Irak: Das neue Vietnam

Die irakische Bevölkerung kämpft gegen ihre Unterdrückung. Multinationale Konzerne weltweit fürchten eine Niederlage der Supermacht USA wie in Vietnam vor mehr als 30 Jahren.


Solche Bilder verbreiten die Besatzer heute im Irak (rechts) ebenso wie in Vietnam vor über 30 Jahren (links), um die Bevölkerung zu demütigen und ihren Widerstand zu brechen

Wer sind die Widerstandskämpfer im Irak?
Die Widerstandskämpfer sind keine ausländischen Terroristen und Anhänger des früheren Diktators Hussein, wie die US-Regierung behauptet. Juan Cole ist Professor für Geschichte des Nahen Ostens an der Universität von Michigan (USA). Er schätzt, dass rund 25.000 Kämpfer an Widerstandsaktionen teilnehmen. Davon seien etwa 400 bis 500 aus dem Ausland. Nur wenige haben früher Hussein unterstützt.
Die meisten sind ehemalige Soldaten oder Arbeiter, die durch die Besatzung ihre Arbeit und ihr Einkommen verloren haben. Sie kommen aus den ärmeren Vierteln von Bagdad oder anderer Städte. Die allermeisten Iraker unterstützen den Widerstand gegen die Besatzer.

Wer kämpft gegen die Besatzung?
Der Widerstand kommt hauptsächlich aus den Städten, wo die meisten Menschen leben. Irak bis zum US-Angriff 1991 ein modernes, industrialisiertes Land. In den 70er Jahren entstand, mit Hilfe des Ölreichtums, eine vorbildliche Infrastruktur mit Schulen, Universitäten und Krankenhäusern.
Nach dem Krieg gegen den Iran und dem Angriff der USA 1991 konnte das alte Regime diese Infrastruktur notdürftig wiederherstellen. Jetzt, ein Jahr nach dem offiziellen Ende des Krieges, sind die Kriegsschäden noch immer nicht beseitigt. Fließendes Wasser und Elektrizität gibt es nur stundenweise. 60 Prozent der Iraker sind arbeitslos.
Statt Demokratie hat die US-Besatzung ein Marionettenregime eingesetzt. Die irakische Bevölkerung hat kein Recht, ihre Regierung selbst zu wählen.
Die Besatzer führen weiter Krieg gegen die Menschen im Irak, um zu verhindern, dass sie gegen ihre neuen Unterdrücker aufstehen. Besatzungssoldaten haben hunderte Iraker durch die Bombardierung von Wohnvierteln ermordet, tausende verhaftet und gefoltert und zehntausenden den Arbeitsplatz geraubt. Täglich erfahren die irakischen Arbeiter, dass es den Besatzern nicht um ihr Wohlbefinden geht – sondern um die Kontrolle des Nahen Ostens und des Öls.
Die Besatzer haben die ehemaligen Staatsbetriebe an westliche Konzerne verkauft und Großkonzerne ins Land geholt. Viele irakische Geschäftsleute stehen angesichts dieser wirtschaftlichen Übermacht vor dem Ruin. Auch sie lehnen die Besatzer und ihre Politik ab und finanzieren den Widerstand.

Ist der Irak jetzt unabhängig?
Die US-Besatzer haben die Machtübergabe an eine irakische Regierung nur vorgetäuscht. 150.000 Besatzungssoldaten bleiben auf unbestimmte Zeit im Land. Die neue Regierung besteht aus Leuten, die den US-Krieg gegen die Iraker unterstützt haben.
Der neue Ministerpräsident Allawi arbeitet schon seit langem mit britischen und US-Geheimdiensten zusammen. Er lieferte die Lüge, mit welcher der britische Premierminister Blair den Krieg im Parlament rechtfertigte: Der Irak könne innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einsetzen.
Der ehemalige US-Zivilverwalter Bremer hinterlässt nach seinem Abtritt 97 Vorschriften, die von der neuen Regierung nicht verändert werden dürfen. Rund 16 Milliarden Euro aus der Ölförderung aus dem letzten Jahr sind größtenteils an US-Konzerne geflossen.
Die USA haben eine Regierung eingesetzt, welche die gesamte Wirtschaft an ausländische Konzerne verkauft. Die US-Armee baut 14 Militärstützpunkte im Irak auf, um den USA das irakische Öl zu sichern und weitere Kriege im Nahen Osten führen zu können.

Kann die Supermacht USA verlieren?
In Vietnam hat die US-Armee seit 1961 in einem ihrer blutigsten Kriege über zwei Millionen Menschen ermordet. Die US-Regierung begründete den Krieg mit der Lüge, die dortige Regierung habe eines ihrer Kriegsschiffe angegriffen. Tatsächlich versuchte sie, einen Aufstand von Millionen vietnamesischer Bauern gegen ihre Großgrundbesitzer niederzuschlagen.
Mit Kleinwaffen leisteten die Bauern erbitterten Widerstand gegen die Bomben der hochgerüsteten US-Armee. Auch in den Städten stand die vietnamesische Bevölkerung hinter den Kämpfern.
Angesichts des Widerstands der Vietnamesen gegen ihre angeblichen „Befreier“ schlossen sich im Laufe der Jahre in den USA immer mehr Menschen der Antikriegsbewegung an. Die US-Regierung fürchtete einen Aufstand im eigenen Land und unter ihren Soldaten. Trotz ihrer militärischen Übermacht musste die US-Armee 1975 fluchtartig das Land verlassen.
Die Bedingungen für eine Niederlage der USA im Irak sind heute viel günstiger als damals in Vietnam.
Die Mehrheit der Weltbevölkerung glaubt nicht an Bushs Lügen und ist gegen den Krieg. Selbst in den USA hält die Mehrheit den Krieg für falsch.
Immer mehr US-Besatzungssoldaten merken, dass sie nicht die Befreier der irakischen Bevölkerung sind.
Die US-Armee kann den Widerstand gegen die Besatzer nicht zerschlagen und die irakische Bevölkerung nicht unterwerfen. Massaker mit zehntausenden Toten, wie in Vietnam üblich, würden um die Welt gehen und eine Revolte an der Heimatfront auslösen.
Deswegen muss die US-Führung zulassen, dass irakische Aufständische bereits mehrere Großstädte kontrollieren, wie Falludscha und Bakuba.

Was wären die Folgen einer Niederlage der USA?
Nach dem Rückzug aus Vietnam 1975 hat die US-Regierung acht Jahre gebraucht, bis sie sich wieder an einem Krieg direkt beteiligen konnte. Der Widerstand der vietnamesischen Bevölkerung und die Antikriegsbewegung haben in den USA und weltweit Arbeiter, kolonial unterdrückte Völker, Frauen, Schwarze, Schwule und Lesben zu einem gemeinsamen Kampf gegen ihre Unterdrückung inspiriert. Die Herrschenden in den USA waren Jahre beschäftigt, die antikapitalistische Rebellion von 1968 zu bekämpfen.
Eine Niederlage der US-Armee im Irak würde Bushs Pläne stoppen, den gesamten Nahen Osten und das Öl in der Region unter die Kontrolle der US-Konzerne zu bringen. Das hätte dramatische Folgen für alle Befürworter der neoliberalen Globalisierung weltweit.
Die Bosse der mulinationalen Konzerne und ihre Freunde in den Regierungen weltweit müssen die Enteignung, Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiter und Bauern in der Dritten Welt sicherstellen. Dazu verlassen sie sich auf die militärische Stärke der US-Armee.
Ein Sieg der irakischen Widerständischen wäre eine Ermutigung für alle, die in der Dritten Welt gegen Neoliberalismus und Unterdrückung kämpfen: Wenn wir die stärkste Militärmacht der Weltgeschichte schlagen können, dann können wir auch ihre Handlanger in Argentinien, Ägypten oder Pakistan schlagen.
Deshalb hat die indische Antiglobalisierungsaktivistin Arundhati Roy beim Weltsozialforum in Mumbai 2003 alle Gegner der neoliberalen Globalisierung dazu aufgerufen, den Widerstand der irakischen Bevölkerung zu unterstützen. Deshalb planen Kriegsgegner und Globalisierungskritiker beim Europäischen Sozialforum in London 2004 nächste Schritte gegen die US-Besatzung im Irak.

Dieser Beitrag wurde unter International, Nahost: Irak veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.