Die Arbeiterklasse

»Die Geschichte
aller bisherigen Gesellschaften ist die Geschichte von
Klassenkämpfen.« Mit diesen Worten leitete Marx sein
"Manifest der Kommunistischen Partei" ein.

Wie läßt sich
garantieren, daß die unterdrückten Klassen ohne
Unterbrechung den Reichtum der herrschenden Klassen vermehren? Diese
Frage ist entscheidend für die jeweils Herrschenden. Deshalb kam
es auch in allen bisherigen Gesellschaften zu scharfen Kämpfen
zwischen den Klassen, die oft genug im Bürgerkrieg endeten. So,
als sich im Alten Rom die Sklaven erhoben, so auch in zahlreichen
Bauernaufständen des mittelalterlichen Europas, so auch in den
großen Bürgerkriegen und Revolutionen des 17. und 18.
Jahrhunderts.

In all diesen großen
Kämpfen stellten die unterdrücktesten Gruppen der
Gesellschaft die Masse der aufständischen Kräfte. Aber, so
fügte Marx sogleich hinzu, all diese Bestrebungen führten
letztlich nur dazu, die eine herrschende Minderheit durch eine andere
zu ersetzen. So gab es im alten China mehrere erfolgreiche
Bauernaufstände – aber sie endeten allesamt damit, einen neuen
Kaiser an die Macht zu hieven. Ähnlich endete die französische
Revolution von 1789. Die Masse der Kämpfer gegen die
Adelsherrschaft entstammte den "Hosenlosen" (Sansculottes),
den armen Bevölkerungsklassen von Paris. Aber am Ende der
Revolution herrschten nicht sie anstelle des Königs und seines
Hofes, sondern Bankiers und Industrieunternehmer.

Es gab zwei Ursachen dafür,
daß die unteren Klassen, die die Revolutionen durchgeführt
hatten, die Kontrolle über sie verloren.

Erstens war der
gesellschaftliche Reichtum insgesamt noch ziemlich gering. Nur weil
die große Masse des Volkes in ungeheurer Armut gehalten wurde,
konnte eine kleine Minderheit sich Zeit und Muße nehmen, Künste
und Wissenschaften für die Gesellschaft zu entwickeln. Mit
anderen Worten: Die Klassenteilung war notwendig, damit es
gesellschaftlichen Fortschritt geben konnte.

Zweitens befähigte das
Leben der unterdrückten Klassen diese nicht, eine Gesellschaft
zu führen. In ihrer großen Mehrheit waren sie
Analphabeten, sie wußten sehr wenig über die Welt
außerhalb ihres unmittelbaren Lebenskreises, und vor allem
waren sie durch die täglichen Erfahrungen untereinander
gespalten. Jeder Bauer war damit beschäftigt, sein eigenes
kleines Stück Erde zu bebauen. Jeder Handwerker in den Städten
führte sein eigenes kleines Geschäft und befand sich dabei
in Konkurrenz mit anderen Handwerkern, statt in Vereinigung mit
diesen.

Bauernaufstände
begannen damit, daß sich riesige Bauernmassen an den Kämpfen
für eine Enteignung der ortsansässigen Adelsfamilien und
Großgrundbesitzer beteiligten. War dieses Ziel einmal erreicht,
begann sofort der Streit untereinander um die Aufteilung des Landes.
Marx schrieb über die Bauern, sie seien wie »Kartoffeln
in einem Sack«. Man könne sie durch eine äußere
Kraft zusammenschließen, aber sie seien unfähig,

sich dauerhaft selbst zusammenzuschließen, um ihre eigenen
Interessen zu vertreten.

Die Arbeiter, die modernen
Kapitalismus schaffen, unterscheiden sich von allen früheren
unterdrückten Klassen. Erstens leben sie in einer Gesellschaft,
in der die Teilung der Klassen keine Bedingung mehr für
gesellschaftlichen Fortschritt ist. Es wird heute so viel Reichtum
hergestellt, daß die kapitalistische Gesellschaft in
regelmäßigen Abständen riesige Reichtümer durch
Kriege oder Wirtschaftskrisen zerstört. Die Reichtümer
könnten heute gleichmäßig verteilt werden, ohne daß
die Wissenschaften, die Künste und die Kultur insgesamt zu einem
Stillstand kommen müßten.

Zweitens bereitet das Leben
im Kapitalismus die Arbeiter auf vielfältige Weise für eine
Kontrolle der Gesellschaft vor. So braucht der Kapitalismus Arbeiter,
die eine Ausbildung und Erziehung haben. Der Kapitalismus preßt
Tausende von Menschen in riesigen Industriezentren zusammen, wo sie
in engem Kontakt miteinander leben und wo sie eine mächtige
Kraft für einen gesellschaftlichen Umsturz darstellen.

Der Kapitalismus führt
die Arbeiter in Fabriken zusammen. Im Arbeitsprozeß lernen sie,
gemeinsam zu arbeiten, und diese Fähigkeit kann sehr rasch gegen
das System selbst angewandt werden, so zum Beispiel, wenn sich
Arbeiter zu Gewerkschaften zusammenschließen. Weil sie in
mächtigen Blöcken zusammengeschweißt sind, fällt
es den Arbeitern wesentlich leichter als früheren unterdrückten
Klassen, ihre Produktionsstätten und die Gesellschaft
demokratisch selbst zu kontrollieren.

Darüberhinaus macht
der Kapitalismus in wachsendem Maße Gruppen der Bevölkerung,
die sich bisher als über der Arbeiterklasse stehend fühlten
(wie zum Beispiel Angestellte und Techniker) zu Arbeitern, die sich
ebenfalls gezwungen sehen, sich zu organisieren wie die
Produktionsarbeiter.

Schließlich erlaubt
die Weiterentwicklung des Nachrichten- und Verkehrswesens
Eisenbahnen, Straßen, Flugzeuge, Post, Telefon, Radio und
Fernsehen – den Arbeitern, außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft
und ihrer eigenen Industrie, mit anderen Arbeitern zu verkehren. Sie
können sich als Klasse national und international
zusammenschließen, was sich frühere unterdrückte
Klassen nicht in ihren kühnsten Träumen vorstellen konnten.

Zum anderen liegt das
revolutionäre Potential der Arbeiter darin, daß sie
gemeinsam kämpfen müssen. Es ist sinnlos, wenn ein
einzelner Arbeiter seinen Chef anruft und von ihm Lohnerhöhung
oder die Erhaltung seines Arbeitsplatzes fordert. Um ihre Lage zu
verbessern, müssen die Arbeiter sich zusammenschließen und
kollektiv handeln. Und der nächste Schritt muß sein,
Unterstützung und Solidarität der Arbeiter in anderen
Wirtschaftszweigen zu organisieren. Die Logik des Kampfes der
Arbeiterklasse ist immer die Ausweitung der kollektiven Aktion.

Gehen wir noch einen
Schritt weiter und fragen, wie die Arbeiterklasse die
Produktionsmittel in Besitz nehmen kann, die Fabriken, die
Werkstätten, die Gruben usw. Sie kann es offensichtlich nicht in
Form von Einzelpersonen. Man kann nicht eine Grube, eine Fabrik oder
eine Eisenbahn aufteilen und jedem Arbeiter ein Stück geben, wie
man Land unter den kleinen Bauern aufteilen kann. Die einzige Lösung
ist die kollektive Inbesitznahme aller Betriebe.

Das ist der Grund, warum
der Kampf der Arbeiterklasse, wenn er erfolgreich ist, zur Errichtung
einer sozialistischen Gesellschaft führt, zum gesellschaftlichen
Besitz und der gesellschaftlichen Kontrolle aller Produktionsmittel,
und warum er die Spaltung der Gesellschaft in Klassen beendet.

Die Tatsache, daß
keine andere Klasse dieses Merkmal aufweist, heißt, daß
nur die Arbeiterklasse den Sozialismus schaffen kann. Keine andere
soziale Kraft kann sie ersetzen. Oder wie Marx gesagt hat:

»Die Befreiung der
Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.«

Die Arbeiterklasse ist die
Kraft, die nicht nur gegen die bestehende Gesellschaft rebelliert,
sondern die sich selbst organisieren, ihre eigenen Vertreter wählen
und kontrollieren kann, um so die Gesellschaft in ihrem eigenen
Interesse zu verändern, statt bloß wieder einem neuen
Kaiser oder einer neuen Gruppe von Bankiers an die Macht zu
verhelfen.


Oder wie Marx es
ausdrückte: »Alle bisherigen Bewegungen waren
Bewegungen von Minoritäten (Minderheiten) oder im Interesse von
Minoritäten. Die proletarische Bewegung ist die selbständige
Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren
Mehrzahl.«

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