EU-Osterweiterung: Die Bosse können feiern

Die EU-Osterweiterung ist für Arbeiter kein Grund zum Jubeln – weder in Westeuropa, noch in den Beitrittsländern Beim EU-Gipfel in Kopenhagen wurde die Osterweiterung beschlossen. Die EU wird 25 statt bisher 15 Mitgliedsstaaten zählen. War sie bisher auf Westeuropa beschränkt, so umfasst sie danach auch ganz Osteuropa bis an die Grenze der ehemaligen Sowjetunion sowie die beiden Mittelmeerinseln Malta und Zypern.
Durch die Erweiterung erhöht sich die Bevölkerungszahl der EU um 75 auf 451 Millionen, das Bruttoinlandsprodukt erreicht mit 9.200 Milliarden Euro fast dasjenige der USA.

Unterstützung findet die Osterweiterung vor allem in den europäischen Konzernzentralen, insbesondere den deutschen.

Handel und Direktinvestitionen sind in den vergangenen zehn Jahren stark angestiegen. Der Anteil der osteuropäischen Beitrittskandidaten am deutschen Außenhandel ist mittlerweile fast so hoch wie der Anteil der USA – knapp zehn Prozent.

Deutschland wiederum wickelt rund 40 Prozent des gesamten EU-Handels mit diesen Staaten ab.

Deutsche Konzerne haben massiv in Osteuropa investiert. Allein im vergangenen Jahr betrugen die Direktinvestitionen 3,6Milliarden Euro.

In Polen, Tschechien und Ungarn sind 350.000 Beschäftigte in deutschen Unternehmen tätig. Allein der Siemens-Konzernverfügt über 95 Tochtergesellschaften mit 25.000 Beschäftigten.

Volkswagen hat 1991 den tschechischen Autohersteller Skodaübernommen und den Ausstoß seither verdreifacht – inzwischen werden eine halbe Million Wagen jährlich für den gesamten europäischen Markt produziert.

Der Grund: Die deutsche Wirtschaft braucht Osteuropa als Absatzmarkt und Reservoir billiger, aber gut qualifizierter Arbeitskräfte genutzt.

In der EU-Kommission haben die großen Industrie- und Finanzkonzerne einen zuverlässigen Sachwalter ihrer Interessen gefunden. Sie sorgt durch eine Unzahl von Kriterien, Bedingungen und Vorschriften dafür, dass in den ehemaligen Ostblockstaaten ein "wettbewerbsfreundliches" Klima entsteht.

Konkret bedeutet dies massive Einschnitte bei den staatlichen Sozialabgaben, die Privatisierung staatlicher Unternehmen und die Stillegung großer Bereiche von Industrie und Landwirtschaft, die als unrentabel gelten.

Für die Masse der Bevölkerung hat dies verheerende Folgen.

Besonders deutlich ist dies in Polen, das mit 39 Millionen mehr Einwohner zählt als die übrigen neun Beitrittsländer zusammen.

Laut einer Studie werden von den gegenwärtig zwei Millionen polnischen Bauernhöfen lediglich 100.000 die EU-Mitgliedschaft überleben. Polnischen Bauern stehen nach dem Beitritt nur 40 Prozent der Agrarhilfen zu, welche die EU an westliche Bauern zahlt.

Diese fließen in der Regel an reichere Bauern oder an die Agrarkonzerne, die schon an der Grenze bereit stehen, um polnisches Land mit industriellen Methoden zu bearbeiten.

Auch in der Schwerindustrie stehen unzählige Arbeitsplätze auf der Kippe. Die polnische Stahlindustrie, die noch mehrere Hunderttausend Arbeiter beschäftigt, gilt als marode und im europäischen Rahmen nicht konkurrenzfähig. Ebenso der Bergbau- und Energiesektor.

Bei den anderen Beitrittskandidaten sieht es ähnlich aus wie in Polen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und die Arbeitsproduktivität gering, der Lebensstandard entsprechend niedrig. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sämtlicher Beitrittsstaaten entspricht zusammengenommen ungefähr dem Hollands. Befürworter der Osterweiterung verweisen gern auf die Erfahrungen mit Südeuropa und Irland, deren Wohlstandsgefälle zu den übrigen Mitgliedern abnahm, seit sie der EU beitraten.

Die Osterweiterung findet aber unter ganz anderen Rahmenbedingungen statt, als frühere Erweiterungsrunden. Das stagnierende Wirtschaftswachstum und die hohe Arbeitslosigkeit bei den alten Mitgliedern, insbesondere in Deutschland, begünstigen eine umgekehrte Entwicklung – die Angleichung des Lebensstandards in den reicheren Mitgliedsländern an denjenigen der ärmeren.

Die Möglichkeit, die Produktion nach Osteuropa zu verlagern, wird von der Wirtschaft genutzt, um Löhne und Tarife in Westeuropa unter Druck setzen.

Dennoch sind die rund 40 Milliarden Euro, mit denen die EU von 2004 bis 2006 die neuen Mitglieder fördern will, nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Das wird deutlich, wenn man sie mit den 50 Milliarden Euro vergleicht, die seit 1991 Jahr für Jahr aus der Bundeskasse in den deutschen Osten flossen, ohne dessen wirtschaftlichen und sozialen Niedergang bremsen zu können.

Rechtsaußen wie Jörg Haider versuchen, aus den desaströsen sozialen Folgen der EU-Erweiterung politisches Kapital zu schlagen. Doch ihr Nationalismus bietet keine Lösung: Er spaltet die Ausgebeuteten Europas – zur Freude der Bosse.

Die Lösung liegt in einem Europa von unten, wie es beim Europäischen Sozialforum in Florenz sichtbar wurde.

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