Globalisierung und nationale Wirtschaftspolitik

Robert B. Reich ist Arbeitsminister in der US-Regierung unter Bill Clinton. Sein Buch über Die neue Weltwirtschaft (Originaltitel: The Work of Nations) ist 1991 erschienen. In deutscher Sprache ist es seit 1993 erhältlich, inzwischen auch in einer Taschenbuchausgabe.

Mit dem Wahlsieg von 1992 wurde Clinton für die Führung de SPD zum Vorbild. Er versprach nicht weniger, als Konkurrenzfähigkeit in der internationalen Profitwirtschaft und sozialen Ausgleich im Innern miteinander zu vereinbaren. Dieses Versprecher ist zwar zum Ende der Amtszeit der Clinton-Regierung keineswegs erfüllt, aber damit ist die Anziehungskraft der Ideen, auf die sich das Versprechen gründet, keineswegs erloschen. Zumindest nicht in der deutschen Sozialdemokratie, denn die hat ja die Aufgabe, eine konservative Regierung aus dem Amt zu verdrängen, immer noch vor sich.

Robert B. Reich hat einen nicht unwesentlichen Teil dieser Ideen entwickelt, und deshalb lohnt sich die Beschäftigung mit seinem Buch.

Die Globalisierung der Wirtschaft ist für ihn der entscheidende Umstand, der die Bedingungen für staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik gründlich verändert hat. Geldverkehr, Produktion und Handel kennen keine Grenzen mehr und bieten deshalb keinen Ansatzpunkt mehr für die Politik nationaler Regierungen. Großunternehmen, die früher Aushängeschilder der nationalen Wirtschaften waren, haben kein Heimatland mehr.

Daß diese Sichtweise der Globalisierung mindestens übertrieben und einäugig ist, damit setzt sich Jürgen Ehlers an anderer Stelle in diesem Heft auseinander. Welche „nationalen Interessen“ verteidigt denn die US-Armee am Golf, wenn nicht die Profitinteressen von Unternehmen, die zwar in aller Welt operieren, ihr Heimatland aber in den USA haben?

Die Militärmacht der USA kommt denn auch bei Reich wohlweislich nicht vor. Sie paßt nicht in das Bild, das er vom „Ende der nationalen Ökonomie“ zeichnet. Wir können diesen offensichtlichen Widerspruch aber für einen Moment außer Acht lassen, wenn wir Reichs Ideen im Lichte der deutschen Verhältnisse prüfen wollen. Immerhin ist das deutsche Militär noch nicht soweit, daß es an jedem beliebigen Ort auf der Welt die Interessen des deutschen Kapitals gewaltsam durchsetzen könnte.

 

Einfluß

Nach Reich also entziehen sich die großen Unternehmen zunehmend dem Einfluß nationaler Regierungen und sollten damit auch den Anspruch auf staatliche Unterstützung verlieren.

Nationen können den Reichtum ihrer Bürger nicht mehr wesentlich dadurch vergrößern, daß sie „ihre“ Unternehmen subventionieren, protegieren oder sonstige profiterhöhende Maßnahmen ergreifen; der Zusammenhang von Unternehmensgewinnen und dem Lebensstandard eines Volkes wird immer brüchiger.

In der Ära der Globalisierung gibt es kein Mittel, die einheimischen Unternehmen zu verpflichten, staatliche Unterstützung so einzusetzen, daß davon die Bürger eben dieses Staates profitieren. Deshalb zieht Reich erfrischend offensiv gegen nationalistische Vorurteile in der Wirtschaftspolitik zu Felde.

Eine ausländische Firma, die zur Lösung und Identifizierung komplexer Probleme eine vertragliche Abmachung mit Amerikanern trifft ist dem amerikanischen Volk viel nützlicher als eine amerikanische Firma, die zum gleichen Zweck mit Ausländern eine Vereinbarung trifft.

Ebenso sinnlos wie die Förderung nationaler Unternehmen ist für Reich das Konzept der „Trickle-Down-Economy“, nach dem der Staat durch Senkung der Steuersätze und Abbau von Sozialleistungen dafür sorgen soll, daß die Reichen sich wohl- fühlen und Geld ausgeben, das dann „tröpfchenweise“ wieder unten ankommt und auf diese Weise auch den Armen ein Auskommen sichert. Diese Umverteilung von unten nach oben ist in der Amtszeit der Präsidenten Reagan und Bush massiv betrieben worden, mit dem Ergebnis, daß die Armen in den USA zahlreicher sind und daß es ihnen schlechter geht als jemals zuvor seit dem letzten Weltkrieg.

Wenn die Regierung also schon keinen Einfluß mehr auf die Aktivitäten der Unternehmen hat, dann soll sie sich wenigstens um die Chancen der Menschen kümmern, die ja in ihrer großen Mehrheit in den Grenzen des Nationalstaats bleiben. Dabei ist das Beste, was die Regierung ihren Bürger bieten kann, eine solide Ausbildung, die es in- und ausländischen Unternehmen nahelegt, die Arbeitskraft eben dieser Bürger zu kaufen.

 

Spaltung

Leider vollzieht sich gerade auf diesem Gebiet eine Differenzierung, die zu erheblicher sozialer Ungleichheit führt. Die Arbeitskräfte teilen sich in drei Gruppen. Erstens die „Routinearbeiter“, die sich im Abstieg befinden, weil ihre Tätigkeit auch anderswo billiger eingekauft werden kann. Zweitens die „Dienstleister“, deren Chancen davon abhängen, ob sie im Inland zahlungskräftige Kundschaft finden (und die deshalb ebenfalls unter dem Abstieg der ersten Gruppe zu leiden haben).

Drittens die „Symbol-Analytiker“, die als einzige in der Lage sind, ihre Kenntnisse und Fertigkeiten weltweit zu vermarkten. Mit diesem Begriff bezeichnet Reich alle diejenigen, deren Arbeit in der Erstellung von Konzepten, Texten, Bildern und dergleichen besteht. Das ist ein ziemlich weiter Kreis. Er umfaßt Filmregisseure, Werbemanager, Rechtsanwälte, Professoren, Musiker, Makler, Forscher, bezahlte Vermittler und Berater aller Art. Schließlich gehören auch die Topmanager der Unternehmen zu dieser Berufsgruppe. Insgesamt soll sie etwa 20 Prozent der Beschäftigten in den USA ausmachen. Den „Symbol-Analytikern“ geht es – im Unterschied zu den beiden anderen Gruppen – recht gut in der globalisierten Wirtschaft, weil sie ihre gefragten Fähigkeiten weltweit vermarkten können.

Die Spaltung wird dadurch vertieft, daß die oberen 20 Prozent nicht mehr im gleichen Maße wie früher vom Rest der Gesellschaft abhängig sind. Reich würde eigentlich gerne dafür eintreten, die sozialen Unterschiede durch stärkere Besteuerung der Reichen und stärkere Unterstützung, vor allem aber bessere Ausbildung der Armen auszugleichen. Weil aber die Armen weitaus abhängiger von den Reichen sind als umgekehrt, glaubt er nicht daran, daß eine solche Umverteilung durchsetzbar ist.

Die einzige Chance, einer weiteren Vertiefung der Ungleichheit und dem fortschreitenden Zerfall der Gesellschaft zu begegnen, sieht er deshalb in einer Politik, die er als „positiven Wirtschaftsnationalismus“ bezeichnet. Gezielte staatliche Förderung der Ausbildung, der Infrastruktur oder auch von Unternehmen, deren Tätigkeit dazu beiträgt, soll abgesichert werden durch internationale Vereinbarungen, die verhindern, daß die verschiedenen nationalen Regierungen von den globalen Unternehmen gegeneinander ausgespielt werden.

Hier besteht das überragende Ziel darin, den globalen Wohlstand zu vergrößern, und nicht den Wohlstand eines Landes auf Kosten eines anderen voranzubringen. Es gilt nicht, einen feststehenden weltweiten Profit oder einen begrenzten Markt aufzuteilen. Es geht nicht darum, ob ihre oder unsere Unternehmen den Welthandel beherrschen sollen. Stattdessen arbeiten wir gemeinsam auf einem sich unendlich ausdehnenden Gebiet menschlicher Kenntnisse und Fertigkeiten. Anders als das Sach- und Finanzkapital ist das Humankapital seinem Wesen nach keiner Begrenzung unterworfen.

Daß Zusammenarbeit zu besseren Ergebnissen führt als ein allseitiges Gegeneinander, ist ja eigentlich keine neue Erkenntnis. Die Vernetzung der Weltwirtschaft schafft ja auch tatsächlich ein Stück Zusammenarbeit. Das Eigentümliche an der kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung ist aber, daß zugleich auch die Konkurrenz zunimmt, sowohl zwischen den internationalen Konzernen als auch zwischen ihren jeweiligen Nationalstaaten. Das liegt aber nicht daran, daß zu viele Menschen zu engstirnig sind, um die Zeichen der Zeit wahrzunehmen. Sondern daran, daß eine kleine Minderheit auf Kosten der großen Mehrheit von der Irrationalität der „neuen Weltwirtschaft“ profitiert.

 

Kapitalisten

Diese Minderheit wird mit dem altmodischen Ausdruck „Kapitalist“ viel besser und viel genauer beschrieben als mit Reichs Sammelbegriff „Symbol-Analytiker“. Mit den „Symbol-Analytikern“ werden nämlich zwei Gruppen zusammengeworfen. Die einen organisieren und betreiben die Ausbeutung der „Routinearbeiter“ und „Dienstleister“, die anderen produzieren dazu die Ideenwelt (in Form von Texten, Bildern und Tönen), in denen genau dieser Sachverhalt vernebelt wird. Die zweite Gruppe ist in der Tat nur sehr wenig von den „Routinearbeitern“ abhängig, geschweige denn von denen eines bestimmten Landes. Aber die Mitglieder der ersten Gruppe, die Kapitalisten, sind heute wie vor zweihundert Jahren abhängig von Menschen, deren Arbeit ihnen zu Reichtum und Macht verhilft.

Deshalb sind die „Routinearbeiter“ und „Dienstleister“ auch im Zeitalter der Globalisierung keineswegs ohnmächtig, auch wenn sie manchmal den Texten, Bildern und Tönen wohlmeinender „Symbol-Analytiker“ begegnen, die ihnen das einzureden versuchen.

Fazit: Mit der Analyse des US-Arbeitsministers läßt sich weder in den USA noch hierzulande sozialdemokratische Politik machen. Wer internationale Übereinkünfte zur Eindämmung der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Nationalstaaten zur Voraussetzung für nationale Wirtschafts- und Sozialpolitik machen will, der hat über kurz oder lang kein Argument mehr gegen die Politik des Standortnationalismus, Sozialabbau und Umverteilung von unten nach oben inbegriffen. Das wäre für alle diejenigen, die Kohl und seine Politik zum Teufel wünschen, der Alptraum einer sozialdemokratischen Regierung: Lafontaine für die Sonntagsreden und Schröder als Kanzler der (deutschen) Industrie.

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