"Mehr und mehr Menschen misstrauen der Bush-Regierung."


Julie Fry, 22, Jura-Studentin in New Jersey (USA), ist Aktivistin bei A.N.S.W.E.R. (Act Now to Stop War and End Racism). Sie war an der Organisation der gewaltigen Friedensdemonstrationen am 18. Januar beteiligt.

Wo steht die Anti-Kriegs-Bewegung in den USA?

Wir haben eine Situation, die einzigartig in der Geschichte der USA ist. Niemals zuvor waren hunderttausende auf den Straßen, bevor ein Krieg begonnen hat.

Was macht die Bewegung so stark?

Die Anti-Kriegs-Bewegung drückt eine breitere Stimmung aus. Mehr und mehr Menschen misstrauen der Bush-Regierung. Selbst unter den Republikanern ist die Unterstützung für Bush dünn und brüchig.

Woher kommt die Unzufriedenheit mit der Regierung?

Bush tut so, als wäre der Irak das größte Problem der USA. Damit steht er aber recht allein. Die Menschen in USA haben ganz andere Sorgen: Massenentlassungen, Arbeitslosigkeit, kaputte Sozialsysteme. Die Wirtschaft ist in der Krise. Die einzige Antwort der Regierung waren bisher Steuergeschenke an die Reichen. Das kommt nicht gut an.

Aber nach dem 11. September war die Unterstützung für Bush riesig.

Das stimmt. Die Presse hat sich freiwillig gleichgeschaltet und patriotische Stimmung verbreitet. Doch die hält nicht ewig vor. Dazu sind die Widersprüche in den USA zu groß. Während der Rüstungsetat ins Unermessliche wächst, ist die Kindersterblichkeit in den Innenstädten von Washington, Detroit, Baltimore und Chicago ebenso groß wie in den ärmeren Ländern Lateinamerikas. In Bangladesh ist die Lebenserwartung höher als bei den Schwarzen in den USA.

Wie ist die Anti-Kriegs-Bewegung in den USA organisiert?

Wir haben ein einzigartiges Bündnis namens ANSWER: "Jetzt handeln – Krieg stoppen – Rassismus beenden"

Am 18. Januar brachte ANSWER eine halbe Million Demonstranten gegen den Krieg in Washington zusammen. Weitere 200.000 demonstrierten in San Francisco.

Es war die größte Friedensdemonstration in Washington seit dem Vietnamkrieg. Wir wurden auch von den kommerziellen Medien in einem vorher nie gekannten Maß beachtet. Bisher hatten sie uns möglichst ignoriert.

Die Proteste werden totgeschwiegen?

Das war ein Problem. Im Oktober hatten wir eine Demonstration mit 200.000 Teilnehmern. Damals erschienen in der New York Times nur zwei kleine Absätze. Die Demonstrationsteilnehmer waren derart wütend, dass sie tausende Leserbriefe an die New York Times schickten. Dadurch wurde diese Zeitung gezwungen, ein paar Tage später einen größeren Artikel zu drucken und sich formal bei uns zu entschuldigen.

Hat sich an der Berichterstattung etwas geändert?

Nach der Demonstration am 18. Januar war die Reaktion der Medien ganz anders: Am Tag danach erschien auf der Titelseite der New York Times ein Foto von unserer Demonstration. Das ist ei wirklicher Durchbruch für uns. Nicht etwa, weil uns interessiert, was die kommerziellen Medien über uns denken. Aber wir sind glücklich, dass die breite Bevölkerung der Vereinigten Staaten jetzt weiß, dass es eine wachsende und lebendige Friedensbewegung im Land gibt.

Wer arbeitet bei ANSWER mit?

Unsere Koalition besteht aus einer großen Anzahl von Gruppen, die ein breites Interessenspektrum vertreten. Araber und Muslime haben sich rege an der Mobilisierung für den 18. Januar beteiligt – zusammen mit anderen Einwanderern, deren Herkunftsländer im Fadenkreuz des Pentagon liegen:Koreaner, Philippins, Lateinamerikaner. Dazu kamen Kirchen, gewerkschaftliche Gruppen, lokale Friedensgruppen und die Studentenbewegung.

Wie habt ihr die Demonstration am 18. Januar aufgebaut?

Der Hauptgrund war die Unterstützung und Hingabe Tausender von Helfer im gesamten Land. Wir sind eine relativ kleine Organisation. Wir bekommen keine Unterstützung von außen, keinerlei finanzielle Unterstützung. Alles freiwillig und umsonst. Für den 18. Januar hatten wir 130 Organisationszentren in 45 Staaten. Wir haben diese alle durch unsere engagierte Zentralgruppe in New York und Washington angeleitet. Wir haben Hunderttausende von Flugblättern, Stickern und Postern gedruckt – in vielen Sprachen. Dann haben wir sie im ganzen Land verteilt. Wir hatten auch kleinere Demonstrationen, Konzerte und örtliche Versammlungen und haben damit die Leute für den 18. Januar motiviert. Unsere Helfer und Organisatoren im ganzen Land waren der Grund, dass der 18. Januar zum Erfolg wurde.

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