfte des Irak seit 1991 mehr als halbiert, ebenso die Waffenbestände, und statt 200 bis 300 Scud-Missiles verfügt der Irak heute nur noch über etwa 20 dieser Raketen.
Heute wird immer mehr Menschen bewusst, dass es den USA vielmehr um die Zementierung und den Aufbau ihrer Vormachtstellung in einer zunehmend instabilen Weltordnung geht.

Amerikas Strategie der Vorherrschaft

Hintergrund für die Zunahme von nationalen Rivalitäten, Kriegen und der aggressiven amerikanischen Außenpolitik ist die weltweit um sich greifende Krise des Kapitalismus seit Mitte der 70er Jahre. Im Gegensatz zur landläufigen These, der zufolge demokratische Staaten friedensfähiger wären, und die Welt in dieser Hinsicht letztlich befriedet werden könnte, belegen die empirischen Befunde der Kriegsursachenforschung, dass die Kriegshäufigkeit in den vergangenen Jahrzehnten fast kontinuierlich zugenommen hat. Die "Musterdemokratien" USA, Frankreich und Großbritannien haben sogar am häufigsten Krieg geführt.
Die kapitalistische Globalisierung hat die Welt sozial und politisch instabiler gemacht. Vor diesem Hintergrund sind auch die Handlungen der USA im Nahen und Mittleren Osten zu verstehen. Eine Region, die mehr als dreiviertel aller Öl- und mehr als die Hälfte aller Erdgasvorräte der Welt birgt, gleichzeitig aber sozial und politisch äußert instabil ist, gilt es im eigenen Interesse zu stabilisieren. US-Hegemonie soll erzeugt werden. Sollte das unter Ausnutzung wirtschaftlicher Druckmittel nicht funktionieren, sind gegebenenfalls militärische Optionen durchzuführen, so lautet die Maxime.

Wäre die Region wirtschaftlich so uninteressant wie andere Teile der Welt, würde das gemacht werden, was der US-Staatssekretär Lawrence Korb 1990 nach dem Einmarsch des Irak in Kuwait schon zynisch bemerkte: "Würde der Kuwait Karotten anbauen, würde uns das einen Dreck interessieren."
Der Irak selbst verfügt über nachgewiesene Reserven von 112 Milliarden Barrel Erdöl, die nur von Saudi-Arabiens 256 Milliarden Barrel übertroffen werden. Eine englische Zeitung schreibt:
"Die Absetzung von Präsident Saddam Hussein würde die reichen neuen Ölfelder des Irak westlichen Bietern öffnen und die Abhängigkeit von saudischem Öl verringern … Kein anderes Land hat solche unerschlossenen Ölreserven anzubieten"2.
Mit der Kontrolle über das irakische Öl hätte die USA zudem ihre politischen und geostrategischen Einflussmöglichkeiten gegenüber anderen Ländern gestärkt, die in dieser Region Fuß fassen möchten bzw. ihren Einfluss ausbauen wollen.

Der Irak gilt den USA als klassischer "Schurkenstaat" oder wie es heute im Bush-Jargon heißt, als Teil einer "Achse des Bösen". Gemeint sind damit Staaten, die nicht unter Kontrolle der USA stehen. Saddam Hussein avancierte nicht wegen seiner umfangreichen Verbrechen zur "Bestie von Bagdad" – unter diesem Vorwand müssten die USA etwa 30 Nationen angreifen, einschließlich sich selbst! – sondern weil er die ihm gesetzten Grenzen überschritt. Noam Chomsky schreibt:
"Ein �Schurkenstaat‘ ist nicht einfach ein Verbrecherstaat, sondern einer, der die Regeln der Mächtigen missachtet"3.

Weil nicht nur die USA im Spiel um Einflussbereiche mitmischen, sondern auch europäische und andere Staaten, die oftmals andere Interessen als die Amerikas vertreten, kommt es zwischen ihnen zu Rissen. Die Anti-Terror-Koalition ist im Kern eine Bande "verfeindeter Brüder" (Marx) und daher instabil. Ein Ausdruck dessen ist die Politik der Alleingänge der USA. Weil unterschiedliche Interessen eine gemeinsame Strategie verhindern, wird zunehmend unilateral gehandelt.
Die ökonomische Vormachtstellung der USA ist dabei längst nicht mehr so groß wie zu Beginn der Zeiten des Kalten Krieges, als sie für mehr als die Hälfte der Weltproduktion aufkam. Heute hat die USA noch einen Anteil von 31,2 %. Die aktuellen Krisentendenzen der US-Ökonomie bestärken diese Entwicklung. Um dem tendenziellen Rückgang ihrer ökonomischen Macht (die in den 1990ern nur teilweise wiederausgebaut werden konnte) entgegenzuwirken, spielt die herrschende Klasse der USA vermehrt ihre stärkste Trumpfkarte aus: ihre enorme militärische Übermacht. Der bekannte amerikanische und dem US-Außenministerium nahestehende Journalist Thomas Friedman schreibt dazu recht offenherzig folgendes:
"Die unsichtbare Hand des Marktes kann ohne die unsichtbare Faust nicht funktionieren. McDonalds kann ohne McDonnell-Douglas (US-Waffenproduzent) nicht florieren. Die unsichtbare Faust, die Sicherheit in der Welt schafft, damit die Technologie des Silicon Valley floriert, nennt man US-Army, Luftwaffe und Marine-Corps."4
Der gewonnene Golfkrieg 1991, aber auch die Jugoslawieneinsätze Mitte und Ende der 90er Jahre haben Erfolge gezeitigt. Die Macht der USA, anderen Teilen der Erde ihre spezifischen wirtschaftspolitischen Interessen aufzudrücken, wuchs durch ihre militärischen Erfolge an. Kein Land der Erde hat einen solchen Einfluss auf WTO, IWF und die Finanzpolitik der Erde wie die USA.

Die Terroranschläge des 11.9. sind insofern auch dazu benutzt worden, ein auf den ersten Blick überzeugendes Argument für eine erhöhte Militärpräsenz im Ausland zu haben. Der "Kampf gegen den Terrorismus", so stellt sich bei genauerem Hinsehen heraus, dient aber vor allem als Rechtfertigung für den Kampf um Einflusssphären, Rohstoffe, Transportwege und politische Macht. Er ist die militärische Absicherung der amerikanischen Globalisierungsstrategien.
Die Strategie der USA enthält neben dem heute offenen Bekenntnis zum atomaren Erstschlag und zum Präventivkrieg noch weitere Ziele: Zur Sicherung der Einflusssphären und dem freien Zugang zu Rohstoffen reicht es dem US-Imperialismus nicht mehr aus, allein auf Marionettenregime zu setzen. Die sozialen Verwerfungen der Globalisierung "made in USA" haben ihre politische Bindekraft unterminiert. Direkte militärische Präsenz und somit unmittelbare Machtausübung vor Ort ist die aktuelle Strategie.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum die USA in den Krieg ziehen wollen. Auch Hussein selbst ist nicht das einzige Problem, sondern der drohende Einflussverlust der USA aufgrund der instabilen Position ihrer bisherigen Verbündeten in der Region. Es geht also um mehr als den unmittelbaren Zugriff auf das Öl des Irak.
Schon im Jahr 2000 haben das Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und George W. Bushs jüngerer Bruder Jeb in einem gemeinsamen Strategiepapier folgendermaßen ausgedrückt:
"Die Vereinigten Staaten haben seit Jahrzehnten versucht, eine dauerhaftere Rolle in der Sicherheitsarchitektur am Golf zu spielen. Der ungelöste Konflikt mit dem Irak liefert zwar die unmittelbare Begründung dafür, die Präsenz einer substantiellen amerikanischen Streitmacht am Golf aber ist ganz unabhängig von der Frage des Saddam-Hussein-Regimes nötig."5

Das Gutachten sagt darüber hinaus, dass "selbst dann, wenn Saddam von der politischen Bühne verschwinden würde", die Stützpunkte in Saudi-Arabien und Kuwait auf Dauer bleiben müssen und, dass "sich der Iran wohl als eine ebenso große Gefahr für die US-Interessen erweisen dürfte, wie dies beim Irak der Fall war".
Die einst willfährigen Regime Saudi-Arabien und Ägypten sind wegen dem Druck der arabischen Massen und Spaltungen innerhalb der herrschenden Eliten zu Wackelkandidaten geworden. Das wurde spätestens bei den massenhaften Erhebungen parallel zur neuen Intifada der Palästinenser deutlich, als sich die Solidarität mit den Palästinensern sowohl mit einer Wut gegen Scharon und Bush, als auch gegenüber den eigenen korrupten Regierungen verband. Weiterer Ausdruck dessen ist die zögerliche bis ablehnende Haltung aller Regime mit Ausnahme Israels in Nahost, Bushs Kriegspläne gegen den Irak zu unterstützen. Ziel des geplanten Angriffs auf den Irak ist, neben Israel eine weitere Bastion für US-Interessen in Nahost aufzubauen – einen Militärstützpunkt im besiegten Irak. Diese Demonstration der Stärke soll den arabischen Widerstand demoralisieren und somit die Ölinteressen in der Region sichern. Im Wortlaut Dick Cheney zu den Folgen eines Irak-Krieges:
"Die gemäßigten Kräfte in der arabischen Welt werden beflügelt und die Oberhand über Extremisten gewinnen, der Friedensprozess im Nahen Osten erhält neue Impulse"6
, sprich die staatliche Repression wird die anti-amerikanische Opposition niederschlagen, Scharon die besetzten Gebiete ethnisch säubern".

Ein Nebeneffekt dieser offensiven Strategie ist es, die Bündnispartner hinter sich zu zwingen: Die USA wollen durch den Krieg Fakten schaffen und beweisen, wer international die Hosen an hat. Europa soll merken, dass es seine Interessen nicht unabhängig von der USA geltend machen kann.

Amerika, die EU und Deutschland

Schröders Ablehnung gegenüber einem Angriff auf den Irak war nicht nur "Wahlkampfgetöse". Natürlich drückte das auch die breite Anti-Kriegs-Stimmung aus, auf die Schröder sich beziehen musste, um die Wahlen zu gewinnen. Hinter der Ablehnung steht jedoch mehr. Schröders Begründung, dass er sich nicht auf ein "Abenteuer" im Nahen Osten einlassen wolle, ist auch Ausdruck der wachsenden Furcht der EU-Kernländer, dass die USA ihre militärische Vormacht ohne Rücksicht auf "europäische Interessen" durchsetzt, dass europäische Kapitalinteressen durch eine "rücksichtslose" Machtpolitik der Bush-Administration im Nahen Osten und Zentralasien verletzt werden. Insofern drückt die ablehnende Haltung der rot-grünen Regierung nicht nur die Antikriegsstimmung der Bevölkerung aus, sondern zugleich die wachsende Befürchtung des europäischen Kapitals vor einer Beschränkung ihrer eigenen Einflussmöglichkeiten auf den arabischen Raum. Im Afghanistankrieg hatten die europäischen Nato-Mächte ihre militärische Unterstützung zugesagt, wurden aber von den USA nicht angefordert, das damit den Aktionsradius der Nato auf Europa eingeschränkt hat und Militärbündnisse für jede Weltregion und jeden Krieg nach eigenen Interessen neu schmiedet. Die führende Rolle der USA wurde akzeptiert, solange die Aussicht bestand, "mitreden" und mitbestimmen zu können. Der Afghanistan-Krieg hat zumindest unter den kontinentaleuropäischen Mächten jedoch die Befürchtung verstärkt, dass bei einer "Neuordnung" des Nahen Ostens durch die USA europäische Kapitalinteressen unberücksichtigt bleiben.

Andererseits verfügt die EU nicht über die militärischen Mittel und die politische Einheit, um die Stabilität des Nahen Ostens und Zentralasiens ohne die USA aufrecht zu erhalten.
Die Kritik der Bosse und der bürgerlichen Medien in Deutschland gilt vor allem der "Art und Weise", wie Schröder die Kriegsfrage zum zentralen Wahlkampfthema gemacht hat und so die antimilitaristische Grundstimmung der deutschen Bevölkerung nicht nur ausgedrückt, sondern noch verstärkt hat. Die herrschende Klasse befürchtet, dass Schröder durch seine Mobilisierung von "pazifistischen und linken Stimmungen" die weitere Militarisierung der deutschen Außenpolitik erschwert. So beschwerte sich die Financial Times Deutschland im Wahlkampf:
"Die Irak-Äußerungen Schröders, Fischers und Stoibers werfen die außenpolitische Kultur Deutschlands in die Zeit vor den Kosovo- und Afghanistan-Debatten zurück."7

Die neue Weltordnung nach 1991 hat zu einer Umstrukturierung der Streitkräfte der stärksten NATO-Länder in Europa, Frankreich, Großbritannien und besonders Deutschland, geführt. Im sogenannten „Weizsäcker-Papier“ wird die Umstrukturierung der Bundeswehr hin zu einer globalen Interventionsarmee diskutiert. Hier ist schon 2000 zu lesen, dass in Zukunft die Bundeswehr nicht mehr nur "für territoriale Verteidigung eingesetzt wird, sondern für die Verteidigung deutscher Interessen außerhalb aller geographischen Grenzen, wenn notwendig auch in einem Aggressionskrieg".8
Wo steht die EU militärstrategisch? Es gibt seit Jahren Bestrebungen – vor allem von Deutschland und Frankreich – einen militärischen Gegenpol zu den USA in Europa aufzubauen. Der Abstand zu den USA ist jedoch noch gigantisch – man ist weit vom Ziel entfernt und es sieht sogar aus, als würde der Abstand noch größer werden.9

Rüstungsetat 2001 in Milliarden Euro

USA
Großbritannien
Frankreich
Deutschland
354
39
29
24

Ein Hauptproblem für die Entwicklung einer gemeinsamen imperialistischen Strategie Europas ist die Rolle Englands, das seine Überseeinteressen eng mit dem US-Imperialismus verknüpft hat. Die militärische Kooperation ist innerhalb der EU erst ansatzweise zwischen Deutschland, Frankreich und Italien gediehen.10
Diese Situation führt dazu, dass einzelne EU-Länder – ohne gemeinsame Strategie – vermutlich den USA folgen werden, wenn die USA tatsächlich militärisch interveniert, in der vagen Hoffnung, wenn schon nicht ein ganzes Stück vom Kuchen so doch wenigsten ein paar Krümel davon abzubekommen.

Die internationale Anti-Kriegs-Bewegung

Die Bush-Administration hat größte Probleme, Unterstützung für ihren Krieg gegen den Irak zu finden. Die internationale Anti-Kriegs-Bewegung kann zum entscheidenden Stolperstein für die Kriegstreiber werden. Besonders brisant ist dabei das Zusammenkommen der Kriegsgegnerschaft mit dem tiefgreifenden Unmut mit dem globalisierten Neoliberalismus. Die internationale antikapitalistische Bewegung kann in der Opposition zum Krieg eine Schlüsselrolle spielen, wie im folgenden angedeutet wird.

Der Nahe Osten

Der Widerstand vor Ort gegen eine weitere US-Militärintervention wurde deutlich, als im Rahmen von Colin Powells Reise durch arabische Länder im Frühjahr eine Welle von massenhaften Protesten den Nahen Osten erschütterte. Hier seien nur einige Beispiele aufgezählt11: Den Anfang machten Studenten in Kairo/Ägypten, die sich ab dem 1. April fast täglich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, um ihren Protest über den Campus hinaus in die Öffentlichkeit zu tragen. Ein beliebter Slogan der Demonstranten war "Mubarak, du Schwächling, du bist der Büttel der Amerikaner!" Am 6. April demonstrierten 1 Millionen Menschen in Damaskus/Syrien. Am Folgetag zog ein ähnlich großer Protestmarsch durch Rabat, die Hauptstadt von Marokko. Diese Massenproteste inspirierten weitere Aktionen in Libanon, Jordanien und selbst in Saudi-Arabien versuchten am 12. April Tausende zur US-Botschaft in Dhahran zu ziehen. Teilweise gingen die Regierungen gewaltsam gegen Demonstranten vor.

Unter diesen Bedingungen erklärte sich noch bis in den September mit Ausnahme der kleinen Golfemirate wie Katar kein arabisches Land dazu bereit, einen US-Angriff auf den Irak zu unterstützen. Nur unter der Ausübung massiven Drucks können die USA Stützpunkte aufbauen.

USA

Bush muss den Propagandakrieg auch an der Heimatfront gewinnen, um gegen den Irak zu Felde zu ziehen. Eine Anfang September 2002 veröffentlichte Umfrage des Fernsehsenders ABC ergab, dass es sehr wohl ein "anderes Amerika" gibt: Nur noch 56% der Amerikaner würden eine Militäroperation gegen den Irak unterstützen, einen Monat zuvor waren es noch 69%12. Ein noch größeres Problem stellt die Tatsache dar, dass nur eine Minderheit für einen amerikanischen Alleingang ist.
Zudem kann das wachsende generelle Misstrauen gegenüber den Wirtschaftsbossen und ihren Politikern eine Anti-Kriegs-Bewegung anheizen und radikalisieren. Ein weiterer Grund für die Irakoffensive – die Ablenkung innenpolitischer, d.h. vor allem sozialer Probleme auf den Kampf gegen den Terrorismus" – kann somit wie ein Bumerang auf die US-Administration zurückfliegen. Einen Vorgeschmack auf hoffentlich noch größere Proteste boten bereits die Demonstrationen gegen IWF und Weltbank Ende September 2002 in Washington.

Europa

Die aktuellen Spaltungen zwischen den Herrschenden schaffen Raum für die Opposition von unten. Heute ist die Dimension einer breiten europäischen Friedensbewegung möglich. In London demonstrierten am 28.9.02 über 300.000 Menschen gegen den Krieg und für die Rechte der Palästinenser. Gleichzeitig gingen etwa 100.000 in Rom auf eine Demo gegen den Krieg.
In Europa lehnt eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung den Krieg ab. Das ist in Deutschland ähnlich, wo Schröder mit einer klaren Antikriegshaltung die Bundestagswahlen gewann. Die Friedensbewegung muss dafür sorgen, dass seinen Worten auch Taten folgen und eine druckvolle Bewegung auf die Strasse bringen. Wir wissen, dass der Druck auf Rot-Grün von Seiten der deutschen Kapitalistenklasse täglich steigen wird und nur eine massenhafte Bewegung den nötigen Gegendruck wird aufbauen können. Die Bewegung hat die Aufgabe, den drohenden Krieg abzuwenden. Das bedeutet, die europäischen Regierungen dazu zu zwingen, nicht nur "wegzugucken", sondern den Krieg aktiv zu verhindern. Gleichzeitig kann eine massenhafte Bewegung in Europa Kriegsgegner in den USA und in den arabischen Ländern inspirieren.

Um politisch erfolgreich zu sein, ist es unerlässlich, die Ablehnung des US-Feldzugs mit Forderungen an die eigene Regierung zu verbinden. Konkret heißt das, von Rot-Grün Konsequenzen einzufordern: keine logistische und finanzielle Unterstützung des US-Krieges, sofortiger Abzug der Spürpanzer aus Kuwait, Rückzug der Marineflotte aus der Golfregion, Bundeswehrsoldaten raus aus Dschibuti. Die Grünen-Verteidigungspolitikerin Angelika Beer zieht die richtigen Konsequenzen aus Schröders Nein zum Irak-Krieg: "In keiner Form beteiligen heißt: keine Überflugrechte, keine Nutzung von US-Basen in Deutschland."13 Damit das wirklich realisiert wird, muss der Druck auf die neue Bundesregierung durch Proteste erhöht werden.

Herausforderungen für Deutschland

Die gegebene Situation schafft die Möglichkeit und die Notwendigkeit, eine breite Front gegen den Krieg aufzubauen. Der antimilitaristische Wahlkampf Schröders – ganz gleich ob er nur "wahltaktisch" war – hat neue Möglichkeiten geschaffen, breite Kreise in eine Friedensbewegung einzubeziehen: Von ATTAC und der PDS über die Gewerkschaften und der alten Friedensbewegung hin zu Sozialdemokraten, Grünen und kirchlichen Kreisen, nicht nur christlichen sondern auch islamischen, aber auch der türkischen Linken und Palästinensern. Es darf für eine Teilnahme keine einschränkenden Bedingungen geben. Einzige Bedingung darf das "Nein zum Krieg gegen den Irak" sein. Wir müssen die ablehnende Haltung der rot-grünen Regierung ausnutzen für den Aufbau der Bewegung, ohne uns auf diese zu verlassen. Ziel ist die maximale Einbeziehung aller kriegskritischen Kräfte auf dem kleinstnötigen politischen Nenner Nein zum Krieg gegen den Irak.
Eine solche breite Antikriegsfront erfordert eine offensive politische Debatte: insbesondere um die Einbeziehung der nationalen Befreiungsbewegung der Palästinenser, deren Kampf in der Mobilisierung gegen den US-Imperialismus im Nahen Osten eine zentrale Rolle zukommt.

Hürden für die Anti-Kriegs-Bewegung

Sind die internationalen Institutionen Garanten für eine "friedliche Außenpolitik"?
In der NATO, aber auch in der UNO, sitzen sich die "feindlichen Brüder" gegenüber: Gemeinsam ist ihnen das Interesse, die Arbeiter für ihre Profite ausbeuten zu wollen. Gleichzeitig treibt der internationale Konkurrenzkampf um Profite die einzelnen Staaten, als Vertreter der jeweils nationalen Kapitalinteressen, auseinander. Diese Institutionen sind also kein neutrales Schiedsgericht. Mit der Verschärfung der imperialistischen Rivalitäten verlieren sie auch zunehmend an Bedeutung, was sich am Beispiel der UNO deutlich zeigt: Durch Konflikte im Sicherheitsrat wird die Handlungsunfähigkeit der UNO nur unterstrichen. Grundsätzlich widersprechen wir der Illusion, dass es eine friedliche Außenpolitik im Rahmen von bürgerlichen Nationalstaaten geben kann, da die kapitalistische Konkurrenz den Imperialismus und imperialistische Kriege zwangsläufig hervorruft.

Welche Haltung gegenüber Saddam Hussein?

Weder halten wir Saddam Hussein für einen Faschist, noch für einen antiimperialistischen Held. Der Rüstungshaushalt des Irak beträgt 1,4 Milliarden Dollar, der der USA 354 Milliarden Dollar. Hussein ist also ein kleiner Gauner im Vergleich zu den USA. Wir sind für eine Niederlage des US-Imperialismus, weil die USA der mächtigste imperialistische Unterdrückerstaat sind. Ein Sieg würde weitere Offensiven, weitere Kriege gegen andere Länder bedeuten – eine Niederlage könnte die imperiale Interessenspolitik der USA schwächen.

Wenn wir von Demokratie reden, meinen wir das Gegenteil von Bushs geplanter "demokratischer Neuordnung" der Region. Diese Ordnung soll die Ausbeutung noch effektiver gestalten und richtet sich gegen die arabischen Massen. Wir sind für eine Bewegung der arabischen Massen gegen die korrupten Regime – für einen Sturz Saddam Husseins durch das irakische Volk und von Hussein unterdrückte nationale und religiöse Minderheiten wie Kurden und Schiiten. Jede imperialistische Aggression schließt jedoch die Reihen hinter Hussein. Der amerikanische Ex-Waffeninspekteur und Gegner eines Irak-Krieges Scott Ritter beschrieb nach einer Reise in den Irak diese Stimmung angesichts des drohenden amerikanischen Angriffskrieges: "Die Iraker, die ungeheuerliches Leid erfahren haben, mögen Saddam Hussein nicht, doch sie unterstützen ihn und sein Regime, denn uns mögen sie noch weniger."14
Da wir uneingeschränkt für das nationale Selbstbestimmungsrecht eintreten sowie für die Selbstbefreiung der Völker, setzen wir weder auf Bush noch auf Hussein, sondern versuchen mit dem Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung eine Perspektive und einen Bündnispartner von unten für die arabischen Massen aufzuzeigen.

Israel und der Antisemitismusvorwurf

Die Frage der Rolle Israels war die Achillesferse für die Anti-Golfkriegs-Bewegung 1991. Damals flogen irakische Bomben auf Israel – nun hieß es: wer gegen die USA ist, ist für Hussein und damit für die Vernichtung des jüdischen Volkes. Die sehr breit gestartete Bewegung fiel in sich zusammen.
Hussein wird auch dieses Mal die Palästinafrage instrumentalisieren (ihm sind die Palästinenser letztlich gleichgültig), indem er an der berechtigten Wut der arabischen Massen über die imperiale Politik des engsten Verbündeten der USA in der Region, Israel, anknüpft, um das politische Kräfteverhältnis in der arabischen Welt zu seinen Gunsten zu verschieben. Bereits jetzt zahlt Bagdad angeblich eine "Märtyrerprämie" für palästinensische Familien: 5.000 Dollar, wenn das Haus durch die israelische Armee zerstört wurde; 10.000 Dollar, wenn Angehörige im Widerstand fallen; und 25.000 Dollar für die Hinterbliebenen von Selbstmordattentätern.15

Gleichzeitig ließen Regierungssprecher von Rot-Grün bereits verlauten, dass bei einer Bedrohung Israels durch den Irak oder andere Staaten mit einem deutschen Militäreinsatz zu rechnen sei. Der nahostpolitische Sprecher der SPD, Christoph Moosbauer, betont: "Wenn Israel angegriffen wird, müssen wir helfen. Dazu sind wir aus unserer historischen Verantwortung heraus verpflichtet."16 Der Beschuss Israels mit Scud-Raketen hatte im Golfkrieg von 1991 wie gesagt zum Zusammenbruch der Antikriegsbewegung in Deutschland geführt. Damals hatte die israelische Regierung und die bürgerliche Presse in Deutschland den Vorwurf des Antisemitismus als Totschlagargument gegen die Friedensbewegung erfolgreich eingesetzt und auch dieses Mal könnte er zum Vorwand für Schröder und Fischer werden, ihr Wahlversprechen zu brechen, einen Krieg gegen den Irak nicht zu unterstützen.
Deswegen ist es sehr wichtig, die Palästinafrage offensiv in die Antikriegsbewegung hineinzutragen und Klarheit über den Charakter und die Rolle des Staates Israel zu schaffen.

Der Staat Israel war und ist ein Instrument der jeweils mächtigsten imperialistischen Macht im Nahen Osten zur Unterdrückung nationaler und sozialer Befreiungsbewegungen in der ganzen Region. Die Gründung eines rein jüdischen Nationalstaates auf palästinensischem Boden war und ist nur möglich mit der Unterdrückung und Vertreibung des ansässigen palästinensischen Volkes. Die jüdische Nationalbewegung, der Zionismus, suchte von Beginn an das enge Bündnis mit den stärkeren Bataillonen Großbritanniens und später, nach 1945, der USA, um die Palästinenser niederzuhalten und zu vertreiben. Und umgekehrt sehen die USA in Israel einen zuverlässigen und militärisch schlagkräftigen Verbündeten in einer für sie weltpolitisch zentralen Region. Dass Israel diese Rolle als Brückenkopf für die westlichen Interessen in der Ölregion spielt, ist auch der Kapitalistenklasse in Deutschland klar. In einem Leitartikel zur Bundestagswahl schrieb das Unternehmerblatt Financial Times Deutschland: "Wir stehen loyal auf der Seite Israels, nicht allein aus historischer Verantwortung, sondern aus strategischem Kalkül."17

Hier grenzen wir uns auch scharf von einer rechten Kritik an der Israelpolitik der USA ab. Immer wieder behaupten Politiker wie Jürgen Möllemann (FDP) oder sogar Scharping (SPD), dass es die "jüdische Lobby" in den USA sei, die deren einseitige Unterstützung Israels gegen die Palästinenser begründe. Es sind in Wahrheit die ureigensten wirtschaftlichen Interessen des US-Kapitals, die die Nahost- und Israelpolitik von George W. Bush diktieren. Der Holocaust der europäischen Juden wird im Nachhinein instrumentalisiert für eigene imperialistische Ziele, nachdem während des zweiten Weltkrieg weder die USA noch die anderen westlichen Alliierten an der Rettung der Juden ein Interesse gezeigt hatten.
Wir unterscheiden zwischen dem Existenzrecht des jüdischen Volkes im heutigen israelischen Staatsgebiet und dem „Existenzrecht“ des zionistischen Staates Israel. Wir sind der Auffassung, dass das zionistische Ziel, mit einem rein jüdischen Staat den Juden der Welt eine Heimat zu geben, in der sie in Frieden leben können, gescheitert ist. Wir sehen in der Bildung eines rein jüdischen Staates auf palästinensischem Boden keine Lösung gegen Antisemitismus, sondern eine Grundlage neuen Unfriedens und Leidens der Palästinenser, aber auch der Juden. Der Satz von Karl Marx, "Ein Volk, das ein anderes unterdrückt, kann selbst nicht frei sein", trifft auch hier zu. Deshalb sehen wir auch in der „Zwei-Staaten-Lösung“ keine wirkliche Lösung. Damit wird nicht das Problem der palästinensischen Flüchtlinge und das Problem der Unterdrückung der Palästinenser in Israel gelöst. Nur ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Juden und Palästinenser in einem weltlichen, demokratischen Staat mit gleichen Rechten für alle, wird Frieden schaffen können. Wenn die Palästinenser endlich Gleichberechtigung erfahren würden, könnte Hussein auch schwerlich die Palästinafrage instrumentalisieren.

In Palästina heißt das gegenwärtig: wir stehen bedingungslos, wenn auch nicht kritiklos, an der Seite des palästinensischen Widerstandes gegen die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung durch den Staat Israel. In Israel beziehen wir uns auf die Friedensbewegung, die Soldaten, die den Kriegsdienst in den besetzten Gebieten verweigern, die israelischen Palästinenser, nicht auf Scharon und die Kriegsparteien.

Der Islamismus

Das Wachstum und die Ausbreitung des politischen Islam lassen sich nur verstehen vor dem Hintergrund der Ausbeutung durch den Imperialismus und der breiten Enttäuschung und Frustration angesichts der Erfahrungen mit den säkularen nationalistischen und linken Bewegungen. Manchmal fungiert der islamische Fundamentalismus daher als religiöser Mantel für antiimperialistische Erhebungen wegen des historischen Versagens der Linken.

Für uns ist bei der Beurteilung von politischen Bewegungen nicht entscheidend, ob ihre Forderungen religiös oder säkular formuliert werden, sondern ob sie in der konkreten Situation Teil einer Befreiungsbewegung gegen den Imperialismus sind (Bsp. Hamas in Palästina), oder ob sie selbst mit dem Imperialismus verbündet sind (z. B. das Königshaus von Saudi-Arabien, welches islamistisch ist).
Wir haben keine Illusionen in islamistische Organisationen: Ihre klassenübergreifende Ideologie führt weder zu effektiven Kampfformen, noch zu einer nationalen Befreiung vom Imperialismus. Erstens dominieren Strategien des Stellvertretertums: Terrorismus, Guerillataktik oder Reformismus. Zweitens führt der Versuch einer islamischen Neuordnung des Kapitalismus wieder zu falschen Kompromissen mit dem weltweiten Imperialismus und einzelnen imperialistischen Mächten.
Diese Widersprüchlichkeit der islamistischen Bewegungen ermöglicht es einer neu entstehenden internationalistischen Linken, die islamistische Führung an ihrem antiimperialistischen Anspruch zu messen und den Massen zu ermöglichen, selbst zu entscheiden, welche Strategie die bessere ist: systemimmanente Stellvertreterpolitik oder revolutionäre Massenaktivität.

Das heißt, die Linke muss aktiv daran arbeiten, moslemische Gruppierungen in die Anti-Kriegs-Bewegung einzubeziehen und zeigen, dass eine internationalistische und sozialistische Bewegung der effektivste Weg gegen die Ausbeutung und Unterdrückung der arabischen Massen ist.

1 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.09.02
2 Times of London, 11.07.02

3 Die Furche (Wiener Wochenzeitung), 14.08.02. Noch Ende der 80er Jahre hatten Reagan und Bush senior mit Saddam Hussein "ungewöhnlich herzliche Beziehungen gepflegt", selbst als dieser 1988 Giftgas gegen Kurden und Kurdinnen einsetzte.
4 Zitiert in: Chris Harman, Antikapitalismus. Theorie und Praxis, Frankfurt 2001, S. 23
5 Dieser Plan wurde aufgedeckt im Sunday Herald vom 15. 09.02 (Autor: Neil Mackay). Das Dokument, das den Titel trägt: "Rebuilding America’s Defenses: Strategies, Forces And Resources For A New Century" [Amerikas Verteidigungsmittel umgestalten: Strategien, Kräfte und Ressourcen für ein neues Jahrhundert] wurde im September 2000 von der neokonservativen Denkfabrik Project for the New American Century (PNAC) verfasst.

6 Zitiert in: Frankfurter Rundschau, 30.08.02

7 Financial Times Deutschland (FTD), 13.09.02

8 Es handelt sich hier um die Kommission der Bundesregierung "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr". Zitiert in: Arno Neuber, Armee für alle Fälle: Der Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee, isw-Report Nr.44, Institut für Sozialökologische Wirtschaftsforschung, München 2000, S. 4

9 Zahlen in: Der Spiegel, Nr.8 / 18.02.02, S. 166. Mittlerweile ist bekannt, dass der US-Verteidigungshaushalt bis 2007 auf die astronomische Summe von 469 Mrd. US-$ jährlich aufgestockt werden soll.

10 Zu den Anstrengungen und Beschränkungen in der Entwicklung einer EU-Rüstungs- und Militärstrategie siehe: Winfried Wolf, Afghanistan, der Krieg und die neue Weltordnung, Hamburg 2002, S. 137-145

11 Zu den folgenden Fakten zur Protestwelle im arabischen Raum siehe: Anne Alexander, Redrawing the political map: nationalism, islamism and socialism in the Middle East‘, in: International Socialism # 95 (Sommer 2002), S. 107-123

12 Umfrageergebnisse in: FTD, 12.09.02

13 Zitiert in: FTD, 13.09.02

14 Aus einem Interview in: Die Welt, 17.09.02

15 Der Spiegel, Nr. 39 / 21.09.02, S.124
16 FTD, 13.09.02
17 FTD-Leitartikel zur Bundestagswahl: Zeit für einen Wechsel, 16.09.02

Dieser Beitrag wurde unter Anti-Kriegs-Bewegung, Imperialismus abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.