Nur wer zahlen kann, darf studieren

Schon seit Jahren wird über das Chaos an den Universitäten geklagt: die Studentenstreiks von 1988 beendeten das Gerede von einem vorübergehenden Studentenberg, dessentwegen der Ausbau der Hochschulen nicht nötig wäre. Damit war aber nicht beschlossen, die Hochschulen entsprechend den praktisch verdoppelten Studentenzahlen auszubauen. Auch erneute Streiks und Demonstrationen 1992 bewirkten das nicht.
Seitdem entwickelt sich in der Professorenschaft unter dem doppelten Druck permanent leerer Kassen und überfüllter Hörsäle eine Diskussion, wie die Zahl der Studenten den bestehenden Kapazitäten angepaßt werden kann. Zunächst wurde viel über Studienreformen diskutiert – von der Regelung des Hochschulzugangs, über veränderte Prüfungsordnungen, Zwischenabschlüsse, bessere Strukturierungen, Zwangsexmatrikulation und noch vieles mehr. Doch alle diese Vorschläge krankten an einem Punkt: Sie bedeuten angesichts der Studentenmassen einen riesigen Arbeitsaufwand für die Hochschullehrer.

Die Frage, die immer mehr in den Mittelpunkt rückte, war, wie die Zahl der Studenten den unzulänglichen Kapazitäten der Hochschulen angepaßt werden könne. Schon 1992 hatte Kohl klar gesagt daß seine Regierung keine müde Mark mehr rausrückte, wenn nicht seitens der Länder und der Hochschulleiturigen realisierbare Vorschläge für einen Umbau des Bildungs- und Ausbildungssystems vorgelegt würden (Berliner Zeitung, 30.1.93), die den Anforderungen der Deutschen Wirtschaft genügen.

Seit Juni 1995 hat die Bundesregierung in Gestalt von Bildungsminister Rüttgers den Druck noch einmal verschärft. Rüttgers kündigte an, in Zukunft solle der Darlehensanteil des Bafög von einer privaten Bank kreditiert werden und die Kreditnehmer, die Studenten, hätten bankübliche Zinsen zu zahlen, Das so eingesparte Geld im Bundeshaushalt solle dann verwandt werden, um den Anteil des Bundes an Hochschulbaumaßnahrnen zu bezahlen, zu dem dieser gesetzlich verpflichtet ist. Wenn die Bundesländer im Bundesrat die vorgeschlagene „Bankfög“-Regelung ablehnten, gäbe es kein Geld für den Hochschulbau.

Natürlich stieß dieser Vorschlag auf heftigen Widerspruch: Ausgerechnet die ärmsten Studenten sollten den Hochschulausbau zahlen. Diese soziale Ungerechtigkeit konnten sogar Kultusminister konservativ regierter Länder, wie Bayern und Sachsen nicht vertreten. Auch der christdemokratische Studentenverband RCDS und die Junge Union widersprachen.

Die Länder, die im wesentlichen die Hochschulen finanzieren von den Räumen bis zum Personal), fanden am Bankfög-Plan auch deshalb keinen Geschmack, weil er ihre finanziellen Probleme kein bißchen erleichterte.

Erst vor kurzem wurde eine gemeinsame Kommission von Bund und Ländern zur Neuregelung der Studienfinanzierung eingerichtet, in deren Ergebnis immer noch der Rüttgers’sche Plan eingehen kann.

Auch heute schon kann der Bankfög-Plan aus Rüttgers Sicht erste Erfolge vorzuweisen: Zum einen hat der Bund bisher einige Milliarden für den Hochschulbau eingespart, und zum andern findet der schon seit Mitte der 80er Jahre diskutierte Vorschlag von Studiengebühren unter dem Druck der leeren Kassen bei den „Bildungsverantwortlichen“ heute eine viel breitere Unterstützung als 1988, bzw. 1992. Die Forderung nach Anpassung der Hochschulkapazität an die Zahl der Studenten wurde aufgegeben.

 

Stilles Einverständnis

Die Konsequenz ist eine Art stilles Einverständnis, daß die Zahl der Studenten den bestehenden Kapazitäten der Hochschulen angepaßt werden müsse, damit weitere Qualitätsverluste der Hochschulen verhindert werden.

Seit dem letzten Wintersemester diskutieren die Hochschulrektoren Studiengebühren auf der Grundlage von Vorschlägen und Studien des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), das von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Stiftung des Mediengroßkonzerns Bertelsmann getragen wird. Ende Januar 1996 wollten die Rektoren mehrheitlich zwar keine Studiengebühren. doch es sei das letzte Mittel. Inzwischen, Anfang Juni 96, sind sie bereit, sich für Studiengebühren, die direkt den Hochschulen zufließen, auch eine „blutige Nase zu holen“. (FR, 3.6.96)

 

Bauchweh.

Trotzdem gibt es noch bei vielen Professoren, wie auch bei der Masse der SPD-Mitglieder beim Thema Studiengebühren viel Bauchgrimmen. Die Verbesserung der Chancengleichheit in der Bildung ist ein sozialdemokratischer Grundwert, und natürlich werden die Fortschritte in der Chancengleichheit durch Studiengebühren zurückgeschraubt.

Peter Glotz, der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hat Ende März ein kleines Pamphlet mit dem Titel Im Kern verrottet? Fünf vor zwölf an Deutschlands Universitäten geschrieben und auf den Markt gebracht. Darin versucht er, Studiengebühren als Politik der sozialen Gerechtigkeit zu verkaufen. Glotz selber ist guten Mutes, daß ihm das gelingt. Gegenüber der Zeitung Die Woche (12.4.96) erklärte er: „Die Partei sagt derzeit laut nein. Ich behaupte aber, daß in drei, vier Jahren derselbe Prozeß eintreten wird wie 1988, als Lafontaine Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich forderte. Die ganze SPD war dagegen. Und heute?“

Solange muß das gar nicht dauern. In Berlin und in Niedersachsen sind die Sozialdemokraten an der Regierung. Ab dem kommenden Wintersemester sollen dort Studiengebühren erhoben werden, die noch etwas verschämt als Einschreibgebühren bezeichnet werden. Außerdem werden in Berlin und Niedersachsen schon kräftig Studienplätze gestrichen. Auch in der Kürzungsliste der Länderfinanzminister fanden sich die Studiengebühren wieder.

Da der „moderne“ Flügel in der SPD die leeren Staatskassen als unveränderliches Globalisierungsschicksal akzeptiert. bestehen leider gute Aussichten, daß Glotzens scheinbar arbeitnehmerfreundlichen und scheinsozialen Argumente auf fruchtbaren Boden fallen.

1992 hatten die vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft gefordert: „Bildung zum Nulltarif soll es nicht länger geben.“ (Berliner Zeitung, 30.1.93). Glotz übernimmt die Formel: „Der Nulltarif im Bildungswesen ist nicht mehr finanzierbar.“ (S.105) Abgesehen davon, daß die leeren Kassen kein unabwendbares Schicksal sein müßten (vgl. Artikel Sozialstaat und Klassenkampf in diesem Svu), ist schon die Behauptung, es gebe einen Nulltarif im Bildungswesen, falsch. Zu den Kosten der Bildung sind nicht nur die Kosten der Ausbildungsinstitutionen. sondern auch die Kosten der Studienfinanzierung zu zählen, die die Studenten heute weitgehend selbst tragen.

Glotz versucht darüber hinaus, die Einführung von Studiengebühren vom Klassenstandpunkt der Arbeitnehmer zu begründen. Es dürfe nicht länger den aus den Steuergeldern der Arbeitnehmer bezahlten Nulltarif für den „Medizinersohn und die Managertocher“ geben. „Der tiefere Grund für die – häufig mit bestem Gewissen vorgetragene – Nulltarifidee ist eine Verkennung der Tatsache, daß die deutschen Hochschulen nach wie vor eine Veranstaltung der Mittelschichten sind.“

Als Beweis führt Glotz die Tatsache an, daß 1993 nur 15% aller Kinder aus Arbeiterhaushalten studierten, dagegen aber 65% der Kinder von Beamten, 48% von Selbständigen und 37% aus Angestelltenfamilien.

So unbefriedigend die Verbesserung der Chancengleichheit auch sein mag, so falsch ist es radikal keinerlei Verbesserung zu erwähnen. Als z.B. Peter Glotz studierte, nämlich in den 50er Jahren, schafften es nur 4% der Kinder aus Arbeiterfamilien zu studieren. Die Hochschulen waren eine fast reine Veranstaltung der oberen Mittelschicht und Oberschicht. Dem gegenüber ist es ein deutlicher Anstieg, wenn 30 Jahre später 15% der Arbeiterkinder studieren. Außerdem studieren 379 den Kinder aus Angestelltenhaushalten, deren Eltern sicherlich nicht überwiegend zum Management und zum Gutteil nicht einmal zum Mittelstand gehören.

Die soziale Öffnung der Hochschulen wird in einer Untersuchung von 1992 aus dem Bundesbildungsministerium, die als Grundgesamtheit nicht die jeweilige Bevölkerungsgruppe, sondern die Hochschüler hat, noch deutlicher: 1991 kamen 41% der Studenten aus Familien, deren Vater/Mutter entweder einen Lehrabschluß oder gar keinen Abschluß hatten. 28% der Studenten kamen aus Familien mit Fachschulabschluß, bzw. Meisterprüfung und 31% aus Familien mit Hochschulabschluß. (AG Bildungsbericht am Max-Planck-lnstitut für Bildungsforschung, Das Bildungswesen in der Bundesrepublik, Reinbeck, 1994, S.280).

Diesen Daten entspricht auch, daß nur etwa ein Drittel der Studenten von zu Hause genug Geld zur Finanzierung des Studiums bekommt. Zwei Drittel des Studenten müssen während des Semesters jobben, um ihr Studium zu finanzieren.

 

Bildungsexpansion

Im zitierten Bildungsbericht des Max-Planck-Instituts wird betont, daß sich bei der Bildungsbeteiligung die sozialen Unterschiede nur sehr schwer auflösen. Das ist logisch, denn Eltern mit Hochschulabschluß ermöglichen ihren Kindern in der Regel ebenfalls einen Hochschulbesuch und streben nicht danach, daß ihr Kind nur einen Lehrabschluß macht.

Wenn größere Teile der sogenannten „bildungsfernen“ Schichten die gleiche Chance auf höhere Bildung bekommen sollen, muß die Zahl der Studienplätze massiv erhöht werden. Erst die Studentenbewegung setzte durch, daß Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger Jahre „Bildung für alle“ als politisches Ziel angestrebt wurde. Das Bildungsangebot wurde durch den massiven Ausbau der Hochschulen stark ausgeweitet. Erstmals gab es eine begaburigsunabhängige, wenn auch nicht elternunabhängige (wie vom SDS gefordert) Studienförderung. Es kam zu einer deutlichen sozialen Öffnung den höheren Bildung.

Von der Bildungsexpansion profitierten alle Sozialschichten in ähnlicher Weise, ohne daß sich die Struktur der Ungleichheit durchschlagend veränderte. Die Chancen einen höheren Bildungsabschluß zu erreichen, stiegen, während das Verhältnis der schichtspezifischen Bildungschancen weitgehend stabil blieb. (S.282f.)

Für die Bildungsexpansion förderlich war auch, daß sich in der Zeit des langen wirtschaftlichen Nachkriegsaufschwungs das Einkommen vieler abhängig Beschäftigten so verbessert hatte, daß es vielen Familien möglich wurde, auf einen Zuverdienst ihrer jugendlichen Kinder zu verzichten.

Bis 1982 wurde den Schülern und Studenten das Bafög als Zuschuß bezahlt. Sehr viele junge Leute wurden gefördert. z.B. waren es 1982 1,25 Millionen. Die Zahl der Studenten nahm beständig zu. obwohl ab 1977 die Hochschulen nicht weiter ausgebaut wurden.

1983 strich die erste Kohl-Regierung praktisch das Schülerbafög, und das Studentenbafög wurde voll auf ein zinsloses Darlehen umgestellt. Das machte sich sofort bemerkbar. 1985 wurde nur noch eine halbe Million Schüler und Studenten gefördert.

Die scharfe Beschneidung der Studienförderung reduzierte jedoch nicht, wie wohl erhofft, die Studentenzahlen. Ein Grund dafür ist sicherlich, daß für viele Jugendliche aus lohnabhängigen Familien der weiterführende Schulbesuch und ein Studium eine Alternative zur drohenden Jugendarbeitslosigkeit war. Die Arbeitslosigkeit, die überhaupt erst Mitte der Siebziger Jahre auftrat, wurde von einer überproportional starken Jugendarbeitslosigkeit begleitet. Grund dafür war der Lehrstellenboykott, mit dem die Unternehmen auf die, wenn auch beschränkte, Reform der Berufsausbildung und die gestiegenen Lehrlingsvergütungen reagierten. Die weiteren Erfahrungen in den achtziger Jahren mit einem wachsenden Sockel von Arbeitslosen bestätigten diesen Schritt. Eine höhere Berufsausbildung verbesserte die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, auf dem aufgrund technischer Entwicklungen auch teilweise höhere Qualifikationen nachgefragt wurden.

 

Nutznießer

Als weiteres Argument für Studiengebühren führt Glotz an, daß „die, die durch die Leistungen (des Hochschulsystems) begünstigt werden., die Studierenden, bzw. ihre Familien“ zur „Mitfinanzierung“ herangezogen werden. (S.98) Immerhin „erzielen Akademiker weit größere Lebenseinkommen als Nichtakademiker“. (S.100) Letzteres ist sicherlich der Fall. Unklar bleibt. wieso zum Zeitpunkt des Studiums eine „Begünstigung“ bestehen soll, da ja in den meisten Fällen eine Einschränkung erfolgt. Die Studenten leben nicht von der Luft und ihrer Liebe zur Wissenschaft.

Es ist sicherlich besser zu studieren, als arbeitslos zu sein. Aber das heißt nicht, daß Studenten, bzw. ihre Familien von Bafög oder kostenlosem Studium profitierten,

Außerdem gilt die Gleichsetzung von „Heute Student = morgen akademischer Besserverdiener in gesicherter Position“, wie sie Glotz nahelegt, schon lange nicht mehr. Es gibt Akadamikerarbeitslosigkeit, viele schlecht bezahlte Stellungen, Schein-Selbständigkeiten usw.

Natürlich ist es sozial ungerecht, daß die kleinen Leute mit ihren Lohn- und Mehrwertsteuer einen immer größeren Teil des Steuerkuchens aufbringen und daß die Reichen, darunter auch hervorragend verdienende Akademiker, immer weniger Steuern zahlen. Doch die soziale Ungleichheit des Steuersystems ist nicht durch Studiengebühren zu beseitigen, sondern durch eine andere Besteuerung, wie die SPD-Wissenschaftsministerin von NRW, Anke Brunn, richtig betont.

Die Kosten der Hochschule sind aber auch keineswegs nur zum Nutzen des gut verdienende Akademikers. Auch die Gesellschaft braucht gut ausgebildete Lehrer, Ärzte, Architekten, Ingenieure usw.

In allererster Linie sind die Hochschulen jedoch nützlich für die Unternehmer, die Besitzer den Produktionsmittel. Sie brauchen wissenschaftlich ausgebildete Arbeitskräfte zum rentablen Betrieb ihrer Unternehmen und zur Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse. Zu welchem Zweck und in welchen organisatorisch-ökonomischen Zusammenhängen sich die gestaltende und verändernde Kraft der angewandten Wissenschaft tatsächlich realisiert, entzieht sich der Entscheidungsgewalt der wissenschaftlich Arbeitenden selbst ebenso wie der Kontrolle einer Öffentlichkeit oder Allgemeinheit (Nitsch, u.a.: Die soziale Lage der Studentenschaft, in: Wider die Untertanenfabrik, hrsg. S. Leibfried, Köln 1967)

 

Gerechtigkeit

Glotz führt noch ein weiteres Argument an, um den wahrhaft sozialen Charakter von Studiengebühren zu beweisen. Angesichts der schlechten Qualität der Ausbildung, die durch die jahrzehntelange Unterfinanzierung der Hochschulen entstanden ist, argumentiert er: „Der Nulltarif ist dann nur scheinbar sozial, denn der Wohlhabende wird sich in jedem Fall gute Leistungen besorgen … Nur die Durchschnittsverdiener wären auf die mäßigen Leistungen angewiesen, die ihnen gebührenfrei überlassen werden.“ (S.99) Mit Studiengebühren. die den Hochschulen direkt zuflössen, könnten diese Leistungen verbessert werden.

Glotz verweist auf das australische Modell von Studiengebühren. Aus einem Fonds werden an diejenigen, die es nötig haben, die Studiengebühren als Kredit gegeben, die dann direkt an die Hochschulen gezahlt werden. Die Rückzahlung erfolgt wieder in den Fonds. Zu diesem, von der Labour Regierung eingeführten Modell, gebe es große Zustimmung.

Glotz verschweigt, daß nach seiner Auffassung in Deutschland nicht das australische Modell eingeführt wird, sondern daß die Studiengebühren, wie bei Rüttgers Bankfög-Modell, als Kredit bei einem Privatbank-Fonds aufgenommen und mit banküblichen Zinsen zurückgezahlt werden sollen. (FR 11.1.96) Denn dem Realisten Glotz ist schon klar, daß die Länderhaushalte nicht die Milliarden zur Erstausstattung eines „Studiengebührfonds“ aufbringen werden. In Australien dagegen ist der Fonds staatlich, die aufgenommenen Studiengebührkredite sind, bis auf einen Inflationsausgleich, zinslos.

 

Unsauber

Genauso unsauber argumentiert Glotz mit der Leistungsverbesserung durch Studiengebühren. Er selber legt sich nicht auf die Höhe der Studiengebühnen fest, hantiert aber mit dem Rechenmodell der Hochschulrektorenkonfenenz von 1000 DM pro Semester. Bei 1,9 Millionen Studenten ergebe das 3.8 Milliarden DM, die gegenwärtig für die laufenden Kosten der Hochschulen fehlen.

Genauer betrachtet soll den Studenten in die Tasche gegriffen werden, um die bestehenden, schlimmen Studienbedingungen aufrechtzuerhalten. Eine Leistungsverbesserung der Hochschulen ist mit 1000 DM/Semester nicht zu erreichen. Dazu wäre der räumliche, technische und personelle Ausbau der Hochschulen notwendig. Im November 1992 hat die HRK bei 1,8 Millionen Studenten (heute sind es 1,9 Millionen) von einen „verantwortungslosen Überbuchung der Studienplätze“ festgestellt. Damals betonte ihr Präsident Erichsen: „Selbst wenn die Regelstudienzeiten eingehalten würden, wären die Universitäten zu 150%, die Fachhochschulen zu 160% überbucht,“ (FAZ, 4.11.92) Die HRK hält einen Zusatzbedarf von jährlich neun Mrd. DM für nötig, um einen ordnungsgemäßen Studienbetrieb durchzuführen. Die GEW geht 1993 von jährlich zusätzlich notwendigen sieben Mrd. DM nur für Personalkosten aus, der Präsident der Uni Oldenburg, Daxner, verweist auf Berechnungen von jährlich zusätzlich notwendigen 10 Mrd. DM. (Alles ohne Bafög).

Um die Studienbedingungen für die 1,9 Millionen Studenten zu verbessern, müßten also pro Student jährlich 5000 bis 6000 DM Studiengebühren erhoben werden und nicht 2000 DM!

2000 DM mehr im Jahr, damit die schlimmen Studienbedingungen an den Hochschulen gleichermaßen schlimm bleiben, anstatt schlimmer zu werden!

Erhoben von Studenten, die zu zwei Dritteln während des Semesters arbeiten müssen, damit sie ihren Lebensunterhalt finanzieren können! Das Bafög reicht immer weniger zur Finanzierung aus und der Anteil der Bafög-Empfänger wird immer kleiner (1994 im Westen 24%, im Osten 55%) weil die Elternfreibeträge kaum angehoben werden. In Ostdeutschland ist die Situation noch schwieriger, weil es dort kaum Möglichkeiten gibt, einen Studentenjob zu finden.

 

Soziale Abschreckung

Finanzielle Probleme wirken besonders abschreckend auf die Beteiligung der unteren, bildungsfernen Schichten an der höheren Bildung. Ergebnisse der 13. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zeigen das sehr deutlich. Der Anteil der Kinder aus Arbeiterfamilien, die studierten, stagnierte genau in der Zeit als das Bafög nur als zinsloses Darlehen gegeben wurde, sich also Schulden anhäuften, nämlich zwischen 1983 und 1990 bei acht Prozent. Ab 1990 wurde wieder eine Hälfte des Bafög als Zuschuß gezahlt. Binnen Jahresfrist hatte sich der Anteil der Kinder aus Arbeiterfamilien wieder auf 12% erhöht. (FAZ, 14. 11.92)

Wenn für Studiengebühren (10.000 bis 14.000 DM je nach Studiendauer) mehr gejobbt werden muß, verlängert sich das Studium und wird noch teuer. Wenn ein Kredit aufgenommen wird, werden Schulden angehäuft. Die meisten Studenten würden sich für lange Jahre von Banken und Zinsentwicklung abhängig machen.

Das wird gerade diejenigen Studenten abschrecken, die keine wohlhabenden Eltern haben, bzw. nicht als Erwachsene am Gängelband der Eltern hängen wollen. Bisher müssen Studenten „nur“ die Entscheidung treffen, einige Jahre lang auf Konsum zu verzichten und den Stress von Jobben und Studieren durchzuhalten. In Zukunft müssen sie entscheiden, ein langfristiges finanzielles Risiko auf sich zu nehmen. Das tut man nicht, wenn die Zukunft völlig ungesichert ist. Wer keine Praxis, kein Büro, keine Kanzlei, keinen Betrieb erbt, weiß heute nicht, was die Zukunft bringt, auch nicht als Akademiker. Oder der Studierwillige begibt sich schon zu Beginn des Studiums in die Abhängigkeit von einem „Sponsor“ (Kirche, Unternehmer), den die Studiengebühren bezahlt, weil daraus für ihn ein Nutzen oder Profit herausspringt. Glotz selber plädiert für die Verbesserung der Begabtenförderung der Unterschichten (S.104), also für ein Zurück zum reaktionären Honeffer Modell der fünfziger Jahre!

Die abschreckende Wirkung von Studiengebühren wird dazu führen, daß sich die Zahl der Studenten den bestehenden Zahlen der Studienplätze (900.000) anpassen wird. Eine Untersuchung des CHE verweist auf entsprechende Erfahrungen. „An der Universität Zürich sank zwar die Zahl der Studierenden nach Einführung von Gebühren (1.200 Schweizer Franken pro Semester) insgesamt drastisch; keineswegs aber die Stadienanfängerzahl., die konstant blieb.“ (Die Zeit, 26.4.96)

Die sozial Schwächeren werden bei dieser Auslese auf der Strecke bleiben.

Sind die Langzeitstudenten endlich entfernt, dann können erst die zahlreichen Vorschläge, die es zur Straffung und Effektivierung des Studiums gibt, angewandt werden. Mit Exmatrikulationen u.ä. Zwangsmethoden von oben, die Hochschulen von Studenten zu säubern, erscheint gefährlicher als die Einführung von Studiengebühren und dem damit verbundenen indirekten Vertreibungszwang.

In einem Punkt muß ich allerdings Peter Glotz stark zustimmen. Im zitierten Streitgespräch mit Rüttgers in der Zeitschrift Die Woche sagte er: „Ich glaube nicht, daß es zwischen den Zielen bei Regierung und Opposition weltanschauliche Unterschiede gibt.“ Der bildungspolitische Sprecher der SPD Bundestagsfraktion unterstützt die unsoziale Bildungspolitik der konservativ-liberalen Regierung, indem er diejenigen zu verdummen versucht, die an der Forderung nach Chancengleichheit in der Bildung und Ausbildung für alle festhalten.

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